Archiv der Kategorie: Menschenwürde

WAS DIE WELT IM INNERSTEN ZUSAMMENHÄLT …

Quelle: Johann Wolfgang von Goethe: Faust: Eine Tragödie – Kapitel 4

GOETHES FAUST

1. Goethes Text ist ein literarischer Klassiker wenn es um das Ringen des Menschen um seine letzte Erkenntnis geht. Goethes Ausblick in dieses Ringen ist düster, negativ, sehr pessimistisch. In wundersamen – wenngleich heute ‚altertümlich‘, merkwürdig ‚geschraubt‘ klingenden – Texten lässt er vor dem inneren Auge des Lesers das Bild eines Menschen entstehen, der so alles ausprobiert hat, was seine Zeit zu bieten hat, und dennoch letztlich unwissend und unglücklich erscheint. Sein Packt mit einer (projizierten) größeren – aber ‚bösen‘ – Macht führt letztlich nicht zum Ziel. Das Bild eines Scheiterns, das bei aller theatralischen Tragik keine Einladung zu ‚mehr Wissen‘ darstellt. Eher wirkt es abschreckend auf potentielle Nachahmer; es gibt keine wirklichen Antworten; und der Packt mit den bösen übermenschlichen Geistern führt nur mehr ins Verderben.

2. Unabhängig vom tatsächlichen Wissen wird hier wortreich ein ‚Wertesystem‘ propagiert, das letztlich der Möglichkeit von Wissen eine Absage erteilt und den Menschen als minderwertig gegenüber möglichen ‚größeren‘ Geistern erscheinen lässt. Wer diese ‚Sicht der Dinge‘ übernimmt, wird fortan eine Brille zur Welt, zum Leben vor sich hertragen, die ihm viel Dunkelheit und wenig Licht spenden wird. Die Dunkelheit ist wenig geeignet, Lebensmut, Hoffnung, Begeisterung zu nähren. Diese Art von Dunkelheit ist ‚lebensverneinend‘, nihilistisch, fatalistisch, dazu noch ‚abergläubisch‘, da ‚Geister‘ ins Spiel gebracht werden, die denkerischen Fantasien entspringen, die sich mit der übrigen poetischen Realität zu einem virtuellen Etwas vermischen, welches einem wahrhaft suchenden Geist nur Verwirrung bieten kann.

3. Dieser Text erscheint damit auf den ersten Blick als anti-rational, nicht aufklärerisch, wissensfeindlich.

Grundlegende Präferenzsysteme bei der Wahnehmung von Welt
Grundlegende Präferenzsysteme bei der Wahnehmung von Welt

PRÄFERENZSYSTEME

4. Dies führt zu dem übergreifenden Thema der ‚grundsätzlichen Präferenzsysteme‘ allen Wissens, Denkens und Handelns.

5. Im Normalfall unterstellen wir einem Menschen, der etwas tut oder etwas untersucht, dass er dazu ein ‚Motiv‘ hat, ‚Gründe‘, ‚Interessen‘, ein ‚Ziel‘, einen ‚Zweck‘ verfolgt, oder wie immer man dieses ‚geleitete Handeln‘ umschreiben möchte. Man kann diese dem Handeln voraus liegenden ‚Motivationen‘ generell als ‚Präferenzen‘ bezeichnen; dies sind bewusste – oder auch unbewusste – Auswahlkriterien, dass man ein X – aus welchen Gründen auch immer – eher machen will als ein Y.

6. Manche dieser Präferenzen sind sehr generell und damit weitreichend.

THEISTEN – ATHEISTEN

7. Wenn z.B. jemand einer der großen religiösen Strömungen folgt (z.B. Hinduismus, Buddhismus, Judentum, Christentum, Islam), dann übernimmt er im Rahmen der jeweiligen ‚Tradition‘ vielerlei Anschauungen von dem, was ‚man tut‘ und was ‚man nicht tut‘, was ‚gut‘ ist und was ‚böse‘. Wer z.B. an die (römisch-katholische) christliche Variante von ‚Gott‘ glaubt, der ‚glaubt‘, dass Jesus von Nazareth nicht nur ein Mensch war, sondern zugleich auch – wie immer man sich dies genau vorstellen kann – ‚Sohn Gottes‘. Egal, was solch ein ‚christlich Glaubender‘ ansonsten denken wird, er wird diesen Glaubenssatz als ‚Grundsatz‘ seines Denkens ansehen und ihn solange nicht in Frage stellen, solange er sich als glaubender (römisch-katholischer) Christ versteht. Für solch einen Menschen stellt dieser Glaubenssatz gleichsam ein ‚Axiom‘ in seinem Denken dar, eine ‚grundlegende erste Annahme‘, die über das rein wissensmäßige hinaus einen regulativ-normativen Charakter besitzt: unabhängig von dem Wissen gilt dieser Glaubenssatz als ‚gesetzt‘, als ‚Norm‘, als ‚Präferenz‘, wodurch es nicht möglich ist, andere Glaubenssätze an die gleiche Stelle zu setzen.

8. Analog haben alle anderen großen religiösen Strömungen verschiedene ‚Axiome‘, Präferenzen, die ihnen als ‚Kern‘ ihrer religiösen Überzeugung dienen. Sie dienen als ‚Unterscheidungskriterium‘ ob man ‚in der rechten Weise glaubt‘ oder nicht.

9. Aus Sicht einer Religion X wäre demnach ein ‚Ungläubiger‘, wer die Glaubenssätze des ‚Kerns‘ nicht teilt. Im Fall des römisch-katholischen Christentums wäre die Ablehnung der Überzeugung von der Gottessohnschaft Jesu solch ein Tatbestand, der – gemessen am Glaubenskanon – eine Ablehnung der christlichen Überzeugung darstellen würde, und zwar eines sehr zentralen Axioms (Dogmas). In der Geschichte wurden die ‚Ungläubigen‘ auch oft als ‚Atheisten‘ eingestuft, als Menschen, die nicht an Gott glauben.

10. Wichtig ist hier, dass man sich klar macht, dass die ‚Klassifikation‘ als ‚ungläubig‘ nicht absolut ist, sondern nur relativ zu den speziellen Glaubensüberzeugungen einer Religion X. Jemand der ‚hinduistisch-ungläubig‘ ist kann sehr wohl ‚jüdisch-gläubig‘ sein. Und jemand, der ‚ungläubig‘ im Sinne aller bekannten großen Religionen ist, kann dennoch gläubig sein in dem Sinne, dass er an eine ‚übergeordnete Macht‘ glaubt, die allem Leben und Sinn verleiht, ohne dass er die unterschiedlichen religiösen Anschauungen teilt. Die Begriffe ‚ungläubig‘ und ‚atheistisch‘ sind von daher entweder nur kontextuell bezogen auf eine bestimmte Religion X verstehbar oder sie verschwimmen in ihrer Bedeutung, da nicht klar ist, was man genau unter einem ‚Gott jenseits der bekannten Religionen‘ vorstellen soll. Grundsätzlich ist nicht auszuschließen, dass es so etwas wie einen ‚Gott jenseits der bekannten Religionen‘ gibt, da alle bekannten Religionen ja ’nur‘ aus einer Sammlung von Überzeugungen bestehen, die letztlich von Menschen formuliert wurden. Solchen ‚Überzeugungsbringern‘ einen besonderen sozialen Status zu verleihen (‚Prophet‘, ‚Sohn Gottes‘ …) ändert ja nichts an dem grundsätzlichen Sachverhalt, dass es ‚Menschen‘ waren.

11. Wenn also Menschen als ‚Atheisten‘ bezeichnet werden – oder sich selbst so bezeichnen! – dann drückt sich darin zwar eine grundsätzliche Einstellung zur ‚Sicht des Leben‘ aus, ihre genaue ‚Form‘, ihre genaue ‚Beschaffenheit‘ muss aber im Einzelfall geklärt werden.

HUMANISTEN – AHUMANISTEN

12. Jemand, der von sich sagt, er sei ‚Ungläubiger‘, ‚Atheist‘ im Sinne von Religion X kann sehr wohl z.B. ‚Humanist‘ sein. D.h. er sieht im Phänomen des Menschen eine Ausprägung von Leben, der ein besonderer Wert zukommt, und deshalb sei das Leben von Menschen in besonderer Weise zu schützen und zu unterstützen.

13. So kann es sehr wohl passieren (und es ist schon viel hunderttausend Mal passiert), dass ein ‚Gläubiger einer Religion X‘ einen anderen Menschen tötet nur weil er kein Gläubiger der Religion X ist. Ein Humanist würde dies niemals tun, weil für ihn alle Menschen einen hohen Wert besitzen.

14. Mittlerweile gibt es Strömungen (z.B. im ‚Transhumanismus‘), für die der Mensch keinen ‚besonderen‘ Wert verkörpert verglichen mit dem ganzen Phänomen des Lebens. Der Mensch ist für diese Anschauung eine Ausprägung des Lebens unter vielen anderen und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Menschen ‚aussterben‘, weil sie nicht ‚lebenstüchtig genug‘ sind. Für diese Strömung gibt es noch keinen offiziellen Begriff. Ich nenne solche Vertreter hier mal ‚Ahumanisten‘; für die spielt der Mensch keine besondere Rolle, stellt keinen besonderen Wert dar.

15. Sofern eine solche ahumanistische ‚Glaubensrichtung‘ zur Grundanschauung von Wissenschaftlern gehört, hat dies natürlich eine Auswirkung auf ihre forschende Tätigkeit. Wer dem Phänomen des Menschen als Teil des Phänomen des Lebens keine besondere Bedeutung beimisst, wird eine solche potentielle Besonderheit auch nicht ‚erkennen‘ können. Umgekehrt gilt natürlich auch, dass eine ‚humanistische‘ Weltsicht möglicherweise etwas ‚in die Welt hinein interpretiert‘, was gar nicht da ist (vergleiche dazu die Diskussion zum Für und Wider einer ‚anthropozentrischen‘ Weltsicht).

BIOLOGISMUS – ABIOLOGISMUS

16. Wer eine Sonderstellung des Menschen ablehnt kann deswegen trotzdem im Phänomen des (biologischen) Lebens als solchem einen besonderen Wert sehen. Ich nenne diese Sicht hier bewusst ‚Biologismus‘ im Gegensatz zu einem ‚Abiologismus‘, der dem Phänomen des Lebens auf dieser Erde (und letztlich im gesamten bekannten Universum) keinerlei besonderen Wert zumisst. Das biologische Leben ist irgendwie entstanden, letztlich ‚zufällig‘, halt so, und es ist nun mal so; irgendwann wird es wieder vergehen (z.B spätestens dann, wenn die Sonne sich aufgrund ihrer Fusionsprozesse soweit aufblähen wird, dass ein Leben auf der Erde gar nicht mehr möglich sein wird. Es kann aber auch schon vorher z.B. ein umherirrender Himmelskörper auf die Erde treffen und damit das Leben auslöschen).

NOMISMUS – ANOMISMUS

17. Eine mögliche Steigerung im Ausmaß der ‚Wertlosigkeit‘ könnte eine Haltung sein, die ich in Anlehnung an das griechische Wort für ‚Gesetz‘ Nomos ‚anomistisch‘ nennen würde. Eine anomistische Glaubenseinstellung kann im gesamten Universum keinerlei Gesetzmäßigkeit und damit verbunden keinerlei Werte erkennen. Während der ‚Nomist‘ im Universum eine Gesetzmäßigkeit am Werke sieht, die einen minimalen Sinn verkörpert und darin den letzten und höchsten Wert, dem sich alles andere unterordnet, kann der Anomist in allem nichts Sinnvolles, nichts Wertvolles erkennen. Das Ganze ist schlicht ’sinnlos‘.

GESELLSCHAFTSVERTRAG

18. Möglicherweise wirken diese Überlegungen für viele (für die meisten?) sehr abstrakt, weltfremd. Aber wenn man sieht, wie die verschiedenen Gesellschaftssysteme auf dieser Erde unterschiedliche Handlungs- und Lebensräume für ihre Bürger eröffnen, dann kann man fragen, warum dies so ist. Bei näherer Betrachtung wird man feststellen können, dass die verschiedenen Gesellschaftssysteme auf unterschiedlichen Präferenzsystemen beruhen. Das deutsche Grundgesetz sieht sich z.B. in der Tradition der UN-Menschenrechtskonvention und stellt in Art.1 die ‚Menschenwürde‘ ins Zentrum. Betrachtet man die verschiedenen Weltsichten (Theisten Version X, Humanisten, Biologisten sowie Nomisten), dann sind eigentlich nur die Humanisten ‚kompatibel‘ mit dem Grundgesetz, alle anderen nicht. Bedenkt man, dass klassisch theistische Positionen heute wieder sehr in Mode sind, und dies zeitgleich mit der Zunahme von Ahumanisten oder gar Anomisten, dann kann man sich fragen, wie lange das Grundgesetz noch Bestand haben wird. Die globale Wirtschaft tendiert dazu, nationale Regierungen (und damit auch die national geltenden Verfassungen) zu ’neutralisieren‘. Auch hier gibt es keine Unterstützung für das Grundgesetz. Allerdings spricht noch niemand vom Staatsterrorismus … ferner benutzt man schießwütige Minderheiten als Vorwand, um die sogenannte nationale Sicherheit zu gewährleisten, was bislang faktisch zu einem immer größeren Abbau von elementaren Menschenrechten geführt hat und damit faktisch das Grundgesetz von innen aushöhlt.

19. Welche ‚Freiheit‘ meinen wir, welche Art von ‚Menschenwürde‘, wenn wir das Grundgesetz vor uns hertragen? Wer soll die Fragen beantworten? Sind es die Richter, die eingesetzt werden? Sind es die Politiker, die wir wählen? Sind wir selbst es, die wir uns Klarheit verschaffen sollten, wie wir uns im Kosmos sehen? Wann wollen wir darüber nachdenken? Wie? Woher wollen wir das Ziel erkennen, wenn wir garnicht glauben, dass es ein gemeinsames Ziel gibt?

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WAS IST MENSCHENWÜRDE? – Überlegungen im Umfeld des Buches von Paul Tiedemann – Teil 9

Paul Tiedemann, „Was ist Menschenwürde? Eine Einführung“, 2. aktualisierte Aufl., Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2014

KONTEXT

Nach einem kurzen Aufriss zur historischen Genese des juristischen Begriffs ‚Menschenwürde‘ im Kontext der UN-Deklaration und der Übernahme in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (Kap.1) stellt Paul Tiedemann im 2. Kapitel wichtige Interpretationsrichtungen in der deutschen Rechtsauslegung vor. Es folgte dann im Kapitel 3 ein Ausflug in die Philosophiegeschichte. Dieser endet für Tiedemann in einer ‚Verwirrung‘. Er versuchte daraufhin eine weitere Klärung über die ‚Wortbedeutung‘ im Kapitel 4. Dieser ‚Umweg‘ über die Wortbedeutung wird in seiner Methodik nicht selbst problematisiert, liefert aber für den Fortgang der Untersuchung im Buch einen neuen Anknüpfungspunkt durch das Konzept des Werturteils. Es folgt dann der Versuch, einen absoluten Referenzpunkt für Werturteile zu identifizieren, mittels dem sich dann vielleicht das Werturteil als grundlegend erweisen lässt. Diesen absoluten Referenzpunkt findet P.Tiedemann in der ‘Identitätstheorie der Menschenwürde’: diese geht aus von einer grundsätzlichen Selbstbestimmungskompetenz des Menschen und enthält als ein Moment auch den Aufbau einer individuellen Identität (‘Ich’). Dann folgt eine Anzahl möglicher Einwände gruppiert nach vier Themen: Anderer, Determiniert, Böse, nichtpersonale Menschen. Dann betrachtet er in Kap.7, einem etwas längeren Kapitel, wichtige Konkretisierungen von Menschenwürde, wie sie uns im Alltag real begegnen. Sehr anschaulich führt er die verschiedenen Punkte aus, so dass man nachvollziehen kann, wie verschiedene Verhaltensweisen/ Lebensweisen tief in das Selbst- und Lebensgefühl eines Menschen eingreifen können, bis dahin, dass er in der Wurzel getroffen, verletzt oder gar nachhaltig zerstört wird. Es sind weniger die äußerlichen Dinge als solche, sondern ihre Wirkung auf das ‚Innere‘ eines Menschen, sein Fühlen, seine Fähigkeit zu vertrauen, sein Denken usw.

KAPITEL 8 (SS.149-162)

Stichworte aus Kap.8: Wertkonflikte und Präferenzregeln
Stichworte aus Kap.8: Wertkonflikte und Präferenzregeln

1. Die Grundidee in diesem Kapitel ist sehr einfach: unter der Voraussetzung, dass innerhalb der möglichen Werte die Menschenwürde den höchsten Rang einnimmt, kann es innerhalb des Raumes, den der Wert Menschenwürde aufspannt, zu Konkurrenzen zwischen verschiedenen Werten W_i und W_k kommen. Beide Werte verkörpern ‚Menschenwürde‘ (z.B. W_i := Menschen einer Stadt, die geschützt werden sollen, und W_i := Menschen, die gegen einen Angreifer mit feindlicher Absicht verteidigen sollen). Schickt man die Verteidiger, besteht die Gefahr, dass viele umkommen; schickt man die Verteidiger nicht, besteht die Gefahr, dass eine viel größere Anzahl von Menschen aus der Stadt zu Tode kommen. In beiden Fällen geht es um Menschen, denen Menschenwürde zukommt und deren Leben einen höchsten Wert repräsentiert.

2. In solch einem Fall (obiges Beispiel ist nicht von ihm) vertritt Paul Tiedemann die Auffassung, dass mit der Präferenzregel ‚Quantität‘ es ‚relativ besser‘ wäre, das Leben der Verteidiger zu riskieren als die vermutete größere Menge der Stadtbevölkerung. Als Formel etwa

3. PRÄFERENZ_quantität(W_i, W_k)= W_i

4. Dies bedeutet, dass die Präferenzregel unter Bezug auf das Kriterium Quantität von den beiden möglichen Werten W_i und W_k in diesem Fall W_i als ‚relativ größeren‘ Wert auswählt.

5. Analog erläutert und illustriert Paul Tiedemann die Kriterien ‚Schuldhaft‘ und ‚Eigene Existenz‘.

KRITISCHER DISKURS

6. Erinnern wir uns: Paul Tiedemann hatte die Menschenwürde wesentlich zurückgeführt auf die Selbstbestimmungsmöglichkeit eines Menschen. Diese wiederum wurde so identifiziert, dass sie von vielerlei konkreten Voraussetzungen abhängig ist, z.B. körperliche Unversehrtheit. Zu sagen, dass Menschenwürde im Sinne der Möglichkeit der ‚Selbstbestimmung‘ ein ‚Wert‘ ist, hängt in seiner Konkretisierung dann davon ab, welche konkreten ‚Realisierungsbedingungen von Selbstbestimmung‘ man identifiziert.

7. In einer historischen Perspektive kann man eindeutig sagen, dass das Verständnis das wir Menschen von uns selbst im Laufe der Zeiten hatten und haben nicht immer gleich war. Die Behandlung psychisch kranker Menschen z.B. war zu früheren Zeiten merklich anders als heute und würde von heute aus sicher als Verletzung der Menschenwürde betrachtet; desgleichen das Bild von Kindern und Frauen (wobei ja noch heute im Jahr 2015 in vielen Ländern dieser Erde Kinder und Frauen als minderwertig angesehen und entsprechend behandelt werden; aber auch in Deutschland: nach polizeilichen Erkenntnissen werden z.B. in jedem Jahr zehntausende von Frauen aus anderen Ländern unter Anwendung von brutalster Gewalt in Deutschland zur Prostitution gezwungen und die Gesellschaft schaut zu).

8. Daraus ergibt sich, dass die ‚Menschenwürde als Selbstbestimmung‘ zwar für eine bestimmte ‚kulturelle Sehweise‘ einen hohen oder gar höchsten Wert darstellen mag, dass aber die konkrete ‚Ausdeutung dieses Wertes‘ unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände stark zeit- und kulturabhängig ist. Dies bedeutet, man kann es nicht als selbstverständlich annehmen, dass alle Menschen zu allen Zeiten in Fragen der Menschenwürde immer die gleiche ‚Ausdeutung/ Interpretation‘ vornehmen bzw. vornehmen können. Die Interpretation ist ‚wissensabhängig‘, und dies führt zurück auf ‚Lernprozesse‘, die wiederum auf Faktoren des Lernens verweisen wie z.B. ‚beeinflussende Personen‘, ‚verfügbare Informationen‘, ‚gelebte Beispiele‘, usw.

9. Diese ‚Lernabhängigkeit‘ eines ‚interpretierenden Wissens‘ ist eine Grundkonstante aller biologischen Systeme (nicht nur der Menschen). Und aus diesem Sachverhalt folgt, dass die ‚Menschenwürde als Selbstbestimmung‘ zwar ein Grundwert sein kann, dass aber seine konkrete Ausgestaltung eine kulturelle Lernaufgabe einer ganzen Gesellschaft ist, einer Lernaufgabe, für die es historisch vielleicht irgendwo einen Anfangspunkt gibt, aber keinen zeitlichen Endpunkt! In dieser Perspektive ist ‚Menschenwürde‘ ein kulturelles ‚Projekt‘, wie wir heute vielleicht sagen würden.

10. Da alle Beteiligten des ‚kulturellen Projekts Menschenwürde‘ an der Endlichkeit eines mangelnden, unvollständigen, mühsam zu entwickelnden Wissens leiden, ist zu keinem Zeitpunkt klar, wo genau die Reise enden wird, wie lange sie dauern wird, was zwischendurch alles passieren kann. Die Geschichte kündet uns von den Trümmern großer Kulturen wie die des antiken Griechenlands, des römischen Reiches, des unfassbar hochstehenden arabisch-islamischen Reiches, und der vielen weiteren Auf- und Abstiege von politisch-wirtschaftlichen Machtzentren in Europa und weltweit.

11. Die von Paul Tiedemann erwähnten ‚Präferenzregeln‘ sind von daher weder ’selbstverständlich‘ noch nur ‚Beiwerk‘ zur großen Idee der Menschenwürde; nein, sie erscheinen eher als der ‚konkrete Körper‘, der der abstrakten blutleeren Idee der Menschenwürde als ‚Selbstbestimmung‘ überhaupt erst eine Bedeutung verleiht, und dieser Körper befindet sich in einem beständigen Wandel.

Fortsetzung folgt

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WAS IST MENSCHENWÜRDE? – Überlegungen im Umfeld des Buches von Paul Tiedemann – Teil 8

Paul Tiedemann, „Was ist Menschenwürde? Eine Einführung“, 2. aktualisierte Aufl., Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2014

KONTEXT

Nach einem kurzen Aufriss zur historischen Genese des juristischen Begriffs ‚Menschenwürde‘ im Kontext der UN-Deklaration und der Übernahme in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (Kap.1) stellt Paul Tiedemann im 2. Kapitel wichtige Interpretationsrichtungen in der deutschen Rechtsauslegung vor. Es folgte dann im Kapitel 3 ein Ausflug in die Philosophiegeschichte. Dieser endet für Tiedemann in einer ‚Verwirrung‘. Er versuchte daraufhin eine weitere Klärung über die ‚Wortbedeutung‘ im Kapitel 4. Dieser ‚Umweg‘ über die Wortbedeutung wird in seiner Methodik nicht selbst problematisiert, liefert aber für den Fortgang der Untersuchung im Buch einen neuen Anknüpfungspunkt durch das Konzept des Werturteils. Es folgt dann der Versuch, einen absoluten Referenzpunkt für Werturteile zu identifizieren, mittels dem sich dann vielleicht das Werturteil als grundlegend erweisen lässt. Diesen absoluten Referenzpunkt findet P.Tiedemann in der ‘Identitätstheorie der Menschenwürde’: diese geht aus von einer grundsätzlichen Selbstbestimmungskompetenz des Menschen und enthält als ein Moment auch den Aufbau einer individuellen Identität (‘Ich’). Dann folgt eine Anzahl möglicher Einwände gruppiert nach vier Themen: Anderer, Determiniert, Böse, nichtpersonale Menschen.

Es folgen nun weitere Präzisierungen.

KAPITEL 7 (SS.119-148)

Tiedemann (2014), Stichworte Kap.7
Tiedemann (2014), Stichworte Kap.7

1. Der Begriff der ‚Selbstbestimmung‘ mit dem Moment der ‚Willensfreiheit‘ klingt für die meisten zu Beginn sehr abstrakt. Geht man aber den verschiedenen Konkretisierungen nach, die diesem Begriff im Laufe der Geschichte zugeordnet wurden – zumindest in aufgeklärten, säkularen Gesellschaften –, dann kann man sehr schnell ein ‚Gefühl‘ dafür entwickeln, was mit ‚Menschenwürde‘ als ‚Selbstbestimmung‘ an Werten verbunden ist.

2. Das Schaubild zeigt hin auf die verschiedenen Achtungsbereiche, die Paul Tiedemann mit dem Begriff ‚Menschenwürde‘ in Verbindung sieht. Sehr anschaulich führt er die verschiedenen Punkte aus, so dass man nachvollziehen kann, wie verschiedene Verhaltensweisen/ Lebensweisen tief in das Selbst- und Lebensgefühl eines Menschen eingreifen können, bis dahin, dass er in der Wurzel getroffen, verletzt oder gar nachhaltig zerstört wird. Es sind weniger die äußerlichen Dinge als solche, sondern ihre Wirkung auf das ‚Innere‘ eines Menschen, sein Fühlen, seine Fähigkeit zu vertrauen, sein Denken usw.

3. Es werden jetzt hier nicht die vielen Details wiederholt; dies sei der eigenen Lektüre jeden Lesers vorbehalten. Nur ein paar wenige Anmerkungen.

KRITISCHER DISKURS

4. Wenn zuvor einige Male kritisch angemerkt wurde, dass die Methodik der Klärung der ‚Bedeutung‘ unbefriedigend war, so erwecken diese konkret-anschaulichen Beispiele des Kap.7 aus den unterschiedlichen Bereichen den Eindruck, als ob solch ein ‚bottom-up‘ Ansatz möglicherweise — auch ganz im Sinne der Sprachspielidee vom späten Wittgenstein – der ‚realistischere‘ Ansatz sein könnte, um im Lichte eines aufgeklärten säkularen Menschenbildes jene Handlungsansätze sichtbar zu machen, die auf die inneren Prozesse eines Menschen schwächend, behindernd, verletzend, zerstörerisch einwirken.

5. All die angestrengten Versuche, eine gewisse ‚Absolutheit‘ zu retten, deren Umschreibung und Definition letztlich dann doch an der unüberwindlichen Endlichkeit unsres Wissens scheitern muss, würde möglicherweise überzeugender erscheinen, wenn es nicht um eine metaphysische Absolutheit ginge sondern um eine empirisch motivierte abstrakte Struktur, die sich im Wechselspiel von hypostasierter Struktur und empirischem Verhalt jene ‚Achtung‘ erwerben würde, die der ‚Realität‘ als unhintergehbarer Vorgabe vorbehalten ist.

6. Die Zahl und Qualität jener Situationen, die wir heute in ihrer Bedeutung für eine positiv-konstruktive Entwicklung eines Menschen empirisch begründet einschätzen können, ist mittlerweile so groß und inhaltlich so reichhaltig, dass wir nicht nur die klassischen Begriffe von Selbstbestimmung weiter verwenden könnten, sondern eben ein großes Netzwerk von Eigenschafte unter einem dynamischen Prozessmodell versammeln könnten, das einen ‚Quasistandard‘ für Menschenwürde darstellen würde. Der Mangel an metaphysischer Absolutheit würde durch empirische Gültigkeit und wachsender Differenziertheit möglicherweise mehr als aufgewogen.

7. Ein letztes Urteil hierzu kann aber erst in der Abschlussreflexion gewonnen werden.

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WAS IST MENSCHENWÜRDE? – Überlegungen im Umfeld des Buches von Paul Tiedemann – Teil 6

Paul Tiedemann, „Was ist Menschenwürde? Eine Einführung“, 2. aktualisierte Aufl., Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2014

KONTEXT

Nach einem kurzen Aufriss zur historischen Genese des juristischen Begriffs ‚Menschenwürde‘ im Kontext der UN-Deklaration und der Übernahme in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (Kap.1) stellt Paul Tiedemann im 2. Kapitel wichtige Interpretationsrichtungen in der deutschen Rechtsauslegung vor. Es folgte dann im Kapitel 3 ein Ausflug in die Philosophiegeschichte. Dieser endet für Tiedemann in einer ‚Verwirrung‘. Er versuchte daraufhin eine weitere Klärung über die ‚Wortbedeutung‘ im Kapitel 4. Dieser ‚Umweg‘ über die Wortbedeutung wird in seiner Methodik nicht selbst problematisiert, liefert aber für den Fortgang der Untersuchung im Buch einen neuen Anknüpfungspunkt durch das Konzept des Werturteils. Es folgt jetzt der Versuch, einen absoluten Referenzpunkt für Werturteile zu identifizieren, mittels dem sich dann vielleicht das Werturteil als grundlegend erweisen lässt.

KAPITEL 5 (SS.84 – 102)

DIE THESE

Für das Ziel, eine mögliche absolute Verankerung für die Menschenwürde in Form des Urteils ‚Dem Menschen kommt (absolut) Würde zu‘ zu finden, bildet das Kapitel 5 einen ersten ‚Höhepunkt‘ dahingehend, dass Paul Tiedemann in diesem Kapitel seiner Antwort auf die Frage eine erste konkrete Gestalt verleiht. Es folgt eine Wiedergabe der grundlegenden Idee ohne die Details (dazu muss auf eine eigene Lektüre verwiesen werden).

Gedankenskizze zu Kap.5 von Tiedemann (2014)
Gedankenskizze zu Kap.5 von Tiedemann (2014)

1. Wie das vorausgehende Schaubild nur andeuten kann, lokalisiert Paul Tiedemann einen absoluten Wert zwar einerseits im Individuum, das sich seiner im freien Urteilen ‚gewiss‘ sein kann, andererseits nicht nur im Individuum, sondern in der Gesamtheit aller menschlicher Individuen, insofern das einzelne Individuum seine Urteilsfähigkeit nur in der Wechselwirkung mit den anderen Individuen positiv ausbilden kann. Nach Tiedemann, der hier die Ergebnisse diverser Wissenschaften auswertet, kann der junge Mensch nur über angemessene soziale Interaktionen und sprachliche Kommunikation zu jenem Umgang mit sich selbst finden, der ihn in die Lage versetzt, seine eigenen Bedürfnisse, Wünsche, Einsichten angemessen zu identifizieren und im Einklang mit der sozialen Umwelt wahren.

2. Dies geht allerdings nur, wenn das Individuum über die grundlegende Fähigkeit der Selbsterfahrung verfügt (Reflexion, innerer Dialog, eigenes Entscheiden…), innerhalb dessen sich die diversen Wünsche, Bedürfnisse, Gedanken, Emotionen usw. identifizieren und ‚abwägen‘ lassen. Die Inhalte mögen wechseln, aber die Fähigkeit als solche bildet eine Konstante, einen ‚Raum‘, innerhalb dessen sich der einzelne als ’sich selbst bestimmend‘ erfahren kann und simultan auch den anderen, das Gegenüber, als komplementär selbstbestimmt.

3. Zwar ist dieses ‚Sich Selbst Bestimmen‘ unter den Bedingungen eines endlichen Körpers in einer endlichen Welt unausweichlich ‚begrenzt‘ und damit generell suboptimal, und zusätzlich können wichtige Randbedingungen von anderen ‚manipuliert‘ werden, so dass die individuelle Selbstbestimmung trotz ‚Autonomie‘ fehlgeleitet werden, dennoch kommt dieser generellen Selbstbestimmungsmöglichkeit ein grundlegender Wert zu, der durch die konkreten Einschränkungen nicht aufgehoben wird.

4. Also, in dem Maße wie man einem Menschen in Wechselwirkung mit anderen Menschen diese grundsätzliche Selbstbestimmungskompetenz zusprechen kann und muss, in dem Maße gibt es einen grundlegenden Wert, von dem alle anderen Werte abhängen.

5. Insofern ein Moment dieses komplexen Modells der Aufbau einer individuellen Identität (‚Ich‘) ist, schlägt Tiedemann vor, diesen Ansatz die ‚Identitätstheorie der Menschenwürde‘ zu nennen. (vgl. S.101f)

KRITISCHER DISKURS

6. Dieser Lösungsvorschlag von Paul Tiedemann hat viele Argumente für sich und – insofern man die vielen Voraussetzungen teilt, die in diese Überlegungen einfließen – hat einen gewissen Charme, da er mit einer Reihe von modernen (empirischen) Positionen ‚kompatibel‘ ist.

7. Allerdings sollte man nicht übersehen, dass es ‚Problemzonen‘ in diesem Entwurf gibt, die man ernst nehmen sollte, da es ja nicht darum gehen kann, nur ein Deutungsmodell zu entwickeln, das nur ’schön aussieht‘, sondern das auch ‚wahr‘ ist im Sinne, dass es mit der vorgegebenen Realität der umgebenden Welt ‚im Einklang steht‘ (so gab es ja Zeiten – und irgendwo auf unserer Erde wird es dies womöglich immer noch geben), dass die Menschen ein Bild von der Natur und sich selbst hatten, was zwar in der jeweiligen Zeit ’sinnvoll erschien‘, aber in späteren Zeiten dann als ‚falsch‘ erkannt werden konnte.

8. Diese ‚Gefahrenmomente‘ beginnen schon bei der verwendeten Sprache. Natürlich können wir gar nicht anders, als Sprache zu benutzen, Begriffe darin, aber wenn wir uns die zur Verwendung kommenden Begriffe anschauen, dann finden wir fast ausschließlich Begriffe mit potentiellen Bedeutungen, die im subjektiven Erleben des einzelnen oder in vermuteten Prozessen ‚im Innern eines Menschen‘ verankert sind. Die Wissenschaft der Psychologie hatte angesichts dieser Problematik zum Ende des 19. den Weg einer experimentellen empirischen Psychologie eingeschlagen; analog gab es in der Philosophie aufkommende kritische wissenschaftstheoretische Strömungen, die später mit dem ‚linguistic turn‘ in der Philosophie korrelierten. Auch wenn man über die Erfolge dieser Wissenschaftstransformationen geteilter Meinung sein kann, so ist doch die Grundeinsicht in die fundamentale Bedeutungsproblematik keine Frage der Beliebigkeit. Was ein ‚Wille‘, ein ‚Wollen‘ ist, was ‚innerer Dialog‘ bedeutet, was genau ‚Wünsche‘, ‚Gefühle‘, ‚Wollen‘, ‚rationale Argumente‘ usw. sind, das ist bis heute alles andere als klar (zumindest nicht in der Wissenschaft). Im Alltag benutzen wir zwar weiterhin diese Begriffe, da wir ja den Alltag irgendwie praktisch meistern müssen, aber eine wissenschaftliche Bedeutungsklärung all dieser Begriffe steht noch aus (und die geringe Forschungsförderung dieser Themen und Disziplinen lässt kaum hoffen, dass sich dieser Notstand bald ändern wird).

9. Die mangelnde wissenschaftliche Fundierung all dieser zentralen Begriffe wirkt sich besonders schmerzlich dann aus, wenn es zu Grenzsituationen kommt: ab wann spricht man einem Menschen ‚volle Verantwortung‘ für sein Verhalten im Sinne einer authentischen Selbstbestimmung zu und wann nicht mehr? Wann ist jemand ’schuldfähig‘? Wann kommt einem Menschen keine Menschenwürde mehr zu? Usw.

10. Die konkrete Rechtspraxis behilft sich mit allerlei Fallunterscheidungen und praktischen Klauseln, um Entscheidungsnotstände zu ‚umschiffen‘, doch eine solche Rechtspraxis ist kein voller Ersatz für eine angemessene Erkenntnis. Möglicherweise wird die Erkenntnis immer hinter der Alltagspraxis hinterher hinken und insofern wird es – vermutlich – immer eine Rechtspraxis geben, die trotz mangelhafter wissenschaftlicher Erkenntnis zu praktischen Urteilen finden wird (finden muss?). Doch darf dies kein Grund sein, die tatsächliche Erkenntnislage unvoreingenommen zu prüfen und – sofern sie unzureichend ist – dies auch zu konstatieren. Manchmal hilft es bei der Suche nach der Wahrheit mehr, die offenen Fragen klar zu benennen als eine Lösung zu favorisieren, die möglicherweise zu viele ‚Leichen im Keller‘ hat, um mal ein Bild zu gebrauchen.

11. Was nun das Vorgehen von Paul Tiedemann betrifft, so ist es beeindruckend und hilfreich, wie er versucht, die Fragestellung mit einer Reihe von Annahmen einmal ganz durch zubauen. Man kann erkennen, ‚wohin die Reise geht‘ und man tut sich dann einfacher, mögliche Schwachstellen zu identifizieren, als wenn man einen solchen Entwurf nicht vorliegen hätte.

12. Nun kann man auch mich, den Autor cagent kritisieren, warum ich hier so herum mäkele. Dafür gibt es einen handfesten Grund: ich habe die gleichen Fragen wie Paul Tiedemann und ich beschäftige mich nicht nur abstrakt mit Methoden der Philosophie oder der Wissenschaften (speziell der Psychologie), sondern ich beschäftige mich seit vielen Jahren auch mit der Möglichkeit eines ‚künstlichen Geistes‘. Und aus meiner Kenntnis der Möglichkeiten eines ‚künstlichen‘ Geistes weiß ich, dass all das, was Paul Tiedemann als zentrale Eigenschaften für die ‚Menschenwürde‘ hier herausgearbeitet hat, bei heutigem Wissensstand von einer computerbasierten Maschine ohne Einschränkungen auch erfüllt werden könnte (was nicht heißt, dass jemand solch einen künstlichen Geist gebaut hat (nur in den science fiction Romanen und Filmen)). Wenn man angesichts dieser technologischen Möglichkeiten noch an einer ‚Sonderstellung des Menschen‘ festhalten möchte, dann muss man begrifflich, philosophisch erheblich mehr Umstände herausarbeiten, als dies bislang geschehen ist.

13. Dazu kommt die weitere Erkenntnisschiene über die moderne Evolutionstheorie in Kombination mit Molekularbiologie und Quantenphysik. Selbst wenn man dem Menschen als homo sapiens einige besondere Qualitäten neben den übrigen Lebensformen zugestehen kann/ will/ muss, so hebt dies den Menschen nicht so grundsätzlich ab vom biologischen Leben als solchem. Eine Diskussion der grundlegenden Werte muss heute möglicherweise den Wert des gesamten Lebens mit berücksichtigen und den Menschen als Teil eines größeren komplexen Zusammenhangs sehen. Die Fokussierung auf die Selbstbestimmung greift da möglicherweise zu kurz (so wissen wir ja, dass selbst im ‚Innersten‘ der biologischen Entwicklung grundsätzlich ein Form von Selbstbestimmung stattfindet, die ihre optimale Gestalt auch nicht ‚isoliert‘ findet sondern in ‚Wechselwirkung‘ mit der Umgebung. Hier rühren wir an sehr grundsätzlichen Themen, und das sind noch nicht einmal die grundlegendsten).

14. Wenn man andererseits sieht, wie heute das ‚globale Kapital‘ alles dazu tut, über Freihandelsabkommen (wie z.B. TTP), die nationalen politischen Systeme zu neutralisieren und damit die Selbstbestimmung ganzer Völker aufzuheben versucht, dann wird man ja schon ganz bescheiden, wenn wenigstens die althergebrachte Menschenwürde verteidigt wird. Dennoch, das ‚Mehr‘ ist der Feind des ‚Ist‘. Und die Tendenzen des ‚globalen Kapitals‘ sind ja auch nur möglich, weil von den starken Playern kaum irgendwelche Werte akzeptiert werden außer dem eigenen (individuellen) machtorientierten Willen, der den komplexen Lebenszusammenhang, der über 3,8 Milliarden Jahre unsere heutige Existenz ermöglicht hat, weiterhin ohne Rücksicht auf Verluste zerstören.

Zur Fortsetzung Siehe HIER.

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WAS IST MENSCHENWÜRDE? – Überlegungen im Umfeld des Buches von Paul Tiedemann – Teil 5

Letzte Änderung: 14.Februar 2015, 23:30h (Ab Nr.20)

Paul Tiedemann, „Was ist Menschenwürde? Eine Einführung“, 2. aktualisierte Aufl., Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2014

KONTEXT

Nach einem kurzen Aufriss zur historischen Genese des juristischen Begriffs ‚Menschenwürde‘ im Kontext der UN-Deklaration und der Übernahme in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (Kap.1) stellt Paul Tiedemann im 2. Kapitel wichtige Interpretationsrichtungen in der deutschen Rechtsauslegung vor. Es folgte dann im Kapitel 3 ein Ausflug in die Philosophiegeschichte. Dieser endet für Tiedemann in einer ‚Verwirrung‘. Er versucht eine weitere Klärung über die ‚Wortbedeutung‘ im Kapitel 4.

KAPITEL 4 (SS.68-83)

ERSETZUNG VON GESCHICHTE DURCH ISOLIERTE BEGRIFFE?

1. Die – sicher nicht ganz unproblematische – Auffassung von Paul Tiedemann, dass man die Verwirrung der möglichen Bedeutung des Begriffs ‚Menschenwürde in der Philosophiegeschichte durch eine ‚unabhängige‘ Bedeutungsklärung auflösen könnte, führt ihn zum Kapitel 4.

2. Er beginnt das Kapitel, indem er sagt, dass er einen ‚metasprachlichen‘ Standpunkt einnimmt, also einen Standpunkt, von dem aus er ‚auf‘ den Begriff ‚Menschenwürde‘ und seine Verwendung schaut.(vgl. S.68) Dies ist in der Philosophie – und speziell in der Wissenschaftstheorie – ein gängiges Verfahren.

3. Allerdings trifft Paul Tiedemann sogleich eine Vorentscheidung damit, dass er seinen metasprachlichen Standpunkt im Stile einer klassischen Grammatiktheorie realisiert: der Begriff ‚Menschenwürde‘ wird in diesem Grammatiksprachspiel als ‚Nomen‘ klassifiziert, das als ‚Kompositum‘ einen zusammengesetzten ‚Gegenstand‘ bezeichnet, in dem dem Menschen ‚Würde‘ zugesprochen wird.

4. Indem Paul Tiedemann an dieser Stelle feststellt, dass dieses Kompositum eigentlich nur als ein Satz der Art ‚Dem Menschen kommt Würde zu‘ vorkommt, also etwas Sprachliches, nennt er den Begriff ‚Menschenwürde‘ ‚metasprachlich‘ zu dem Ausdruck ‚Dem Menschen kommt Würde zu‘.

5. Durch diese gedankliche Wendung verändert aber Paul Tiedemann die Bedeutung von ‚metasprachlich‘. Wenn eine Metatheorie wie die ‚Grammatik‘ mit einer grammatischen Fachsprache (Substantiv, Verb, Adjektiv, …) über die Ausdrücke einer vorgegebenen Sprache als ihre Objekte spricht, dann beschreibt die Grammatiksprache unterschiedliche Aspekte von sprachlichen Ausdrücken, sofern diese Aspekte das ‚Funktionieren‘ dieser sprachlichen Ausdrücke im Kontext eines Diskurses eine Rolle spielen. Wenn er die ‚Bedeutung‘ eines Ausdrucks als ein Kompositum analysiert, das sich wiederum durch einen sprachlichen Ausdruck repräsentieren lässt, dann ‚ersetzt‘ er die ursprüngliche Bedeutung durch einen ‚künstlichen‘ sprachlichen Ausdruck. In diesem Sinne wird plötzlich der Ausdruck ‚Menschenwürde‘, der zuvor Gegenstand einer grammatischen Metasprache war, selbst zu einem metasprachlichen Ausdruck, aber in einem veränderten Sinne.

6. Zugleich muss man fragen, ob seine Behauptung, dass der Ausdruck ‚Menschenwürde‘ damit nicht mehr auf ein ‚außersprachliches‘ Objekt verweist, tatsächlich zutrifft, oder ob er nicht ein Seiteneffekt seiner eigenen abstrakten Konstruktion ist. Denn wenn der Ausdruck ‚Menschenwürde‘ als Kompositum auf einen Menschen verweist, dem ‚Würde‘ zukommt, dann würde man immerhin dem Ausdruck ‚Mensch‘ reale Objekte aus der realen Welt zuordnen können. Was mit der Eigenschaft ‚Würde‘ gemeint ist, wäre damit zwar nicht unbedingt klar, aber der Träger dieser Eigenschaft ist ein realer Bestandteil der realen Welt.

7. Der sprachliche Ausdruck ‚Dem Menschen kommt Würde zu‘ ist von daher nicht vollständig unhintergehbar, auch nicht vollständig unauflösbar, sondern er lässt sich zumindest partiell in der realen Welt verankern und hat einen realen empirischen Kern. Metatheoretisch (im Sinne der Wissenschaftstheorie) könnt man sagen, dass der sprachliche Ausdruck ‚Dem Menschen kommt Würde zu‘ eine sprachliche Repräsentation einer möglichen ‚Bedeutung‘ des Ausdrucks ‚Menschenwürde‘ ist, und diese sprachliche Repräsentation hat eine mögliche ‚reale Interpretation‘ in eben dem empirischen Vorkommen von ‚Menschen‘, denen man als eine – unter vielen anderen – Eigenschaft ‚Würde‘ zusprechen kann. In diesem Sinne wäre dann der Ausdruck ‚Dem Menschen kommt Würde zu‘ rekonstruierbar als ein Moment in einer abstrakten Interpretationsbeziehung (letztlich einer Abbildung), die entweder als ‚abgeschlossen‘ betrachtet werden kann (es gibt nur diese beiden Ausdrücke) oder eben als ‚offen‘ für zusätzliche Abbildungen, z.B. durch einen Bezug zur Empirie des Menschen mit all den historischen Varianten, die diese Beziehung bislang durchlebt hat.

8. Insofern ist es nachvollziehbar, wenn Paul Tiedemann sagt, dass man diesen Satz ‚Dem Menschen kommt Würde zu‘ nur verstehen kann, wenn man den verschiedenen Bedeutungsanteilen nachspürt. (vgl. S.68)

9. Nicht so ohne weiteres verstehbar ist es dann allerdings, wenn er die Analyse des gesamten Ausdrucks nicht – wie Wittgenstein es der Moderne aufgezeigt hat – als komplexes ‚Sprachspiel‘ analysiert, sondern einzelne Bestandteile – ‚Mensch‘, ‚Würde‘ – herausbricht und diese isoliert für sich betrachten will. Verschärft wird diese Selektion noch dadurch, dass er die mögliche Bedeutung des Begriffs ‚Mensch‘ als ’nicht eindeutig‘ klassifiziert, diesen Begriff damit zur Seite schiebt, und sich auf den nicht minder unklaren Begriff ‚Würde‘ fokussiert. Bedenkt man, dass Würde als Eigenschaft von etwas Vorausgehendem, nämlich dem Menschen, zu sehen ist, muss man fragen, wieweit man über ‚Würde‘ reden kann, ohne den ‚Träger dieser Eigenschaft‘ analysiert zu haben.

10. In der Tat wirkt dann die anschließende Auflistung von verschiedenen etymologischen Bedeutungsmomenten ein wenig steril. Es handelt sich um isolierte, Kontextarme Bedeutungszuschreibungen, die in dieser Armut eine ‚Klarheit‘ vorgaukeln, die in der tatsächlichen Verwendung im ‚realen Leben‘ so selten oder nie anzutreffen sind. Insofern war der vorausgehende Ausflug in ausgewählte Positionen der Philosophiegeschichte eigentlich realitätsnäher, wenngleich ‚verwirrender‘.

‚WÜRDE‘ BEDEUTET’WÜRDE‘?

11. Paul Tiedemann fasst dann seinen etymologischen Exkurs in der Formel zusammen, dass die Bedeutung des Ausdrucks ‚Würde‘ als ‚Vorzugswürdigkeit‘ zu verstehen sei; im Falle von Nicht-Menschen übersetzbar als ‚Wertigkeit‘, im Falle von Menschen übersetzbar als ‚Würde‘. Während ‚Wertigkeit‘ auch mit einem ‚Preis‘ korrelieren kann, ist dies bei ‚Würde‘ nach Paul Tiedemann nicht der Fall.(vgl. S.71)

12. Also ‚Würde‘ bedeutet ‚Würde‘! Worin liegt der Erkenntnisgewinn?

BEGRIFF ‚WÜRDE‘ UND IMPLIZITES WERTURTEIL?

13. Paul Tiedemann versucht sich der Bedeutung des Ausdrucks ‚Würde‘ auch dadurch zu nähern, dass er den Begriff ‚Wertigkeit‘ in den Kontext des Sprachspiels ‚Werturteil‘ einbringt. Im Werturteil sagt man vom zu Beurteilenden, dass es ‚Gut‘ oder ‚Schlecht‘ sei. Dies geschieht nicht isoliert, sondern unter Voraussetzung eines ‚Kriteriums‘. In diesem Sinne teilt ein Satz wie ‚Dem Menschen kommt Würde zu‘ nach Paul Tiedemann nicht mit, aufgrund welchen Kriteriums dem Menschen ‚Würde‘ zukomme. Gibt es ein Kriterium jenseits alltäglicher Rollen, aus denen sich partikuläre Maßstäbe für ein Verhalten ergeben? Was kommt dem Mensch ‚als Mensch‘ zu?(vgl. SS.71-73)

14. Paul Tiedemann stellt dann zwei Gegenpole auf: die subjektive Werttheorie und die objektive Werttheorie. Beide Theorien versuchen zu erklären, woher mögliche Kriterien für Werturteile kommen können.

15. In der subjektiven Werttheorie setzen die Menschen jeweils selbst irgendwelche Präferenzen als Maßstab, nach denen gehandelt werden soll. In der objektiven Werttheorie sollen die Werte Teil der umfassenden Welt sein; man muss sie nur ‚zu lesen‘ lernen. Als ‚vorgegebene‘ sind sie für alle Menschen gleich.

16. Nach Paul Tiedemann korreliert die subjektive Werttheorie mit einem autonomischen Standpunkt, die objektive Werttheorie mit dem heterogenen Standpunkt.

17. Da Paul Tiedemann zuvor schon die Unversöhnlichkeit von einem autonomischen und heterogenen Standpunkt konstatiert hatte, wird damit klar, dass die subjektive und die objektive Werttheorie ebenfalls als solch ein unversöhnliche Paar gesehen werden.

18. Für Paul Tiedemann stellen Sachverhalte wie eine kulturelle Vielfalt oder das Faktum des Nichtbefolgens von Normen starke Hinweise dar für eine subjektive Position und gegen eine objektive (heteronome) Position.(vgl. Die Seiten 73-77)

19. Ist also die Zuschreibung von ‚Würde‘ zum ‚Menschen‘ im Sinne der subjektiven Werttheorie rein ‚willkürlich‘ und darin ‚autonomisch‘ oder ergibt sich solch eine Zuschreibung im Sinne der objektiven Werttheorie aus der ‚Natur‘ des Menschen und ist darin ‚heteronomisch‘? Spricht eine kulturelle Vielfalt wirklich gegen einen objektiven Wertansatz? Kann nicht sogar beides wahr sein in dem Sinne, dass die uns vorgegebene Welt sehr wohl eine objektive Vorgabe darstellt, wir aber in unserer individuellen Subjektivität Mühe haben, diese Vorgabe zu verstehen, sie missverstehen können, sie nicht wahrhaben wollen, weil es unangenehm ist usw.? Ist es nicht so, dass jede Form von Erkenntnis im Grund ’nicht zwingend‘ ist, d.h. dass wir Menschen die Freiheit haben, jegliche Art von Wirklichkeitseinsicht zu verleugnen (was in der Geschichte immer wieder hinreichend geschah und auch heute geschieht)? Und ist es nicht so, dass sich aus der Akzeptierung von empirischen Sachverhalten viele Arten von Konsequenzen aufdrängen, wenn man erst einmal diese Wirkzusammenhänge akzeptiert?

20. Nach diesen Überlegungen nutzt Paul Tiedemann seine bisherigen Argumente zu einer Art logischer Paradoxie mit ‚Hinterausgang‘: Wenn alle Werturteile subjektiv sind – und damit auch die Aussage, dass dem Menschen Würde zukomme –, dann können die Menschenrechte mit ihren Werturteilen über den Menschen nur dann noch Geltung haben, wenn jeder Mensch in seinem individuellen Werturteil letztlich auf einem ‚Grund‘ beruht, der allen gemeinsam ist, und der darin nicht beliebig wäre. (vgl. S.77f)

21. Mit teilweise Rückgriff auf Kant konstruiert Paul Tiedemann dann Begriffsketten der Art ‚Markt – Tauschwert – extrinsisch – was man damit anfangen kann — relativ — nur Mittel‘ im Gegensatz zu ‚Affektion – Eigenwert – intrinsisch – eigentlicher Zweck‘. (vgl. S.79) Und mit Bezug auf Kant gilt ein innerer Wert nur dann als absoluter Wert, wenn er ‚Zweck an sich selbst sein kann‘. (vgl. S.78f)

22. Allerdings würde die Lokalisierung eines absoluten Wertes in einem ‚Absoluten an sich‘ (wie bei Kant, Deutung Tiedemann) diese Werte völlig unerreichbar machen. Daher wendet sich Paul Tiedemann an dieser Stelle gegen Kant und postuliert, dass es kein ‚Absolutes an sich‘ geben kann. Auch ein Absolutes steht mindestens in Beziehung zu dem Menschen, der das Absolute für sich anerkennt. (vgl. S.80) Also, das Anerkennen durch ein Person ist subjektiv‘, das, was anerkannt wird, soll aber ‚absolut‘ sein, ‚unverfügbar‘, aber auch nicht nicht ‚zwingend‘. (vgl. S.80f)

23. Diese nicht ganz einfache Konstruktion erzwingt dann fast die weitere Konstruktion, dass diese subjektiv anerkannten, aber dennoch absoluten Werte mit unserer individuellen Existenz ‚gleich ursprünglich‘ sein müssen, dass sie also so eine Art unverrückbarer Bestandteil der individuellen Existenz sein müssen. Als Mensch kann ich sie zwar subjektiv verleugnen, sie existieren mit mir aber gleichwohl. (vgl. S.81) Ihre ‚Unhintergehbarkeit‘ besteht darin, dass wir sie nicht ändern können. (vgl. S.81)

ANALYTISCHE KORRELARIEN

24. Aus der angenommenen Bedeutung von ‚absolut‘ folgert Paul Tiedemann analytisch (tautologisch), dass es nur einen einzige absoluten Wert geben kann, andernfalls wäre es eben kein absoluter Wert. (vgl. S.81f)

25. Auf die rhetorische Frage, ob es etwas ‚Absolutes‘ überhaupt geben kann, wenn man es möglicherweise doch gar nicht kennt, bemerkt Paul Tiedemann zurecht, dass man aus dem Nichtwissen nicht auf die Nichtexistenz von etwas schließen kann. Eine Form von Nichtwissen kann ja z.B. auch eine Art von ‚Hintergrundwissen‘ sein, mit dem wir im Alltag vertraut sind, ohne dass es uns bewusst wäre. (vgl. 83)

26. Eine andere Frage könnte sein, ob es überhaupt einen ‚absoluten Wertmaßstab‘ angesichts einer subjektiven Werttheorie geben kann? Die Antwort nach Paul Tiedemann ist Ja, nämlich dann, wenn es etwas wäre, was notwendig zum Menschsein gehören würde (siehe auch schon oben). Als Beispiel erwähnt er die Regeln der Logik, die unhintergehbar seien; verleugnet man sie, verleugne man das Denken. (vgl. S.82)

KRITISCHER DISKURS

27. In der Lesart von Paul Tiedemann haben dieser Gedanken etwas scheinbar ‚Zwingendes‘. Man muss sich aber bewusst machen – was in den vorausgehenden Abschnitten immer wieder mal kurz angedeutet wurde –, dass dieses ‚Zwingende‘ auf einer Lesart beruht, die ganz spezifische Voraussetzungen macht, die als solch nicht unbedingt zwingend sind. Würde man die Voraussetzungen in Frage stellen, würde der ‚zwingende Charakter‘ weitgehend abhanden kommen.

28. Ein Dritter könnte diese Bemerkungen vom Autor cagent möglicherweise als ’negativ‘ einstufen. Dies trifft aber nicht zu. Vielmehr versucht hier ein anerkannter Experte – Paul Tiedemann – ein hochkomplexes Thema (Menschenwürde) in seinen möglichen Bedeutungsbezügen (offensichtlich vorwiegend aus philosophischer Sicht) begrifflich aufzuhellen. Dabei versucht er einen Argumentationsweg zu finden, der die ‚Absolutheit‘ der ‚Menschenwürde‘ plausibel macht. Dabei geht er sehr viele Wege, um den einen Weg zu finden, der möglicherweise zum Ziel führt. Soll dieser Versuch von Paul Tiedemann kein ‚Solo‘ bleiben, sozusagen ein reine Privatvergnügen, dann müssen seine Überlegungen von möglichst vielen aktiv gelesen und diskutiert werden. Und ein philosophischer Diskurs ist nun mal nicht anders zu haben als in der aktiven Begegnung von Gedanken, in denen die verwendeten sprachlichen Ausdrücke von allen möglichen Seiten hin und her gewendet werden, um jene Bedeutungsanteile zu ermitteln, die sich in der Begegnung unterschiedlicher Gehirne vielleicht finden lassen. Das einzelne Gehirn ist von seiner Natur aus erst einmal – zwangsläufig – ’solipsistisch‘, ‚monadisch‘, in sich selbst ‚eingeschlossen‘. Eine Brücke zu einem anderen Gehirn zu schlagen ist – entgegen der Alltagsmeinung – keinesfalls selbstverständlich, keinesfalls ein Selbstgänger. Vor diesem Hintergrund sind ‚kritische Fragen‘ nichts ‚Feindliches‘, sondern das Beste, was einem passieren kann. Die Rettung der eigenen, subjektiven, individuellen Wahrheit kann nur über das Feuer des Diskurses geschehen, indem sich im Wechselspiel Dinge anders und neu zeigen und darin vielleicht ‚gemeinsam‘; was aber nichts garantiert.

29. Wie schon mehrfach angedeutet, kann eine wirklich kritische Auseinandersetzung erst nach Abschluss der Lektüre einsetzen. Dennoch braucht es die Zwischenreflexionen, um mit den Gedanken des Buches ‚Tuchfühlung‘ aufzunehmen…Nehmen wir beispielsweise mal die letzten drei Punkt 24-26.

30. Der analytisch-tautologische Schluss, dass es nur einen einzigen absoluten Wert geben kann, ist solange richtig, solange man eine Definition von ‚Absolut‘ voraussetzt, die diesen Schluss erlaubt. Nun kommt aber dem Ausdruck ‚Absolut‘ in keiner mir bekannten Sprache eine ‚Bedeutung‘ zu, die in der Erfahrungswelt eine direkte Entsprechung hätte. Falls dem so wäre, käme dem Ausdruck ‚Absolut‘ nur eine Bedeutung im Rahmen komplexer sprachlicher Ausdrücke zu, die alle mehr oder weniger abstrakt wären, und damit kaum noch intersubjektiv fassbar wären. Die Bücher der Philosophen sind voll von solchen Ausdrücken, und der Versuch ‚eindeutiger‘ Interpretationen ist im Ansatz zum Scheitern verurteilt. In solch einem Kontext davon zusprechen, dass es nur ‚ein‘ Absolutes geben kann, ist gewagt, wissen wir doch in der Regel nicht, wie wir die vielfältigen Verwendungen des Ausdrucks ‚absolut‘ deuten sollen. Natürlich kann jeder Deutungsversuche vornehmen, und in gewisser Weise bleibt uns auch gar nichts anderes übrig, als dies immer wieder zu versuchen, nur sollten wir uns bewusst sein, dass es bei einer bestimmten Klasse von Ausdrücken immer nur hypothetische Deutungsversuche sein können. Ich verstehe die Überlegungen von Paul Tiedemann in diesem Sinne als einen interessanten Deutungsversuch, der möglicherweise ein vertiefendes Verständnis ermöglicht, aber der Charakter der Argumentation ist keinesfalls ‚zwingend‘.

31. Die Bemerkung von Paul Tiedemann, dass man aus dem Nichtwissen nicht auf die Nichtexistenz von etwas schließen könne, mit Verweis auf eine Art von ‚Hintergrundwissen‘ im Alltag, könnte auch als Argument für den ‚heteronomischen‘ Ansatz gewertet werden. Denn der heteronomische Ansatz geht ja im Prinzip davon aus, dass es auf jeden Fall eine Struktur gibt, die unserer Subjektivität vorgelagert ist und nur deswegen kann es einen möglichen Wertbezug geben, der für jeden einzelnen ‚gleich verbindlich‘ ist. Sofern es sich um Strukturen handelt, die unsere menschliche (oder überhaupt biologische) Existenz ermöglichen, wären sie unhintergehbar und – auch im Sinne der Begriffe von Paul Tiedemann – ‚absolut‘. Damit würde dann der radikal reflektierte autonomische Standpunkt und der heteronomische Standpunkt sich als zwei Aspekte ein und derselben Sache erweisen.

32. Der Verweis auf die Regeln der Logik, die unhintergehbar seien, findet sich häufig, muss aber deshalb nicht unbedingt ‚wahr‘ sein. Wir leben in einer Kultur, die es geschafft hat, die klassische griechische (inhaltsorienierte) Logik zu erweitern in Richtung der modernen formalen (nicht inhaltsgebundenen) Logik. In dieser Logik gibt es prinzipiell unendliche viele Folgerungsbegriffe und entsprechend unendlich viele Wahrheitswerte. Ob eine dieser vielen Logiken überhaupt einen Bezug zum tatsächlichen Denken hat müsste in jedem einzelnen Fall mühsam empirisch festgestellt werden. Dies resultiert daraus, dass die moderne formale Logik unabhängig vom tatsächlichen Denken der Menschen entwickelt wurde. So leben wir in einer Situation, in der die Wissenschaft von der Logik sich formal nahezu unendlich erweitern konnte, wir aber gleichzeitig immer noch keine allgemein akzeptierte und brauchbare empirische Theorie des tatsächlichen realen Denkens haben. Weder die formale Logik noch die Neurowissenschaften können uns hier helfen, einzig eine empirische Psychologie, die aber hier bislang wenig gefördert wird. In dieser Situation von den unverrückten Regeln des Denkens zu sprechen erscheint mutig oder gar waghalsig. Fakt ist, wissenschaftlich wissen wir nicht, wie die Regeln des tatsächlichen Denkens lauten. Wir leben mi vielen Ersatzkonstruktionen und Unterstellungen, haben aber kein wirkliches (wissenschaftliches) Wissen.

33. Was diese letzten kritischen Bemerkungen letztlich für das Projekt von Paul Tiedemann bedeuten, ist momentan noch schwer abzuschätzen. Ich würde mich aber wundern, wenn man es so stehen lassen kann, wie er es bislang gedacht hat. Dies muss – wie gesagt – nicht negativ sein. Es kann der Anlass sein, die Sachlage möglicherweise ‚tiefer‘ oder ’neu‘ verstehen zu lernen. Das ist das Maximum dessen, was ein philosophischer Diskurs leisten kann: sich der Wahrheit ein kleines Stück weiter annähern (vorausgesetzt, es gibt die Wahrheit als Vorgabe; was ich glaube).

Fortsetzung folgt

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WAS IST MENSCHENWÜRDE? – Überlegungen im Umfeld des Buches von Paul Tiedemann – Teil 4

Paul Tiedemann, „Was ist Menschenwürde? Eine Einführung“, 2. aktualisierte Aufl., Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2014

KONTEXT

Nach einem kurzen Aufriss zur historischen Genese des juristischen Begriffs ‚Menschenwürde‘ im Kontext der UN-Deklaration und der Übernahme in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (Kap.1) stellt Paul Tiedemann im 2. Kapitel wichtige Interpretationsrichtungen in der deutschen Rechtsauslegung vor. Es folgt dann im Kapitel 3 ein Ausflug in die Philosophiegeschichte.

KAPITEL 3 (SS.51-67)

Philosophische Wurzeln des Begriffs 'Menschenwürde' nach P.Tiedemann (2014), Kap.3
Philosophische Wurzeln des Begriffs ‚Menschenwürde‘ nach P.Tiedemann (2014), Kap.3

1. Bei der Lektüre diese Kapitels scheinen zwei Grundsätze leitend zu sein: (i) der juristische Begriff der ‚Menschenwürde‘ hat nach Paul Tiedemann innerhalb Europas eine philosophische Herkunft, und (ii) sofern der Jurist keine ‚Legaldefinitionen‘ vorfindet, die ihn binden, sollte er sich in seiner Auslegung der Bedeutung an diese philosophische Wurzeln halten. (vgl. S.51)

2. Dies könnte stutzig machen. Denn wenn (ii) stimmt, dann bedeutet dies, dass das Rechtssystem in einem Land die Autonomie besitzt, die Verwendung von Begriffen gegenüber der Vergangenheit zu ändern. Wenn dem so ist, dann erscheint die Rückfrage in eine mögliche philosophische Tradition nicht mehr zwingend. Warum sollte man dies tun?

3. Bejaht man (ii), dann erscheint (i) fraglich. Bejaht man die Notwendigkeit von (i), dann muss man (ii) zumindest mit einem Fragezeichen versehen. Ein Fragezeichen in dem Sinne, dass die ‚Legalität‘ als solche noch nichts über einen möglichen ‚Wahrheitsbezug‘ aussagt noch etwas über eine mögliche ’sachliche Angemessenheit‘. Wie die deutsche Geschichte (und nicht nur diese) zeigt, können legale Gesetze in hohem Maße unmenschliche, tödliche, und zerstörerische Handlungen decken.

4. Liest man das folgende dritte Kapitel, dann scheint der Autor Taul Tiedemann eher letzterer Interpretation zuzuneigen.

5. Bei seinem Ausflug in die Philosophiegeschichte folgt Paul Tiedemann dem zuvor eingeführten Begriffspaar ‚autonomisch‘ und ‚heteronomisch‘.

6. Bedenkt man, wie viele Schriften es gibt, erscheint der Aufweis von gerade mal jeweils drei Positionen für jede Richtung wenig, wenngleich die zitierten Positionen ’schwergewichtig‘ sind.

AUTONOMISCH

7. Nach dem zuvor entwickelten ‚Vorverständnis‘ basiert die ‚autonomische‘ Position auf einer Eigenschaft, die dem Menschen qua Menschen zukommt, vorab zu allen anderen Wertungspositionen und Rechtsansprüchen. Bei Augustinus und Pico della Mirandola ist es die grundlegende Fähigkeit zur Wahl, die als solche eine grundlegende Freiheit – und damit ‚Würde‘ – repräsentiert. Während Augustinus diese Wahl festschreibt als Wahl zwischen ‚Gut‘ und ‚Böse‘, ist es bei Mirandola einfach die Freiheit, etwas ‚Neues‘ zu schaffen, was bislang noch nicht da war. Bei Kant radikalisiert sich diese Position durch sein erkenntniskritischen Sichtungen und er sieht dann nur noch das Faktum der Vernunft als solcher als Quelle möglicher nicht-kontingenter Erkenntnisse. Letztlich ist es dann auch diese Autonomie der Vernunft und ihre Entscheidungsfähigkeit, die allem anderen voraus liegt.

HETERONOMISCH

8. Nach dem bisherigen Vorverständnis definiert sich die heteronomische Position über eine Relativierung der individuellen Würde durch Rückbeziehung auf etwas ‚Anderes‘ (‚Heteronomes‘). In der Stoa ist es die vorgegebene Ordnung, die sich aus dem Logos ergibt und an der der menschliche Geist Anteil hat; diese soll gegenüber der Triebwelt umgesetzt werden.

9. In der christlichen Theologie (wie weit ist dies ‚philosophisch‘?) ist es ‚Gott‘, der mit den geoffenbarten ‚Geboten‘ eine Ordnung erkennen lässt, der sich der Mensch ‚anzugleichen‘ hat. Damit trägt der Mensch seiner Stellung als ‚Geschöpf‘ Rechnung: im rechten Gebrauch seiner Wahlfreiheit wird die ‚Ebenbildlichkeit‘ zu Gott real. Trotz geschenkter Gottesähnlichkeit darf der Mensch aber bestraft werden – bis hin zum Tode –, wenn er seine Wahlmöglichkeiten nicht in der rechten Weise wahrnimmt.

10. Im naturalistischen Naturrecht, das man als historische Antwort auf die vorausgehenden blutigen Religionskriege verstehen kann, wird die Würde zwar auch in der grundlegenden Wahlmöglichkeit des Menschen angesiedelt, aber anstatt diese Wahlmöglichkeit an einem göttlichen Gebot zu messen, wird dieses rückgebunden an die vorgegebene Gemeinschaft: zwar muss die Gemeinschaft das Individuum achten, aber das Individuum hat keine absoluten Rechte gegenüber der Gemeinschaft.

NEGATIVE SCHLUSSFOLGERUNGEN VON PAUL TIEDEMANN

11. Bedenkt man, dass der Ausflug in die philosophische Vergangenheit des Begriffs ‚Menschenwürde‘ von Paul Tiedemann damit motiviert worden war, dass die aktuelle Diskussion mit ihren unterschiedlichen Interpretationsstandpunkten widersprüchlich, verwirrend erscheint, so wird man zusammen mit ihm auch enttäuscht sein können, dass auch dieser Ausflug mit einer Verwirrtheit endet: für Paul Tiedemann erscheint eine Verknüpfung zwischen der autonomischen und der heteronomischen Position zu einer einzigen Position ‚unmöglich‘. „Beide Konzepte stehen zueinander im Widerspruch“. (S.66)

12. Tiedemann diagnostiziert, dass der Begriff der ‚Menschenwürde‘ nicht ‚ambivalent‘ sei, sondern ‚mehrdeutig‘, und in dieser Mehrdeutigkeit stehen sie ‚unversöhnlich nebeneinander‘. (vgl. S.66)

DISKUSSION

13. Eine umfassendere Diskussion soll zwar erst es am Schluss dieser reflektierenden Lektüre erfolgen, doch hier wiederum ein paar erste Gedanken.

14. Für mich ist die Abgrenzung von einer ‚ambivalenten‘ Bedeutung zu einer ‚mehrdeutigen, widersprüchlichen‘ Bedeutung nicht zwingend; aber vielleicht ist dies hier auch nicht so wichtig. Entscheidend erscheint jedenfalls für Paul Tiedemann das Faktum zu sein, dass die von ihm identifizierten ‚Bedeutungen‘ widersprüchlich sind.

15. Dieser identifizierte Widerspruch wird darin lokalisiert, dass die autonomische Position auf eine allgemeine Eigenschaft des Menschen rekurriert, die ihm als Mensch zukommt, vor allem anderen und die ‚aus sich heraus‘ eine Würde konstituiert, die durch nichts anderes in Frage gestellt werden kann.

16. Demgegenüber sieht die heteronomische Position im Kontext des Individuums eine Ordnung, die zum Individuum mindestens gleichwertig ist und die aus diesem Grund eine Beachtung verlangt. Die ‚wahre Sittlichkeit‘ zeigt sich dann daran, dass das Individuum seine grundlegende Wahlmöglichkeit im ‚Einklang‘ mit dieser vorfindlichen Ordnung ausübt.

17. Aus Sicht der autonomen Position bietet die Anerkennung einer verbindlichen Ordnung im Kontext des Individuums die Gefahr, dass die grundlegende Wahlfreiheit zerstört wird (falls die erkannte Ordnung ‚falsch‘ sein sollte). Aus Sicht der heteronomischen Position hingegen bietet die autonomische Position die Gefahr, dass die Willkürlichkeit (= Wahl ohne Verpflichtung) jedwede bestehende Ordnung zerstören kann.

18. Bei Mirandola gibt es den Hinweis auf das ‚Neue‘, was jeder Mensch schaffen kann, etwas, das es bislang noch nicht gegeben hat. Und die Geschichte der letzten Jahrtausende – sofern sie uns bekannt wurde – legt den Schluss nahe, dass nicht nur die Natur als Ganze (letztlich das ganze bekannte Universum) ‚im Werden‘ begriffen ist, d.h. beständig ‚Altes vergeht‘, ‚Altes zerstört wird‘, damit das ‚Neue‘, das ‚Leben‘ entstehen konnte und entsteht. Zwar spricht man auch oft von ‚der Ordnung der Natur‘, diese ‚Ordnung‘ ist aber keine ’statische‘ Ordnung sondern – wie wir heute wissen können – ein dynamischer Prozess, dessen ‚Gesetze‘ das ‚Unvorhersehbare‘ mit einschließen.

19. Bedenkt man nun, dass das menschliche Individuum ja ein ‚Teil‘ dieses Prozesses ist, und zwar ein ‚gewordener‘ Teil, ein ’noch nicht abgeschlossener‘ Teil, dann fällt es schwer, nachzuvollziehen, warum eine – historisch – punktuelle Eigenschaft an einem einzelnen Individuum einen ‚absoluten‘ Wert haben soll. Ohne ‚Kontext‘ gibt es dieses Individuum überhaupt nicht und ohne Kontext ist dieses Individuum gar nicht verständlich. Wie wir wissen können, besteht ein sogenanntes Individuum aus mehr als 4 Billionen Zellen, die permanent mit weiteren zig Billionen anderen Zellen kooperieren, die wiederum eingebettet sind in diesen gigantischen Prozess genannt Natur, so dass es fast willkürlich erscheint, einem winzigen Ausschnitt aus diesem ganzen ‚Wunderwerk‘ eine spezielle abgehobene Stellung zuzusprechen.

20. Allerdings, und dieser Punkt wird sehr selten beachtet, folgt aus dieser scheinbaren ‚Einebnung‘ eines menschlichen Individuums NICHT – wie Kant und viele andere es unterstellen –, dass dies auf eine Beliebigkeit hinauslaufe, die ein ernsthaftes sittliches Verhalten unmöglich mache. Das Gegenteil ist richtig. Aber schauen wir erst einmal, was die weitere Lektüre an Einsichten bringen wird.

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WAS IST MENSCHENWÜRDE? – Überlegungen im Umfeld des Buches von Paul Tiedemann – Teil 3

Paul Tiedemann, „Was ist Menschenwürde? Eine Einführung“, 2. aktualisierte Aufl., Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2014

KONTEXT

Nach einem kurzen Aufriss zur historischen Genese des juristischen Begriffs ‚Menschenwürde‘ im Kontext der UN-Deklaration und der Übernahme in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (Kap.1) stellt Paul Tiedemann nun die wichtigsten Interpretationsrichtungen in der deutschen Rechtsauslegung vor.

KAPITEL 2 (SS.33-50)

Interpretationsrichtungen zum Begriff 'Menschenwürde' in der deutschen Rechtsgeschichte (vgl. Tiedemann (2014), Kap.2))
Interpretationsrichtungen zum Begriff ‚Menschenwürde‘ in der deutschen Rechtsgeschichte (vgl. Tiedemann (2014), Kap.2))

1. Im vorausgehenden Schaubild sind die beschriebenen Interpretationsrichtungen aus dem Buch hier mit eigenen Worten zusammengefasst. Für einen Nichtjuristen (und möglicherweise auch für viele Juristen, die auf anderen Gebieten spezialisiert sind) ist dieser Überblick (der im Buch differenziert erläutert wird) sicher aufschlussreich. Zeigt dieser Überblick doch trotz aller Feinheiten im Detail, dass es eigentlich nur zwei große Positionen gibt: (i) Jene, die einem Menschen grundsätzlich eine Würde vor aller staatlicher Gesetzgebung zugesteht und (ii) jene, die dem Begriff Menschenwürde keinen eigenständigen Inhalt zuspricht und daher nach Wegen sucht, den Inhalt der Menschenwürde durch Rückgriff auf ’sekundäre‘ Faktoren zu sichern, die außerhalb des einzelnen Menschen liegen.

2. Betrachtet man die Position, die durch Rückgriff auf sekundäre Faktoren nach einer Lösung sucht, dann kann man folgende Faktoren benennen: die jeweilige Gesellschaft mit ihren Organen kann (i) Verträge schließen, in denen je nach aktuellem Weltverständnis (‚Verletzungen‘, ‚Allgemeinwohl‘, ‚Normen‘, ’soziologische Erkenntnisse‘, ‚Genetik‘, …) Menschenwürde definiert und geregelt wird; (ii) die Anwendung dieser Verträge wird Spezialisten (Juristen) übertragen, die nach eigenem Gutdünken (Willkür?) die Interpretation der Verträge vornehmen.

3. Sollte jene Position, die dem Menschen vorab zu aller staatlichen Gesetzgebung eine grundlegende Würde zuschreibt, nicht argumentativ abgesichert werden können, dann müsste man sich – spätestens dann – mit den vielen Aspekten möglicher sekundären Faktoren im einzelnen beschäftigen.

4. Nehmen wir an, es gäbe eine Position, in der Menschenwürde vorab zu aller staatlichen Gesetzgebung ‚gegeben‘ ist und somit den Status einer ‚Vorab-Norm‘ für die staatliche Gesetzgebung besitzen würde. Da ‚Menschenwürde‘ schwerlich ein empirisch-sinnliches Objekt ist, das man wie einen Gegenstand der Alltagswelt gemeinsam einfach anschauen und darüber reden könnte, sondern eher mit einer ‚Sicht der Dinge‘, mit einer ‚Sicht des Lebens‘ korrespondiert, innerhalb der der Mensch in einer ’spezifischen Weise gedeutet‘ wird, dann würde die ‚Bedeutung‘ des Begriffs Menschenwürde zu einem Konstrukt des subjektiven Wissens, das über Sprache (einschließlich dazu möglicher Handlungen) zwischen den verschiedenen Gehirnen ‚vermittelt‘ werden müsste.

5. Bei dieser Sachlage würde die Bedeutung des Begriffs ‚Menschenwürde‘ unweigerlich in die Abhängigkeit von herrschenden Anschauungen, von einem herrschenden Weltverständnis gelangen, und es ist eine spannende Frage, ob und wie sich eine ‚eigenständige Bedeutung‘ des Begriffs ‚Menschenwürde‘ im Kontext des jeweiligen subjektiven Wissens, verwoben mit dem jeweiligen Weltverständnis, identifizieren und argumentativ vermitteln lassen würde.

6. Die historischen Tatsachen der Geistes-, Ideen-, Kultur-, Wissenschafts- usw. Geschichte(n) legen jedenfalls die Vermutung nahe, dass sich das uns Menschen verfügbare Weltverständnis unausweichlich geändert hat und beständig weiter verändert, allein schon deswegen, weil grundlegende Annahmen zur Natur des Menschen und zur Natur überhaupt einem beständigen und grundlegenden Wandel unterworfen sind. Alle Versuche der Philosophie, in diesem Wandel Strukturen zu identifizieren, die ‚aus sich heraus‘ beständig und ‚absolut‘ gültig sind, können eigentlich als gescheitert angesehen werden.

7. Parallel mit dem fortschreitenden Scheitern klassischer (metaphysischer) Konzeptionen schälen sich aber im Empirischen (dem philosophisch ‚Kontingentem‘) immer mehr Strukturen heraus, die – trotz ihrer empirischen Abkunft – eine ‚Geltungskraft‘ enthüllen, die mit dem ‚klassisch Absoluten‘ nicht mithalten können, aber dennoch weit über beliebige Zufälligkeiten hinausgehen. So eine Art ‚Absolutes im Werden‘.

8. Solch ein ‚Absolutes im Werden‘ erheischt Aufmerksamkeit und Verantwortung, ohne dass sich ein einzelner unabhängig davon zu einem ‚absoluten Lehrer für Alle‘ aufwerfen könnte. Das ‚Absolute im Werden‘ verlangt forschende Demut, verlangt vernetzte Teams, ermöglicht ‚Wahrheit‘ und ist kein Spielball für Willkür.

9. Als Leser bin ich gespannt, was das nächste Kapitel im Buch eröffnen wird.

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WAS IST MENSCHENWÜRDE? – Überlegungen im Umfeld des Buches von Paul Tiedemann – Teil 2

Diesem Blogeintrag ging ein ging Teil 1 voraus.

Paul Tiedemann, „Was ist Menschenwürde? Eine Einführung., 2. aktualisierte Aufl., Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2014

ZIEL DES BUCHES

1. Es sei daran erinnert, dass das Ziel des Buches für Paul Tiedemann darin besteht, zur Klärung der Bedeutungsfrage(n) des Begriffs ‚Menschenwürde‘ als Bestandteil der modernen – insbesondere der Deutschen – Verfassung beizutragen, um damit einen Beitrag für die Orientierung zu leisten. Er geht davon aus, dass sich hinter dem Begriff ‚Menschenwürde‘ eine fundamentale Wertvorstellung verbirgt, die ernst genommen werden sollte. (vgl. dazu die Einleitung des Buches)

KAPITEL 1 (SS.13-32)

Zeitlinie Vorkommen Begriff 'Menschenwürde' in Verfassungen (nach Kap.1, Tiedemann 2014)
Zeitlinie Vorkommen Begriff ‚Menschenwürde‘ in Verfassungen (nach Kap.1, Tiedemann 2014)

2. Es kann nicht Ziel dieser Besprechung sein, die Lektüre des Buches selbst zu ersetzen. Vielmehr sollen die Kerngedanken aufgegriffen und andiskutiert werden.

3. Eine dieser Kernaussagen ist sicher, dass das Vorkommen des Begriffs ‚Menschenwürde‘ in Verfassungstexten zeitlich gesehen sehr ’neu‘ ist. Wie man aus dem – anhand der Angaben von Tiedemann im Kap.1 – selbst erstellten Schaubild oben erkennen kann, stellt letztlich die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) von 1948 durch die Vereinten Nationen das erste ‚Großereignis‘ dar, das dann im weiteren Verlauf – mehr oder weniger – zur Vorlage für alle nachfolgenden Verfassungsprojekte wurde, die den Begriff ‚Menschenwürde‘ — mehr oder weniger — berücksichtigt haben.

4. Wie Tiedemann im Detail dann ausführt, war aber die Bedeutungszuweisung zu den Begriffen, speziell zum Begriff ‚Menschenwürde‘ — schon im Fall der UN Menschenrechtserklärung (AEMR) — sehr bewegt, zum Teil umstritten, und wird in den Folgeereignissen oft ohne inhaltliche Diskussion übernommen. In der Regel ist ein direkter Vergleich mit dem Bedeutungsfeld der AEMR über mögliche Bedeutungszuweisungen während der Abfassung kaum oder garnicht möglich.

5. Dazu kommt erschwerend, dass die Interpretation der Verfassungstexte entsprechenden Verfassungsgerichten obliegt, die – sehr selten, wie im Fall Frankreich – die Menschenwürde in einen Verfassungstext ‚hineininterpretieren‘ können, obgleich der Begriff so garnicht vorkommt, oder – häufiger, wie z.B.i m Fall von Portugal, Spanien und Italien – kaum oder garnicht Bezug auf den Begriff ‚Menschenwürde‘ nehmen, weil er zu ’schwammig‘ sei, nicht geeignet für eine Urteilsbildung.

6. Zu denken geben sollte auch, dass wichtige Länder wie USA und Kanada die Amerikanische Menschenrechtskonvention (AMRK) nicht unterschrieben haben und dementsprechend den zugehörigen Gerichtshof nicht anerkennen.

7. Bemerkenswert ist ebenfalls, dass ein Land wie Frankreich im Verfassungstext den Begriff ‚Menschenwürde‘ bislang beharrlich nicht aufgenommen hat, ebenso auch nicht England.

DISKUSSION

8. Schon dieses erste – letztlich einführende – Kapitel deutet an, dass der Begriff ‚Menschenwürde‘ kein leichter Begriff ist. Seine Abhängigkeit von Deutungsmodellen ist hoch und die Tatsache, dass wir heute mehr denn je in einer Welt von zahllosen Deutungsmodellen leben, die sich eher weniger denn mehr überschneiden, lässt erahnen, dass eine Diskussion dieses Begriffs ‚Menschenwürde‘, so sie denn notwendig wäre, sehr schnell in schwierige Gewässer führen wird.

9. Sieht man, mit welcher Geschwindigkeit und hoher Intensität die heutigen Gesellschaften auf der Erde durch zahllose Veränderungen herausgefordert werden, wie die zunehmende Verschränkung von unterschiedlichsten Kulturen die gewohnten Interpretationsmuster täglich überfordern (Pegida, Islamisten, Terroristen beispielsweise bilden nur einen kleinen Ausschnitt davon!), wie unterschiedlichste individuelle und Gruppen-Interessen versuchen, die politische Macht und das Kapital für sich einseitig zu besetzen, dann ist das alte griechisch-römische Staatsideal mit seinen aufklärerischen Verfeinerungen heute vielfach herausgefordert.

10. Man darf vermuten, dass ein einzelner Begriff alleine wie der der ‚Menschenwürde‘ wohl kaum genügen wird, die heutige massive Infragestellungen – gerade auch bei seiner ‚wackligen‘ semantischen Verankerung – zu befrieden. Dennoch nimmt er in der Deutschen Verfassung (und der EU und bei den Vereinten Nationen) eine starke, sogar zentrale Stellung ein und im weiteren Verlauf soll geprüft werden, welche Unterstützung dieser Begriff für den aktuellen Überlebenskampf einer ‚freien aufgeklärten Gesellschaft‘ bieten kann.

Fortsetzung folgt mit Teil 3 hier.

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WAS IST MENSCHENWÜRDE? – Überlegungen im Umfeld des Buches von Paul Tiedemann

Zur Einstimmung eine eher ’softe‘ Musik live vom 20.Januar 2015 aus den Radically Unplugged Musik-Experimenten: dieses Mal ein Duo: Schlagzeug und ein hybrides Piano (wie immer ohne Noten, ohne Proben, direkt, ohne Nachbearbeitung, also RUM…).

Paul Tiedemann, „Was ist Menschenwürde? Eine Einführung“, 2. aktualisierte Aufl., Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2014

KONTEXT DES BLOGS (cagent)

1. Da jetzt auch andere Autoren angefangen haben, im Blog zu schreiben, hier die Einschränkung des Kontexts auf die Beiträge, die der Autor cagent bislang geschrieben hat.

2. Auf der Suche nach dem Neuen Menschenbild (als Teil des Ganzen) spielen natürlich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle. Nur in einer Gesellschaft, die dem Geist der Aufklärung folgt, in der Bildung und Wissenschaft im modernen Sinne möglich sind, wo die Rechte der Menschen unabhängig von religiösen oder weltanschaulichen Anschauungen gelten, bei einer funktionierenden Öffentlichkeit, bei einer demokratischen Zuteilung von Macht – um nur einige Punkte zu nennen – nur in einer solchen Gesellschaft kann es ein neues Menschenbild geben, das der im Universum vorgegebenen Wahrheit Rechnung zu tragen versucht.

3. In diesem Zusammenhang spielt für die Deutsche Gesellschaft das Grundgesetz (GG) eine zentrale Rolle (erlassen am 23. Mai 1949, 24:00 Uhr, ab dem 3. Oktober 1990 als Verfassung für das wiedervereinigte Deutschland , letzte Änderung in Kraft getreten am 1. Januar 2015 (Art. 2 G beschlossen am 23. Dezember 2014))

4. Im Wikipediabeitrag wird zurecht herausgestellt, dass im neuen GG im Gegensatz zur Weimarer Reichsverfassung „die Grundrechte … keine bloßen Staatszielbestimmungen [sind], sondern unmittelbar geltendes Recht [darstellen] für die der Menschenwürde verpflichteten Staatsgewalten (Art. 1). Die Grundrechte befinden sich am Anfang des Verfassungstextes und haben eine hervorgehobene Bedeutung sowohl als subjektive Bürgerrechte als auch in ihrer Funktion einer objektiven Wertentscheidung des Staatswesens. Sie dürfen in ihrem Wesensgehalt nicht angetastet werden. Der Grundsatz des Artikels 1, der diese Bindung festlegt, darf nicht verändert werden (Ewigkeitsklausel). (Siehe Wikipedia-DE GG).

5. Insofern, wenn im Art 1 des GG Die ‚Würde des Menschen‘ allem anderen vorangestellt wird, indem sie als ‚unantastbar‘ erklärt wird, die ‚zu achten und zu schützen‘ die ‚Verpflichtung aller staatlichen Gewalt‘ sei, dann bekommt der Begriff der ‚Menschenwürde‘ eine zentrale Bedeutung. Von dem Verständnis dieser Bedeutung des Begriffs ‚Menschenwürde‘ in der Deutschen Verfassung hängt dann sehr viel, um nicht zu sagen ‚alles‘ ab.

6. Es wird diese verfassungsorientierte Begriffsbestimmung sein, die für die Suche nach dem neuen Weltbild einen wichtigen Bezugspunkt darstellen wird. Bezugspunkt allerdings nicht als ‚Vorgabe‘, sondern als ‚Vergleichspunkt‘, ob und wieweit das aktuelle Menschenverständnis der Verfassung dem neuen – auf den neuen wissenschaftlichen und philsophischen und religiösen Erkenntnissen beruhenden – Menschenbild entspricht. Denn so, wie sich in ganz Europa (historisch als Morgenland und Abendland) die Auffassungen von Mensch und Gesellschaft und Staat in den letzten 4000 Jahren mehrfach und massiv immer wieder geändert haben, genauso werden die Erkenntnisse zum ‚Menschen im Universum‘ auch in der Zukunft weitergehen.

7. Historisch gesehen sind die Menschenbilder der drei europäischen Offenbarungsreligionen Judentum, Christentum und Islam eigentlich deutlich überholt, real gibt es aber immer noch viele Menschen, die an diesen überholten Menschenbildern festhalten. Deswegen wird man sich auch weiterhin immer wieder mit diesen Menschenbildern (und ihren wissensmäßigen Voraussetzungen) auseinander setzen müssen.

ZIEL DES BUCHES

8. In der Einleitung stellt der Autor Paul Tiedemann – promovierter Jurist und promovierter Philosoph, Richter am Verwaltungsgericht Frankfurt am Main – genau diesen zentralen – und zugleich fragilen – Zusammenhang heraus: erst ca. 50 Jahre nach der Verabschiedung des GG setzte eine intensivere Diskussion der Bedeutung dieses Begriffs ein. Stand für die meisten in den Jahrzehnten nach dem Krieg noch selbstverständlich mit dem Begriff der ‚Menschenwürde‘ die Abwehr der Naziwillkür unausgesprochen im Vordergrund, kamen z.B. mit den Diskussionen um Bio- und Gentechnologie, mit neuerlicher Terrorismusabwehr und den darin involvierte möglichen Foltermethoden, neue Themen ins Spiel. Zugleich zeigte sich auch weltweit, dass die Interpretation der Menschenwürde in zwischenstaatlichen Verträgen verschieden gesehen wird: der Begriff der ‚Menschenwürde‘ sei kulturabhängig, der Begriff der Menschenwürde sei spezifisch abendländisch, bis dahin, dass die globale Verwendung dieses Begriffs als eine Art ‚Kulturimperialismus‘ gesehen werden kann.

9. [ANMERKUNG: Und, man könnte noch ergänzen, dass angesichts des Wiedererstarkens alter Religionen, begleitet von einem neuen Erstarken globaler kapitalistischer , Menschen entwertender Wirtschaftsabläufen, sowie einer sich seit den 1980iger Jahren aufbauenenden Position eines technik-induzierten ‚Transhumanismus‘, dazu die Existenz vieler Staaten, in denen undemokratische Machtstrukturen herrschen, dies alles die Frage nach der Bedeutung und dem Stellenwert der ‚Menschenwürde‘ zusätzlich intensiviert.]

10. Sein Buch soll zur Klärung solcher Bedeutungsfragen beitragen, für die Orientierung helfen. Und Paul Tiedemann geht davon aus, dass sich hinter diesem Begriff ‚Menschenwürde‘ eine fundamentale Wertvorstellung verbirgt, die ernst genommen werden sollte.

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