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WAS IST MENSCHENWÜRDE? – Überlegungen im Umfeld des Buches von Paul Tiedemann – Teil 2

Diesem Blogeintrag ging ein ging Teil 1 voraus.

Paul Tiedemann, „Was ist Menschenwürde? Eine Einführung., 2. aktualisierte Aufl., Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2014

ZIEL DES BUCHES

1. Es sei daran erinnert, dass das Ziel des Buches für Paul Tiedemann darin besteht, zur Klärung der Bedeutungsfrage(n) des Begriffs ‚Menschenwürde‘ als Bestandteil der modernen – insbesondere der Deutschen – Verfassung beizutragen, um damit einen Beitrag für die Orientierung zu leisten. Er geht davon aus, dass sich hinter dem Begriff ‚Menschenwürde‘ eine fundamentale Wertvorstellung verbirgt, die ernst genommen werden sollte. (vgl. dazu die Einleitung des Buches)

KAPITEL 1 (SS.13-32)

Zeitlinie Vorkommen Begriff 'Menschenwürde' in Verfassungen (nach Kap.1, Tiedemann 2014)
Zeitlinie Vorkommen Begriff ‚Menschenwürde‘ in Verfassungen (nach Kap.1, Tiedemann 2014)

2. Es kann nicht Ziel dieser Besprechung sein, die Lektüre des Buches selbst zu ersetzen. Vielmehr sollen die Kerngedanken aufgegriffen und andiskutiert werden.

3. Eine dieser Kernaussagen ist sicher, dass das Vorkommen des Begriffs ‚Menschenwürde‘ in Verfassungstexten zeitlich gesehen sehr ’neu‘ ist. Wie man aus dem – anhand der Angaben von Tiedemann im Kap.1 – selbst erstellten Schaubild oben erkennen kann, stellt letztlich die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) von 1948 durch die Vereinten Nationen das erste ‚Großereignis‘ dar, das dann im weiteren Verlauf – mehr oder weniger – zur Vorlage für alle nachfolgenden Verfassungsprojekte wurde, die den Begriff ‚Menschenwürde‘ — mehr oder weniger — berücksichtigt haben.

4. Wie Tiedemann im Detail dann ausführt, war aber die Bedeutungszuweisung zu den Begriffen, speziell zum Begriff ‚Menschenwürde‘ — schon im Fall der UN Menschenrechtserklärung (AEMR) — sehr bewegt, zum Teil umstritten, und wird in den Folgeereignissen oft ohne inhaltliche Diskussion übernommen. In der Regel ist ein direkter Vergleich mit dem Bedeutungsfeld der AEMR über mögliche Bedeutungszuweisungen während der Abfassung kaum oder garnicht möglich.

5. Dazu kommt erschwerend, dass die Interpretation der Verfassungstexte entsprechenden Verfassungsgerichten obliegt, die – sehr selten, wie im Fall Frankreich – die Menschenwürde in einen Verfassungstext ‚hineininterpretieren‘ können, obgleich der Begriff so garnicht vorkommt, oder – häufiger, wie z.B.i m Fall von Portugal, Spanien und Italien – kaum oder garnicht Bezug auf den Begriff ‚Menschenwürde‘ nehmen, weil er zu ’schwammig‘ sei, nicht geeignet für eine Urteilsbildung.

6. Zu denken geben sollte auch, dass wichtige Länder wie USA und Kanada die Amerikanische Menschenrechtskonvention (AMRK) nicht unterschrieben haben und dementsprechend den zugehörigen Gerichtshof nicht anerkennen.

7. Bemerkenswert ist ebenfalls, dass ein Land wie Frankreich im Verfassungstext den Begriff ‚Menschenwürde‘ bislang beharrlich nicht aufgenommen hat, ebenso auch nicht England.

DISKUSSION

8. Schon dieses erste – letztlich einführende – Kapitel deutet an, dass der Begriff ‚Menschenwürde‘ kein leichter Begriff ist. Seine Abhängigkeit von Deutungsmodellen ist hoch und die Tatsache, dass wir heute mehr denn je in einer Welt von zahllosen Deutungsmodellen leben, die sich eher weniger denn mehr überschneiden, lässt erahnen, dass eine Diskussion dieses Begriffs ‚Menschenwürde‘, so sie denn notwendig wäre, sehr schnell in schwierige Gewässer führen wird.

9. Sieht man, mit welcher Geschwindigkeit und hoher Intensität die heutigen Gesellschaften auf der Erde durch zahllose Veränderungen herausgefordert werden, wie die zunehmende Verschränkung von unterschiedlichsten Kulturen die gewohnten Interpretationsmuster täglich überfordern (Pegida, Islamisten, Terroristen beispielsweise bilden nur einen kleinen Ausschnitt davon!), wie unterschiedlichste individuelle und Gruppen-Interessen versuchen, die politische Macht und das Kapital für sich einseitig zu besetzen, dann ist das alte griechisch-römische Staatsideal mit seinen aufklärerischen Verfeinerungen heute vielfach herausgefordert.

10. Man darf vermuten, dass ein einzelner Begriff alleine wie der der ‚Menschenwürde‘ wohl kaum genügen wird, die heutige massive Infragestellungen – gerade auch bei seiner ‚wackligen‘ semantischen Verankerung – zu befrieden. Dennoch nimmt er in der Deutschen Verfassung (und der EU und bei den Vereinten Nationen) eine starke, sogar zentrale Stellung ein und im weiteren Verlauf soll geprüft werden, welche Unterstützung dieser Begriff für den aktuellen Überlebenskampf einer ‚freien aufgeklärten Gesellschaft‘ bieten kann.

Fortsetzung folgt mit Teil 3 hier.

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WAS IST MENSCHENWÜRDE? – Überlegungen im Umfeld des Buches von Paul Tiedemann

Zur Einstimmung eine eher ’softe‘ Musik live vom 20.Januar 2015 aus den Radically Unplugged Musik-Experimenten: dieses Mal ein Duo: Schlagzeug und ein hybrides Piano (wie immer ohne Noten, ohne Proben, direkt, ohne Nachbearbeitung, also RUM…).

Paul Tiedemann, „Was ist Menschenwürde? Eine Einführung“, 2. aktualisierte Aufl., Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2014

KONTEXT DES BLOGS (cagent)

1. Da jetzt auch andere Autoren angefangen haben, im Blog zu schreiben, hier die Einschränkung des Kontexts auf die Beiträge, die der Autor cagent bislang geschrieben hat.

2. Auf der Suche nach dem Neuen Menschenbild (als Teil des Ganzen) spielen natürlich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle. Nur in einer Gesellschaft, die dem Geist der Aufklärung folgt, in der Bildung und Wissenschaft im modernen Sinne möglich sind, wo die Rechte der Menschen unabhängig von religiösen oder weltanschaulichen Anschauungen gelten, bei einer funktionierenden Öffentlichkeit, bei einer demokratischen Zuteilung von Macht – um nur einige Punkte zu nennen – nur in einer solchen Gesellschaft kann es ein neues Menschenbild geben, das der im Universum vorgegebenen Wahrheit Rechnung zu tragen versucht.

3. In diesem Zusammenhang spielt für die Deutsche Gesellschaft das Grundgesetz (GG) eine zentrale Rolle (erlassen am 23. Mai 1949, 24:00 Uhr, ab dem 3. Oktober 1990 als Verfassung für das wiedervereinigte Deutschland , letzte Änderung in Kraft getreten am 1. Januar 2015 (Art. 2 G beschlossen am 23. Dezember 2014))

4. Im Wikipediabeitrag wird zurecht herausgestellt, dass im neuen GG im Gegensatz zur Weimarer Reichsverfassung „die Grundrechte … keine bloßen Staatszielbestimmungen [sind], sondern unmittelbar geltendes Recht [darstellen] für die der Menschenwürde verpflichteten Staatsgewalten (Art. 1). Die Grundrechte befinden sich am Anfang des Verfassungstextes und haben eine hervorgehobene Bedeutung sowohl als subjektive Bürgerrechte als auch in ihrer Funktion einer objektiven Wertentscheidung des Staatswesens. Sie dürfen in ihrem Wesensgehalt nicht angetastet werden. Der Grundsatz des Artikels 1, der diese Bindung festlegt, darf nicht verändert werden (Ewigkeitsklausel). (Siehe Wikipedia-DE GG).

5. Insofern, wenn im Art 1 des GG Die ‚Würde des Menschen‘ allem anderen vorangestellt wird, indem sie als ‚unantastbar‘ erklärt wird, die ‚zu achten und zu schützen‘ die ‚Verpflichtung aller staatlichen Gewalt‘ sei, dann bekommt der Begriff der ‚Menschenwürde‘ eine zentrale Bedeutung. Von dem Verständnis dieser Bedeutung des Begriffs ‚Menschenwürde‘ in der Deutschen Verfassung hängt dann sehr viel, um nicht zu sagen ‚alles‘ ab.

6. Es wird diese verfassungsorientierte Begriffsbestimmung sein, die für die Suche nach dem neuen Weltbild einen wichtigen Bezugspunkt darstellen wird. Bezugspunkt allerdings nicht als ‚Vorgabe‘, sondern als ‚Vergleichspunkt‘, ob und wieweit das aktuelle Menschenverständnis der Verfassung dem neuen – auf den neuen wissenschaftlichen und philsophischen und religiösen Erkenntnissen beruhenden – Menschenbild entspricht. Denn so, wie sich in ganz Europa (historisch als Morgenland und Abendland) die Auffassungen von Mensch und Gesellschaft und Staat in den letzten 4000 Jahren mehrfach und massiv immer wieder geändert haben, genauso werden die Erkenntnisse zum ‚Menschen im Universum‘ auch in der Zukunft weitergehen.

7. Historisch gesehen sind die Menschenbilder der drei europäischen Offenbarungsreligionen Judentum, Christentum und Islam eigentlich deutlich überholt, real gibt es aber immer noch viele Menschen, die an diesen überholten Menschenbildern festhalten. Deswegen wird man sich auch weiterhin immer wieder mit diesen Menschenbildern (und ihren wissensmäßigen Voraussetzungen) auseinander setzen müssen.

ZIEL DES BUCHES

8. In der Einleitung stellt der Autor Paul Tiedemann – promovierter Jurist und promovierter Philosoph, Richter am Verwaltungsgericht Frankfurt am Main – genau diesen zentralen – und zugleich fragilen – Zusammenhang heraus: erst ca. 50 Jahre nach der Verabschiedung des GG setzte eine intensivere Diskussion der Bedeutung dieses Begriffs ein. Stand für die meisten in den Jahrzehnten nach dem Krieg noch selbstverständlich mit dem Begriff der ‚Menschenwürde‘ die Abwehr der Naziwillkür unausgesprochen im Vordergrund, kamen z.B. mit den Diskussionen um Bio- und Gentechnologie, mit neuerlicher Terrorismusabwehr und den darin involvierte möglichen Foltermethoden, neue Themen ins Spiel. Zugleich zeigte sich auch weltweit, dass die Interpretation der Menschenwürde in zwischenstaatlichen Verträgen verschieden gesehen wird: der Begriff der ‚Menschenwürde‘ sei kulturabhängig, der Begriff der Menschenwürde sei spezifisch abendländisch, bis dahin, dass die globale Verwendung dieses Begriffs als eine Art ‚Kulturimperialismus‘ gesehen werden kann.

9. [ANMERKUNG: Und, man könnte noch ergänzen, dass angesichts des Wiedererstarkens alter Religionen, begleitet von einem neuen Erstarken globaler kapitalistischer , Menschen entwertender Wirtschaftsabläufen, sowie einer sich seit den 1980iger Jahren aufbauenenden Position eines technik-induzierten ‚Transhumanismus‘, dazu die Existenz vieler Staaten, in denen undemokratische Machtstrukturen herrschen, dies alles die Frage nach der Bedeutung und dem Stellenwert der ‚Menschenwürde‘ zusätzlich intensiviert.]

10. Sein Buch soll zur Klärung solcher Bedeutungsfragen beitragen, für die Orientierung helfen. Und Paul Tiedemann geht davon aus, dass sich hinter diesem Begriff ‚Menschenwürde‘ eine fundamentale Wertvorstellung verbirgt, die ernst genommen werden sollte.

Eine Fortsetzung findet sich HIER.

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ENDSPIEL, ENDKAMPF, ODER NEUER EVOLUTIONSSCHUB?

(Letzte Änderungen: 23.Nov.2014, 14:46h)

1. Während der Begriff ‚Endspiel‘ durch seine sportliche Konnotationen noch keinen letzten Schrecken verbreiten muss, klingt ‚Endkampf‘ biblisch-apokalyptisch: Endzeitstimmung; das Böse kämpft gegen das Gute; alles steht auf dem Spiel. ‚Evolutionsschub‘ deutet die Perspektive der Naturwissenschaften an, eine methodische Objektivität eines ‚Strukturwandels‘, der sich ’natürlich‘ aus der ‚Vorgeschichte‘ ergibt. Obwohl ich grundsätzlich der naturwissenschaftlichen Sicht zuneige als Grundlage aller Argumentationen über unsere empirisch erfahrbare Welt und damit bei weitreichenden Veränderungen eher einen ’natürlichen Strukturwandel‘ unterstelle, haben wir es bei dem aktuellen Strukturwandel mit Phänomenen zu tun, in die ’subjektive Anteile‘ von beteiligten Menschen, Gruppierungen, Parteien, Firmen usw. mit eingehen. Die ‚Natur‘ hat zwar aufgrund der Gesamtheit aller beteiligten physikalischen Eigenschaften ‚von sich aus‘ eine — möglicherweise ’spezifische‘ — ‚Tendenz‘ sich zu verändern, aber der weltweite Einfluss biologischer Systeme auf den weiteren Gang mit der ‚biologischen Eigendynamik, die – wir wir wissen – gegen grundlegende physikalische Gesetze (z.B. 2.Hauptsatz der Thermodynamik) gerichtet zu sein scheint, erscheint mittlerweile so stark, dass der biologische Faktor neben den physikalischen Prinzipien ein Gewicht gewonnen hat, welches es verbietet, rein ‚technisch‘ von einem Evolutionsschub als ‚ausrechenbarem Strukturwandel‘ zu sprechen.

2. In diesem globalen Kontext erscheint ein Thema wie Informatik & Gesellschaft auf den ersten Blick eher speziell; auf den zweiten Blick zeigt sich aber gerade in diesem Thema eine der globalen Verwerfungslinien zwischen dem ‚Zustand bisher‘ und dem ‚Zustand, der neu beginnt‘. Das Thema ‚Informatik‘ bzw. ‚Computertechnologie‘ galt eher als Teil der Technologie, die nicht eigentlich der ‚Natur‘ zugeordnet wurde. Wie überhaupt seit Aufkommen der ‚Maschinen‘ die Maschinen als Leitmuster der Technologie immer als Gegensatz zur ‚chemischen und biologischen Evolution‘ gesehen wurden. Neben vielen kulturellen Denkmustern, die solch eine ‚Trennung‘ begünstigten, war es sicher auch die mindestens von der antiken Philosophie herrührenden Trennung von ‚unbelebt‘ (die ‚Stoffe‘, ‚Subtsanzen‘, die ‚Materie‘ als solche sind ‚unbelebt‘) und ‚belebt‘ (‚atmend‘ (pneo), Atem als universelles Lebensprinzip (pneuma)), das seinen Ausdruck im ‚Geist‘ (pneuma‘) findet. Da dieser Gegensatz von ‚unbelebt‘ und ‚belebt‘ mehr als 2000 Jahre nicht wirklich aufgelöst werden konnte, konnte sich eine Art ‚Dualismus‘ ausbilden und durchhalten, der wie eine unsichtbare Trennlinie durch die gesamte Wirklichkeit verlief: alles, was nicht ‚atmete‘ war unbelebt, materiell, un-geistig; alles was atmete, belebt war, befand sich in einer Nähe zum universellen Geistigen, ohne dass man eigentlich näher beschreiben konnte, was ‚Geist‘ denn nun genau war. Nicht verwunderlich, dass sich alle großen Religionen wie ‚Hinduismus‘, ‚Judentum‘, ‚Buddhismus‘, ‚Christentum‘, ‚Islam‘ (trotz z.T. erheblicher Differenzen in den Details), diesem Dualismus ’nachbarschaftlich verbunden fühlten‘. Der intellektuell-begriffliche ‚Ringkampf‘ der christlichen Theologie und Philosophie (und streckenweise des Islam, Avicenna und andere!) mit diesem dualistischen Erbe hat jedenfalls tiefe Spuren in allen theologischen Systemen hinterlassen, ohne allerdings dieses ‚Rätsel des Geistes‘ auch nur ansatzweise aufzulösen.

3. Diesen historischen Kontext muss man sich bewusst machen, um zu verstehen, warum für viele (die meisten? Alle?) die plötzliche ‚Nähe‘ der Technologie im alltäglichen Leben, eine sich immer mehr ‚anschmiegende‘ und zugleich ‚verdrängende‘ Technologie an diesem im Alltagsdenken ‚historisch eingebrannten‘ Dualismus‘ zu kratzen beginnt, zu wachsenden Irritationen führt (andere Technologien wie Nanotechnologie und Gentechnik gehören auch in diesen Kontext, wenn auch anders).

4. Im Ankündigungstext zur erwähnten Veranstaltung Informatik & Gesellschaft (siehe auch den Kurzbericht) wurde bewusst herausgestellt, dass seit den ersten Computern eines Konrad Zuse und dem Eniac-Computer von John Presper Eckert und John William Mauchly (1946) die Computertechnologie mittlerweile nahezu alle Bereiche der Gesellschaft in einer Weise durchdrungen hat, wie wohl bislang keine andere Technologie; dass diese Technologie realer Teil unseres Alltags geworden ist, sowohl im Arbeitsleben wie auch in der Freizeit. Man kann sogar sagen, dass diese Technologie die menschliche Lebensweise schon jetzt (nach ca. 60 Jahren) real und nachhaltig verändert hat. Neue Formen der Kommunikation wurden ermöglicht, Veränderungen der Mobilität, automatisierte flexible Produktion, Computermusik, computergenerierte Bildwelten…

5. Aber diese Durchdringung von nahezu allem – was heißt das? Die neue historische Qualität dieser Technologie besteht darin, dass diese Technologie – bislang immer noch klar erkennbar als ‚Maschinen‘, bislang nicht als ‚biologische‘ Strukturen – ‚Verhaltensweisen‘ zeigt, die denen der Menschen als Prototypen von ‚geistigen‘ Wesen ähneln. Aufgrund dieser ‚Ähnlichkeit‘ werden sie Teil von ‚typisch menschlichen‘ Handlungsabläufen (Kommunizieren, Wissen verwalten, Sport und Kunst machen, Spielen, komplexe Modelle und Prozesse entwerfen und simulieren, dann auch steuern, usw.). Seit den 80iger Jahren des 20.Jahrhunderts – also nach nicht mal ca. 30-40 Jahren — hat sich diese Technologie so mit dem menschlichen Alltag verwoben, dass eine moderne industrielle Gesellschaft komplett zusammenbrechen würde, würde man diese Technologie von jetzt auf gleich abschalten.

6. Befürworter eines noch intensiveren Einsatz dieser neuen Computertechnologien z.B. im Bereich der Industrie unter dem Schlagwort ‚Industrie 4.0‘ (so z.B. Prof. Schocke in seinem Beitrag auf der Veranstaltung Informatik & Gesellschaft – Kurzbericht oder die Autoren Thomas Klein und Daniel Schleidt in der gleichnamigen FAZ Beilage vom 18.Nov.2014 auf den Seiten V2 (Klein) und V6 (Schleidt)) sehen vor allem das Potential zu noch mehr Produktionssteigerungen bei gleichzeitiger Verbesserung der Qualität und besserer Ressourcennutzung. Gleichzeitig betonen die drei Autoren die Notwendigkeit von mehr Computertechnologie in der Industrie wegen des internationalen Wettbewerbs. Von den drei genannten Autoren spricht einzig Thomas Klein auch die Kehrseite des vermehrt ‚menschenähnlichen‘ Einsatzes dieser Maschinen im Kontext von Industrie 4.0 an: das damit möglicherweise auch viele Arbeitsplätze wegfallen werden, die bislang für Menschen Arbeitsmöglichkeiten geboten haben. Klein zitiert Untersuchungen, nach denen 47% der bisherigen Arbeitsplätze in den USA in den nächsten 10 Jahren Kandidaten für eine Substitution durch Computergestützte Technologien sind. Dies sind massive Zahlen. Dalia Marin, Professorin für Volkswirtschaft, versucht diese kommende Arbeitsmarktproblematik weiter zu differenzieren. Ausgehend von der Annahme, dass mehr Automatisierung kommen wird, sieht sie neben dem Rückzug von Hochtechnologieproduktionen in die angestammten Industrieländer dort aber die grundsätzliche Entwicklung zur Vergrößerung der Kapitalquote und zur Verringerung der Lohnquote. Diese Verringerung soll vor allem den Akademikersektor treffen; teure menschliche Arbeitskräfte werden bevorzugt von billigen computerbasierten Technologien ersetzt (FAZ 21.Nov.2014, S.16). Sowohl Klein wie auch Marin betonen aber auch, dass solche Zukunftseinschätzungen problematisch sind; der Prozess ist zu komplex, als dass man ihn einfach hochrechnen könnte.

7. Was bei allen vier genannten Autoren auffällt – auch bei den Autoren der Beilage ‚Innovation‘ (FAZ 20.Nov.2014) – ist, dass sie die ‚intelligente‘ und ’smarte‘ Technologie überwiegend aus einer ‚Außensicht‘ behandeln. Sie lassen die Wirkmechanismen dieser neuen Technologien, ihre maschinelle Logik, das, was sie so leistungsfähig macht, mehr oder weniger im Dunkeln. Smarte, intelligente Technologie erscheint dadurch – ich pointiere jetzt ein wenig — wie ein Naturereignis, das geradezu mystisch über uns hereinbricht, das einfach passiert, das so ist wie es ist, das man einfach hinnehmen muss. Auch fehlt eine historische Einordnung dieser Prozesse in das große Ganze einer Evolution des Lebens im Universum. Die sehr differenzierten Sichten von Daniel Schleidt enthalten zwar ein eigenes Schaubild zur industriellen Entwicklung, aber dieses greift – nach meiner Einschätzung – zu kurz. Es zementiert nur eher den opaken Blick auf das Phänomen, macht es begrifflich unzugänglich, schottet es für die Reflexion ab. Auch die volkswirtschaftliche Ausweitung des Blicks durch Marin geht – nach meiner Einschätzung – nicht weit genug. Sie betrachtet das Problem einer möglichen und wahrscheinlichen Substitution von menschlicher Arbeit durch computerbasierte Technologien in gegebenen historischen Kontexten und hier auch nur in einer kurzen Zeitspanne. Sie thematisiert aber nicht die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen als solche. Sehr wohl kann man die Frage nach dem aktuellen Gesellschaftsmodell stellen. Sehr wohl kann man die Frage aufwerfen, ob es ein gutes Modell ist, wenn einige wenige GFinanz- und Machteliten mit dem Rest der Menschheit nach Belieben spielen. In der Frankfurter Rundschau wird seit vielen Wochen das Thema ‚Gerechtigkeit‘ diskutiert (siehe zuletzt z.B. Mohssen Massarat, Prof. für Wirtschaft und Politik mit seiner Übersicht verschiedener Gerechtigkeitsmodelle, FR 15./16.Nov.2014, S.9) und die Lektüre eines Buches wie ‚Die Abwicklung‘ von George Packer zeigt, dass eine reflexionsfreie oligopolistische Gesellschaft wie die US-Amerikanische mehr Fragen aufwirft als sie befriedigende Antworten liefert.

8. Sieht man nur die bisherigen Diskussionsbeiträge, dann kann einen schon die klamme Frage beschleichen, warum so viele Autoren in den Spiegeln der Gegenwart immer nur noch ‚das Andere‘ sehen, die ‚Maschine‘, während der ‚Mensch‘, die ‚Menschheit‘ als Hervorbringer dieser Technologien in diesem Sichtfeld gar nicht mehr vorkommt. Es ist wie ein intellektueller blinder Fleck, der die leisesten Zuckungen von Maschinen wie eine Neugeburt feiert während das ungeheuerliche Wunder der Entstehung komplexer Lebensstrukturen auf der Erde (das bis heute in keiner Weise wirklich verstanden ist!) nicht einmal eine Randnotiz wert ist. Fokussierung auf spezifische Fragestellung hat seinen Sinn und ist und war ein Erfolgsrezept, aber in einer Zeit, in der disziplinenübergreifend komplexe Phänomene alles mit allem verzahnen, in einer solchen Zeit erscheint diese selbstgenügsame Tugend nicht mehr nur nicht angebracht, sondern geradezu kontraproduktiv zu sein. Eine falsche Fokussierung führt bei komplexen Phänomenen notwendigerweise zu Verzerrungen, zu Verfälschungen, zu falschen Bildern von der Gegenwart und einer sich daraus ergebenden Zukunft (es sei auch an die lange Diskussion in der FAZ erinnert zu den Schwachstellen moderner Betriebs- und Volkswirtschaftstheorien, die nicht nur die letzten Finanzkatastrophen nicht vorhergesehen haben, sondern auch mit ihrem Paradigma des ‚homo oeconomicus‘ empirisch weitgehend gescheitert sind.)

9. Wenn nun also Menschen selbst das Andere ihrer selbst anpreisen und sich selbst dabei ‚wegschweigen‘, ist damit die Geschichte des biologischen Lebens im Universum automatisch zu Ende oder unterliegen wir als menschlich Denkende hier nicht wieder einmal einem grundlegenden Denkfehler über die Wirklichkeit, wie andere Generationen vor uns auch schon in anderen Fragen?

10. Die Verabschiedung der UN-Menschenrechtskonvention von 1948, damals als ein Lichtblick angesichts der systematischen Greueltaten gegen die Juden (aber aber nicht nur dieser!) und der Beginn vieler anderer daran anknüpfenden Erklärungen und Initiativen erscheint vor den aktuellen gesellschaftlichen Prozessen weltweit fast schon seltsam. Dass ein totalitäres Regime wie das chinesische die Menschenrechte grundsätzlich nicht anerkennt (wohl aber chinesische Bürger, siehe die Charta 2008) ist offiziell gewollt, dass aber selbst demokratische Länder – allen voran die USA – mit den Menschenrechten scheinbar ’nach Belieben‘ umgehen, sozusagen, wie es ihnen gerade passt, dass wirkt wenig ermutigend und gibt Nahrung für Spekulationen, ob die Menschenrechte und die Mitgliedschaft in der UN nur davon ablenken sollen, was die Finanz- und Machteliten tatsächlich wollen. Die Zerstörung ganzer Gesellschaftsbereiche, die Marginalisierung großer Teile der Bevölkerung, die unbeschränkte Aufhebung der Privatsphäre ohne alle Kontrollen, die globale Ausbeutung der Schwachen durch Handelsabkommen … nur wenige Beispiele die eine andere Sprache sprechen, als jene, die in den Menschenrechten vorgezeichnet ist.

11. Noch einmal, was auffällt, ist die ‚Oberflächlichkeit‘ all dieser Bilder im wahrsten Sinn des Wortes: die schier unfassbare Geschichte der Evolution des Lebens im Universum existiert eigentlich nicht; das Wunder des Geistes inmitten materiell erscheinender Strukturen ist weitgehend unsichtbar oder ist eingesperrt in eine gesellschaftliche Enklave genannt ‚Kultur‘, die nahezu kontaktlos ist mit dem Rest des Wirtschaftens, Produzierens und Denkens; eine ‚Kultur der Sonntagsreden‘ und der ‚Belustigungen‘, ein Medium für die Eitelkeit der Reichen und der Unterhaltungsindustrie.

12. Innovation entsteht nie nur aus der Wiederholung des Alten, sondern immer auch aus der Veränderung des Alten, entsteht aus dem gezielt herbeigeführten ‚Risiko‘ von etwas ‚tatsächlich Neuem‘, dessen Eigenschaften und Wirkungen per se nicht vollständig vorher bekannt sein können.

13. Die, die aktuell neue Technologien hervorbringen und einsetzen wollen, erscheinen ‚innovativ‘ darin, dass sie diese hervorbringen, aber in der Art und Weise, wie sie das biologische Leben – speziell die Menschen – damit ‚arrangieren‘, wirken die meisten sehr ‚alt‘, ‚rückwärtsgewandt‘, …. Innovationen für das Menschliche stehen ersichtlich auf keiner Tagesordnung. Das Menschliche wird offiziell ‚konserviert‘ oder schlicht wegrationalisiert, weggeworfen, ‚entsorgt‘; hier manifestiert sich ein seltsamer Zug dazu, sich selbst zu entsorgen, sich selbst zu vernichten. Die Quelle aller Innovationen, das biologische Leben, hat in Gestalt der Menschheit einen ‚blinden Fleck‘: sie selbst als Quelle.

14. Der Mangel an Wissen war zu allen Zeiten ein Riesenproblem und Quelle vieler Notlagen und Gräueltaten. Dennoch hat die Menschheit trotz massiver Beschränkungen im Wissen neues Wissen und neue Strukturen entwickelt, die mehr Teilhabe ermöglichen, mehr Einsichten vermitteln, mehr Technologie hervorgebracht haben, ohne dass ein ‚externer Lehrer‘ gesagt hat, was zu tun ist… wie ja auch alle Kinder nicht lernen, weil wir auf sie einreden, sondern weil sie durch den bisherigen Gang der Evolution für ein kontinuierliches Lernen ausgestattet sind. … Der Geist geht dem Denken voraus, die Logik der Entwicklung liegt ‚in‘ der Materie-Energie.

15. So großartig Innovationen sein können, das größte Mirakel bleibt die Quelle selbst. Wunderbar und unheimlich zugleich.

QUELLEN

George Packer (3.Aufl. 2014), Die Abwicklung. Eine innere Geschichte des neuen Amerika. Frankfurt am Main: S.Fischer Verlag GmbH (die engl. Originalausgabe erschien 2013 unter dem Titel ‚The Unwinding. An Inner History of the New America‘. New York: Farrar, Strauss and Giroux).

Einen Überblic über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

FRIEDENSPREIS DES DEUTSCHEN BUCHANDELS 2014 FÜR JARON LANIER – Ein paar Nachgedanken

1. Bei den folgenden ‚Nachgedanken‘ orientiere ich mich an dem Text Der High-Tech-Frieden braucht eine neue Art von Humanismus, der die offizielle deutsche Übersetzung darstellt. Die Laudatio von Martin Schulz, dem Präsidenten des Europäischen Parlaments,findet sich HIER.

2. Eine Rede an so einem besonderen Ort vor solch einem selektiertem Publikum zu halten, ist nicht einfach. Bedenkt man ferner, wie unsere Zeit geprägt ist von einer totalen Informationsüberflutung, die wiederum eingebettet ist in krasse Ungleichzeitigkeiten von Kulturen und gesellschaftlichen Gruppen, dann wird es nicht einfacher. Andererseits hatte Lanier ein Publikum vor sich, das aufgrund seiner Auswahl eine minimale kulturelle Homogenität aufwies, eines, das irgendwo dem Muster westlicher Demokratien und vom Internet geprägten Hochleistungsgesellschaften nahestand.

VIELZAHL VON IMPRESSIONEN

3. Die Rede war nun nicht von der klassischen Art, dass ein bestimmter Gedanke sich einfach und klar mit Wucht Ausdruck verschaffte, nein es war eher eine Vielzahl von Impressionen, die alle ihren Ort in unserem Alltag haben, und es waren verschiedene Themenansätze, die anklangen, aber nicht zu Ende durchkomponiert waren (siehe Stichwortsammlung auf folgendem Schaubild).

Auszug von Stichworten aus der Rede Laniers zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2014
Auszug von Stichworten aus der Rede Laniers zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2014

4. Was als erstes auffällt, es fehlt praktisch – bis auf eine kleine Ausnahme — jede historische Dimension: die Welt erscheint nicht als gewordene, als von bestimmten Kräften getrieben, angetrieben, sondern wir tauchen unmittelbar ein in eine Momentaufnahme, ein Kaleidoskop von vielen Bildern, Bilder einer ‚entwickelten Welt‘ eingespannt zwischen ‚Überfluss‘ und ‚Rand eines Abgrunds‘.

5. Er selbst sieht sich als ‚Realist‘ mit einer Familiengeschichte (das ist die kleine Ausnahme in der Geschichtslosigkeit), die zurückreicht in die Gräuel des Naziregimes, das in großer Perfektion ganze Völker manipuliert und gequält hat. Treue gegenüber dem System und Gehorsam sind in einer Nazigesellschaft missbraucht worden für Zwecke, die zwar einigen wenigen nützten, aber sehr vielen anderen Leid und Tod gebracht haben.

INDIVIDUELLER HUMANIST ALS MITVERURSACHER

6. Lanier selbst ist einerseits Mitverursacher der modernen Informationstechnologien und ihrer gesellschaftlichen Auswirkungen, andererseits ist er individueller Humanist und leidet an ihren negativen Auswüchsen: er kann ein breites Spektrum von Phänomenen an den neuen Informationstechnologien benennen, die sich zwar soziale psychische ‚Grundtriebe‘ des Menschen zu Nutze machen, die aber diese Menschen letztlich doch entrechten und verachten, indem alles, was man an Daten von diesen Menschen bekommen kann, an fremden, entlegenen, anonymen Orten speichert und in eigener Regie nutzt, ausnutzt, oft gegen die Interessen des Datenspenders.

ÄHNLICHKEITEN MIT NAZIREGIME ZUFÄLLIG?

7. Das Naziregime knüpfte auch am ‚gesunden Volksempfinden‘ an, schaffte auf den ersten Blick Erleichterungen, Wohltaten, Komfort, neue soziale Netze; Google, Facebook und Co weisen starke Ähnlichkeiten auf: sie bieten kostenlos allerlei persönlichen Komfort, neue Formen sozialer Vernetzungen, nehmen sich dafür aber alles, was sie von den Menschen bekomme können, treten deren Rechte mit Füßen, und bauen globale wirtschaftliche Nutzungszusammenhänge auf, die immer mehr Menschen ihre Arbeit nehmen, selbst aber Gewinne erzielen für noch mehr global-elitäre Geschäftstätigkeiten. In sich sind sie völlig intransparent, elitär, erscheinen menschenverachtend. Der Mensch wird so behandelt, als ob er keinen eigenen Wert hat, sondern nur insoweit, als er der globalen elitären Geschäftsidee nutzt.

UNSICHTBARE MONSTER?

8. Die Schwierigkeit bei dem Reden über diese neue Formen von Ausbeutung ist, dass vieles nicht direkt sichtbar wird, dass die Mechanismen ‚dahinter‘ verborgen sind in Netzwerken, in Serverfarmen, im Code der Software. Konnte man sich früher schon mal bei einem Menschen beschweren, wenn Verwaltungsabläufe Kritik hervorriefen, werden diese Verwaltungsabläufe heute von undurchschaubaren Engineeringverfahren erzeugt, in Software eingekleidet, für Politik, Recht und Öffentlichkeit ‚unsichtbar‘, absolut wie die mythischen Götter der Vorzeit. Öffentlichkeit und Politik sitzen vor diesen neuen Monster andächtig, wie das Kaninchen vor der Schlage; Arbeitsverluste, Steuerausfälle, Manipulation, Totalüberwachung erleidet und erduldet man, aber niemand handelt. So erzieht man sich immer größere Monster.

PARALLELE PHÄNOMENE, ÜBER DIE LANIER NICHTS SAGTE

9. Sind die Bilder, die Lanier in seiner Rede mit Blick auf die digitale Wirtschaft schon bedrückend genug, sollte man im Hinterkopf behalten, dass wir in anderen Bereichen (Rohstoffe, Chemie, Pharma, Landwirtschaft …) ganz ähnliche Globalisierungseffekte erleben, die immer mehr auf Kosten der Menschen ‚vor Ort‘ den Reichtum weniger elitärer Gruppen ‚im Hintergrund‘ mehren, alles auf Kosten der Verwahrlosung der restlichen Welt (so scheint z.B. die WHO über die Finanzierung sich in den Händen weniger Großkonzerne zu befinden, die die Zertifizierungen von Produkten anderer Firmen verhindern bzw. das Ausbrechen bzw. Nichtausbrechen von medizinischen Katastrophen steuern können, ein einträgliches Milliardengeschäft, wie es scheint).

MENSCHENVERACHTENDE ELITEN?

10. Es ist dann möglicherweise kein Zufall, dass es genau die Wirtschafts- und Technologieeliten sind, die der Abschaffung des Menschen das Wort reden, transhumanistische Visionen begünstigen, Gehirn-Uploads und Unsterblickeitstechnologien favorisieren. So bizarr die hier einschlägigen Theorien momentan auch sein mögen, reflektieren sie auf jeden Fall einen Wertekosmos, der grundlegend menschenverachtend ist. Die rosigen Werbeslogans wirken vor diesem Hintergrund zynisch: man hätschelt den Konsumenten, den man grundlegend verachtet, rechtlich missbraucht und ökonomisch ausnimmt, um daraus den eigenen Wohlstand zu bauen; gleichzeitig bastelt man an Visionen, wie man sich von diesen lästigen Menschen befreien kann. Waren Hitler, Stalin, Mao (oder deren heutigen Nachfahren) so viel schlechter, weil sie keine Probleme hatten, viele Millionen Menschen zu opfern, weil sie einfach mal so nicht ins Konzept passten?

DIE PASSIVITÄT DER UNTERDRÜCKTEN

11. Man kann sich wundern, warum die Menschen, wir (!), dies alles mit uns machen lassen. Warum lassen wir die wenigen gewähren, die alle anderen ‚ausbeuten‘, ‚missbrauchen‘? Lanier hat dazu nicht viel zu sagen. Er zitiert das Wort vom ‚Rudelverhalten‘, das wir Menschen einen inneren Schalter haben, der, einmal umgelegt, uns dazu bringt, uns als ‚Rudel‘ zu verhalten, das auch vor größten Dummheiten und Ungeheuerlichkeiten nicht zurückschrecke.

12. Diese Rudelverhalten korreliert nach Lanier auf Seiten der Manipulierten stark mit Phänomenen wie Stammesverhalten, blinder Gefolgschaft, autoritären Strukturen, Gewalt, Terror, Nationalitäten. Auf Seiten der Eliten finden wir eine entsprechende Ethik und Gedanken wie den ‚Transhumanismus‘.

DER GESCHICHTSLOSE, VERLORENE MENSCH

13. Bei diesem düsteren – und durchgehend geschichtslosem und unökologischem – Bild der menschlichen Gesellschaft kann man sich fragen, wo denn hier irgendein Lichtschimmer der Hoffnung herkommen kann? Der Mensch, ein blasses rudelhaftes, von dunklen Trieben geleitetes Wesen – warum, wieso, weshalb sollte dieses Wesen eine Zukunft haben?

14. Lanier beruft sich mehrfach auf die Menschenrechte, optiert für eine breite Mitte, für Pluralismus und Nachhaltigkeit, lobt eine neue Sensitivität und Kreativität, preist die traditionellen Familienwerte, glaubt an den Menschen, schließt den Glauben an einen Gott nicht aus, aber diese optimistischen Ansätze bleiben seltsam matt, kraftlos, da nicht so recht zu sehen ist, worin diese Ansätze wirklich gründen sollen, warum diese stärker, wichtiger sein sollen als die dunklen Seiten der Mächte, die den einzelnen, das Rudel, die Menge der Konsumenten, die elitären Nutzer einer globalen Ausbeutung anzutreiben scheinen.

DAS BUCH ALS EINZELNER HEROISCHER AKT

15. Als eine gewisse Referenz an den Ort und an den Anlass der Rede schenkt er dem Publikum auch noch ein paar Bemerkungen zur Rolle und Bedeutung des Buches. Aus der Innensicht eines Autors weiß er zu berichten, dass der Akt des Buch Schreibens Lebenszeit konsumiert, ein minimales Engagement verlangt, dass ein Autor sich damit bis zu einem gewissen Grade verwundbar macht, dass dies aber unumgänglich erscheint, um individuelle Erfahrungen allgemein zugänglich zu machen. Diese Individualität sei notwendig, meint Lanier, und sieht hier auch einen gewissen Widerspruch zur monumentalen Internetenzyklopädie Wikipedia, die eher zur Nivellierung tendiert, zur Vereinheitlichung, zu einer Monopolisierung dessen, was und wie etwas gesagt werden darf.

16. Aktuelle Konflikte wie z.B. die zwischen Internet-Großhändlern wie amazon einerseits und klassischen Verlagen (die allerdings auch Internet nutzen) anderseits, oder die zwischen klassischen Zeitungen einerseits und neuen Webredaktionen andererseits kamen nicht direkt zur Sprache.

17. Auch die grundsätzliche Rolle einer funktionierenden Öffentlichkeit in einer Demokratie und deren potentielle Gefährdung durch die neuen Entwicklungen blieb unberührt. Genau sowenig thematisierte Lanier das Grundproblem des Wissens heute als Medium des globalen Denkens und Handelns.

WENN LANIER RECHT HAT …

18. Wenn Lanier Recht hat – und in vielen Punkten hat er Recht; die Phänomene, die er beschreibt gibt es wirklich, sie sind sehr real – dann ist der Gesamteindruck vordringlich eher düster. Die Macht der schmarotzenden Eliten auf Kosten der vielen ist da, wird täglich praktiziert. Die bislang eher passiv-abwartende Reaktion der betroffenen gesellschaftlichen Systeme und Subsysteme wirkt nicht sehr ermutigend. Das Fehlen eines gemeinsam geteilten Wertekanons als Gegenpol zu den globalen Ausbeutungstendenzen ist in der praktischen, gelebten Realität der Politik da; Menschenrechte stehen auf dem Papier, aber Länder wie z.B. die USA, Russland, China und Saudiarabien passen sie kompromisslos der aktuellen Machtpolitik an. In den USA heißt die Zauberformel ‚Staatsicherheit‘ und ‚wirtschaftlicher Erfolg der Eliten‘, in China ist es der Führungsanspruch der kommunistischen Partei, in Russland ist es der Führungsanspruch eines Putin, in Saudiarabien ist es eine theologisch verbrämte Autokratie. Als ‚Fremder‘ hat man in diesen Ländern keinerlei Rechtsanspruch, außer, er wird aus irgendwelchem Anlass auf Abruf eigens ‚gewährt‘ (und diese vier Länder sind keine Ausnahmen).

19. Die Rede von Lanier hinterlässt daher mehr offene Fragen als nützliche Antworten. Es gibt natürlich viele ermutigende gesellschaftliche Institutionen, Bewegungen und gelebte Wertmodelle, aus denen eine alternative, bessere Zukunft wachsen könnte, es gibt in Europa Länder die trotz allem wachsenden Lobbyismus und wachsender Korruption institutionalisierte Werteansätze leben, aber man kann nicht behaupten, dass wir aktuell einen weltweiten Konsens haben, der die von Lanier geschilderten negativen Auswüchse mit Leichtigkeit überwinden könnte. Die Menschen, die Menschheit steht hier – sicher nicht zum ersten Mal – vor einer Herausforderung, sich für die nächste Phase auf eine Weise ’neu erfinden zu müssen‘, die die aktuellen Probleme konstruktiv und nachhaltig löst. Woher nehmen wir das dazu notwendige Wissen? Was sind die leitenden Kriterien? Woher können wir wissen, was wir vielleicht aktuell noch nicht wissen? Gibt es gute Lösungen ohne vorausgehende Irrtümer, ohne vorausgehende Katastrophen, aus denen wir lernen können? Alle sind gefragt, jeder ist aufgerufen, keiner kann sich entschuldigen. Sterben müssen wir zwar alle, aber wie nutzen wir die kurze Zeit vor dem Tod?

Einen Überblick über alle bisherige Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

WAR ES DAS? SCHAFFEN SICH DIE DEMOKRATIEN SELBST AB? KÖNNEN WIR NOCH ETWAS TUN? Eine Zusammenfassung in eigener Sache

KEINER MAG ES UND DOCH PASSIERT ES

1. Am 28.Juli 2013 habe ich in diesem Blog zum ersten Mal explizit über Politik geschrieben. Anlass waren die im Somme 2013 aufkommenden ersten Nachrichten über Aktivitäten der US-Amerikanischen Geheimdienste und ihr staatlich, verfassungsrechtlicher Kontext: PHILOSOPHIE TRIFFT DAS SNOWDON SYNDROM – Erste Notizen. Dies war (siehe den Gesamtüberblick) damals der Blogeintrag Nr.148. Seitdem habe ich immer wieder weitere Blogeinträge geschrieben, da das Thema nicht nur nicht von der Bildfläche verschwand, sondern, ganz im Gegenteil, nahezu täglich durch neue Enthüllungen und Erkenntnisse an ‚Realitätsgehalt‘ zugenommen hat.

DAS ÖFFENTLICHE BEWUSSTSEIN NIMMT ZU, DIE VERLEUGNUNG DURCH DIE REGIERUNG(en) ABER AUCH

2. Das Erfreuliche an dem Vorgang ist, dass es immer mehr Publikationen, immer mehr Sendungen gibt, die die Dinge beim Namen nennen. Immer mehr Menschen merken, dass hier Dinge im Gang sind, die nicht den Geist der westlichen Demokratien repräsentieren. Doch, zugleich, von erschreckender Banalität, ist, dass die zuständigen Regierungsstellen samt den gewählten Regierungen den Eindruck erwecken, als ob ihnen die Bürger, die sie gewählt haben und für die Sie ihr Amt ausüben, genau diese Bürger überhaupt nicht mehr ernst nehmen. Dass Sie sich nicht wie demokratisch gewählte ‚Diener des Staates‘ benehmen, sondern – quasi losgelöst von allen geschriebenen Verfassungen – wie absolutistische Herrscher der vor-demokratischen Zeiten. Die US-Regierung mit ihren Behörden agiert eher ‚pro-aktiv‘, deutet das politische Handeln erst mal in ihrem Sinne ohne die Bürger ernsthaft gefragt zu haben, und die Deutsche Regierung mit ihren Organen erweckt den Eindruck, als ob sie einfach mitmacht; Augen zu, Ohren zu, sie stellt sich gleichsam ‚tot‘ und hofft, dass die Bürger sich ruhig verhalten; als ob ein Schweigen einen andauernden aktiven Verfassungsbruch quasi ungeschehen machen könnte.

3. Wenn man sieht, vor welch gewaltigen Herausforderungen die Menschheit als Menschheit steht, dann erscheint es irgendwie widersinnig, wie sich führende demokratische Staaten durch Missbrauch von politischer Macht im Alltag selbst zerfleischen, dass die Regierungsbehörden eines Staates ihren eigenen Staat, die eigene Bürger zum Feind erklären, anstatt ihre Potentiale auf jene Aufgaben zu lenken, die tatsächlich gelöst werden müssen.

DER SCHUTZ DES EINZELNEN TENDIERT MITTLERWEILE GEGEN NULL

4. In dem Beitrag vom 6.Aug.2013 (samt den Kommentaren!) wurde deutlich, wie die US-Behörden den ursprünglichen Geist der US-Verfassung zum Schutze des einzelnen nach und nach so ausgehöhlt haben, dass es die Bürgerrechte eigentlich gar nicht mehr gibt. Mittlerweile hat sich die US-Staatsmacht mittlerweile alle Rechte genommen; auf der einen Seite wurden die Rechte des Bürgers quasi annulliert, auf der anderen Seite nahm sich der Präsident und seine Behörden (allen vorweg die Geheimdienste) mittlerweile alle Rechte; die formal existierenden demokratischen Kontrollen sind faktisch nicht wirksam oder werden – falls es doch gelegentlich zu parlamentarischen Anfragen kommt – von der eigenen Regierung belogen und mit juristischen Scharmützeln überzogen (die deutsche Regierung und Regierungsstellen wirken in diesem Punkt wie Kopien ihres großen US-Amerikanischen Bruders).

AUSDEHNUNG OHNE JEDES MASS

5. Im Beitrag vom 24.August 2013 wird der ungeheuerliche Umfang deutlich, den die Geheimdienste in den USA angenommen haben. Überspitzt könnte man sagen, die USA bestehen im wesentlichen aus diesem Komplex an Geheimdiensten, dazu verzahnt mit einer gigantischen Militärmaschinerie und der Rest ist irgendwie nur noch (störende?) Zutat. Ein normaler Bürger zählt auf jeden Fall nichts mehr. Das Land hat sich zudem mit einem Wall von Sicherheitssystemen umgeben, so dass die USA von außen – optisch – wie ein Hochsicherheitsgefängnis erscheinen.

SICHERHEIT IST ALLES – SELBST WENN MAN DIE, DIE GESCHÜTZT WERDEN SOLLEN, SELBST ZU TERRORISTEN ERKLÄREN MUSS

6. In einer Zwischenauswertung vom 26.Sept.2013 der Lektüre eines Buches von Tom Engelhardt kann man erkennen, dass die vordergründige schleichende Entdemokratisierung der USA fast schon ‚zwangsläufig‘ erscheint, wenn man das Erstarken und das Verhalten des US-Militärapparates betrachtet, der sich seit dem Vietnamkrieg keinesfalls ‚in sich‘ zurückgezogen hat, sondern sich mit immer neuen – und immer ‚künstlicheren‘ – Feinbildern zu einer Struktur und Stärke weltweit aufgebaut hat, die historisch ohne Beispiel ist. Wenn man sich fragt, wie Hitler und die Nazis eine solche totale Kontrolle über den Staat bekommen konnte (Stalin und viele andere gehören hier natürlich auch genannt), dann muss man sich nur die USA nach dem 2.Weltkrieg anschauen: erst waren es die Kommunisten, die alles rechtfertigten, dann die Staatssicherheit als solche, und schließlich die ‚Terroristen‘, die ‚überall sein können, auch im eigenen Land. Dass in einem solchen ideologisch verzerrten Kontext (in dem Menschenrechte schon lange nichts mehr gelten) ausländische demokratisch instabile Regierungen ‚unbequemer‘ erschienen als Diktaturen, mit denen man kooperieren konnte, versteht sich dann fast – leider – von selbst. In diesem Sinne wären die USA selber ein ‚Schurkenstaat‘, würden sie ihre eigenen Kriterien auf sich selbst anwenden.

EIN BUNDESANWALT, DER NICHTS WEISS (ODER NICHTS WISSEN WILL?)

7. Am 28. Dezember 2013, also quasi zum Jahresende 2013, gab es genügend Hinweise, aufgrund deren man vermuten konnte, dass es eine intensiven Abhörtätigkeit der US-Dienste auf deutschem Boden und in die deutschen Datenströme hinein gab und gibt. Die offizielle Verlautbarung des deutschen Bundesanwalts Range zu diesem Punkt war abwiegelnd, ablehnend; er sähe keinen Anfangsverdacht. Dass er in seiner Stellungnahme statt von der ‚NSA‘ von der ‚NASA‘ sprach wirkte extrem beunruhigend: ist der Bundesanwalt Alkoholiker? Nimmt er Drogen? Ist er gar dement? Leider hat die deutsche Presse bislang versäumt, dieses Amt, seine Amtsführung etwas genauer unter die Lupe zu nehmen (stattdessen hat man lieber den ehemaligen Bundespräsidenten wegen ca. 700€ ‚zu Tode gehetzt‘ (natürlich ist die Integrität eines Bundespräsidenten wichtig, aber die Integrität eines Bundesanwalts, wenn es um massive Grundrechtsverletzungen geht, steht dem eigentlich in nichts nach)).

GRUNDRECHTE GELTEN INTERNATIONAL

8. Zu Beginn des Jahres 2014 hat sich in Sachen ‚außer Kontrolle geratene US-Sicherheitsmaschinerie‘ mit deutscher Gefolgschaft nicht viel geändert. Allerdings denkt die US-amerikanische Bürgerechtsvereinigung darüber nach, dass Grundrechte auch transnational gelten müssten, d.h. das Verbot des Abhörens von US-Bürgern müsste auch für Bürger anderer Staaten gelten (da war offensichtlich noch nicht klar genug, dass die US-Regierung – begonnen unter dem 43.ten Präsidenten der USA, George Walker Bush (born July 6, 1946), ohne Einschränkung übernommen von dem 44.ten Präsidenten der USA, Barack Hussein Obama II (born August 4, 1961) – die US-Bürger trotz anderslautender Verfassung schon längst im großen Stil abhörten). Als irgendwann der US-Justizminister Ashcroft sowie sein Stellvertreter sich weigerten, die Zustimmung zu diesem verfassungswidrigen Abhören von US-Bürgern zu geben, hat Cheney als damals amtierender Vizepräsident kurzerhand das Formular geändert; auf dem neuen Formular musste der Justizminister nicht mehr zustimmen. Dies war zwar gegen geltendes Recht, wurde aber von Bush akzeptiert, ebenso vom damaligen Chef der NSA Michael Vincent Hayden (born March 17, 1945) (Videoausschnitte dazu mit Originalaussagen der Beteiligten finden sich in einer Dokumentation des ZDF vom 28.Mai 2014! (eigentlich kennt das US-amerikanische Recht das Instrument des Impeachments, also der Möglichkeit, einen amtierenden Präsidenten aus dem Amt zu entfernen. Aber dazu bräuchte es neben Klägern auch Richter, die den Mut hätten, das Unrecht auf Seiten der Regierung entsprechend zu würdigen. Bislang findet sich kein Richter ..).

9. Als am 27.Januar 2014 erstmalig ein partielles Interview mit Snowden in der ARD ausgestrahlt wurde, war dies ein Meilenstein in der öffentlichen Diskussion. Gleichzeitig wurde die Verweigerungshaltung der betroffenen US- und Deutschen Regierungen immer deutlicher. Insbesondere wurde deutlich, dass das im US-Recht eingebaute Instrument des ‚Whistleblowings‘ mittlerweile (und von Obama ganz besonders) nahezu zu Null reduziert worden ist. Waren schon die Verhandlungen gegen den/ die SoldatenIn Mannings einer Demokratie unwürdig (eigene parteiliche Militärgerichtsbarkeit), so wirft die regierungsseitig völlig einseitige Argumentation in Sachen Snowden kein gutes Licht auf die demokratische Gesinnung der US-Regierung.

‚FAKTISCH KEINE KONTROLLE DER DEUTSCHEN GEHEIMDIENSTE‘

10. Am 8. Februar 2014 stellt ein Mitglied des parlamentarischen Kontrollausschusses der deutschen Geheimdienste (und ehemaliger Bundesrichter) fest, dass es faktisch keine Kontrolle der deutschen Geheimdienste gibt. Seitdem sich die Hinweise häufen, dass der BND intensivst mit der NSA kooperiert (und die NSA wiederum außer Kontrolle operiert), wirken solche Aussagen nicht beruhigend.

ERST TOTALAUSSPÄHUNGA, DANN ABSCHAFFUNG DER PARLAMENTARISCHEN KONTROLLE

11. Am 16. Februar 2014 wurde klar, dass die Unkontrolliertheit der Geheimdienste nur ein Teil der Geschichte ist. Die zunehmend durchsickernden Informationen zum geplanten transatlantischen Freihandelskommen TTIP zeigen, dass die Machtmonopole der USA (hier nicht nur die Geheimdienste und das Militär, sondern auch Firmen und Anwaltskanzleien) und Europas den Eindruck erwecken, als ob sie an den Parlamenten vorbei (auch der US-Kongress ist außen vor!) versuchen Handelsregeln zu etablieren, die nicht mehr von nationalen Rechten und Regierungen beschränkt werden können (der berühmte Investorenschutz). Wie sich zeigt, ist die deutsche Bundeskanzlerin eine der treibenden Kräfte in diesem Spiel trotz massivem Widerstand ihrer eigenen Wähler. Erst als ganz Europa schon im Aufruhr war und viele namhafte deutsche Vereinigungen und Institutionen offiziell protestierten, lies sie sich zu der öffentlichen Bemerkung herab, dass natürlich keine ‚Chlorhühnchen‘ nach Europa kommen sollten. Die viel schlimmere, die Demokratie aushebelnde, Investorenschutzklausel, erwähnte sie mit keiner Silbe. Sie, die demokratisch gewählte Bundeskanzlerin, hat – so sieht es aus – offensichtlich kein Problem damit, ihre eigenen Wähler zu belügen und die Rolle des demokratisch gewählten Parlamentes abzuschaffen. Wozu brauchen wir eigentlich noch Terroristen? Nur dazu, um die Bevölkerung einzuschüchtern, damit diese nicht sieht, was die gewählten Regierungen mit der Demokratie veranstalten? Im übrigen beginnt man zu begreifen, dass die großen Internetkonzerne mit ihren eigenen Selbstherrlichkeiten im Umgang mit Kundendaten vielleicht doch nicht so harmlos sind, wie diese sich gerne darstellen.

DAS ZDF ALS BASTION DEMOKRATISCHER ÖFFENTLICHKEIT

12. Am 27.Mai 2014 gab es Teil 1 einer ZDF-Dokumentation zu diesem ganzen Komplex mit dem Titel ‚Verschwörung gegen die Freiheit. Big Brother und seine Helfer‘, und am 28.Mai 2014 den Teil 2 mit dem Titel ‚Verschwörung gegen die Freiheit. Verschwörung im Weißen Haus‘. Diesen beiden Beiträge sind sehr gut gemacht (wenn auch im zweiten Teil bei manchen Personen leider die Namenseinblendungen fehlen). Obgleich die hier gezeigten Fakten nur einen kleinen Ausschnitt aus dem darstellen, was wir mittlerweile aus dem Paralleluniversum ‚der dunklen Macht‘ (um ein Bild zu gebrauchen) wissen, sind diese beiden Berichte sehr beeindruckend, da hier die wichtigsten handelnden Personen im Originalton auftreten. Ich kann mir dies nur so erklären, dass die US-amerikanische Stellen trotz allem Rechtsbruch subjektiv immer noch zu glauben scheinen, sie tun das ‚Richtige‘ (was übrigens auch viele der Nazigrößen bei den Nürnberger Prozessen zeigten: auch dann glaubten sie immer noch, dass sie nichts Falsches getan haben).

DIE US-ÖFFENTLICKEIT IST NOCH NICHT VÖLLIG GLEICHGESCHALTET

13. Während sich bislang ein deutscher Bundesanwalt, ein deutscher Präsident des Verfassungsschutzes, die deutsche Bundeskanzlerin und einige ihrer Minister sich bis hin zur Unkenntlich in Sachen massenhafter Abhörung und Verfassungsbruch verleugnen, berichtete die New York Times unter dem Titel ‚Defending His Actions, Snowden Says He’s a Patriot‘ am 29.Mai von dem Fernsehauftritt Snowdens im NBC, bei dem Snowden sehr ausführlich Gelegenheit hatte, sich erstmals offiziell in der US-Öffentlichkeit zu präsentieren. Laut Umfragen anschließend war dann die Öffentlichkeit zu 2/3 der Meinung, dass er in der Tat ein Patriot sei. Ein nicht unwichtiger Fakt wenn man weiß, dass die US-Administration mit allen Mitteln versucht, Snowden als Verräter dar zu stellen (und dabei mehr als großzügig über ihre eigenen schweren Verfassungsbrüche hinweggeht).

WIE KANN ES WEITERGEHEN?

14. Wie kann es weitergehen? Ich meine, wir sind alle normale Berufstätige, wir haben viel Arbeit und wenig Zeit. Es gibt so viele andere drängende Probleme, um die man sich kümmern muss bzw. sollte (und natürlich möchte man eigentlich nicht ständig ‚Probleme wälzen’…). Andererseits ist das, was hier sichtbar geworden ist und immer klarer wird, ein umfassender Prozess, dem man eine historische Qualität nicht absprechen kann. Er betrifft komplette Staaten und, insofern die USA und Deutschland nicht gerade von geringem Einfluss sind, haben diese Vorgänge Auswirkungen auf Prozesse weltweit. Er betrifft die großen Strukturen und über diese den Alltag, jeden Ort dieser Welt, jede Person und Institution. Dieser Prozess betrifft die tägliche Luft der Informationen, die alle Demokratien einatmen müssen, um zu leben. Diese Luft wird von einigen wenigen selbsternannten Weltrettern eigenmächtig manipuliert und vergiftet. Ohne das Wissen und gegen den Willen aller Bürger werden hier täglich Dinge getan, die dem Geist der demokratischen Verfassungen Hohn sprechen. Was geht in den Köpfen der selbsternannten Weltretter vor, wenn sie leichthändig die eigenen Bürger pauschal zu Terroristen erklären, um damit ihre demokratisch nicht gebilligten Aktionen zu motivieren? Wie krank im Kopf muss jemand sein, wenn er die normale Welt, die eigenen Bürger zu Verbrechern erklären muss, um sein eigenes, unkontrolliertes wahnhaftes Sicherheitsbedürfnis am Leben zu erhalten? Über die Nazis von gestern lächelt man gerne, was aber, wenn man selbst ein solcher moderner Nazi geworden ist? Es ist nicht der Name, der einem zu einen Nazi macht, nicht die Uniform, sondern eine bestimmte Haltung, die Selbstermächtigung über alle anderen; Kritik im Ansatz verboten …

Einen Überblick über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

(US-amerikanische) MANDARINE DER MACHT? – Philosophische Betrachtungen dazu

VERTRETER DER MACHT

(1) In den politischen und journalistischen Auf- und Abwirbeln der letzten Monate, ausgelöst durch die Informationen von Edward Snowden, treten vermehrt US-Amerikaner in deutschen Talkshows auf, und zwar solche, die eine Affinität zur ‚politischen Macht‘ der US-Administration auszeichnet. In einer Talkshow mit Maybrit Illner am 30.01.2014 um 22:15h mit dem Thema „Geheimer Krieg um unsere Daten – sind die USA noch unsere Freunde?“, war es Fred(erick) Kempe gewesen, aktueller Präsident und Chief Executive Officer (CEO) des Atlantic Council. In einer früheren Talkshow mit Günther Jauch zur Ausstrahlung des ersten Fernsehinterviews mit Edward Snowden, trat als Gast John Kornblum auf. Mit seinen fast 40 Jahren im Dienst der US-amerikanischen Politik, immer in sehr wichtigen Rollen, davon die meiste Zeit in Europa, vor allem auch als Botschafter in Deutschland, ist er vielleicht der US-Amerikaner mit der zur Zeit größten politischen Erfahrung und dem größten Wissen über die US-amerikanische Politik in Europa und speziell auch Deutschland. Erwähnen sollte man hier auch Michael V.Hayden, der u.a. sowohl Direktor der NSA als auch der CIA war und der in einem Interview mit Maybrit Illner eingeblendet wurde.

IM AUFTRETEN VERBLÜFFEND ÄHNLICH

(2) So verschieden alle drei Persönlichkeiten sind, wo verblüffend ähnlich waren ihre Statements. Würde man einen Krimi im Fernsehen sehen und Kommissare auf der Suche nach dem Schuldigen begleiten, wären Zeugen, die nahezu identische Aussagen machen, als verdächtig einzustufen. Eine allzu große Übereinstimmung unterschiedlicher Person zu ein und derselben Sache gilt als ’nicht zufällig‘, d.h. man unterstellt automatisch eine Art von ‚Absprache‘. In den modernen Wissenschaften ist dies übrigens ähnlich. Wenn Astrophysiker feststellen, dass die Lichtstrahlen von beobachtbaren Himmelskörpern leicht verschoben sind gegenüber ihrem ‚theoretisch zu erwartenden Werten‘, dann beginnen sie eine ‚verborgene Ursache‘ anzunehmen, z.B. ein ’schwarzes Loch‘, das mit seiner ungeheuerlichen Gravitationskraft eine Abweichung im ’normalen Verhalten‘ der Lichtstrahlen bewirkt. Die Psychologen tun das gleiche. Wenn sie das Verhalten von Menschen beobachten und sie können ‚messen‘, wie ein Mensch die Batterie der Testaufgaben schneller und mit weniger Fehlern löst als der ‚Durchschnitt‘, dann unterstellen sie etwas , was sie ‚Intelligenz‘ nennen, und sagen, dieser Betreffende habe ‚mehr Intelligenz‘.

(3) Ein Punkt der sofort auffällt, ist die völlige Abwesenheit von Selbstkritik; Selbstkritik nicht bezogen auf ihre eigene Person sondern bezogen auf die politischen Institutionen, die sie vertreten. Wenn man sieht, was in den letzten mindestens 10 Jahren (und natürlich auch schon davor) an belegten Fakten über das Verhalten US-amerikanischer Regierungsinstitutionen oder von diesen beauftragten Firmen enthüllt worden ist, Fakten, die ganze Völker, Länder, Regionen, oder sogar uns alle betreffen, dann wirkt das kategorische Ausklammern dieser Dinge bzw. die aktive Ausschließung, schon von Fragen oder Vermutungen zu diesen Thema, zunächst einmal auffällig und dann – angesichts der ungeheuren Erfahrung und hohen Intelligenz der Personen – befremdlich, irritierend, beunruhigend.

(4) Diese Irritationen sind von Gewicht, weil die Personen, die durch ihre implizite kategorische Verweigerungshaltung gegenüber einer allen bekannten Realität zugleich um Vertrauen werben. Speziell Kornblum und Kempe betonen mehrfach, wie wichtig die transatlantische Beziehung zwischen den USA und Europa, speziell auch mit Deutschland, sei, und unterstreichen dabei persönliche biographische Details, die ihre Verbundenheit mit Deutschland ausdrücken. Doch gerade durch diese Beteuerungen und Werbung um Vertrauen wird die implizite Leugnung von vielen Realitäten umso bizarrer; wenn jemand um Vertrauen wirbt und sich gleichzeitig weigert, jene Fakten ernst zu nehmen, die den Gesprächspartner beunruhigen, dann hat dies eigentlich einen gegenteiligen Effekt, das Misstrauen wird größer.

FAKTEN WEG-REDEN

(5) Geradezu hervorstechend war die kategorische Einstufung von allen Dreien zu Edward Snowden als Verräter, als nicht glaubwürdig. Bedenkt man, dass mittlerweile selbst in den USA verschiedene Vereinigungen, verschiedene Zeitungen, der Kongress, einzelne Richter, ehemalige Mitglieder diverser Kontrollausschüsse, Firmenmitglieder usw. zumindest Teile von Snowdens Enthüllungen bestätigt haben, dazu Regierungen anderer Staaten (neben vielen vorausgehenden Blogeinträgen in diesem Blog siehe z.B. auch Zeitleiste beim Heise Verlag zum NSA-Abhörskandal), dann wirkt diese fast wortgleiche radikale Ablehnung und Vorverurteilung von Snowden zusätzlich beunruhigend. Da wirbt jemand um Vertrauen und während er dieses tut, zerstört er wesentliche Elemente, auf denen mögliches Vertrauen aufbaut. Festzuhalten ist, dass in der Runde mit Maybrit Illner ein aktiver Politiker, nämlich
Philipp Mißfeler (auch private Homepage (Mißfelder, private Homepage), der vielfach eher ‚konservativ‘ auftritt und eher ‚US-Amerika freundlich‘ ist (er ist auch seit Juni 2013 im Vorstand des Vereins Atlantik Brücke (siehe auch: www.atlantik-bruecke.org)), live in der Talkshow Fred Kempe bzgl. der Einschätzung von Snowden widersprach. Während Kempe (wie Kornblum und Hayden) Snowden jegliche Ernsthaftigkeit und Seriosität rundweg absprachen, sagte Mißfelder klar und deutlich in der Sendung, dass alles (!), was bislang von Snowden bekannt gemacht worden ist, als tatsächlich zutreffend erwiesen worden ist. Das hat bislang noch kein deutscher Politiker (erst recht keiner von denen, die Kraft Amtes dafür eigentlich zuständig wären) in dieser Klarheit öffentlich gesagt. Er ging sogar noch einen Schritt weiter und meinte, dass sich die US-Regierung in der Ausspähaffäre ‚bewegen müsse‘.

NIBELUNGENTREUE?

(6) Wenn also drei so hoch profilierte Personen aus dem US-amerikanischen Machtnetzwerk in einer Sache Aussagen machen, die von vielen anderen ernst zu nehmenden und profilierten Personen und Institutionen ‚anders‘ eingeschätzt werden, dann liegt es nahe, zu vermuten, dass alle drei aufgrund ihrer vielfachen Verbundenheit mit dem Machtnetzwerk zunächst mal die Position ‚der Macht‘ vertreten entgegen allen Fakten. In der deutschen Geschichte gibt es das Wort von der Nibelungentreue, das Festhalten an einer Position ‚rein aus Treue‘ unter Aufgabe der Dimension der ‚Wahrheit‘ und möglicher übergreifender ‚Werte‘.

MANDARINE – CHINESICHE BEAMTE

(7) China gilt in der Geschichte als eine Region großer Kultur. Und in der Tat, schaut man sich an, wie große chinesische Dynastien über viele Jahrhunderte ihr Riesenreich von innen her organisiert haben, dann kann man selbst von heute aus in Staunen und Bewunderung geraten. Kernstück war immer ein ausgeklügeltes System von Ausbildung und Organisation. Der zentrale Akteur darin waren die Beamten, in der westlichen Überlieferung als Mandarine bezeichnet. Der ‚chinesische Beamte‘ deckte dabei eine riesige Bandbreite an Fähigkeiten und Tätigkeiten ab. Hervorstechend ist ein ausgeklügeltes System von gestufter Ausbildung mit sehr differenzierten, regelmäßigen und effektiven Überprüfungen. In der chinesischen Verwaltungen konnten und wurden Beamte bei schlechten Leistungen und Fehlverhalten auch degradiert oder gar ganz entlassen; umgekehrt wurden sie auch belohnt und befördert. Auch Personen adliger Herkunft mussten sich im Normalfall diesen Prüfungen ebenfalls unterwerfen. Allen war klar, dass – in heutiger Sprache – Beziehungen alleine oder ein Parteibuch für die Effizienz der Verwaltung und des Staates unnütz und gefährlich sind. Dies alles war eingebettet und getränkt durch eine ‚Ethik‘, in der die Treue zur Gesellschaft, zum Staat, zum Kaiser zentral war. Historisch belegte Fälle zeigen, dass diese Treue durch ihre Koppelung an Kompetenz aber auch dazu führen konnte, dass hohe und höchste Beamte die Regierung sachlich kritisierten, was dann in manchen Fällen mit der Enthauptungen eben der Kritiker endete. Hätten die Mandarine die Wahrheit hinten angestellt und sich rein auf die Erhaltung Macht beschränkt (in diesem Sinne dann ’nur‘ ‚Mandarine der Macht‘), hätten Sie vielleicht individuell länger gelebt. Wäre damit der Lauf der Geschichte ‚besser‘ gewesen?

(8) Wieweit heutige Staaten (einschließlich China selbst) diese hohen Standards der ‚Qualitätssicherung‘ weiterhin praktizieren sei hier mal dahingestellt, im Falle von demokratischen Gesellschaften (wie die USA, wie Deutschland, wie Europa …) müsste das klassische chinesische Modell der Kompetenz (= Wahrheit und Werte) und Treue ergänzt werden um jene Aspekte, die sich aus dem Konzept einer Demokratie ergeben. Während in China der oberste Herrscher ein Machtmonopol besaß, das vom Prinzip her unangreifbar war, verstehen sich Demokratien als solche Gesellschaften, in denen das Machtmonopol von der gesamten Gesellschaft – natürlich mit bestimmten Spielregeln – kontrolliert werden soll. Demokratie endet dort, wo sich die demokratisch gewählten Institutionen von der Kontrolle faktisch abgekoppelt haben. Wann dies der Fall ist, ist von Fall zu Fall zu klären, da die Handlungsmöglichkeiten in einer Demokratie vielfältig sind; zudem sind die aktuellen Demokratien in der Regel sehr jung; es gibt noch nicht viele historische Erfahrungen. Einzig die USA haben bisher der Welt schon einige Lehrstücke von Machtmissbrauch und dann auch – glücklicherweise – deren Aufdeckung gezeigt. Darin waren und sind sie ein Vorbild für alle. Doch das Ringen um die Erhaltung des Machtgleichgewichts ist ein kontinuierlicher Prozess; es gibt keinen Endpunkt; eine demokratische Gesellschaft muss immer wieder neu ‚zu ihrem Recht finden‘; muss immer wieder neu aktuelle Entwicklungen kritisch beleuchten und ‚öffentlich diskutieren‘! In einer Demokratie muss daher permanent die ‚Treue‘ zum Staat begleitend werden von einem ‚funktionierenden öffentlichen Diskurs‘, in dem es letztlich keine Tabus (‚Geheimhaltung‘!) geben kann. Eine Demokratie mit Tabus ist keine Demokratie mehr.

FALSCHE TREUE KANN VERFEHLUNGEN DECKEN

(9) Vor diesem Hintergrund ist die aktuelle Entwicklung in demokratischen Ländern (mit den USA als Vorreiter!), die darin besteht, immer mehr Bereiche des Regierungshandelns von der Öffentlichkeit abzukoppeln (durch Geheimhaltung, durch unkontrollierte Ausschüsse, durch Übertragung von staatlichen Aufgaben an private Dienstleister, durch politische Kontrolle der Justiz, durch Zensur, durch Verweigerung von Interviews, durch Verweigerung von fundierten öffentlichen Stellungnahmen, usw.) tendenziell gefährlich und kann, als schleichender ‚Umsturz von innen‘ eine Demokratie schrittweise in eine ‚Hülle‘ verwandeln, die faktisch von einem Machtmonopol betrieben wird, auf das niemand mehr einen effektiven Zugriff hat. Wenn man alle ideologischen Scheuklappen beiseite legt, dann muss man sagen, dass sich in den USA die Indizien häufen, die genau solch eine Entwicklung andeuten (aber nicht nur dort). Wenn in einer solchen Situation die Menschen, die dem Netzwerk der Macht nahe stehen, sich wie ‚Mandarine der reinen Macht‘ verhalten, indem sie bedingungslose Treue zeigen bei Ausklammerung des Aspekts der ‚Wahrheit‘ im Stile einer Demokratie, also durch Ausklammerung von bedingungsloser Öffentlichkeit und Aufklärung, dann ist der Abstand zu den bekannten Diktaturen und totalitären Regimen der Vergangenheit auf einen mikroskopisch kleinen Wert zusammengeschrumpft. Ein Machtnetzwerk, das alles tun kann ohne jegliche demokratische Kontrolle, ohne Bezug zur Wahrheit (schließt Öffentlichkeit ein) ist keine Demokratie mehr.

KEINE DEMOKRATIE OHNE WERTE

(10) Jetzt könnte man die Frage aufwerfen, ob die Zeit für Demokratien vielleicht vorbei ist; vielleicht wollen die Menschen gar keine Demokratien mehr. Vielleicht war dies ja nur so eine vorübergehende Mode und heute wollen diejenigen, die machtaffin sind lieber einen totalitären Staat, und diejenigen, denen alles zu kompliziert ist, die wollen ihr Brot-und-Spiele Dasein (mit ‚Dschungelcamp‘ am Abend, oder ‚Deutschland sucht den Superstar‘ oder ‚Wetten dass‘ oder das nächste Supermodel oder oder….) mit einem bekömmlichen Auskommen; die paar Intellektuellen, denen dies alles keinen Spaß macht, die grämen sich halt berufsmäßig, weil sie nichts Besseres können, als überall Haare in der Suppe zu suchen. Dies ist eine Frage der ‚Lebensentwürfe‘, der ‚gemeinsam geteilten Werte‘. Wo kommen diese Werte her? Wer propagiert in Deutschland (oder in den USA) aktiv Werte? Welche Werte? Das Wort ‚Wert‘ wirkt als solches eher sehr abstrakt, kühl, leer, nichtssagend. Dennoch, sobald wir konkret handeln, fällen wir implizit Entscheidungen. Wenn wir A tun, dann findet alles andere außerhalb von A nicht statt. Und wenn sehr viele A tun, finden überwiegend alles andere außer A nicht statt. Wenn sehr viele z.B. Dschungelcamp schauen und alles andere nicht tun, dann können Vertreter der Macht Dinge tun, die mit Demokratie nichts zu tun haben und keiner wird es merken?

(11) Eine Wertedebatte im Umfeld des Projektes ‚Demokratie’hätte sehr viele Aspekte. Ranga Yogeshwar (siehe auch die private Webseite von Ranga Yogeshwar) griff einen heraus, der sehr konkret ist, der alle Menschen dieser Erde betrifft, auch uns Deutsche. Es ist der Aspekt, der in vielen vorausgehenden Blogeinträgen dieses Blogs auch immer schon herausgestellt worden ist, nämlich die vollständige Rechtlosigkeit der US- und Nicht-US-Bürger aus Sicht des US-amerikanischen politischen Systems. Dies ist eigentlich an sich schon ein bizarrer Tatbestand, da die US-amerikanische Verfassung auf die Rechte aller Menschen abhebt ohne die Menschen jenseits der Landesgrenzen als Menschen anzuerkennen; dies wird aber umso bizarrer, wenn das US-amerikanische System um Vertrauen in Deutschland wirbt, zugleich aber keinem einzigen deutschen Bürger auch nur minimale Rechte vor einem US-amerikanischen Recht zugesteht. Das ist in etwa so, als ob ein ‚Menschenfresser‘ sein Opfer bitten würde, ihn doch zu lieben. Ein Vertreter der Mandarine der Macht antwortete zu dieser Feststellung Yogeshwars nur mit einem Schweigen.

(12) In diesem Zusammenhang machte Egon Bahr in der Runde mit Maybrit Illner auf einen anderen Umstand aufmerksam, der in den letzten sechs Monaten zwar immer wieder aufschien, aber in seinen politischen Verschränkungen bislang in der Öffentlichkeit noch nie so klar ausgesprochen wurde. Dass die amerikanischen Geheimdienste (vor allem die NSA) alle die Überwachungstätigkeiten, die ihnen selbst in den USA verboten sind, durch den kooperierenden englischen Geheimdienst GCHQ (Government Communications Headquarters, deutsch: Regierungskommunikationshauptquartier) (siehe auch http://www.gchq.gov.uk/Pages/homepage.aspx) ausführen lassen und umgekehrt, das ist langsam bekannt. Dass aber die britische Regierung innerhalb der EU ihre Sonderrolle möglicherweise dazu benutzt, die US-amerikanischen Interessen einzubringen, das ist in dieser Konkretheit neu. Bahr ging sogar soweit, zu unterstellen, dass die Briten ihre Sonderrolle benutzen, um europäische Maßnahmen zum Schutz gegen die Übergriffe US-amerikanischer Dienste und Firmen abzublocken.

EINE HANDELT

(13) Die deutsche Politik fällt bei all diesen Vorgängen bisher durch Schweigen auf, durch Inkompetenz, oder gar durch ‚Verniedlichung‘, die die Grenze zur Verantwortungsverweigerung bzw. Amtsmissbrauch möglicherweise schon längst überschritten hat. Dass die Bundeskanzlerin als Meisterin des ‚Nichtssagens im Sagen‘ in ihrer inhaltslosen Regierungserklärung den Bedarf an Klärung in dieser Sache überhaupt erwähnt hat, ist für ihre Verhältnisse möglicherweise viel, aber gemessen an der Schwere des Sachverhalts so etwas von Nichtssagend, dass auch hier eine Abgrenzung gegenüber einer Amtsverweigerung nicht leicht zu erklären ist.

(14) Vor diesem Hintergrund hebt sich Constanze Kurz, u.a. Sprecherin des Chaos Computer Clubs (CCC) geradezu wie ein Leuchtfeuer ab. Hochkompetent und engagiert hat sie eine Strafanzeige gegen die Bundesregierung vorbereitet (Unterstützt durch viele andere), in der namentlich Mitglieder der Bundesregierung und Chefs deutscher Geheimdienste wegen heimlicher Agententätigkeit und Beihilfe zur umfassenden Netzspionage der NSA angezeigt werden. Parallel hat sie (u.a. zusammen mit der Internationale Liga für Menschenrechte eine weitere Klage gegen den britischen Geheimdienst GCHQ beim europäischen Gerichtshof eingeleitet. Diese Klage hat in Straßburg sofort Priorität erhalten und die britische Regierung wird darin aufgefordert, die Überwachung aller Kommunikation zu rechtfertigen. Diese Klage vor dem europäischen Gerichtshof gewinnt ihre besondere Brisanz dadurch, dass drei Bürgerrechtsgruppen zuerst in Großbritannien versucht hatten, gerichtlich gegen die Überwachung vorzugehen. Doch die britische Regierung habe erklärt, britische Gerichte würden diesen Fall nicht bearbeiten. Zuständig sei stattdessen die parlamentarische Geheimdienstkontrolle. Doch weil diese Teil des Überwachungssystems sei und ihre Entscheidungen nicht gerichtlich anfechtbar ist, habe man sich stattdessen an Straßburg gewandt.

(15) Dieses Beispiel zeigt, dass die demokratische Kontrolle der Dienste nicht nur in den USA faktisch außer Kraft gesetzt worden ist, sondern dass dies auch schon in Großbritannien der Fall ist. Normale Bürger sind diesen System völlig schutzlos ausgeliefert.

DIE GESCHICHTE IST NICHT ZU ENDE

(16) Die Geschichte ist hier nicht zu Ende. Das Phänomen der ‚Macht‘, das sich in all diesen Verhaltensweisen und Ereignissen auswirkt, ist damit nicht einmal ansatzweise beschrieben. Das Fortbestehen der demokratischen Gesellschaftsformen in den USA und Europa ist offen. Die alles begründenden Wertfragen sind seit Jahrzehnten aus den Diskussionen verschwunden. Dass wir selbst in all dem das größte Problem sind, wir als Menschen, und wir auf vielfältige Weise demonstrieren, dass wir an den Grenzen unseres humanen Kapitals operieren, dass wir die Technik ungeahnt haben weiterentwickeln können, dass wir aber wertmäßig und psychologisch verglichen mit den alten Kulturen wenig oder gar nicht weiter sind, das sollte uns zu denken geben. Aber hier liegt auch das zentrale Problem: wie können wir uns selbst verbessern, wenn wir selbst so viele biologisch-psychologischen-kognitiven-seelischen-wertmäßigen Schwachstellen aufweisen? Vergessen wir die Ausrede mit Gott. Alles, was wir über den – ansonsten unbekannten – Gott wissen, wissen wir wiederum nur von Menschen, die behaupten, dass sie etwas von Gott wissen. Dementsprechend ‚allzu menschlich‘ klingt auch alles, was Menschen über Gott sagen. Möglicherweise gibt es sogar etwas, was wir mit ‚Gott‘ meinen; ich glaube sogar, dass dies wahrscheinlicher ist als das Gegenteil. Aber, das klingt paradox, wir werden Gott solange nicht verstehen, solange wir uns selbst nicht als Teil des gigantischen Weltprozesses verstehen lernen. Die Wahrheit ist allemal schon da, nur bräuchten wir dazu u.a. Mandarine der Macht, die die Wahrheit nicht verdrängen und die die übergreifenden Werte ernst nehmen.

DEMOKRATIE IM ABHÖRTEST (2) – Imperialismus, Tarnkappenpolitik, Aufrüstung, oder nicht ?

1) in einem vorausgehenden Beitrag DEMOKRATIE IM ABHÖRTEST – Nationale Sicherheit, Tarnkappenpolitik, Transhumanismus, und so… hatte ich auf der Basis von mehr als 90 Artikeln am 28.Dez.2013 eine kleine Zusammenschau gewagt im Umfeld Abhören durch die NSA, Reaktionen der Politik und Einschätzung der politischen Situation in der USA. Ich kann nicht sehen, dass sich seitdem irgend etwas Nennenswertes geändert hat.
2) In einem neueren Beitrag von Contanze Kurz mit dem Titel „Vom Mythos der Selbstreinigung“ (FAZ 10.Jan.2014, S.32) versucht sie zwar anhand des historisch berühmten Beispiels von Geheimdienstmissbrauch in der Vergangenheit zu verdeutlichen, dass die Geheimdienste von sich aus sich nicht reformieren werden, aber wer hört ihre Stimme? In Deutschland ist die neue Regierungsmannschaft weitgehend mit sich selbst beschäftigt und in den USA kann man in der offiziellen Politik keine Kräfte erkennen, die sich für das Thema verantwortlich fühlen. Wie Andrea Peterson am 27.Dezember 2013 in der Washington Post zu berichten weiß, hat jetzt ein anderer Richter das Abhören doch wieder für legal erklärt, nachdem zuvor ein Richter dies in Frage gestellt hatte (siehe vorausgehenden Beitrag); dazu erscheinen die Fronten zwischen Demokraten und Republikaner so verhärtet, dass aktuell nicht zu erkennen ist, dass hier noch irgendein sinnvoller politischer Dialog stattfinden kann. Das politische System in den USA erscheint ‚paralysiert‘.
3) Ein aus der Kontrolle geratenes System von Geheimdiensten, die keinerlei Beschränkungen mehr unterliegen und jeden potentiellen politischen Gegner quasi nach Belieben ’neutralisieren‘ können hat in einer solchen Situation nichts zu befürchten.
4) Vor diesem dunklen Bild einer außer Kontrolle geratenen Regierung gibt es in den USA aber zahlreiche beeindruckende Initiativen, Bewegungen. Eine davon ist die Amerikanische Bürgerrechtsvereinigung (American Civil Liberties Union, ACLU), die auf vielfältige Weise und engagiert die Rechte der Bürger gegen die Regierung vertritt (u.a. führt sie offiziell einen Prozess gegen die US-amerikanische Regierung wegen der Abhörtätigkeiten der NSA (siehe unten). Unter anderem hat die UCLA auch die Überlegungen der präsidialen Arbeitsgruppe zur Reform der Geheimdienste kommentiert und konkrete Vorschläge unterbreitet, was bei dieser Reform zu beachten wäre. Sehr bemerkenswert finde ich den Punkt 4. Hier wird ganz klar gesagt (eine Position, die ich hier im Blog auch vertrete), dass die Frage des Abhörens ein grundsätzliches Menschenrecht berührt, das auch jenseits der politischen Grenzen der USA gilt und das dementsprechend auch von einer Behörde eines demokratischen Staates zu respektieren ist. Diese Position der UCLA markiert die Wurzel für die Idee einer nicht nur nationalen, sondern internationalen Bürgerrechtsbewegung, da die Menschenrechte nun mal ihrer Natur nach allen Menschen zukommen. So wenig wie in den USA die Abspaltung der ‚farbigen‘ Bevölkerung von den ‚weißen‘ vor diesem Denken Bestand haben konnte (es brauchte allerdings einen blutigen Bürgerkrieg und einen gewaltsam getöteten Martin Luther King), so wenig kann eine Beschränkung der Bürgerrechte auf nur ein Land bestand haben.
5) Jedes Land auf unserem Planeten Erde kann zu diesem Thema eine lange, und leider meist sehr blutige, Geschichte erzählen. Letztlich laufen die Fäden zusammen bei uns selbst, uns Menschen, in der Art und Weise, wie wir miteinander umgehen, wie wir lernen oder nicht lernen, wie wir unser Leben organisieren, was wir glauben und nicht glauben, zulassen oder verhindern.
6) Angeregt durch das Buch von Tom Engelhardt, The World According To TomDispatch habe ich begonnen, von Jonathan Schell ‚The Unconquerable World. Power, Nonviolence, And the Will of The People‘ zu lesen. Im Kapitel 1 beschreibt er den Aufstieg der Verteidigungssysteme weltweit. Als theoretischen Bezugspunkt für seine Überlegungen benutzt er vornehmlich die Anschauungen von Carl Philipp Gottlieb von Clausewitz (1780–1831) , wie er sie in seinem unvollendeten Hauptwerk Vom Kriege niedergelegt hat.
7) Danach gibt es eine implizite Logik für die Ausgestaltung des militärischen Apparates, die darin gründet, dass militärische Macht als ein Mittel der Politik dazu dienen soll, entweder dem anderen den eigenen Willen auf zu zwingen oder zumindest einen anderen daran hindern zu können, dies umgekehrt zu tun. Jede Gruppierung, die durch eigenes Aufrüsten gepaart mit der Absicht, die eigene militärische Macht auch einzusetzen, bildet für jede andere Gruppierung per se eine potentielle Bedrohung, die nur ’neutralisiert‘ werden kann, wenn man das ‚Gleichgewicht‘ der Kräfte herstellt. Wer ’nicht dagegen‘ hält, stellt eine ‚Einladung‘ für den potentiellen Aggressor dar. Erst mit der Verfügbarkeit der Kernwaffen (und biologisch-chemischen Waffen) erreichte das Aufrüsten einen Punkt, wo ein potentieller Aggressor im Falle eines Krieges seine eigene Existenz riskieren würde. Anstatt dass dann ein ‚Zeitalter des Friedens ausbrach, beobachten wir weltweit eine Fülle von ‚lokalen‘ Kriegen mit ‚konventionellen‘ Waffen, die in ihrer Summe nichtsdestoweniger verheerend sind.
8) Am Ende des ersten Kapitels kann man den Eindruck haben, als ob der Prozess des beständigen Hochrüstens und Krieg Führens etwas ‚Unausweichliches‘ ist, unaufhaltsam. Hier muss man aber einhaken und fragen, ob dies nicht ein gehöriger Schuss ‚Ideologie‘ ist? Denn letztlich ist jegliche Militärtechnologie ein ‚Werkzeug‘, das von Menschen, von uns, genutzt wird. Es sind unsere Entscheidungen, ob und wie wir sie nutzen. Niemand zwingt uns unabwendbar, andere Menschen anzugreifen, Gefangen zu nehmen, zu töten. Letztlich bleibt es unsere Entscheidung. Wenn diese Entscheidung trotz aller Schrecklichkeit dennoch immer wieder und so häufig getroffen wird, dann sollten wir nicht über Kriegstechnologie und immer bessere Waffen diskutieren, sondern darüber, wer WIR Menschen denn eigentlich sind. Warum neigen wir zu diesen Gewaltausbrüchen? Warum sind wir so oft bis zum Rand mit Misstrauen angefüllt? Warum erklären wir so schnell andere zu ‚Feinden‘? usw.
9) Im Prinzip kennen wir die Antworten schon, zumindest zu großen Teilen. Eine mögliche Zukunft der Menschheit wird nicht nur eine verbesserte, leistungsfähigere Technologie brauchen. Wir brauchen dringend auch eine ‚Verbesserung‘ von ‚uns selbst‘. Und die Tatsache, dass seit den Anfängen des Judentums, des Christentums und des Islams diese Religionen auch dauerhaft mit Hass, Verfolgungen, Kriegen, Machtmissbrauch und Unwissenheit vielerlei Arten gepaart waren (nicht nur, aber zu großen Teilen) sollte uns eine Warnung sein, dass diese Art von Religion möglicherweise noch nicht die Religion ist, die wir brauchen, um diese tiefgreifenden Unmenschlichkeiten nachhaltig zu überwinden. Eine Religion, die auch nur ansatzweise zulässt, das andere Menschen verachtet, verfolgt, unterdrückt, getötet werden, ist keine Religion für eine bessere Zukunft. Für solch eine bessere Zukunft sind wir aber berufen; nur dazu sind wir da. Die Bosheit anderer kann niemals eine Ausrede sein, selbst das Gute nicht zu tun.

PS: Zur Metaphysik von Avicenna (Ibn Sina) werde ich demnächst etwas schreiben.

Einen Überblick über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

QUELLENNACHWEIS (unvollständig)

ACLU (American Civil Liberties Union), The Nine Things You Should Know About the NSA Recommendations From the President’s Review Group, 20.Dez.2013, online:https://www.aclu.org/print/blog/national-security-technology-and-liberty/10-things-you-should-know-about-nsa-recommendations

ACLU (American Civil Liberties Union) vs. Clapper – challenge to NSA Mass Call-Tracking Program, online: https://www.aclu.org/national-security/aclu-v-clapper-challenge-nsa-mass-phone-call-tracking

AFP, Ermittlungen gegen 37.000 Funktionäre in China, FAZ 6.Jan.2014, S.20

Markus Bickel, Auf Unterdrückungskurs (Innenpolitik Bahrein, Sunniten – Schiiten), FAZ 30.Dez.S.6

Timm Beichelt, Von steinen und Glashäusern (Was die EU tun kann, wenn in Mitgliedsstaaten die demokratie in Gefahr erscheint), FAZ 30.Dez.2013, S.7

Ann-Dorit Boy, Revolution und Routine. Seit mehr als 6 Monaten gibt es in Bulgarien täglich Proteste…, FAZ 6.Jan.2014, S.3

Carl von Clausewitz, Vom Kriege, Berlin: Dümmlers Verlag, 1832, online: http://www.clausewitz.com/readings/VomKriege1832/

Andrea Diener, Abhören auf Chinesisch, FAZ 30.Dez.2013, S.27

dpa/Reuters (ursprünglich ‚Spiegel‘), NSA zapft Datenkabel an, FAZ 30.Dez.S.6

Rainer Hermann, Erfolgspartei mit Grauschleier. Der türkische Ministerpräsident Erdogan und seine AKP haben den Zenit überschritten, FAZ 2.Jan.2014, S.3

Max Horten, Die Metaphysik Avicennas Enthaltend Die Metaphysik, Theologie, Kosmologie Und Ethik. Halle a.S. + New York: Verlag Rudolf Haupt, 1907

Contanze Kurz, Vom Mythos der Selbstreinigung, FAZ 10.Jan.2014, S.32

Robert von Lucius, Todeszone Naher Osten. Die Morde an Journalisten nehmen weltweit zu, FAZ 2.Jan.2014, S.27

Michael Martens, Die letzte Wacht (Zum Machtkampf in der Türkei), FAZ 30.Dez.2013, S.3

Andrea Peterson, The NSA seems to really enjoy exploiting high profile tech companies, WP, 30.Dez.2013, online: http://www.washingtonpost.com/blogs/the-switch/wp/2013/12/30/the-nsa-seems-to-really-enjoy-exploiting-high-profile-tech-companies//?print=1

Andrea Peterson, NSA phone records spying is constituional, judge says. WP, 27.Dez.2013, online: http://www.washingtonpost.com/blogs/the-switch/wp/2013/12/27/nsa-phone-records-spying-is-constitutional-judge-says//?print=1

Michael Reinsch, Die werte des Sports (Diskriminierungen im europäischen Profifußball), FAZ 7.Januar 2014, S.24

Jonathan Schell, The Unconquerable World. Power, Nonviolence, And the Will of The People. New York: Henry Holt and Company, 2003

Michaela Wiegel, Macht und Machenschaften (Senat verhindert Prozess wegen Bestechung gegen Serge Dassault), FAZ 10.Jan.2014, S.32

DEMOKRATIE IM ABHÖRTEST – Nationale Sicherheit, Tarnkappenpolitik, Transhumanismus, und so…

1) Seit Sommer 2013 haben die fortschreitenden Enthüllungen der Aktivitäten der US-amerikanischen Geheimdienste — allen voran die NSA 1, NSA 2 — die Öffentlichkeit in vielen Ländern dieser Erde erregt, kaum bis gar nicht die jeweiligen Regierungen dieser Länder. Einen kompakten Überblick über die verschiedenen Phasen der Enthüllungen aus US-amerikanischer Sicht bietet die Washington Post (WP) im Artikel von Elliot/ Rupar (dort auch weiteres Material!). Eine deutsche Version von Wiegel/ Rüb/ Buchsteiner bis Oktober fand sich in der FAZ (s.u.)). Auch in diesem Blog gab es dazu schon mehrere Einträge (siehe die Übersicht Blog Übersicht).
2) Dazu ist anzumerken, dass mein Blickpunkt natürlich sehr limitiert ist durch die wenigen Quellen, die ich auswerten konnte (siehe Quellen im Anhang; die aufgelisteten Quellen bilden nur einen Ausschnitt) sowie dadurch, dass ich von Haus aus ja kein Journalist bin, sondern Wissenschaftler, Philosoph. Meine Perspektive richtet sich daher auch weniger auf die vielen Details, sondern auf mögliche Strukturen, die sich in den Details artikulieren. Im Falle eines solch komplexen Prozesses wie der Politik, und dazu nicht nur der Politik eines Landes alleine, bleiben solche Überlegungen notgedrungen sehr spekulativ. Ihr Wert liegt eher in der Anregung der öffentlichen Diskussion über jene ‚Werte‘, die unser Handeln faktisch leiten bzw. möglicherweise ‚leiten sollten‘, wenn wir an nachhaltigen demokratischen Gesellschaften interessiert sind.
3) Aus meiner Wahrnehmung war die Diskussion lange Zeit (und irgendwie scheint dies immer noch dominant zu sein) nurmehr auf die technischen Aspekte der Abhörung fixiert, z.B.: Was kann man überhaupt abhören? Wie viel wurde abgehört? Wie kann man sich dagegen schützen? Während technisch versierte Menschen von vornherein wussten, dass man im Prinzip alles abhören kann (einschließlich des Mobiltelefons mit allen seinen Möglichkeiten), war es dann selbst für diese ‚Experten‘ dann doch ein wenig überraschend, in welchem Ausmaß US-amerikanische Dienste (die NSA) diese technischen Möglichkeiten tatsächlich genutzt haben, ohne Rücksicht auf Kosten, ohne Rücksicht auf irgendwelche Befindlichkeiten, ohne Rücksicht auf geltendes Recht, weltweit und national.
4) Die Qualität der öffentlichen Meinungen änderte sich ein wenig, als bekannt wurde, dass auch Regierungsinstitutionen ‚befreundeter‘ Länder abgehört wurden (z.B. Brasilien, Deutschland, EU…) einschließlich deren oberste politische Repräsentanten. Waren bis zu diesem Zeitpunkt die Stellungnahmen der offiziellen Nicht-US Politik an Verharmlosungen, Wegreden, Wegsehen, Weghören kaum noch zu überbieten (speziell in Deutschland!), kam es nach diesen Enthüllungen kurzfristig zu einem politischen Aufschrei (zuerst Merkel (DE) und Rousseff (BR), dann auch Hollande (FR), und die EU).
5) Wer nun gedacht hatte, das würde das ganze Problem grundlegend auf die Tagesordnung bringen, wurde sehr schnell eines Besseren belehrt. Zwar gab es erstmalig eine erhöhte diplomatische Aktivität der US-Amerikanischen Regierung, aber weder führte dies bislang zu ernsthaften Beeinträchtigungen des geplanten Handelsabkommens USA – EU noch kamen die Überlegungen zu einem No-Spy-Abkommen USA-Deutschland wesentlich voran. Ferner wurde jeder Versuch einer ernsthafteren Aufklärung durch Befragung des Whistleblowers Snowden überall im Keime erstickt. Sowohl Rousseff wie auch Merkel gaben klar zu erkennen, dass sie keine direkte Einbeziehung von Snowden wünschten (was auch der deutsche Generalbundesanwalt Harald Range bestätigte, indem er keinerlei hinreichende Verdachtsmomente für eine Maßnahme erkennen konnte. Dass während der Pressekonferenz anstatt von der NSA von der NASA gesprochen wurde, fördert das Vertrauen in diese Institution sehr…).
6) ‚Was geht hier vor‘ fragt sich der ’normale‘ Bürger? Bedenkt man (siehe den Beitrag von Badenhop, FAZ 16.Dez.), dass die US-Amerikanische Regierung in Deutschland die aufwendigste Infrastrukturen für Konsulat, Geheimdienste und Militärstrategie außerhalb der USA betreibt, dann ist klar, dass es mehr Beziehungen zwischen der jeweiligen US-Regierung und der Bundesregierung gibt als in der Öffentlichkeit gerne verhandelt werden (Und dies ist ja nur die Spitze des Eisbergs).
7) Diese Fakten sind möglicherweise ein Grund, warum die offizielle Politik für Außenstehende so auffällig nichtssagend reagiert. Man könnte dies dann eine ‚Tarnkappenpolitik‘ nennen: durch umfassende Geheimhaltung versucht man die Öffentlichkeit von gewissen Sachverhalten fernzuhalten, weil man den Bürgern nicht zutraut, dass sie verantwortlich für ihr eigenes Land denken können. Dies erinnert an vergangene monarchistische Zeiten, wo einige wenige Auserwählte regierten und das ‚Volk‘ die ‚Regierungsmasse‘ war, mit der man beliebig umging. In der modernen demokratischen Bewegung sollten diese Verhältnisse umgekehrt werden: das Volk sollte die primäre gestalterische politische Macht haben und die ‚gewählten Vertreter‘ sollten den ‚mehrheitlichen Willen‘ umsetzen. Die Ansätze der modernen Tarnkappenpolitik sind vor diesem historischen Hintergrund nicht unverfänglich: momentan kann man den Eindruck gewinnen, dass die deutsche (und französische, und brasilianische, und …) Regierung die Demokratie mit dem Mittel der Tarnkappenpolitik immer mehr in eine ‚Scheindemokratie‘ verwandelt, in der die Öffentlichkeit mittels Geheimhaltung und Informationsverweigerung soweit ’neutralisiert‘ wird, dass sie keinerlei realen Einfluss mehr hat (das bisschen Wahlen bekommt man dann auch noch hinreichend ‚in den Griff’…).
8) Als am 10.Dezember 2013 5 Nobelpreisträger, 560 Schriftsteller ihren Aufruf gegen die Massenüberwachung veröffentlichten (wohlgemerkt, nicht als öffentliche Bewegung sondern als quasi ‚elitäre‘ Veranstaltung der 565 ‚Aufrechten‘) war dies ein deutlicher Aufschrei eines winzigen Teils der Öffentlichkeit. Am 15.Dez.2013 fragte Harald Staun in der FAS, warum die Politik diesen Aufruf vollständig ignoriert (CDU und SPD befanden sich in intensiven Koalitionsverhandlungen). Zuvor hatte Constanze Kurz in der FAZ vom 13.Dezember dies auch schon in aller Klarheit gefragt und ihre Frage in scharfe Analytik eingebettet, die das Tarnkappengehabe der aktuellen Regierung schonungslos offenlegt. Sie konstatiert noch, dass sich überhaupt nichts bewege, weder in der Politik, noch sonst.
9) In der Deutschen Politik kann man in der Tat zu dem ganzen Komplex ‚Abhören – Datenschutz‘ bislang nahezu nichts feststellen, was auch nur die leisesten Ansätze in Richtung einer irgendwie gearteten konstruktiven Haltung erkennen lässt, obgleich der grundgesetzliche Schaden schon jetzt unübersehbar ist und der Schaden für die Deutsche (und eruopäische) Industrie immens zu sein scheint. Durch den Totalausfall der Deutschen Politik verharrt die Industrie und die diversen Verbände in einer Art ‚Blubberzustand‘, der keine klare Richtung erkennen lässt.
10) Anders in den USA! Die europäische Öffentlichkeit (oder doch nur die deutsche?) schimpft zwar über die US-Regierung und über die US-Internetkonzerne, doch finden sich in den USA auch genau jene Kräfte, die sich ernsthaft gegen das überbordende Verhalten der US-Regierung zur Wehr setzen. Es sind die US-Medien (allen voran die Washington Post), die sehr offen, sehr detailliert über die Aktivitäten und Auswüchse der Geheimdienste berichten, die aktiv Kontakt mit Snowden halten und ihn direkt zu Wort kommen lassen; es sind die Leser, die in ihren Leserbiefen unmissverständlich sagen, was sie über das Ganze denken (bei der WP darf ein Leser mit einem Pseudonym schreiben, ohne Zensur durch die Zeitung!); es gibt Richter, die sich in Prozessen gegen die Politik der Regierung stellen; es gibt Internetfirmen, die öffentlich massiv Position gegen die Regierung beziehen, und vieles mehr. Natürlich ist die Interessens- und Motivationslage nicht einheitlich; nicht alle denken in erster Linie an die Werte der Verfassung; aber immerhin zeigt sich, dass selbst globale Internetfirmen sich bewegen, wenn die Umsätze einbrechen oder weiter wegzubrechen drohen. Europa ist nicht machtlos, aber ihre — speziell die deutschen — politischen Vertreter erscheinen mit ihrem Tarnkappenverhalten nicht so, als ob sie die Interessen ihrer Bürger angemessen vertreten wollen. Deswegen darf man sich nicht wundern, wenn die US-Politik und Wirtschaft ein solches Duckmäusertum auf weite Strecken nicht wirklich ernst nehmen; warum auch?
11) Im Aufruf der 565 Aufrechten steht das Abhören im Zentrum, das Menschenrecht auf Würde und Privatheit. Das klingt gut. Das Problem kommt aber möglicherweise aus einer ganz anderen Ecke. Quelle der Aufregung sind die USA, noch immer Technologiesupermacht mit einem militärischen Apparat, der alles in den Schatten stellt, was andere Länder aufzubieten haben. Und das demokratische System der USA besteht aus einem ‚Netzwerk von Faktoren‘, in dem das Recht auf Privatheit nur ein (!) Faktor unter mehreren ist. Ein weiterer Faktor ist die Exekutive, die im Falle der ‚Gefährdung der nationalen Sicherheit‘ ein nahezu unumschränktes Handlungsrecht bekommt. Wenn dieser Fall eintritt, wird der Faktor ‚Recht auf Privatheit‘ faktisch neutralisiert. In diesem Fall kann die Regierung praktisch machen, was sie will. Dies macht solange Sinn, als die Regierung im Sinne der Verfassung handelt und in der Notsituation auch schnell und umfassend handeln muss.
12) Normalerweise herrscht kein Krieg und daher ist das Prinzip der Privatheit im Prinzip intakt. Doch, diese konstitutionelle Bewahrung der Privatheit wurde in den USA durch nachfolgende Gerichtsentscheidungen immer weiter ausgehöhlt (siehe den Blogeintrag zum vierten Zusatz der US-Verfassung). Eine Anpassung an die Gegebenheiten der modernen Internetbasierten Informationsgesellschaft blieb aus. Aber nicht nur das. Getrieben durch die Eigendynamik der Geheimdienste, des Militärs und der kooperierenden Industrie fanden diverse US-Regierungen immer mehr Gefallen daran, das Mittel der ‚Nationalen Sicherheit‘ dazu zu benutzen, immer mehr Dinge als ‚geheim‘ (= Tarnkappenpolitik) zu klassifizieren und damit den Augen der Öffentlichkeit zu entziehen. Spätestens seit September 11 2001 entdeckte man, dass der notgedrungen vage Begriff des ‚Terrorismus‘ eine ideale Möglichkeit bietet, den ‚Feind‘ nach Bedarf überall verorten zu können, sogar im eigenen Land, und dass die Regierung dadurch jederzeit überall in jedem eine ‚Gefahr‘ Lokalisieren kann, die die ‚Nationale Sicherheit‘ gefährdet. Zusammen damit wurden nach und nach die Gesetze so abgeändert, dass letztlich auch die demokratische Kontrolle nur noch der Form nach, aber nicht mehr dem Inhalt nach, besteht. So wurde aus der führenden Demokratie der Welt ein demokratischer Zombie: nach außen Demokratie, von innen her eine vollständig unkontrollierte Regierung, die — im durch Geheimhaltung geschützten Bereich — keinerlei Normen mehr anerkennen muss, mit eigener ‚Justiz‘, jenseits der Menschenrechte, jenseits aller internationalen Rechte, durch die beliebig umfassende Geheimhaltung wie durch eine Tarnkappe geschützt. Eine wunderbare Neue Welt…..
13) Was also sollte — vor diesem Hintergrund — der Aufruf von elitären 565 Aufrechten bewirken?
14) Was wir brauchen ist eine weit intensivere Diskussion um die Zukunft der Demokratie in den bisherigen Demokratien als sie bislang stattgefunden hat. Das Totalversagen der bisherigen Deutschen Regierung in diesen sensiblen Fragen lässt — ich lasse mich gerne eines Besseren belehren — nur einen Schluss zu: die gewählten Volksvertreter einschließlich der Chefs der führenden Verfassungsorgane sind seltsam taub und blind geworden für die Grundlagen moderner Demokratien. ‚Muttis Lächeln‘ allein wird es mit Sicherheit nicht richten. Ohne mündige Bürger haben wir Stillstand, tödliche politische Korrektheit und politische Agonie; dies schadet allen.

PS: Den Punkt ‚Transhumanismus‘ lasse ich an dieser Stelle aus. Der Text wird ansonsten zu lang. Ich komme darauf aber nochmals in einem anderen Beitrag zurück.

Einen Überblick über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

AUSWAHL AN QUELLEN

(Die Gruppierungen sind sehr subjektiv und nicht sehr scharf)

FAZ := Frankfurter Allgemeine Zeitung
FAS := Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
FR := Frankfurter Rundschau
WP := Washington Post
Namenskürzel := Buchstabenkürzel statt Autorennamen finden sich gelegentlich bei FAZ/ FAS-Artikeln. Wirken leserunfreundlich

ABHÖREN

Barton Gellman, Edward Snowden, after months of NSA revelations, says his mission’s accomplished. WP 24.Dez.2013, online

Kennedy Elliot/ Terri Rupar, Six months of revelations on NSA. WP 23.Dez.2013, online

Ellen Nakashima/ Ann E.Marimow, Judge: NSA’s collecting of phone records is probably unconstituional, WP 16.Dez.2013, online1, online 2

Peter Badenhop, Washingtons Drehscheibe.In Frankfurt betreibt Amerika sein weltweit größtes Konsulat, in Wiesbaden bezieht es gerade das Europa-Hauptquartier der Army. Für alle Militär- und Geheimdienstoperationen der Supermacht ist das Rhein-Main Gebiet von zentraler Bedeutung. FAZ 16.Dez.2013, S.35

Constanze Kurz, Die neue Dimension des Duckmäusertums, FAZ 13.12.13, S.33

Andreas Ross, Willkommen im Netz der NSA. Die neueste Enthüllung über Bewegungsprofile betrifft auch die Amerikaner selbst. FAZ 6.Dez.2013, S.6

miha., Prinzip NSA. … wie die totale Überwachung Schule macht. FAZ 30.Nov.13, S.42

isk, „An Spielregeln halten, die im jeweiligen Land gelten“. (Verfassungsschutz, Wirtschaftsspionage) FAZ 29.11.13, S.59

Mark Siemons, Amerika und China im Cyberkrieg. (Kongress, USA, China) FAZ 26.11.13, S.27

Franz Schirrmacher (Interview mit Michael Hang, Präsident BSI), „Der immense Einsatz von Geld hat uns überrascht“. FAZ, 22.11.13, S.33

pwe., Amerika sammelt Daten über Geldtransfers. FAZ 16.11.13, S.16

pca., Ziercke: Cyberkriminalität ist unvergleichbare Bedrohung. FAZ 13.11.13, S.2

Matthias Hannemann, Wer weiß schjon wen und was sie alles ausspionieren? (Cyber security Summit, Bonn) FAZ 13.11.13, S.35

Peter Carstens, Spione und andere Marktradikale. (Wirtschaftsspionage) FAZ 5.11.13, S.3

Andreas Ross, Alles unter Kontrolle. Wer wusste von der Überwachung? FAS 3.11.13, S.8

Constanze Kurz, Die Angriffsindustrie. Geheimdienste … sind längst zur Offensive übergegangen.. FAZ 1.11.13, S.31

Michaela Wiegel, Matthias Rüb, Jochen Buchsteiner, NSA-Affäre. Das Vertrauen in die amerikanische Regierung schwindet mit jeder neuen Enthüllung. (Hier auch Chronik zur Affäre vom 6.Juni bis 25.Oktober 2013) FAZ 25.10.13, S.1

Jochen Buchsteiner., Unterhaus prüft Ausspähaffäre. (England, 4 Monate danach) FAZ 18.10.13, S.5

Andreas Ross, NSA speichert Kontaktlisten. Auch Daten von Millionen Amerikanern abgefischt. FAZ 16.10.13, S.6

lid., NSA sammelt Online-Kontaktlisten im großen Stil. FAZ 16.10.13., S.9

Constanze Kurz, Die Menschenrechte sollen es richten, FAZ 4.10.2013, S.28

PRESSEFREIHEIT

Carsten Germis, Abe verteidigt Sicherheitsgesetz. „Manches muss geheim bleiben“. FAZ 10.12.13, S.6

Ingo Petz, Unabhängige sind gefährdet. Weißrussland entzieht Verlag Logvinau die Lizenz, FAZ, 8.10.13, S.29

Carsten Germis, Mit Losglück zur Pressekonferenz (Japan), FAZ 2.10.2013, S.13

Carsten Germis, Schutz vor Bürgerrechtlern und anderen Terroristen. Japan…, FAZ 2.12.13, S.2

Mark Siemons, Farbe bekennen! China geht gegen ausländische Medien vor. FAZ 19.11.13, S.31

Patrick Bahners, Wenn Obama ruft, spurt sie schon. Die Chefredakteurin der ‚New York Times‘ … FAZ 16.10.13., S.11

vL., Umbau des Verfassungsschutzes. Niedersachsen reagiert auf Überwachung von Journalisten. FAZ 4.10.13, S.4

Patrick Bahners, Niemand will reden. Ein Film über Hilary Clinton wird verhindert. FAZ 2.10.13, S.39

JUSTIZ

Petra Kolonko, Die Systemfrage. Die Pläne zur Reform der Justiz in China. FAZ 2.12.13, S.10

Bernd Rüthers, Wer herrscht über das Grundgesetz? Deutschland wandelt sich von einem Gesetzesstaat zu einem Richterstaat…) FAZ 18.11.13, S.7

Stefan Schulz, Selbst Sicherheitsexperten bleibt nur das Staunen. Das Bundeskriminalamt erforscht das digitale Verbrechen. FAZ 14.11.13, S.27

Udo di Fabio, Ist das Grundrecht ein Ladenhüter? (Wirtschaft, Netz, Privatheit) FAZ 13.11.13, S.34

INTERNET/DATENSCHUTZ

Ellen Nakashima, If not the NSA, who should store the phone data?, WP 26.Dez.2013, online

Steffen Hebestreit im Interview mit Peter Schaar (Bundesbeauftragter für Datenschutz bis Dez.2013), „Regierung muss unsere Daten schützen“, FR14./15.Dez.2013, Politik S.4

Stefan Schulz, Der Geheimdienst arbeitet großartig! (Welche Firmen sich dem Protest gegen die Geheimdienste in den USA nicht angeschlossen haben) FAZ 11.12.13, S.31

Peter Welchering, Die Daten im Land halten bringt nicht viel. (Grenzen des Telekom Konzeptes gegen Ausspähen) FAZ 3.12.13, S.T2

Frank Schirrmacher (Gespräch mit René Obermann, Frank Rieger), Snowdens Enthüllungen sind ein Erdbeben. (CCC-Sprecher, Telekom Chef) FAZ 29.11.13, S.31

Felix von Leitner, Der Bauplan für ein sicheres Internet. (Was EU tun sollte) FAZ 26.11.13, S.25

Uwe Ebbinghaus, Bquem in die Totalüberwachung. (Branchenverband Bitkom) FAZ 25.11.13, S.29

Morten Freidel, Stefan Schulz, Harald Staun, Wie wehre ich mich gegen Überwachung? FAS 24.11.13, S.47

lid., Technikkonzerne verlangen eine Reform der Geheimdienste. FAZ 2.11.13, S.18

nto., E-Mail-Anbieter kooperieren wegen Überwachung. FAZ 1.11.13, S.2

lid./ jpen., Google empört über Datenschnüffelei. FAZ 1.11.13, S.2

Manfred Lindinger, Den NSA-Lauschern keine Chance. (Verschlüsselungstechnik, Neues Netz) FAZ 26.10.13, S.39

hmk./ nbu., Zustimmung zu EU-Datenschutzreform. (Europaparlament) FAZ 23.10.13, S.1

thwi., Die Datenflut, Brüssel und das Vertrauen der Nutzer. IHK fordert ein europaweite einheitliches Internetrecht. FAZ 9.10.13, S.37

Carsten Knop, Die Wolke bekommt Regeln. (Europa, Cloudcomputing) FAZ 8.10.13, S.15

DEMOKRATIEVERSTÄNDNIS

Andreas Ross (Kommentar), Der große Datenbruder. Amerika hat andere Vorstellungen von Datenschutz. Dagegen hilft keine Rechthaberei. FAZ 27.Dez.2013, S.1

Adam Goldman, Psychologist found accused Sept.11 plotter to be mentally incompetent in 2009, WP 27.Dez.2013, online

Jordan Mejias, Lächeln, als wäre nichts gewesen. Bestens gelaunt: Bei einem Treffen im Weißen Haus huldigt Amerikas Technoprominenz Präsident Obama. FAZ 19.Dez.2013, S.27

Frank Schirrmacher, Erziehung vor Verdun. Der Schauplatz des ersten Informationskriegs, inspiziert im Zeitalter der europäischen Krise…FAZ 19.Dez.2013, S.25

oe, Brasilien will Snowden nicht.“Kein offizieller Asylantrag“. FAZ 19.Sept.2013, S.6

Patrick Bahners, Wo die NSA sich selbst widerspricht.Ein Gericht erklärt die umfassende Sammlung von Telefondaten für verfassungswidrig.FAZ 18.Dez.2013, S.8

Andreas Ross,Obamas vergebliche Seufzer. Washington wird Berlin wohl keine echte No-Spy-Zusage machen … FAZ 18.Dez.2013, S.5

Günter Bannas, Betriebssystem Angela Merkel.Die Bundeskanzlerin hat dieses Land verstanden:Lege Dich nicht fest, wenn Du es nicht musst. Sprich nie offen, wenn mehr als fünf Leute im Raum sind. Nimm Gröhe die Fahne weg. FAZ 17.Dez.2013, S.3

Prof.Dr.Florian Grotz, Verzerrte Stimmen. Die Bundestagswahl vom 22.Sept. fand unter einem neuen Wahlsystem statt, das die Absicht der Bürger auf den Kopf stellt…, FAZ 16.Dez.2013, S.7

Harald Staun, Warum tut ihr nichts? Wie die Politik den Schriftsteller-Appell gegen Überwachung ignoriert. FAS 15.Dez. 2013, S.45

Lt., EuGH-Generalanwalt: Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung rechtswidrig. §Unvereinbar mit der Grundrechte-Charta“ FAZ 13.12.13, S.1

Petra Kolonko, Chinesen wollen Macht teilen. FAZ 13.12.13, S.6

ami., Kanzleramt stoppt Verbot von Preiserhöhungen für medikamente. FAZ 13.12.13, S.11

lid., Internetkonzerne fordern Geheimdienste-Reform, FAZ 10.12.13, S.9

F.A.Z (Dokument 5 Nobelpreisträger, 560 Schriftsteller), Die Demokratie verteidigen im digitalen Zeitalter. FAZ 10.12.13, S.27f

Tobias Rüther (Gespräch mit Juli Zeh, Ilija Trojanow), Alles ist gesagt, jetzt müssen wir handeln. (Handeln nach der bisherigen politischen Konsequenzenlosigkeit nach Snowdens Enthüllungen) FAZ 10.12.13, S.28

Carsten Germis, Japan muss sich bewegen. FAS 8.12.13, S.10

Herbert B.Schmidt, Erhards Anmerkungen zum Zeitgeist. FAZ 6.Dez.2013, S.12

Ludwig Erhard, Die Gefährdung der Freiheit durch eine nur auf Konsens bedachte Politik. Ansprache vom 1.Sept.1968. FAZ 6.Dez.2013, S.12

cpm., Erfurt reformiert Geheimdienst. Stärkere Überwachung des Verfassungsschutzes geplant. FAZ 4.12.13, S.4

Carsten Germis, Mehr als nur ein Flugzeugträger. Biden und Abe bekräftigen Bündnis. FAZ 4.12.13, S.6

Mark Siemons, Und universelle Werte gibt’s doch überhaupt nicht. (China) FAZ 3.12.13, S.31

Petra Kolonko, Der chinesische Traum und der Alptraum der Nachbarn. FAZ 3.12.13, S.8

Mark Siemons, Wenn Imperien über Vergangenheit entscheiden. Japans Geschichtesvergessenheit … FAZ 2.12.13, S.27

Michael Hanfeld, Der Krieg, der immer neue Feinde produziert. (US-Terror gegen Terror, Dosier) FAZ 30.Nov.13, S.42 (Verweist auf Dossiers der ARD unter http://www.ardmediathek.de/suche?detail=40&s=Geheimer%20Krieg)

nbu., EU will keine Konsequenzen aus NSA-Skandal ziehen. Abkommen zur Datenermittlung werden fortgeführt. FAZ 27.11.13, S.1

pca./ sat., Berlin verlangt Antworten aus Washington. Treffen mit Kongressmitgliedern zur NSA-Affäre. FAZ 26.11.13, S.4

Peter Sturm, Grüße aus dem Schützengraben. Südkoreas Geheimdienst… FAZ 23.11.13, S.10

Patrick Bahners (Interview mit Fritz Stern), Obama ist in einer beinah unmöglichen Lage. FAZ 16.11.13, S.44

Nikolas Busse, Abgehängt (Deutschland und Frankreich in der NSA-Affäre) FAZ 13.11.13, S.1

F.A.Z., „Die EU braucht Edward Snowden nicht“. EU-Kommissarin Neelie Kroes. FAZ 12.11.13, S.2

sat./ Lt., Merkel: Transatlantisches Bündnis bleibt von überragender Bedeutung. warnung vor einer Befragung Snowdens in Deutschland. FAZ 5.11.13, S.1

Patrik Bahners, Mit Merkels Handy geht die Bombe hoch. Die ‚New York Review of Books‘ lädt zur debatte… FAZ 2.11.13, S.35

Majid Sattar, Wenn der Verfassungsschutz anruft. (Deutsche Spionageabwehr) FAZ 2.11.S.2

Andreas Ross, Agenten mit Herz. In Amerika formiert sich Widerstand gegen Europas empörte Politiker. FAZ 31.10.13, S.3

Andreas Ross, Vom Patriotismus zur freiheit. Die Amerikaner sind besorgt über den Ärger im Ausland. FAZ 30.10.13, S.2

Günter Bannas/ sat./ aksi., Sondersitzung des Bundestages wegen NSA-Affäre. FAZ 29.10.13, S.1

Reuters., Amerikanische Handelskammer stellt Lauschangriffe in Frage. Aber Freihandelsgespräche mit Europa müssen kommen. FAZ 29.10.13, S.10

Günter Bannas, Der größte deutsch-amerikanische Stresstest. (Abhören der Kanzlerin) FAZ 28.10.13, S.2

Matthias Rüb, Deutschland und Brasilien arbeiten an Resolution zur NSA. FAZ 28.10.13, S.2

F.A.Z., Geheimdienst Kanadas verklagt. FAZ 28.10.13, S.2

Christian Lindner, Freiheit geht vor Freihandel (Europa, USA) FAZ 28.10.13, S.29

Patrick Bahners, Ein töricht krimineller Akt. (Fritz Stern über den Abhörskandal) FAZ 28.10.13, S.29

Uwe Ebbinghaus, Freunde sind wir nicht, nur Kumpels. (Frankfurter Römerberggespräche, Europa und USA) FAZ 28.10.13, S.32

rieb., Härtere Gangart gegenüber Amerika gefordert. (Frankfurter Römerberggespräche, Europa und USA) FAZ 28.10.13, S.37

F.A.Z., UN fordern Daten über Drohnen. Washington gibt Milliardenhilfe für Pakistans Militär frei. FAZ 21.10.13, S.6

Andreas Ross, NSA ermöglicht Drohnenangriffe. Ortung von Terrorverdächtigen durch überwachte E-Mails. FAZ 18.10.13, S.5

ami./ enn./ mas., Aufregung über Großspende der CDU. FAZ 16.10.13., S.9

Andreas Ross, Gericht prüft Wahlkampfregeln. Republikaner wollen Begrenzung von Spenden aufweichen. FAZ 10.10.13, S.6

Gina Thomas, Die totale Überwachung. In England herrscht ein Abhörstaat. FAZ 8.10.13, S.15
Andreas Ross/cheh., Amerika rechtfertigt Gefangennahme Libis. FAZ 8.10.13, S.6

rso., „Deutschland darf kein schlafwandelnder Riese sein“. (Reden zum Tag der Deutschen Einheit) FAZ 4.10.13, S.2

Ilija Trojanow, Willkür und Freiheit. (USA, Einreise verweigert) FAZ 2.10.2013, S.31

TANGIERENDE WIRTSCHAFT

AFP, Vorteil in Milliardenhöhe. Europäer und Amerikaner wollen Freihandel ausweiten. FAZ 17.Dez.2013, S.10

SEXARBEITERiNNEN – Teil 2 – GESCHICHTE UND GEGENWART

Erste Version: 25.Nov.2013
Letzter Nachtrag: 29.Nov.2013
Letzter Nachtrag: 19.März 2014

RÜCKBLICK

Dieser Beitrag ist eine Fortsetzung zum vorausgehenden Beitrag SEXARBEITERiINNEN – SIND WIR WEITER? und einem früheren Beitrag zum Thema Sexualität mit dem Titel Sexualität gestern, morgen, und …. Im früheren Artikel hatte ich versucht, einige der Alltagsphänomene im Umfeld des Themas Sexualität einzuordnen in den größeren Kontext der biologischen Evolution. Hatte dort versucht, das Moment der Sexualität als ein — wenngleich sehr starkes — Moment im Kontext der menschlichen Psyche einzuordnen, um deutlich zu machen, dass der Versuch seiner ‚Isolierung‘ als eigenständiges Phänomen nur in die Irre führen kann. Im letzten Beitrag — angeregt durch allerlei Zeitungsartikel und Talkshows, ein Buch sowie einigen Gesprächen — hatte ich versucht, das Thema noch weiter herunter zu brechen. Befriedigend war das noch nicht. Habe jetzt aber das schon zuvor erwähnte Buch von Irene Stratenwerth zu Ende gelesen und wollte diese Eindrücke noch einbeziehen.

SEXUALITÄT, ROLLEN

Das Grundthema der biologischen Sexualität, das sich in den genetisch determinierten Ausprägungen von ‚Mann‘ und ‚Frau‘ bzw. in ‚Mischformen‘ phänomenal Ausdruck verleiht, liefert ein Leitmotiv durch alle Zeiten, das als solches, nach meinem Eindruck, immer noch unterschätzt wird. Entsprechend den jeweiligen historischen Gegebenheiten haben alle menschlichen Gesellschaften versucht, um den ‚Mann‘ herum, um die ‚Frau‘ herum, auch um ‚alternative Geschlechter‘ herum, im Zusammenleben, ‚Rollen‘ zu vereinbaren, wie man sich als ‚Mann‘ und ‚Frau‘ oder als ‚etwas anderes‘ in bestimmten ‚Situationen‘ zu verhalten hat. Das war einerseits hilfreich — sofern alle Beteiligten diese Rollenvereinbarungen teilten –, da jeder wusste, was er tun konnte und was nicht; es war aber auch eine Reglementierung, die als ‚Festlegung‘ und damit ‚Eingrenzung‘ verstanden werden konnte, die die menschliche Freiheit und die Situation als ganze unnötig einschränkt. Je nachdem, welche Vorteile die einzelnen aus diesen Vereinbarungen ziehen konnten, und je nachdem, mit welchen Sanktionen Rollenverletzungen belegt waren, wurden diese Vereinbarungen mehr oder weniger eingehalten oder gebrochen. Die Geschichte dieser Rollenzuordnungen legt den Eindruck nahe, dass die Rollenzuordnungen für die Frauen auffällig stark mit Unterordnung, Gewalt und Leid verknüpft war und heute in vielen Ländern dieser Erde immer noch ist.

WIRTSCHAFTLICHE SITUATION

Allerdings ist das Thema Sexualität (Mann, Frau und Anderes) niemals isoliert, sondern immer eingebettet in umfassendere soziale, ökonomische Situationen. Es ging und geht immer auch um Ernährung, Wohnen, Kleidung, Arbeit, Ausbildung usw. Und in Zeiten des Ressourcenmangels stand und steht das nackte Überleben im Vordergrund.

MIGRATION IN DER GESCHICHTE

Wirtschaftliche Not war immer auch eine Haupttriebfeder für Wanderungsbewegungen (Migration) bzw. kriegerische Aktivitäten, um zusätzliche Ressourcen zu erobern. Aus dem Blickwinkel des homo sapiens, also von ‚uns‘, waren es die dramatischen Klimaänderungen in Teilen Afrikas, die in der Zeit 125.000 – 60.000 Jahren BC zu größeren Migrationsbewegungen geführt haben, wobei man den erfolgreichen Hauptschub um 60.000 BC verortet (vgl. Out-of-Africa Hypothese.) Es waren diese Wanderungsbewegungen, denen alle heutigen Menschen ihre Existenz verdanken. Diesen Wanderungsbewegungen folgten in der Geschichte viele andere. Daraus kann man ableiten, dass die einzige wirkliche Konstante auf der Erde die beständige Veränderung ist (der Plattentektonik, des Klimas, der interstellaren Vorkommnisse, der biologischen Evolution, usw.). Um zu überleben, müssen wir Menschen darauf reagieren. Und es sind in der Regel sehr tüchtig Zeitgenossen, die den Weg in die Ungewissheit suchen. Und es ist nicht zufällig, dass die menschlichen Gesellschaften dahin tendieren, zu versuchen, sich immer mehr von solchen Veränderungen unabhängig zu machen.

Unter dieses Thema fallen auch die sehr umfangreichen Auswanderungen von Europäern in der Zeit von 1815 bis ca. 1930. Laut Stratenwerth waren es 63 Millionen Europäer, die in dieser Zeit Europa verlassen haben, vorwiegend in Richtung Nord und Südamerika.

Anlass war die große Not in den europäischen Ländern. Eine ausführliche wirtschaftliche Analyse fehlt in dem Buch von Stratenwerth; eher exemplarisch wird anhand einzelner Landstriche und Regionen der Eindruck erweckt, dass es zu diesen Zeiten zwar immer mehr Menschen gab, nicht aber zugleich mehr Arbeit und nicht genügend Ernährung. Innerhalb dieses Gesamtszenarios wird hervorgehoben, dass in den meisten Ländern die jüdische Bevölkerung ein besonders schweres Los hatte, da ihnen vieles verboten war: kein normaler Schulbesuch, keine Gründung von Handwerks- oder Industriebetrieben, Ansiedlungsverbote in vielen Gebieten bzw. umgekehrt Zuweisung in bestimmte Viertel, ‚Ghettos‘ genannt. (Im Wikipediaartikel über Ghetto fehlt ein Bericht über die Situation der Juden in Osteuropa in der Zeit 1815 – 1930 vollständig). War die Lage also für jeden schwierig, galt dies natürlich auch für alle Frauen, insbesondere für die jungen Frauen. Irgendeine Arbeit zu finden oder auch einen Mann für eine Familiengründung war schwierig bis unmöglich. Im Falle von Arbeitsverhältnissen ging dies laut dem Buch von Stratenwerth nicht selten einher mit sexueller Abhängigkeit, und das Alter der hier betroffenen jungen Frauen begann bei 14 Jahren!

In dieser Situation war für junge Frauen aus den einfachen Verhältnissen jede Art von Hoffnungen und Versprechungen — so abenteuerlich sie auch von heute aus erscheinen mögen — mit mehr Perspektive verknüpft als die jeweilige Gegenwart. Und die Zahl von 63 Millionen Wanderungsbewegungen generell zeigt, dass dies damals offensichtlich einem gewissen ‚Zeitgeist‘ entsprach. Für eine junge Frau, die ohne Perspektive war, arm, auch ‚zu Hause‘ in sexueller Abhängigkeit, waren die Versprechungen der Arbeit in den Städten zu verlockend, als dass man sie nicht wahrnehmen sollte. Und da laut dem Buch von Stratenwerth überall honorige Herren herumreisten, den armen Familien Geld boten, den jungen Frauen eine Ehe (die ‚love boys‘ von früher) und ein Auskommen, war der Strom junger Frauen, die dann entweder in den großen Bordellen jener Zeit in Europa, vor allem aber in Übersee (Rio de Janeiro, Buenos Aires, New York,…) landeten, sehr groß. Und aufgrund der extremen Benachteiligungen gerade der jüdischen Bevölkerung darf es nicht wundern, dass der Anteil der jüdischen Auswanderer, speziell auch der jungen Frauen hoch war (in Buenos Aires, einer der Bordellhauptstädte der damaligen Welt, waren nach Stratenwerth 1889 – 1913 ca. 4000 jüdische Prostituierte registriert, ca 20 – 30% aller registrierten Prostituierten von Buenos Aires; in der Zeit 1910 – 1923 kommen 20% aller Prostituierten aus Russland und Polen, die meisten mit jüdischer Herkunft; 25% kommen aus Frankreich oder Argentinien, der Rest aus Italien, Spanien und weiteren Ländern (siehe Stratenwerth: S.107).

Nimmt man das Beispiel Buenos Aires, dann sagen laut Stratenwerth die Passagierlisten von Hamburg, für das Jahr 1912 beispielsweise aus, dass zwar 2089 Männer nach Buenos Aires reisten, aber nur 849 junge Frauen zwischen 16 und 23 Jahren (wobei die Papiere vielfach gefälscht sein konnten mit einem höheren als dem tatsächlichen Alter). Etwas mehr als die Hälfte reiste alleine (wobei bei den Verheirateten auch von Scheinehen ausgegangen werden kann). 80% der Frauen waren Jüdinnen (vgl. Stratenwerth:S.101).

Die osteuropäischen Auswanderer, die in Hamburg aufs Schiff gingen, kamen laut Stratenwerth überwiegend per Zug direkt von dem Ort Myslowitz im Dreiländereck Deutsches-Reich, Österreich-Ungarn und Rußland. Dort sollen 1894 ca. 1.800 Auswanderer abgefertigt worden sein, im Jahr 1913 aber ca. 240.000 (vgl. Stratenwerth:S.99). Im Rahmen eines Strafprozesses im Jahr 1914, von dem Stratenwerth berichtet, gab es Hinweise, dass dieser ungeheure Strom von Auswanderer die ganze Stadt auf allen — auch behördlichen — Ebenen zu einer Kooperative vereint hat, wo Geschenke, Schmiergelder, Gefälligkeitshandlungen zum Alltag gehört haben. Dazu gehörte es auch, dass frisch eingeschmuggelte Mädchen mit aufs Zimmer genommen wurden (weitere Details bei Stratenwerth:S.100).

AUSBEUTUNG REAL UND IMAGINIERT

Im Nachhinein und von ‚außen‘ ist es schwer bis unmöglich, zu beurteilen ob und in welchem Ausmaß damals Ausbeutung vorgelegen hat. Es gibt klare Fälle von Misshandlungen, sklavenähnlichen Zuständen, und finanzieller Ausbeutung. Es gibt aber auch Fälle, in denen Frauen über die Prostitution zu erheblichem Wohlstand gekommen sind. Und es gibt Selbstzeugnisse von Frauen, die ihr Leben — im Vergleich zu Alternativen — als positiv darstellen. Offizielle Details gibt es nicht. Im Jahr 1923 beauftragte zwar der Völkerbund eine offizielle Studie zum Mädchenhandel, aber die Hauptuntersucher waren Männer, die sich fast ausschließlich mit männlichen Bordellbesitzern und deren Sehweise beschäftigten. (vgl. Stratenwerth:Kap.14)

In einem Beitrag von Esther Sabelus im Buch von Stratenwerth wird aufgezeigt, wie sich parallel zum Phänomen des Mädchenhandelns sowohl eine ‚Entrüstungsliteratur‘ aufbaut wie auch dann immer mehr auch eine antijüdische Propaganda.

Die Entrüstungsliteratur ist in bürgerlichen Schichten verortet, deren Moralkodex zwar ausreicht, um diese Vorgänge zu verurteilen, aber nicht ausreicht, die tatsächlichen Ursachen zu analysieren und dort Abhilfe zu schaffen, wo es Not täte; denn dann müsste man die eigene Gesellschaftsordnung mit dem herrschenden Rollensystem kritisieren. Soweit reicht die Entrüstung nicht.

Die Propaganda speist sich aus schwelenden Antisemitismen, die immer wieder neue Nahrung für ihre Sehweise suchen. Aus der Beteiligung von Juden am Mädchenhandel wird dann schnell der Jude als Mädchenhändler schlechthin und auch hier wird der jeweilige gesellschaftliche Kontext vollständig ausgeblendet. So funktioniert Ideologie und Propaganda: alles weglassen, was nicht passt.

DEUTSCHLAND – PORNOGRAPHISCHES WUNDERLAND?

Wie Mehmet Ata kürzlich in dem Beitrag „Außer Kontrolle. Das Prostitutionsgesetz von 2002 sollte die Situation der Frauen verbessern. Doch vieles ist seither schlimmer geworden.“ (FAS, 24.Nov.2013, Nr.47, S.4) feststellt, ist die Kontrolle der Prostitution in Deutschland soweit gelockert worden, dass die Behörden seitdem kaum über verlässliche Daten verfügen noch haben sie rechtliche Handhaben, um schärfere Kontrollen durchzuführen, dies, obgleich verschiedene Untersuchungen den Eindruck verstärken, dass Gewalt, Ausbeutung und diverse Formen schwerer Kriminalität das Milieu durchziehen. Wie in den vorausgehenden Abschnitten beschriebenen kommen auch hier wieder 60-80% der jungen Frauen aus dem (meist osteuropäischen) Ausland; viele, weil Ihnen Anwerber falsche Tatsachen vortäuschen, viele mit Erfahrung von Gewalt seit ihrem 16. Lebensjahr.

KEIN RESÜMEE

Vergleicht man die heutigen Erfahrungen mit den vorausgehenden Schilderungen kann man den Eindruck gewinnen, dass sich nicht viel geändert hat. Der gesellschaftlichen Not und den jugendlichen Hoffnungen auf der einen Seite stehen viele unbefriedigte sexuelle Bedürfnisse gegenüber, und dazwischen gibt es vielfältigste Organsationsformen, die versuchen ihren Gewinn daraus zu machen, beides an einem Ort und einer Zeit zusammen zu bringen. Während wir im Fall ’normaler‘ gewerblicher Tätigkeit Schemata gefunden haben, wie ausgebildet wird, wie zertifiziert wird, wie Qualitätskontrolle stattfindet, wie Arbeitnehmer Rechte haben gegenüber Arbeitgebern und umgekehrt, die Arbeitgeber Pflichten; wie das Finanzamt nahezu jeden (und besonders die ‚Kleinen‘) akribisch zu verfolgen scheint, scheint all dies für den Bereich gewerbliche Sexualität nicht zu gelten. Warum nicht?

Andererseits sollten wir nicht so tun, als ob es nur im Bereich gewerblicher Sexualität Probleme der Ausbeutung gibt. Die Berichte zu erschreckenden Lebens- und Arbeitsverhältnissen in vielen Ländern dieser Welt (auch in Bereichen Deutschlands , wo Leiharbeiter massiv ausgebeutet werden) sind nicht weniger schlimm oder sind sogar schlimmer.

So besonders das Phänomen der Sexualität einerseits hingestellt wird, so ist es doch ein Teilphänomen im Gesamt des Menschen, des Menschenbildes, der Menschenrechte. Und hier stoßen wir auf viele liebgewordene vorherrschende Denkmodelle die nicht notwendigerweise das Letzte und Beste sind, was wir haben bzw. haben sollten. Eine dauerhafte und nachhaltige Entkriminalisierung wird wohl nur gelingen, wenn wir mit uns selbst als Menschen mehr Klarheit, und mehr Einigkeit finden, nicht nur gedacht, sondern auch real, im Alltag.

Ein Song, dazu, oder auch nicht, jedenfalls ein Song; nach der Methode ‚Radically Unplugged‘, kein Plan, kein Üben, keine Absprachen, keine Noten, kein Text, und dann eben doch ein Song: Ach, ooh, 7 Billionen, sollten wir das vergessen?(RUM100%)

QUELLEN

Irene Stratenwerth, „Der gelbe Schein. Mädchenhandel 1860 – 1930“, herausgegeben von Simone Blaschka-Eick, Herman Simon, Bremerhaven: Deutsches Auswandererhaus Edition DAH, 2012Einen Überblick zu allen Blogeinträgen nach Titeln findet sich HIER.

NACHTRAG 1
Whores Glory – Ruhm der Huren. Eine Erstausstrahlung am Donnerstag, 28.11. um 23:10 Uhr bei arte.

KURZBESCHREIBUNG VON arte

„Whores‘ Glory“ porträtiert Frauen in Thailand, Bangladesch und Mexiko, die von der Prostitution leben. Ihre Beweggründe sind so unterschiedlich wie ihre Religion und Kultur. Michael Glawogger beobachtet sie bei ihrer Arbeit, lässt sie zu Wort kommen und gibt ihnen so eine individuelle Identität.
Sie leben in Thailand, Bangladesch und Mexiko, und sie leben von der Prostitution. Der Filmemacher Michael Glawogger hat die Frauen bei ihrer Arbeit beobachtet, hat sie zu Wort kommen und ihre Geschichten erzählen lassen und ihnen so eine individuelle Identität gegeben.
Whores‘ Glory“ ist ein filmisches Triptychon zur Prostitution, ein Film über arbeitende Frauen an drei Schauplätzen. Sie sprechen unterschiedliche Sprachen und gehören unterschiedlichen Religionen an. Da sind die jungen, schönen Frauen, die sich im „Fish Tank“ in Bangkok hinter einer Scheibe zur Schau stellen, um dann ihren Freiern ein wenig Glück zu verkaufen. In Bangladesch werden die Prostituierten in ihr Schicksal hineingeboren oder in ein Prostituierten-Ghetto, einen eigenen Stadtteil, verkauft – ein anderes Leben scheint unmöglich. Und in Mexiko ist die Endstation jener Frauen „La Zona de la tolerancia“, ein Ort, an dem sie mit Drogen und Prostitution überleben – eng umschlungen mit Santa Muerta, dem heiligen Tod.
Der Dokumentarfilm gibt jeder Frau ihren eigenen Raum, lässt sie ihre Geschichten erzählen von Sehnsüchten und Hoffnungen, von der Bitterkeit , aber auch von raren Momenten der Freude – ihrer eigenen, aber auch der, für die ihre Freier bezahlen.
Produzent: ZDF
Land: Österreich, Deutschland
Jahr: 2011
Als Live verfügbar: ja
Tonformat: Stereo
Bildformat: HD, 16/9
Version: OmU
Arte+7: 28.11-05.12.2013
Regie:
Michael Glawogger

KURZKOMMENTAR VOM BLOG
Eine Filmdokumentation ist natürlich keine wissenschaftliche Untersuchung, dennoch kann sie, wenn sie gut gemacht ist, Aspekte der Wirklichkeit sichtbar machen, die einigermaßen authentisch sind und die uns etwas vom dem Leben erzählen, das wir alle teilen.
Der Film von Michael Glawogger erweckt den Eindruck, dass das, was man sieht , gut recherchiert und sehr authentisch ist (wobei man natürlich immer bedenken muss, dass das Medium Film den Blick auf die Wirklichkeit stark selektiert und fokussiert).
Mit Blick auf die vorausgehenden Überlegungen im Blog möchte ich hier nur zwei Aspekte herausgreifen: Rolle der Frauen – Rolle der Männer.

Die beiden Extreme im Film mit Blick auf die Frauen sind sicher die Frauen in Bangladesch einerseits und die Frauen in Thailand andererseits.
Für die jungen Frauen in Bangladesch erscheint ihre Tätigkeit als Prostituierte als ‚auswegslos‘: um zu überleben müssen sie ihre Arbeit machen, sind in jeder Hinsicht abhängig vom Ort und dem Umfeld. Ausbrechen erscheint sinnlos, da es keinen anderen Ort gibt, wo sie hingehen könnten. Eine junge Frau sagt es direkt in die Kamera, warum sie als Frau dies alles erleiden muss, womit sie das verdient habe. Ab einem gewissen Alter wird es für diese Frauen dann ‚höllenmäßig‘: am Beispiel einer Frau wurde deutlich, was passiert, wenn die Männer sie nicht mehr wollen: die Vermieterin der Zimmer macht ihr die Hölle heiss, beschimpft sie öffentlich, und droht ihr mit Rausschmiss ins Nichts.
Für die jungen Frauen aus Thailand sieht die Sache anders aus. Sie haben z.T. Männer und Familie, sie könnten im Prinzip andere Berufe lernen und ausüben, aber sie sagen, dass es ihnen zu Hause zu langweilig sei, die Familie den ganzen Tag zu stressig, das soziale Umfeld in einem gutorgansierten Bordell anregender, interessanter; man trifft andere junge Frauen, hat Abwechslung und Spaß; in der Freizeit geht man selber in Bars und zu Männern, die männliche Prostituierte sind. Zugleich praktiziert man religiöse Rituale, deren Sinn sich einem Betrachter nicht so richtig erschließt.

Die Männer kommen in allen Beiträgen mehr oder weniger gleich rüber: man sieht die Männer aus der Perspektive ihrer triebhaften Begierde, die Frauen sind Objekte, mit denen man zwar auch gerne redet, aber nur für die Dauer der ‚Geschäftszeit‘; daneben haben viele (ältere) Männer ihre Frauen, Partnerinnen. Für die jungen Männer erscheint es wie eine Art ‚Ventil‘ für ihren Triebdruck: sie sagen, dass sie täglich zu den Prostituierten gehen, manchen sogar mehr als einmal. Die jungen Leute aus Bangladesch meinten, dass das Prostituiertenviertel ein Segen für die Stadt sei, sonst würden viele andere Frauen unter mehr sexuell motivierter Gewalt leiden müssen.

KZ BORDELLE

ZDFinfo Mi 19.März 2014, 16:30h, System Sonderbau. Zur Geschichte der Bordelle in 10 deutschen KZs

In einer Mischung aus Dokumentation und Live-Interviews mit Zeitzeugen entsteht in Umrissen das Bild der Zwangsprostitution von Frauen in zehn deutschen KZs.

Hintergrund waren die Beschwerden deutscher Rüstungsfirmen über die mangelnde Arbeitsmoral der Häftlinge in den Rüstungsbetrieben. Dies führte dazu, dass Himmler den Plan für ein neues Belohnungssystem erdachte, das mit möglichst wenig Geld die Motivation steigern sollte.

Ab Frühjahr 1943 wurden dann nach und nach ca. 200 Frauen zwangsweise rekrutiert, die in zehn KZs zum Einsatz kamen. Kunden waren die Mithäftlinge.

Das erste Bordell wurde 1942 im KZ Mauthausen in Österreich eingerichtet. Neun weitere folgten, z.B. Juli 1943 in Buchenwald mit 16 Frauen und in Ausschwitz. Erst am Zielort erfuhren die Frauen, für welche Zwangsarbeit sie ausgesucht worden waren

Es wurde eine eigene Baracke eingerichtet, mit Bordellarzt und hohen Hygieneanforderungen. Die Bordellfrauen hatten eine bessere Ernährung, bessere Kleidung und sahen gut aus, hatten Macke up, trugen kurze Hosen und hatten Schuhe mit hohen Absätzen, Haare waren nicht abgeschnitten. Werktags hatten die Frauen tagsüber frei; abends mussten sie zwei Stunden zur Verfügung stehen. 4 Häftlinge pro Stunde. Am Sonntag schon ab 10:00h. Nach den Abrechnungsbögen kommen auf eine Bordellfrau am Sonntag im Durchschnitt 10 Häftlinge. In der Woche kommt eine Frau im Durchschnitt auf 43 Besucher. Die Abläufe der Besuche samt der Stellungen beim Geschlechtsakt sind genau von der SS geregelt. Aufseher kontrollierten regelmäßig durch ein Guckloch, ob die Vorschriften eingehalten werden. Nach jedem Geschlechtsverkehr mussten sich die Frauen ausgiebig waschen. Explizite Empfängnisverhütung gab es allerdings nicht. Bei zwei bekanntgewordenen Fälle von Schwangerschaft im KZ Buchenwald wurden diese zwangsweise beendet. Allerdings waren viele Frauen schon zuvor zwangssterilisiert worden. Für einen Bordellbesuch, der offiziell beantragt und genehmigt werden musste, wurde eine Gebühr 2 Reichsmark erhoben; 0.45 RM bekam die Bordellfrau.

Es scheint, dass überwiegend Häftlinge, die ganz oben in der Hierarchie stehen, das Bordell aufsuchten. Die meisten politischen Gefangenen lehnten einen Bordellbesuch ab. Aus den erhaltenen Zeugnissen muss man schließen, dass die Männer sich kaum bewusst gemacht haben, dass alle Frauen zu dieser Arbeit gezwungen wurden. Eine Interviewte sagte, dass dieses Leben zur Abstumpfung geführt hat bzw. es gab auch Selbstmordversuche. Die Mehrheit der Frauen hat das KZ überlebt, war aber psychisch stark gezeichnet.

Nach dem Krieg wurde die Zwangsprostitution weder von der Bundesregierung noch von der DDR als Zwangsarbeit anerkannt.

Einen Überblick über alle Blogbeiträge nach Titeln findet sich HIER.

PHILOSOPHIE TRIFFT DAS SNOWDON SYNDROM – Erste Notizen


(Unter twitter bei ‚cagentartist‘))

Letzte Änderung: 29.Juli 2013, 00:14h

THEMATISCHER RAHMEN BISHER

1) Dieser Blog widmet sich primär der Frage nach dem neuen Weltbild: wie können, bzw. dann auch, wie sollten wir unsere Welt und das Leben in ihr ‚deuten‘, wenn wir alles Wissen zusammen nehmen, was wir uns bislang erarbeitet haben. Es ist eine grundlegend philosophische Frage insofern im Blog die Philosophie als die allgemeinste und umfassendste Reflexionseinstellung identifiziert wurde, der man sämtliche andere Disziplinen zuordnen auch. Die ‚Kunst‘ gehört zur ‚Art und Weise‘, wie man philosophieren kann. Die ‚Theologie‘ ist eine spezialisierte Fragestellung innerhalb der Philosophie, und sie ist als ‚theologia naturalis‘ nicht beliebig sondern ‚unausweichlich‘ (was nicht impliziert, dass es so etwas wie einen ‚Schöpfergott‘ geben muss).
2) Im Laufe der vielen Einzelreflexionen hat sich bislang ein Bild vom Universum und der Welt herausgeschält, in dem der klassische Begriff von ‚Geist‘ und der von ‚Materie‘ immer mehr dahingehend aufgelöst wurden , dass man sie nicht mehr trennen kann. Zwar sind die Alltagsphänomene, die wir mit ‚Geist‘ verknüpfen, grundsätzlich verschieden von den Alltagsphänomenen, die wir mit ‚Materie‘ verknüpfen, aber die wissenschaftlichen Forschungen haben uns geholfen, die Makrophänomene des Alltags mehr und mehr von ihren Grundlagen her zu verstehen und sie in den Zusammenhang einer dynamischen Entwicklung zu setzen. In dieser Perspektive verschwimmen die Abgrenzungen und es wird deutlich, dass das im Alltag über Jahrtausende Getrennte einen inneren Zusammenhang aufweist, und letztlich sich in dem, was wir alltäglich ‚geistig‘ nennen, genau jene Eigenschaften zeigen, die die sogenannte ‚Materie‘ ausmachen. Mehr noch, wir konnten lernen, das Materie und ‚Energie‘ nur zwei verschiedene Zustandsformen ein und derselben Sache sind. Während man also – Einstein vereinfachend – sagen kann Energie ist gleich Materie, müsste man im Fall des Geistes sagen, das uns vom Geist Bekannte zeigt die ‚inneren‘ Eigenschaften der Energie-Materie an, was natürlich die Frage aufwirft, was man sich unter dem ‚Inneren‘ von Materie bzw. Energie vorzustellen hat. Aus der Mathematik – und dann aus der Physik, die die Mathematik als Sprache benutzt – kennen wir den Begriff der ‚Funktion‘ (andere Worte für das Gleiche: ‚Abbildung‘, ‚Operation‘, ‚Prozedur‘, ‚Programm‘, ‚Algorithmus‘,…).

BEGRIFF DER FUNKTION

3) Funktionen definiert man als spezielle Beziehungen zwischen ‚Mengen‘. Während Mengen für irgendwelche ‚Elemente‘ stehen, die man im empirischen Bereich mit irgendetwas Messbarem verknüpfen können muss, sind die Abbildungsbeziehungen, die durch eine Funktion beschrieben werden sollen, selbst keine Objekte, nicht direkt messbar! Eine Funktion ‚zeigt sich‘ nur indirekt ‚anhand ihrer Wirkungen‘. Wenn der berühmte Apfel Newtons zu Boden fällt, kann man ein Objekt beobachten, das seine Position im Raum relativ zum Beobachter verändert. Man bekommt sozusagen eine Folge (Serie, Sequenz, …) von Einzelbeobachtungen. In der Alltagssprache hat man diese Menge von Positionsveränderungen in der Richtung ‚von oben‘ (Sicht des Beobachters) nach ‚Unten‘ mit dem Verb ‚fallen‘ zusammengefasst. Der Apfel selbst mit seiner aktuellen Position fällt nicht, aber relativ zu einem Beobachter mit Gedächtnis, gibt es eine Folge von vielen Einzelpositionen, die es ermöglichen, den Begriff der ‚Veränderung‘ mit einer ‚Richtung‘ zu ‚konstruieren‘ und in diesem nur im Beobachter existierenden ‚Wissen‘ dann das Konzept des ‚Fallens‘ zu bilden und auf die Objekte der Alltagswelt anzuwenden. Ein Beobachter, der den Begriff ‚Fallen‘ gebildet hat, ’sieht‘ ab sofort ‚fallende Objekte‘ – obwohl natürlich kein einziges Objekt tatsächlich ‚fällt‘. Das Fallen ist eine Konstruktion und dann ‚Projektion‘ unserer geistigen Struktur im Umgang mit der Alltagswelt.
4) [Anmerkung: Möglicherweise werden an dieser Stelle viele sagen, dass dies doch ‚Unsinn‘ sei, da wir doch die Veränderung ’sehen‘. Und in der Tat ist es sehr schwer bis unmöglich, diese Analyse zu vollziehen, wenn man den Vorgang nicht rekonstruiert. Eine ideale Möglichkeit, solch eine ‚Analyse durch Synthese‘ vorzunehmen ist heute gegeben durch die Computersimulation von kognitiven Prozessen, allerdings nicht automatisch; man braucht natürlich schon eine passende Theorie. Bei dem Versuch, solche Prozesse nachzubauen sieht man sehr schnell, dass noch so viele Einzelbeobachtungen keinen komplexen Begriff ergeben; würde unser Gehirn die verschiedenen Positionen des Apfels nicht ’speichern‘ und zugleich wieder auch ‚erinnern‘ können, und diese einzelnen Erinnerungen zu einem komplexeren Konzept ‚zusammenbauen‘, und zwar so, dass aktuelle Beobachtungen als ‚zugehörig‘ zu dem neuen komplexen Begriff ‚entschieden werden können‘, wir könnten keine ‚Fallbewegung‘ erkennen. Wir würden immer nur einen Apfel sehen, der eben ‚da‘ ist. Die ‚Aufschlüsselung des ‚Daseins‘ in eine komplexe ‚Bewegung‘ setzt einen komplexen Erkenntnisapparat voraus, der dies ’sichtbar‘ macht. ]

WIRKLICHKEITSSTATUS EINER FUNKTION

5) Welchen Wirklichkeitsstatus sollen wir jetzt der Eigenschaft des Fallens zusprechen? Ist es eine reine ‚Einbildung‘, eine bloße ‚gedankliche Konstruktion des Gehirns‘, zwar gültig ‚im‘ Gehirn aber nicht ‚außerhalb‘ des Gehirns, also ‚gedacht = virtuell‘ und nicht ‚real‘ existierend (allerdings auch als Gedachtes ist es etwas real Existierendes, dessen ‚Begleitwirkungen‘ man als physikalische Prozesse im Gehirn partiell messen kann)? Allerdings, wenn sich im ‚Verhalten‘ eines Objektes der Außenwelt etwas – wenngleich durch durch ‚Zwischenschaltung eines Erkenntnisprozesses‘ – zeigt, so gilt, dass es sich nicht zeigen muss. Das, was wir ‚Empirisch‘ nennen, hat die Eigenschaft, dass es sich zeigen kann, auch wenn wir nicht wollen, und sich nicht zeigen kann, obwohl wir wollen. Das – für uns als Beobachter – Empirische ist das uns gegenüber ‚Widerständige‘, das sich unserer subjektiven Kontrolle entzieht. Die Zwischenschaltung von ‚Messprozessen‘ bzw. ‚Erkenntnisprozessen‘, die in sich ‚unveränderlich‘ sind, d.h. als eine Konstante in den verschiedenen Ereignissen betrachtet werden können, erlaubt damit das Wahrnehmen von ‚Empirischem‘, und dieses Empirische zeigt sich dann auch in ‚Veränderungsprozessen‘, die zwar nur ’sichtbar‘ werden durch komplexe Operationen, die aber unter Beibehaltung der ‚konstanten‘ Erkenntnisprozesse reproduzierbar sind und damit offensichtlich etwas vom ‚Anderen‘ enthüllen, eine implizite Eigenschaft, eine ‚emergente‘ Eigenschaft, die über das Einzelereignis hinausgeht.
6) Bekommt man auf diese Weise eine erste Ahnung davon, was eine ‚Funktion‘ ist und weiß man, dass nahezu alle wichtigen Eigenschaften der Natur mittels Funktionen beschrieben werden (in der Alltagssprache die ‚Verben‘, ‚Tätigkeitswörter‘), dann kann man vielleicht ahnen, was es heißt, dass das, was wir traditionellerweise ‚Geist‘ genannt haben, ausschließlich auf solche Eigenschaften zurückgeht, die wir mittels Funktionen beschreiben: Veränderungen, die stattfinden, die keinen ‚äußeren‘ Grund erkennen lassen, sondern eher den Eindruck erwecken, dass es ‚Faktoren/ Eigenschaften‘ im ‚Innern‘ der beteiligten Elemente gibt, die wir ‚postulieren‘, um zu ‚erklären‘, was wir sehen. Aristoteles nannte solch ein Denken ‚meta-physisch‘; die moderne Physik tut nichts anderes, nur sind ihre Bordmittel ein wenig ausgeweitet worden….

STRUKTURELLE KOMPLEXITÄT WÄCHST EXPONENTIELL

7) Zwar wissen wir mit all diesen Überlegungen immer noch nicht so richtig, was ‚Geist‘ denn nun ‚eigentlich‘ ist, aber wir konnten auch sehen, dass seit dem sogenannten ‚Big Bang‘ vor ca. 13.8 Milliarden Jahren die ’strukturelle Komplexität‘ (siehe die genauere Beschreibung in den vorausgehenden Blogeinträgen) des beobachtbaren Universums – entgegen allen bekannten physikalischen Gesetzen, insbesondere gegen die Thermodynamik – exponentiell zunimmt. Wir leben heute in einer Phase, wo die Beschleunigung der Komplexitätsbildung gegenüber den Zeiten vor uns ein Maximum erreicht hat (was nicht heißt, dass es nicht ’noch schneller‘ gehen könnte). Von den vielen Merkmalen der strukturellen Komplexitätsbildung hatte ich nur einige wenige herausgegriffen. Während der homo sapiens sapiens als solcher einen gewaltigen Sprung markiert, so ist es neben vielen seiner kognitiven Fähigkeiten insbesondere seine Fähigkeit zur Koordination mit den anderen Gehirnen, seine Fähigkeit zum Sprechen, zum Erstellen komplexer Werkzeuge, die Fähigkeit komplexe soziale Rollen und Strukturen einzurichten und zu befolgen, die überindividuelle Wissensspeicherung und der Wissensaustausch, die Erfindung des Computers und der Computernetzwerke, die das lokal-individuelle Denken ins scheinbar Unendliche ausgedehnt und beschleunigt haben.

ENDE DER NATIONALSTAATEN?

8) Fasst man alle diese Veränderungsphänomene zusammen, dann entsteht der Eindruck, als ob die Entwicklung des Lebens in Gestalt des homo sapiens sapiens auf einen neuen Entwicklungssprung hinausläuft, der sowohl eine massive Veränderung seines Körpers (durch Veränderung des Genoms) mit einschließt wie auch eine massive Veränderung in der Art des konkreten Lebens: so wie es ca. 2 Milliarden Jahre gedauert hat, bis aus den einzelnen Zellen organisierte Zellverbände gebildet haben, die hochdifferenzierte ‚Körper‘ als ‚Funktionseinheit‘ ausgebildet haben, so kann man den Eindruck gewinnen, dass wir uns in solch einer Übergangsphase von einzelnen Personen, kleinen Kommunen, Städten zu einem ‚globalen Organismus‘ befinden, in dem zwar jeder einzelne als einzelner noch vorkommt, wo aber die ‚Gesamtfunktion‘ immer größere Teile der Erdpopulation umfassen wird. Die Zeit der ‚Nationalstaaten‘ neigt sich dem Ende entgegen (ein paar tausend Jahre Übergangszeit wären in der Evolution weniger wie eine Sekunde; es spricht aber alles dafür, dass es erheblich schneller gehen wird)) .

FRAGEN DURCH DAS AKTUELL NEUE

9) Dies alles wirft ungeheuer viele Fragen auf, auf die wir bislang wohl kaum die passenden Antworten haben, woher auch. Antworten ergeben sich ja immer nur aus Fragen, und Fragen ergeben sich aus Begegnung mit etwas Neuem. Das neue geschieht ja erst gerade, jetzt.

KONTROLLE ODER KREATIVITÄT?

10) Wie schon in vorausgehenden Blogeinträgen angemerkt, gibt es unterschiedliche Stile, wie einzelne, Firmen und ganze Gesellschaften mit neuen Herausforderungen umgehen. Eine beliebte Form ist die ‚Kontrolle‘ anhand ‚bekannter‘ Parameter. Evolutionstheoretisch und aus Sicht des Lernens ist dies die schlechteste aller Strategien. Es ist der schnellste Weg zum Zusammenbruch des bisherigen Systems, speziell dann wenn es wenigstens ein konkurrierendes System gibt, das statt mit Kontrolle mit gesteigerter Kreativität, Kommunikation, und erneuerter Modellbildung reagieren kann. Die Wahrscheinlichkeit mit der zweiten Strategie neuere und bessere Antworten zu finden, ist um Dimensionen größer, wenngleich nicht ohne Risiko. Die Kontrollstrategie hat aber das größere Gesamtrisiko und führt fast unausweichlich zum Scheitern, während die Kreative Strategie partiell riskant ist, aber insgesamt – sofern es überhaupt eine Lösung gibt – diese finden wird. Die Kontrollstrategie ist emotional gekoppelt an ‚Angst‘, die Kreative Strategie an ‚Vertrauen‘. (In der Tradition der christlichen Spiritualität gibt es eine Grundregel, mittels der man erkennen kann, ob man sich in Übereinstimmung mit ‚Gott‘ befindet oder nicht: das Phänomen des ‚Trostes‘, der ‚Freude‘, der ‚Gelassenheit‘, des ‚Vertrauens‘, der ‚Angstfreiheit‘; d.h. wenn ich etwas tue, was in mir ‚real‘ (!) auf Dauer keinen ‚Trost‘ bewirkt, keine ‚Freude‘, keine ‚Gelassenheit‘, kein ‚Vertrauen‘, keine ‚Angstfreiheit‘, dann bewege ich mich nicht in die Richtung, die Gott von mir erwartet. Auch wenn man nicht an die Existenz eines ‚Gottes‘ glaubt, ist es interessant, dass die Kernelemente christlicher Spiritualität nahezu identisch sind mit den Kernelementen einer modernen mathematischen Lerntheorie, die für alle lernende System gilt, die auf der Erde überleben wollen).

DAS SNOWDON SYNDROM

11) Was hat dies alles mit dem ‚Snowdon Syndrom‘ zu tun? Warum ‚Syndrom‘? Ich verstehe unter ‚Syndrom‘ hier das Zusammenspiel vieler Faktoren, die einerseits einzeln zu wirken scheinen, andererseits aber vielfältig untereinander wechselwirken, sich gegenseitig beeinflussen. Und die Ereignisse ‚um Snowdon herum‘ erscheinen mir so als ein Netzwerk von Ereignissen, Äußerungen, Entscheidungen, die, bei näherer Betrachtung, sehr wohl Zusammenhänge erkennen lassen, die sich mit der Thematik des neuen Weltbildes berühren.
12) Innerhalb der letzten knapp vier Wochen (2.-27.Juli 2013) konnte ich 48 Artikel zum Snowdon Syndrom lesen, zwei Artikel aus dem Frühjahr 2012 habe ich nachgelesen. Dazu kam die eine oder andere Sendung im Radio und Fernsehen. Bedenkt man, wie wenig Zeit man täglich hat, überhaupt Zeitung zu lesen, ist das viel. Gemessen am Thema und seinen sachlichen Verästlungen ist es verschwindend gering. Die folgenden Gedanken sollten daher nur als Denkanstöße verstanden werden.

NETZÜBERWACHUNG REIN TECHNISCH

13) Auslöser für die vielen Artikeln und Beiträgen in den Medien waren die spektakuläre Reise von Snowdon nach Hongkong, seine Weitereise nach Moskau, sein dortiges bislang aufgezwungenes Verweilen, und natürlich seine Mitteilungen über Praktiken amerikanischer Geheimdienste, insbesondere der NSA, der National Security Agency. Viele behaupteten nach den ‚Enthüllungen‘, dass sich das ja eigentlich jeder hätte denken können, dass so etwas passiert, was zumindest für alle Informatikexperten gilt, und hier insbesondere bei jenen, die sich mit Netz- und Computersicherheit beschäftigen; die wissen seit vielen Jahren nicht nur, wie man in Netze und Computer eindringen und sie manipulieren kann, sondern auch, dass dies täglich in tausendfachen Formen geschieht. Akteure sind einmal kriminelle Organisation, die hier ein Eldorado zum Geldverdienen entdeckt haben, Teile davon sind Wirtschaftsspionage, anderes sind geheimdienstliche Aktivitäten für allerlei Zwecke, u.a. einfach zur ‚Absicherung der Macht‘ bestimmter Gruppen. Für diese Experten haben die Meldungen von Snowdon in der Tat nichts wirklich Neues gebracht, höchstens ein paar mehr Details zum Ausmaß der Aktivitäten der amerikanischen Regierung.
14) Ich würde hier auch gerne unterscheiden zwischen den ‚technischen‘ Aspekten von Datenausspähungen, Datenmanipulationen einerseits und den ’sozialen‘, ‚politischen‘, ‚kulturellen‘ und ‚ethischen‘ Aspekten andererseits. Rein technisch haben die Mitteilungen von Snowdon nichts Neues erbracht. Auch die verschiedenen Techniken, die sowohl Geheimdienste wie auch Netzfirmen wie Google, Facebook und Amazon (um die bekanntesten zu nennen) anwenden, aus einer großen Datenmenge (‚big data‘) solche ‚Informationen‘ zu extrahieren, die Hinweise auf spezielle Eigenschaften oder Trends bestimmter Personen und Personengruppen liefern, sind generell bekannt, werden an vielen Universitäten und speziellen Firmen dieser Welt gelehrt und entwickelt (dazu natürlich in vielen speziellen Labors vieler Staaten im Wahn, ein spezielles Labor könnte geheim etwas entwickeln, was die vielen Universitäten nicht könnten. Das ist eine grobe Täuschung. Würde man die Gelder der NSA in alle Universitäten umleiten, wäre der kreativ-produktive Effekt auf die Gesellschaft und Wirtschaft ein Vielfaches von dem, was jetzt stattfindet. Vielleicht sollten die anderen Staaten froh sein, dass die USA auf diese Weise einen Großteil ihres Kapital quasi ‚vernichten‘, da sonst die amerikanische Wirtschaft im Bereich Computer, Software und Netzwerke noch übermächtiger wäre…)).

NETZWERKE: JENSEITS DER TECHNIK

15) Was viele erregt und aufregt, liegt daher weniger im Bereich der verwendeten Technologien, sondern in den sozialen, kulturellen, ethischen und dann auch politischen Dimensionen, die sich mit dem immer mehr publik werden neuen Computer-Netz-Technologien und ihrer Nutzung verknüpfen.
16) Für die meisten wirkten sich die neuen Technologien zunächst darin aus, dass sie im Bereich alltäglicher Kommunikation und alltäglichen Informationsaustausches ganz praktisch neue Möglichkeiten erhielten. Sehr schnell änderten sich flächendeckend alltägliche Verhaltensweisen. Dazu kam, dass nahezu alle Dienste zu Beginn ‚kostenlos‘ waren. Das Geschäftsmodell war einfach: deine Informationen als frei verwertbarer Inhalt für mich, dafür für dich deine Nutzung aller Dienste kostenfrei. Dass die Netzfirmen und die Geheimdienste damit ein Dateneldorado vorfanden, in dem sie sich mit Zustimmung der ‚Lieferanten‘ ungehemmt bewegen konnten, war vielen zunächst nicht so richtig bewusst und erschien vernachlässigbar angesichts der konkreten praktischen Nutzen auf privater Ebene. Mit der massenhaften Nutzung kam natürlich auch der wachsende Missbrauch und in den beginnenden Klagen, Streitigkeiten und Prozessen begann zaghaft ein wachsendes Bewusstsein von der Realität (und den Gefahren) der freien Nutzung zu wachsen. Dass sich die öffentliche Diskussion speziell an den Mitteilungen Snowdons dann mehr als bisher entzündete (Wer konnte bis heute überhaupt Snowdons Miteilungen überprüfen?), erscheint mir eher als ein Zufall. Das Thema war am Aufkochen und auch ohne Snowdon gab es erste alternative Geschäftsmodelle, die sich den wachsenden Unmut der großen Menge zunutze machen wollen, und bezahlte Dienste anbieten, dafür aber ohne Ausspähung und Datenmissbrauch. Der Fall Snowdon hat den ganzen Prozess jetzt womöglich nur beschleunigt. Der Wertzuwachs in der Nutzung von Netzen für viele private und zivile Zwecke ist zu groß, als dass man darauf in der Zukunft wieder verzichten möchte. Wie immer gibt es hier eine ’natürliche‘ evolutionäre Entwicklung, bei der negative Auswüchse recht schnell von der Gesellschaft weder abgestoßen werden. Die Geschäftsmodelle von Google, Facebook und Amazon (und auch andere ‚closed shops‘ wie z.B. Apple, Samsung oder Microsoft) sind schon heute eigentlich tot, was nicht heißt, dass sie es noch ein paar Jahre schaffen.

US-REGIERUNGSFORM – PROBLEMATISCHE ENTWICKLUNG?

17) Ein ernsteres Problem hat nach meinem aktuellen Verständnis allerdings das amerikanische politische System. Die USA hatten immer einen überaus mächtigen Komplex aus Geheimdiensten, Militär und Wirtschaft, deren Interessen nicht unbedingt ‚zum Wohle‘ der übrigen amerikanischen Bevölkerung waren. Dazu kommt das Ethos des ‚weißen Ritters‘, der zumindest im Umfeld des zweiten Weltkrieges die USA lange Zeit weithin als ein großes Vorbild für viele hat erstrahlen lassen. Doch seitdem häufen sich Ereignisse, die eher die schmutzigen Seiten dieses Systems nach außen kehren. In dem Zusammenhang erscheinen die Ereignisse um den 11.September 2001 als sehr verhängnisvoll. Der Kampf gegen den ‚Terrorismus‘ wurde zu einem neuen Leitthema, das so stark war, dass diesem fast alles andere untergeordnet wurde. Nach der Verabschiedung des USA-Patriot Act: Uniting (and) Strengthening America (by) Providing Appropriate Tools Required (to) Intercept (and) Obstruct Terrorism Act 2001 war die Gründung des US Staatsministerium für Sicherheit der Heimat 2002 war nach Ansicht vieler Experten die größte Veränderung in der Architektur der Exekutive seit dem Nationalen Sicherheitsvertrag von 1947. Der Schutz vor Bedrohung, speziell ‚Terrorismus‘ gewann ein Ausmaß, das fast alles andere zu ersticken drohte. Ergänzend dazu gab es seit 1978 die Verordnung zur Überwachung fremder geheimdienstlicher Aktivitäten (Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA)), die mehrfach erweitert wurde und dabei die Grenzziehung zum Schutz der Privatsphäre selbst für Amerikaner immer schwächer werden lies (für Nichtamerikaner gibt es sowieso überhaupt keine Rechte; vor dem Gesetz ist ein Nicht-Amerikaner unterschiedslos ein rechtloses Subjekt, mit dem die Exekutive machen kann, was sie will). Das wachsende Unbehagen über die übermächtigen Zugriffsmöglichkeiten der Exekutive in die Privatsphäre des einzelnen, sollte durch Einrichtung des Staatlichen Gerichtshofes zur Überwachung der Überwachung (‚United States Foreign Intelligence Surveillance Court (FIS)) 1978 gewährleistet werden.
18) Wie der tatsächliche Verlauf seitdem mit seinen vielen Änderungen, Diskussionen und Gerichtsprozessen anzeigt, verläuft die Gesamtentwicklung eher in Richtung Ausweitung der Aktivitäten der Geheimdienste weit über die vorgesehenen Grenzwerte hinaus.
19) Es gibt zwar grundsätzlich den vierten Zusatz zur US-Verfassung, zum Schutz der Privatsphäre, auch ein Gesetz für den freien Zugang zu Informationen staatlicher Stellen (‚Freedom of Information Act (FOIA)‘), sowie zeitgleich mit dem Staatsministerium für die Sicherheit der Heimat ein Amt zur Sicherung des Schutzes der Privatsphäre (Privacy Office of the U.S. Department of Homeland Security), aber was nützt ein Verfassungsartikel, wenn die täglicher Praxis ihn beständig unterläuft und die Überwachungsgremien eher den Eindruck erwecken, dass sie alles durchwinken und sich einer öffentlichen politischen Diskussion entziehen. Wichtige kritische Gruppierungen sind hier vielleicht das Zentrum für Zivilrecht (Center for Civil Rights (CCR)) oder auch die der Vereinigung für die Grenzen der Elektronik (Electronic Frontier Foundation (EFF)) , aber der entscheidende Punkt ist, wieweit die staatlichen Stellen und die Regierung dem Bürger noch reale Freiräume einräumen, zuerst mal für die US-Bürger selbst, dann aber auch für Nicht-US-Bürger. Irgendwo gibt es die Idee der ‚Menschenrechte‘ und es wäre nicht schlecht, wenn ein Land wie USA die Menschenrecht innerhalb ihres Rechtssystems einen solchen Platz einräumen würden, der der reinen Willkür von US-Behörden gegenüber Nicht-Amerikaner einen klaren rechtlichen Rahmen geben würden. Ansonsten müßten alle Nichtamerikaner die USA aufgrund ihrer rechtlich fixierten Menschenverachtung als direkten Feind betrachten. Dies kann nicht das Ziel sein.

WHISTLEBLOWER

20) Neben dem vierten Verfassungsartikel, dem Amt zum Schutz der Privatsphäre sowie dem Spezialgericht zur Kontrolle der Geheimdiensttätigkeiten (FISA) gibt es in den USA seit 1983 auch ein eigenes Gesetz, das Beschluss zur Ermöglichung von Hinweisen zum Missbrauch (False Claims Act), das eigentlich solche Menschen schützen soll, die Missbrauch entdecken und aufdecken, es geht um die ‚Whistleblower‘, etwa ‚Zuflüsterer‘. Bekanntgewordene Fälle zeigen aber, dass dieses Gesetz von staatlichen Stellen und der Regierung auf vielfache Weise abgeschwächt und unterdrückt werden kann. Die besten Gesetze nützen nichts, wenn die staatlichen Stellen sie nicht hinreichend anwenden (Eines von mehreren beeindruckenden Negativbeispielen für ein Versagen der staatlichen Stellen ist der Bericht (und das Buch) von Peter van Buren , hier eine Liste von einschlägigen Artikeln Artikel zu Whistleblower und Staatsverhalten). Im Falle von Snowdon sieht Snowdon sich als Whistleblower, da er aus seiner Sicht in den überbordenden Aktivitäten der NSA einen ‚Missbrauch‘ sieht, den man anzeigen muss. Die NSA selbst und die Regierung sieht aber in ihrem Verhalten ein ‚gesetzeskonformes‘ Vorgehen, das den Interessen der USA dient. Aus Sicht der staatlichen Stellen ist Snowdon von daher ein ‚Verräter‘; aus Sicht derjenigen Menschen, die im Verhalten der NSA und der US-Regierung eine Grenzüberschreitung sehen, die elementare Rechtsauffassungen verletzt, ist Snowdon ein ‚Whistleblower‘. Der Ausgang ist offen.

DIE USA HABEN EINE GLOBALE BEDEUTUNG

21) Man könnte versucht sein, diese Problemlage in den USA als ‚Sache der Amerikaner‘ abzutun. Das ist meines Erachtens zu einfach. Die USA sind nicht irgendein Land. Die USA sind eines der wichtigsten Länder dieser Erde und sie werden dies auch noch einige Zeit bleiben. Dort vollzieht sich momentan ein Prozess der Umwälzung der Gesellschaft durch die neuen Computer-Netz-basierten Technologien, bei gleichzeitiger Regredierung des politischen Systems in Richtung ‚Überwachungsstaat‘. Die Beteiligten selbst sehen dies noch nicht so, da sie alles mit der Brille der ‚Bedrohung‘ und des ‚Terrorismus‘ sehen (ich unterstelle mal, dass die entscheidenden Leute tatsächlich ‚Patrioten‘ sind und keine finstren Machtmenschen, die den Staat für sich unter Kontrolle bringen wollen (in den Filmen ist es so)). Und es gibt genügend kompetente Kritikern in den USA selbst, die vielfach aufzeigen, wie ineffizient, zu teuer, und letztlich weitgehend wirkungslos diese ganzen Maßnahmen sind (für jemanden, der einen terroristischen Akt gegen die USA ausüben wollte, sind alle die Maßnahmen geradezu lächerlich; meist werden ahnungslose Bürger aufgegriffen, die aus Versehen die falschen Worte benutzt haben). Doch kann keiner voraussagen, wie dieser Transformationsprozeß ausgehen wird. Wir sollten alle daran interessiert sein, dass er nicht in einem hochtechnologischen Überwachungsstaat endet.

ABSPANN

22) Es gibt einerseits die Visionen für das große Ganze, die weder leicht noch selbstverständlich sind, und dann gibt es die unendlich vielen kleinen Schritte im Alltag, durch die sich das große Ganze realisiert oder nicht.
23) Wenn der Erfolg nur davon abhängen würde, dass wir als einzelne alles perfekt und richtig machen, würde wir beständig grandios scheitern. Der Prozeß folgt aber vielen Logiken gleichzeitig. Die meisten verstehen wir nicht.
24) Vielleicht werden Historiker später einmal sagen, dass es gut war, dass die amerikanische Regierung diese Überwachungsmonströsitäten versucht hat, um alle aufzuwecken und zur ‚Vernunft‘ zu bringen, dass es so nicht geht. Vielleicht…
25) Ob der deutsche Innenminister dabei irgendeine Rolle spielen wird? Die Bundeskanzlerin? Welch Rolle die Presse in Deutschland überhaupt spielt? Vielleicht sollten Deutsche und Amerikaner in der Öffentlichkeit mehr miteinander reden. Anders wird sich kaum etwas ändern.

Eine Übersicht über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.