Archiv der Kategorie: Organismus

Randbemerkung: Komplexitätsentwicklung (Singularität(en))

1. Momentan überschlagen sich die Ideen, die hier niedergeschrieben sein wollen; dies wirkt wie eine leichte Paralyse. Denkt man an die eine Idee, melden sich gleich drei andere und wollen auch gedacht sein…. hier wenigstens eine kleine Notiz.
2. Bisher gab es in diesem Blog immer wieder Überlegungen zur Zunahme von struktureller Komplexität im Laufe der Geschichte des bekannten Universums. Sehr ausdrücklich z.B. schon am 15.Oktober 2011.
3. Das Problem bei solchen Deutungsversuchen ist natürlich die Auswahl der Eigenschaftsbündel, die man für den Begriff ‚Komplexität‘ für relevant hält. Es gibt bislang sehr unterschiedliche Komplexiätsbegriffe, die nicht so ohne weiteres vereinheitlicht werden können. Es wäre eine eigene Arbeit, diese Begriffe sauber formal zu analysieren. In beschränktem Umfang tue ich das in meinen Arbeiten dynamischen Wissen (Beginn einer neuen Version des Skripts).
4. Andererseits gewinnt man oft nur Fortschritte, wenn man mit den bekannten Möglichkeiten einfach mal ‚herumspielt‘ und unterschiedliche Varianten ausprobiert. Dies habe ich seit Oktober 2011 immer wieder mal getan. Eine solche ‚Testanordnung‘ findet sich in den beiden folgenden Bildern.
5. Beiden Bildern liegen die gleichen Annahmen zugrunde, sie sind nur unterschiedlich angeordnet. Die Daten stammen aus verschiedenen Büchern und aus den englischen Wikipedia-Artikeln zur Entstehung des Universums (die Artikeln in der englischen Wikipedia sind überwiegend gut bis sehr gut).

Notizen zur Komplexitätsentwicklung im bekannten Universum. Die Achse links zeigt links unten die Gegenwart =0 Jahre, links oben den Beginn des bekannten Universums bei -13,77 Milliarden Jahre (Quellen für Zahlen:u.a. Englische Wikipedia). Die Achse oben zeigt von links nach rechts einige mögliche Komplexitätsausprägungen. Erklärungen: siehe Text.
Notizen zur Komplexitätsentwicklung im bekannten Universum. Die Achse links zeigt links unten die Gegenwart =0 Jahre, links oben den Beginn des bekannten Universums bei -13,77 Milliarden Jahre (Quellen für Zahlen:u.a. Englische Wikipedia). Die Achse oben zeigt von links nach rechts einige mögliche Komplexitätsausprägungen. Erklärungen: siehe Text.
Ausgewählte Komplexitätsereignisse seit Beginn der Erde
Ausgewählte Komplexitätsereignisse seit Beginn der Erde. Man beachte, (i) dass hier ein spezieller Komplexitätsbegriff gewählt wurde, und (ii) dass diese Auflistung einen zunächst explorativen Charakter hat.

6. Diesen Bildern liegen folgende Annahmen zugrunde: Die Bildung komplexer Moleküle, wie sie die Vorläufer zur Zellbildung darstellen, geschah in der kurzen Zeit zwischen der Erdendstehung und dem Auftreten erster Zellen, also zwischen -4,55 Mrd und -3,8 Mrd Jahren. Wann genau die Bedingungen auf der Erde so waren, dass sich überhaupt im großen Maßstab und dauerhaft komplexere Molekülmengen bilden konnten, ist im Nachhinein nicht ganz eindeutig zu entscheiden. Die Schätzungen gehen so in Richtung ab -4 Mrd Jahren. Dies bedeutet, dass es vom Beginn des bekannten Universums (ca. -13,77Mrd Jahre) bis zu diesen Molekülmengen ca. 9.77 Mrd Jahre gebraucht hat. Das sind etwa 71% der Gesamtzeit des bekannten Universums.
7. Von diesen ersten Molekülmengen bis zu den ersten Zellen vergingen dann ca. 200.000 Mio Jahre (Korrektur: 200 Mio!) , das sind ca. 1.45% der Gesamtzeit.
8. Das Auftreten von Vielzellern wird auf die Zeit ab -1Mrd Jahre datiert, also ca. 2,8 Mrd Jahre später, das entspricht ca.20.33% der Gesamtzeit.
9. Der Begriff ‚Organismen mit Organen‘ ist ein bischen ad hoc. Dahinter steckt die Annahme, dass der Aufbau komplexer Systeme jenseits ‚bloßer Vielzelligkeit‘ nach einer ‚modularen Struktur‘ verlangt. Organe kann man in diesem Sinne als ‚Module‘ betrachten, die in sich hochkomplex sind, die sich aber nach ‚außen‘ über ‚Schnittstellen‘ zu noch komplexeren Einheiten organisieren lassen. Spätestens mit der Besiedlung des Landes vom Meer aus vor -0.7 Mrd Jahre gab es Lebewesen, die solche komplexen Strukturen besaßen, also spätestens 300.000 Mio (Korrektur: 300 Mio)  Jahre später, d.h. nach ca. 2,17% der Gesamtzeit.
10. Die bisherigen Eigenschaften beziehen sich auf die ’strukturelle Organisation‘ des Körpers, für die wir ansatzweise Erklärungsmodelle besitzen (‚ansatzweise‘, nicht vollständig!). Die nachfolgenden Eigenschaftsbündel heben demgegenüber ab auf Eigenschaften des Verhaltens, die als Hinweise auf eine steigende Komplexität der inneren Organisation bilden können.
11. Ein Meilenstein ist hier sicher das Auftreten des homo sapiens sapiens ca. -200.000 Jahre, der sich durch sein Verhalten gegenüber den anderen Organismen durch eine höhere Intelligenz abhebt. Die Zeitspanne von den Multiorgan-Systemen bis zum homo sapiens sapiens beträgt ca. 5,08 % der Gesamtzeit.
12. Die nachfolgenden Strukturereignisse folgen dann in so kurzen Zeitabständen, dass sie sich als Bruchteile der Gesamtzeit immer wenigere ausdrücken lassen, so klein sind sie. Erste ‚Städte‘ werden auf ca. -9000 Jahre datiert, das sind ca. 190.000 Jahre nach dem Auftreten des homo sapiens sapiens, also ca. 0.0014% der Gesamtzeit später.
13. Die Verbreitung eines verteilten netzbasierten Wissens und Kommunizierens begann vor ca. 40 Jahren, als ca. 8960 Jahre später, d.h. nach ca. 0,00006% der Gesamtzeit.
14. Dies sind nur wenige Daten (man könnte diese Aufstellung sicher verfeinern). Aber man kann schon erkennen, dass es hier eine Art ‚Beschleunigung‘ dergestalt gibt, dass die Abstände bis zur Hervorbringung eines neuen Komplexitätsmerkmals immer kürzer werden. Dies zeigt die nächste Kurve: in dieser wurden einfach die obigen Abstände in % der Gesamtzeit eingetragen.

Kurve der Beschleunigung für die Komplexitätsbilldung: Links % der Gesamtzeit des bekannten Universums, unten die Ereignispunkte. Erklärung: im t Text
Kurve der Beschleunigung für die Komplexitätsbilldung: Links % der Gesamtzeit des bekannten Universums, unten die Ereignispunkte. Erklärung: im
Text

15. Diese Beschleunigung erinnert natürlich an die schon lange andauernde Diskussion über die Technologische Singularität, in der im Kern darauf abgehoben wird, dass die technologische Entwicklung künstliche (maschinelle) Formen von Intelligenz entstehen lassen wird, die die körpergebundene menschliche Intelligenz übersteigen wird und die – das ist der entscheidende Punkt – sich mit den verbesserten technologischen Möglichkeiten auch menschenunabhängig schneller weiterentwickeln kann. Dies wird zu einer weiteren Beschleunigung der Entwicklung führen, deren finalen Fortgang niemand mehr voraussagen kann. Dies bedeutet aber rein logisch, dass ein Fortbestand und eine Weiterentwicklung der menschlichen Intelligenz in diesem Gesamtkontext nicht von vornherein ausgeschlossen ist.
16. Denn, auch die Weiterentwicklung der menschlichen Intelligenz als Teil des Gesamtphänomens ‚Leben‘ ist ja vom heutigen Stand aus betrachtet in keiner Weise klar. Dass das Thema ‚Intelligenz‘ als Teil des Themas ‚Leben‘ in irgendeiner Weise schon an einem ‚Endpunkt‘ wäre, ist in keiner Weise abgemacht. Im Gegenteil, sieht man die bisherige Entwicklung (soweit wir sie bislang überhaupt verstehen können), so ist ja schon diese Entwicklung von einem Format, einer Komplexität, einer zeitlichen Ausdehnung, die unser aktuelles körpergebundenes Denken vollständig überfordert. Schon jetzt erarbeiten wir uns ja die leitenden gedanklichen Bilder nur mit Hilfe komplexer Maschinen und im Zusammenwirken vieler hundert Tausender, wenn nicht gar Millionen, von Gehirnen. Jedes Bild im Kopf eines einzelnen Gehirns ist ja weitgehend schon vermittelt und bezogen auf die Bilder in anderen Gehirnen, symbolisch aufgeschrieben, gespeichert, übersetzt, vielfältigst eingebettet, so dass wir in keiner Weise mehr nur von einer Einzelerkenntnis sprechen können, wenngleich das einzelne Gehirn sehr wohl noch sein individuelles, einzelnes Erkenntniserleben hat.
17. Aus der logischen Unmöglichkeit, den ‚Inhalt‘ der Singularity Hypothese voll denken zu können folgt u.a. auch das ‚Verbot‘, zu früh zu negative Schlüsse daraus zu ziehen, um sich dadurch möglicherweise um genau jene wichtigen Erkenntnisse zu bringen, die für uns alle wichtig sind. So ist es möglicherweise gefährlich, dass es sehr machtorientierte Denkzentren sind, die die Singularityhypothese vorschnell in ihrem einseitigen partikulären Machtdenken zu interpretieren und in ihrem Sinne zu manipulieren versuchen. Denn, wenn überhaupt, dann geht es bei der künftigen Entwicklung um das Leben schlechthin, um das Ganze, möglicherweise um etwas außerordentlich Rares im ganzen Universum. Denn, wenngleich die mathematische Wahrscheinlichkeit das prinzipielle Auftreten von Leben irgendwo im Universum grundsätzlich nicht ausschließen kann, so gilt auch umgekehrt, dass wir wissen, dass aus der reinen Wahrscheinlichkeit kein einziges konkretes Ereignis als reales folgen muss. Das tatsächliche Ereignis bleibt das Besondere, genau wie der Übergang von der Kohärenz der Quantenwelt zur konkreten dekohärenten Makrowelt unseres körpergebundenen Erlebens bislang jede Erklärung versagt. Für das Konkrete gibt es weder eine Erklärung noch eine Notwendigkeit. Das schiere Faktum des Konkreten ist die Ungeheuerlichkeit schlechthin, die allererste und die ungeheuerlichste Singularität (Ontologische Ur-Singularität), die es für unseren erlebend-erkennenden Wissensraum bislang gab und gibt.
18. Um also die sich andeutende ’neue‘ Singularität — eine vergleichsweise ‚kleine‘ und sehr ’schlichte‘– zu verstehen, sollte wir erst einmal unsere Hausaufgaben lösen und versuchen, die bisherige Ur-Singularität, nämlich das Universum, wie es zur Zeit auftritt, sich ereignet, zu verstehen. Innerhalb dieser Ur-Singularität beginnen wir eine Komplexitätswerdung zu erahnen, zu ertasten, anfangshaft zu denken, die sich abhebt vor einem allgemeinen ‚Rauschen‘. In unserer einfachen Alltagswelt ist all das, was sich von einem Rauschen abhebt, etwas ‚Geordnetes‘, ‚Bedeutungsvolles‘, etwas ‚Gewolltes‘. Im Nicht-Rauschen zeigt sich die Struktur des Daseins, u.a. unsere Körper, u.a. die Gedanken in unserem Gehirn, das Lächeln im Gesicht des anderen, gesprochene Worte.
19. ‚Musik‘ ist das, was jenseits des Rauschens geschieht. Während Rauschen nervt, weh tut, aggressiv machen kann, beunruhigt, können wir ‚Musik‘ als etwas ‚Schönes‘, ‚Wohltuendes‘ erleben. ‚Rauschen‘ ist eine Verdichtung von Zufällen. Wo der Zufall durchbrochen wird durch ‚Regelhaftes‘, beginnt sich Rauschen aufzulösen, weicht das ‚Unbestimmte‘ einem ‚Bestimmten‘.
20. In diesem Sinne ist das Auftreten von Strukturen, die bestimmte Eigenschaften mit sich bringen, das Durchbrechen des reinen Zufalls, des Unbestimmten. Im Sich-Ereignen von Strukturen ‚zeigt sich etwas‘. ‚Teilt sich etwas mit‘; man kann auch von ‚Offenbarung‘ sprechen. Jede sich ereignende Struktur ist eine Form von ‚Mitteilung‘ über das bloße ‚Rauschen‘ hinaus.
21. Bedenkt man, welch ungeheurer Aufwand getrieben wird, um im Rahmen des SETI-Programms (Search for Extra-Terrestrial Intelligence) nach ‚Mustern‘ in den elektromagnetischen Ereignissen des Universum zu suchen, die man als ‚Botschaften‘ deuten könnte, dann kann es schon wundern, warum wir die Muster, die wir schon haben, die wir selber darstellen, nicht als solche daraufhin untersuchen, welche ‚Botschaften‘ diese darstellen? Während die SETI-Botschaften nur vergleichsweise einfache Muster sein können, sind die Muster = Strukturen des Lebens selbst, die sich aus dem allgemeinen Rauschen ‚herausgeschält‘ haben, von einer unfassbaren Komplexität. Das ‚biologische Leben selbst‘ kann man als eine ‚Botschaft‘ begreifen, die sich in der Weite der Ur-Singularität, sprich des konkreten Universum als einzige bekannte Konkretheit eines Quantenraumes, zeigt. Das schiere Faktum dieser einzigartigen Ur-Singularität bedeutet noch nicht ihr ‚Verstehen‘! Als Teil dieser einzigartigen Singularität ’sind wir‘, aber dieses Dasein impliziert nicht automatisch ein volles Verständnis eben dieses Daseins. Obgleich die bisherige Geschichte (soweit wir sie verstehen) andeutet, dass eine Besonderheit dieser gewordenen Singularität ist, dass sie in Gestalt des Lebens begonnen hat, ’sich selbst zu verstehen‘ indem sie ’sich selbst konsumiert‘. Das ‚Leben‘ existiert ja nur durch ständigen Verbrauch von Energie zum Aufbau und Erhalt seiner Strukturen, die beginnen zu erkennen. Je mehr wir erkennen, um so mehr Energie (sprich: gewordenen Strukturen) verbrauchen wir, was bedeutet, in dem Masse wir wir durch Verbrauch von Energie erkennen, werden wir genau das, was uns in diesem Zustand möglich macht, vorhandene freie Energie, aufbrauchen. Bildhaft: im Zunehmen unseres eigenen Seins im Erkennen lösen wir unser Gegenüber im Erkennen auf. Das bekannte Universum in Form von Energie verwandelt sich in Erkanntes und verschwindet damit als etwas vom Erkannten Verschiedenes. Was wird mit dem ‚Erkannten‘ geschehen?
22. Alles sehr spekulativ. Aber wir sind mitten in diesem Prozess. Er findet statt, ob wir wollen oder nicht. Unser Verstehen ist ganz am Anfang. Die bisherigen Überlegungen zur technologischen Singularität sind – nach meinem Verständnis – viel zu simpel. Die wirklich interessanten Faktoren sind noch gar nicht berücksichtigt.

Eine Fortsetzung findet sich HIER.

Einen Überblick über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet man HIER

GEN — MEM — SEM

(1) Bei der Betrachtung der Entwicklung des (biologischen) Lebens auf der Erde tritt als markantes Ereignis (vor ca. 3.5 Mrd Jahren) die Verfügbarkeit von selbstreproduktiven Einheiten hervor: DNA-Moleküle werden dazu benutzt um unter Zuhilfenahme anderer Moleküle Proteinstrukturen in einer geordneten Weise so zu organisieren, dass daraus wieder Zellen, multizelluläre Organismen entstehen.

 

(2) In einem Abstraktionsprozeß wurden mathematische Modelle entwickelt, die die Struktur eines DNA.-Moleküls in solch einem selbstreproduktiven Kontext als ‚Informationseinheiten‚ identifizierten, die auch als ‚Gene‚ bezeichnet wurden. Der gesamte Informationsprozess wurde als ‚Genetischer Algorithmus (GA)‚ rekonstruiert. Gegenüber dem biochemischen Modell enthält er Vereinfachungen, zugleich bilden diese aber auch eine ‚Generalisierung‚, die eine mathematische Behandlung zulassen. Dadurch konnten sehr weitreichende Untersuchungen angestellt werden.

 

(3) Die Uminterpretation von genetischen Algorithmen als Classifier Systeme betrachtet die genetische Informationen als Wenn-Dann-Regeln (auch mehrere hintereinander). Je nachdem, welche Bedingungen vorliegen, werden nur bestimmte ‚Wenns‘ ‚erfüllt‘ und nur diese ‚Danns‘ werden aktiviert. Eine ‚Wenn-Dann-Regel‘ bildet einen ‚Classifier‚. Während genetische Informationen als solche eigentlich nur einmal im Leben eines (biologischen) Systems verändert werden (in der Realität natürlich auch durch Fremdeinwirkungen öfters), nämlich bei der Weitergabe der Informationen nach bestimmten Mustern/ Regeln geändert werden können (letztlich gibt es nur zwei Fälle (i) Rekombination nach einer festen Regel oder (ii) Zufällige Veränderung), können die Informationen, die als eine Menge von Classifiern kodiert sind, durch jedes einzelne Verhalten eines Systems geändert werden. Dies entspricht eher dem Organisationsniveau des Nervensystems bzw. dem des Gehirns in einem biologischen System.

 

(4) Betrachtet man Classifier Systeme auf der Organisationsebene des Gehirns, dann liegt auf der Hand, sie primär als Modell eines einfachen Gedächtnisses (Memory) zu sehen. Die ‚Wenns‘ (Engl. if) repräsentieren dann wichtige ‚Wahrnehmungszustände‘ des Systems (sensorische wie propriozeptive oder mehr), die ‚Danns‘ (Engl. ‚then‘) repräsentieren jene Aktionen des Systems, die aufgrund solcher Wahrnehmungen ausgeführt wurden und damit potentiell über die Veränderung einer (unterstellten) Situation zu einer Veränderung dieser Situation geführt haben, die wiederum die Wahrnehmung ändern kann. Da man mathematisch Wenn-Dann-Regeln (also Classifier) als Graphen interpretieren kann mit den ‚Wenns‘ als Knoten und den ‚Danns‘ als Übergänge zwischen den Knoten, sprich Kanten, bilden die Classifier als Graph den Ausgangspunkt für ein mögliches Gedächtnis.

 

(5) Nennen wir den ersten Graphen, den wir mittels Classifiern bilden können, Stufe 0 (Level 0), dann kann ein Gedächtnis mit Stufe 0 Wahrnehmungssituationen speichern, darauf basierende Handlungen, sowie Feedback-Werte. Feedbackwerte sind ‚Rückmeldungen der Umgebung (Engl. environment). Biologische Systeme verfügen im Laufe der 3.5 Miliarden dauernden Evolution mittlerweile über ein ganzes Arsenal von eingebauten (angeborenen, genetisch fixierten) Reaktionsweisen, die das System zur Orientierung benutzen kann: Hungergefühle, Durstgefühle, Müdigkeit, diverse Schutzreflexe, sexuelle Erregung usw. Im Englischen spricht man hier auch von drives bzw. verallgemeinernd von speziellen emotions (Emotionen). In diesem erweiterten Sinn kann man biologische Systeme auf der Organisationseben des Gedächtnisses auch als emotionale Classifier Systeme (emotional classifier systems) bezeichnen. Wenn man diese systemspezifischen Rückmeldungen in die Kodierung der Wenn-Dann-Regeln einbaut — was bei Classifiern der Fall ist –, dann kann ein auf Classifiern basierendes Gedächtnis die Wirkung von wahrgenommenen Situationen in Verbindung mit den eigenen Handlungen gespeichert (store) werden. Darüberhinaus könnte man diese gespeicherten Informationen mit geeigneten Such- und Auswertungsoperationen in zukünftigen Situationen nutzen, in denen man z.B. Hunger hat und man sich fragt, ob und wo und wie man an etwas Essbares kommen könnte.

 

(6) Der Begriff mem wurde in der Literatur schon vielfach und für sehr unterschiedliche Sachverhalte benutzt. In diesem Kontext soll ein mem* einen Knoten samt aller verfügbaren Kanten in einem Classifiersystem bezeichnen, das als Gedächtnis benutzt wird. Meme* sind dann — analog wie Gene — auch Informationseinheiten, allerdings nicht zur Kodierung von Wachstumsprozessen wie bei den Genen, sondern als Basis für Handlungsprozesse. Meme* ermöglichen Handlungen und die durch Handlungen ermöglichten Veränderungen in der unterstellten Umwelt können auf das handelnde System zurückwirken und dadurch die Menge der Meme* verändern.

 

(7) Wie wir heute wissen, haben biologische System — allerdings sehr, sehr spät — auch Zeichensysteme entwickelt, die schließlich als Sprachen zum grundlegenden Kommunikationsmittel des homo sapiens wurden. Kommunikation ermöglicht die Koordinierung unterschiedlicher Gehirne.

 

(8) Die allgemeine Beschreibung von Zeichen ist Gegenstand der Semiotik als Wissenschaft der Zeichen und Zeichenprozesse. Allerdings ist die Semiotik bis heute kaum anerkannt und fristet vielfach nur ein Schattendasein neben anderen Disziplinen. Dafür gibt es dann viele Teildisziplinen wie Phonetik, Linguistik, Sprachwissenschaften, Sprachpsychologie, Neurolinguistik usw. die nur Teilaspekte der menschlichen Zeichen untersuchen, aber es historisch geschafft haben, sich gesellschaftliche Anerkennung zu verschaffen.

 

(9) Eine Schwäche der Semiotik war — und ist es bis heute –, dass sie es nicht geschafft hat, eine einheitliche Theorie der Zeichen zu erarbeiten. Schon alleine die Vielzahl der ‚Gründer‘ der Semiotik (wie z.B. Peirce, de Saussure, Morris und viele andere) und deren unterschiedlichen begrifflichen Konzepte macht es schwer bis unmöglich, zu einer einheitlichen Zeichentheorie zu kommen.

 

(10) Ich habe mehrfach versucht, die beiden sehr unterschiedlichen Ansätze von Peirce (bewusstseinsbasiert) und Morris (Verhaltensbasiert) zu formalisieren und zu vereinheitlichen. Es scheint so zu sein, dass man bei Erweiterung des classifier-basierten Mem*-Konzeptes einen formalen Rahmen hat, der es erlaubt, sowohl die bewusstseinsorientierte Sicht von Peirce wie auch zugleich die verhaltensorientierte Sicht von Morris zusammen zu führen, ohne dass man deren Konzepte ‚verunstalten‘ müsste. Im Falle von Peirce kann man sein komplexes (und in sich selbst nicht konsistentes) System von Kategorien — so scheint es — drastisch vereinfachen.

 

(11) Stark vereinfachend gesagt kann man den Zeichenbegriff verstehen als eine Beziehung  zwischen einem Zeichenmaterial (das sowohl verhaltensrelevant  wie auch wahrnehmungsrelevant vorliegt) und einem Bedeutungsmaterial (das ebenfalls entweder verhaltensrelevant UND wahrnehmunsrelevant vorliegt oder NUR wahrnehmungsrelevant). Allerdings existiert eine solche Bedeutungsbeziehung nicht als wahrnehmbares Objekt sondern ausschliesslich als gewusste Beziehung im ‚Kopf‘ bzw. im ‚Gedächtnis‘ des Zeichenbenutzers. In Anlehnung an die griechische Philosophie möchte ich ein Zeichen als sem* bezeichnen. Ein sem* basiert zwar auf potentiell vielen memen*, stellt aber als ausgezeichnete Beziehung zwischen memen* etwas Eigenständiges dar. In diesem Sinne kann — und muss — man sagen, dass seme* eine neue Ebene der Organisation von Informationen eröffnen (was grundsätzlich keine neue Einsicht ist; ich wiederhole dies hier nur, da dies die Voraussetzung für die nächste Organisationsebene von Informationen ist).

 

Fortsetzung folgt.

 

SEXUALITÄT GESTERN, MORGEN, UND

Zuerst: 29.Juni 2011

Korrekturen: 20.Nov.2011

(1) Sexualität war und ist ein Kernthema unseres menschlichen Lebens; angefeindet, verherrlicht, verdammt, gepriesen, verfolgt, geehrt, Ware, Ideal, sündhaft, Sakrament, überlebensnotwendig, Konsumartikel, schmachtend, verwirrt, glühend, bezaubert, heiß, zart, aggressiv gewalttätig,… also schrecklich und schön zugleich.

Augen der Begierde 1
Augen der Begierde 1

(2) Die Erfahrung von Sexualität beginnt meistens irgendwo im Übergang von der Kindheit zur Jugend. Wenn die Wachstumsprozesse den Körper so zu verändern beginnen, dass Moleküle (Hormone) das Gehirn mehr und mehr in Form von Spannungs- und Erregungszuständen beeinflussen können. Die statistische Mehrheit der Körper hat irgendwann Empfindungszustände, die so vorher nicht da waren. Bei männlichen Körpern können diese Erregungszustände biologisch bedingt eine Intensität annehmen, die alle anderen Empfindungen gleichsam ‚übertönt‘ und damit zur ‚Qual‘ werden kann. Grundsätzlich sind sexuelle Erregungszustände an spezifische Auslöser gebunden, aber aufgrund des assoziativ-kreativen Charakters des menschlichen Gehirns kann dieses mehr und mehr alles und jedes in Verbindung zu sexuellen Erregungszuständen setzen, so dass dann gleichsam die ganze Welt nahezu permanent als Stimulus dienen kann, um spezifische sexuelle Erregungszustände zu erzeugen, die der Körper intern als ‚Belohnung‘ empfindet. Gehirne, die sich so verhalten, würde man in gewissem Sinne als ‚abnorm‘ bezeichnen, da sie es zulassen, dass die Vielfalt des Körpers und der Welt — ab einem bestimmten Punkt dann ‚zwanghaft‘ — einem einzigen internen Trieb ‚unterworfen‘ wird und damit das Gehirn seine Vermittlerfunktion für die ganze Breite des Leben immer mehr verliert; aber unser Gehirn kann sich einem einzelnen Bereich ‚dienstbar‘ machen; ’sich selbst überlassen‘ kann ein Gehirn sich in diesem Sinne ‚falsch programmieren‘. Dies zu ändern kann ab einem bestimmten Punkt nahezu unmöglich werden; letzte absolute Aussagen über das Verhalten unserer Gehirne sind allerdings — aus theoretischen Gründen — prinzipiell unmöglich.

(3) Diese körperlichen Prozesse von molekül-basierten Spannungs- und Erregungszuständen im Gehirn haben eine Empfindungsseite. Menschen erleben ihren Körper nicht ‚wie er ist‘, sondern so wie das Gehirn die Vielfalt der körperlichen Prozesse in Form von ‚bewussten Empfindungen‘ zur Verfügung stellt. Wir ‚empfinden‘ bestimmte Spannungen, wir ‚empfindenden‘ bestimmte Erregungen, wir ‚erleben‘ diese Spannungen und Erregungen als Momente einer jeweiligen Situationserfahrung ohne dass wir die dahinter liegende körperlichen (physiologischen) Prozesse selbst direkt erkennen könnten, da unser Gehirn uns diese ‚vorenthält‘ (würde das Gehirn uns die ungeheure Fülle aller körperlichen Vorgänge ‚ungefiltert‘ erfahren lassen, wir würden an dieser Komplexität möglicherweise ‚ersticken‘. Insofern ist das ‚Bewusstsein mit seiner Filterfunktion ein ungeheurer evolutionärer Fortschritt). In diesem Sinne ‚verstehen‘ wir im ersten Moment nicht, was mit uns passiert, sondern wir ‚erleben‘ diese Zustände passiv, als etwas, das uns geschieht, das uns betrifft, das uns beeinflusst. Für Kinder kann dies zu Beginn sehr wohl beunruhigend, ja möglicherweise erschreckend sein. Und jeder braucht seine Zeit (Monate, Jahre, Jahrzehnte (?)), um diese erlebbaren Zustände in geeignete Deutungs- und dann Handlungszusammenhänge einzuordnen. Als Kind und Jugendlicher übernimmt man Deutungszusammenhänge aus der Umgebung. Im Zeitalter von Massenmedien und Internet kann dies nahezu alles sein, was ein Kind so findet.

(4) Vom Standpunkt des ‚Lebens auf dem Planet Erde‘, das sich uns als komplexer Entwicklungsprozess zeigt — den wir bislang zwar noch nicht vollständig erklären können, aber doch in vielen Aspekten so umfangreich, dass wir einige interessante Mechanismen identifizieren können — stellt sich ‚Sexualität‘ als eine ‚revolutionäre Erfindung‘ dar, die dazu geführt hat, dass bei der Weitergabe der ‚Bauanleitung für neue Lebewesen‘ sich das Prinzip des ‚Mischens von Informationen‘ als für das ‚Überleben auf der Erde‘ als ‚erfolgreicher‘ erwiesen hatte als ein Verzicht auf dieses Mischungsprinzip. Da die Bauanleitung selbst (ein Molekül, die DNA, das Genom, die Erbsubstanz…) nicht lebensfähig ist, sondern nur ein Körper (ein Phänotyp), der sich anhand einer solchen Bauanleitung entwickeln kann (Wachsen, Ontogenese,….), war es wichtig, dass das Leben in der Phase der ‚agierenden Körper‘ ‚Vorsorge‘ dafür trifft, dass sich die Körper zum Zwecke der Mischung der Erbinformationen ‚finden‘ und ‚aktiv zusammenwirken‘. Die Konstruktionsaufgabe lautete: statte die Körper (Phänotypen) so aus, dass sich immer zwei so ‚attraktiv‘ finden, dass sie sich ‚angezogen‘ fühlen, dass diese Anziehung so stark ist, dass die umwelttypischen Widrigkeiten, Bedrohungen und Gefahren mit den daraus resultierenden Beunruhigungen und Ängsten diese Anziehung nicht vollständig neutralisieren können. Für diese Konstruktionsaufgabe fanden sich im Laufe der Jahrmillionen unterschiedliche Lösungsmodelle. Das Lösungsmodell beim homo sapiens — uns heute lebenden Menschen — kennen wir. Der Körper der Frau wirkt als ‚Reiz‘ (Stimulus) auf das Gehirn des Mannes, das diesen dann in solche Spannungszustände versetzt (volkstümlich: der Mann ist ‚Schwanzgesteuert‘), dass dieser sprichwörtlich tatsächlich nahezu alles vergessen kann, um seinen Trieb zu befriedigen. Diese Lösung, die viele tausend Jahre für das Überleben und die Weiterentwicklung des Lebens auf der Erde erfolgreich (in welchem Ausmaß ‚gewaltfrei‘?) war, hat durch die rasante Entwicklung der menschlichen Lebensformen heute — so scheint es — ‚Passungsprobleme‘ unterschiedlicher Art. Diese alle hier zu schildern würde zu weit führen; das Phänomen ist sehr bunt und vielschichtig (aber alleine eine Zahl wie ‚20.000 verschwundene (verschleppte?) junge Frauen im Jahr 2010‘ in einem (!) kleinen Ostblockland wäre – würde sie stimmen — ein grausamer Index für die soziale und ökonomische Realität eines schwer kontrollierbaren genetischen Merkmals bei männlichen homo sapiens Vertretern).

(5) Vom Standpunkt des Lebens auf der Erde ist eigentlich nur ein einziger Punkt interessant: das Leben in Gestalt des homo sapiens sapiens hat die Fähigkeit erlangt, die ‚Mischung von Erbinformationen‘ nicht mehr nur und ausschliesslich dem drei Milliarden Jahren alten Prinzip der Erbinformationsweitergabe zu überlassen, sondern wir können mehr und mehr eine solche Mischung nun mit speziell geschaffenen Techniken vornehmen. In dem Maße, wie der homo sapiens diese Technik so beherrschen kann, dass daraus lebensfähige Gebilde entstehen, wäre die bisherige Form von geschlechterspezifischen Körpern mit ihren komplexen Anziehungsmechanismen letztlich überflüssig. Salopp: zukünftigen geschlechtsneutralen Lebewesen könnte man auf Wunsch Pillen verabreichen, die für eine gewisse Zeit solche Spannungs- und Erregungszustände in den Gehirnen — und damit dann auch in bestimmten Körperteilen, sofern es noch welche gibt — induzieren würden, wie sie ‚damals‘ die ‚alten Menschen‘ hatten, die sich noch nicht aus dem genetischen Gefängnis befreit hatten. Vielleicht gäbe es dann nostalgische Geschichtsvereine, in denen man solche Pillen nehmen und entsprechende Filme ‚von früher‘ anschauen würde, begleitet von einem gewissen ‚Ekel‘, wie diese ‚primitiven Menschen von früher‘ sich von ihren ’sexuellen Zwängen‘ haben ‚knechten‘ lassen (speziell die Frauen würden den Zeiten von Schwangerschaft und schmerzhaften — bis hin zu gefährlichen — Geburten nicht unbedingt nachtrauern). Da bekannt ist, dass schon das ungeborene Kind während der Schwangerschaft mit dem Körper der Mutter und durch diesen mit der Umwelt ‚kommuniziert‘, würden entsprechende ‚Kommunikationsschnittstellen‘ entwickelt werden, um von Anfang an die Kommunikation eines neuen Lebewesens mit seiner Umgebung zu sichern.

(6) Durch die Tatsache, dass es ausschließlich der homo sapiens ist (bislang), der über das KnowHow und die Technik verfügt, Erbinformationen technisch gezielt mischen zu können, kann er dies nicht nur für die Erbinformationen der eigenen Art tun, sondern letztlich für alle Arten, ja, letztlich für das gesamte Phänomen des Lebens auf der Erde. Dies ist ziemlich ungeheuerlich. Es hat ca. 3.5 Milliarden Jahre gebraucht, bis das Leben eine Form annehmen konnte, die über diese Fähigkeit verfügt. Obwohl wir bis heute noch nicht wirklich völlig verstehen, wie es überhaupt zu den Anfängen des Lebens kommen konnte, verfügen wir im Prinzip über die Technologie, verändernd eingreifen zu können. Allerdings, bislang können wir — bildhaft gesprochen — nur die Buchstaben des Textes herumwirbeln, wie Kinder, die die herabgefallenen Blätter von den Bäumen herumwirbeln, wir haben nahezu keine Ahnung, wie man gezielt die möglichen Wirkungen (= Bedeutung, Semantik, Pragmatik) der Buchstabenkombinationen im Rahmen von Wachstumsprozessen ‚berechnen‘ kann. Eine ‚genetische Semantik‘ bzw. ‚genetische Pragmatik‘ steckt noch ganz in den Kinderschuhen. Doch, wie die bisherige Geschichte nahe legt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis wir dieses KnowHow haben werden. Wenn irgendetwas die Bezeichnung ‚historische Wende‘ verdient, dann diese Phase des Lebens auf der Erde; es ist der gewaltigste Umbruch, den es seit dem Beginn des Lebens auf der Erde gegeben hat.

Augen der Begierde 2
Augen der Begierde 2

(7) Wer bis hierher gelesen hat könnte den Einwand erheben, dass diese Sichtweise doch zu ‚biologistisch‘ sei und in keiner Weise der Tatsache Rechnung trägt, dass Menschen über den unmittelbaren ‚Trieb‘ hinaus noch andere ‚Emotionen‘, ‚Gefühle‘ in sich tragen, ‚Werte‘, die sie dazu befähigen, Interaktionen komplexe Institutionen zu realisieren, die nicht von sexuellen Motiven geprägt sind. Diesem Einwand würde ich zustimmen. In der Tat verfügt der Mensch über eine Bandbreite von Empfindungen, Emotionen, Gefühlen, Motivationen, Werten, die erstaunlich ist und die ihn zu Verhaltensweisen befähigen, die sich einem einfachen Verstehen entziehen. Während bei Tieren die Sexualität etwas Unausweichliches hat, kann der Mensch damit letztlich gestalterisch ‚umgehen‘, bis dahin, dass es Menschen gibt, die sich aus eigenen Stücken entschlossen haben, ‚Keusch‘, d.h. ‚frei von Sexualität‘, zu leben. D.h. die ‚Plastizität‘ des menschlichen Gehirns kann sowohl dazu ‚missbraucht‘ werden, immer mehr dem ‚Sexualtrieb‘ ‚zuzuarbeiten‘, als auch dazu, aus der großen Bandbreite von anderen Bedürfnissen, Stimmungen, Gefühlen, Emotionen usw. ‚Zufriedenheitskonstellationen‘ zu ‚erlernen‘, ‚einzuüben‘, die sexfrei sind oder wo die Sexualität nur ein bestimmter Teil eines größeren Zusammenhanges ist (die Pädagogen/ Therapeuten sprechen hier von der ‚Integration des Triebes‘). Diese Fähigkeiten des Menschen, ‚über‘ (trans…) konkrete Bedürfnisse hinaus Motivationen entwickeln zu können, macht den Menschen als Lebensform ‚auffällig‘, lässt ihn in einem ‚besonderen Licht‘ erscheinen, wirft zahllose Fragen auf, fasziniert. Zwischen Menschen — nicht nur zwischen Frau und Mann, sondern auch Frau und Frau, Mann und Mann — kann es Gefühlszustände geben, die sehr intensiv und nachhaltig sein können, ohne dass dies unmittelbar etwas mit Sexualität zu tun haben muss, Gefühle, die weder Geschlechts- noch Altersgrenzen kennen, die sich auch nicht durch abweichendes Aussehen beeinflussen lassen (Mir ist nicht bekannt, dass es dazu irgendwelche wirkliche Forschungsarbeiten gibt; dies sind aber Lebenserfahrungen).


Es gab eine Art Fortsetzung der Gedanken unter dem Titel SEXARBEITERiINNEN – Sind wir weiter?

Eine Übersicht über alle Blogbeiträge nach Titeln findet sich HIER.

Weil es Sinn gibt, kann sich Wissen akkumulieren, das Sinn sichtbar macht. Oder: warum die Frage ‚Warum gerade ich?‘ in die Irre führen kann.

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 15.Juni 2011
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

KONTEXT

Zum Thema ‚Sinn‘ hab es einen vorausgehenden Beitrag mit dem Titel „Zur Grammatik des Sinns„, der möglicherweise hilfreich ist, um diesen Beitrag zu vertiefen.

(1) Wenn etwas ‚Schlimmes‘ passiert, dann fragen sich viele Menschen ‚Warum gerade ich?‘ (hätte es jemanden anderen getroffen wäre man vielleicht ‚berührt‘ — falls man der anderen Person nahe stand –, aber es würde einen bei weitem nicht so zentral treffen wie das eigene Leid. Wenn etwas subjektiv ‚Schönes‘ oder gar ‚Außergewöhnliches‘ geschieht, dann geraten die einen außer sich und halten sich womöglich sogar für ‚auserwählt‘, womöglich für etwas ‚Besonderes‘; andere bekommen sofort Angst, dass sie all dies, kaum dass sie es besitzen, wieder verlieren könnten, dass sie ‚dem Schicksal‘ misstrauen; sie haben bislang — in ihrer Wahrnehmung — nicht viel Gutes erlebt, also verbietet es ihr Denken, das ‚punktuell Schöne‘ ‚anzunehmen‘; oder trotzig gerade doch: es geht ja doch, ich habe es immer gewusst….

(2) Man kann den Eindruck gewinnen, dass wir tendenziell eine ‚Deutungstendenz‘ in uns tragen, die in allem nach einem ‚möglichen Sinn‘ sucht, der die eigene ‚Werthaftigkeit‘ unterstützt, der klar macht, dass das eigene Leben doch irgendwie einen ‚Wert‘ und einen ‚Sinn‘ hat. Andererseits, wenn wir uns lange Zeit schwer tun, einen ‚Sinn‘ zu erkennen, dann kann dies sehr anstrengend, kann es schmerzhaft sein, keinen Sinn zu erkennen; dann ist es einfacher einen Sinn grundsätzlich auszuschließen (z.B. das alte Gegensatzpaar ‚Gläubige‘ gegen ‚Ungläubige‘, ‚Theisten‘ versus ‚Atheisten‘, ‚Optimist‘ vs. ‚Pessimist‘, …), überraschen lassen kann man sich ja immer noch.

(3) Es ist nicht leicht zu sehen, ob man diese Frage(n) nach dem Sinn überhaupt beantworten kann. Bei der Untersuchung der Frage, wie Wissen generell entstehen kann, wie Systeme generell lernen können, stellt man irgendwann nicht nur fest, wie ungeheuer schwierig die Entwicklung von Wissen ist, sondern dass es so etwas wie ein ‚Optimum‘ nicht isoliert für ‚ein einziges‘ System geben kann, sondern nur im Wechselspiel zwischen einem System und der ‚zugehörigen‘ Umgebung. ‚In‘ dieser bzw. ‚bezogen auf diese‘ kann das Verhalten eines Systems und sein aktueller Zustand einen bestimmten ‚Wert‘ haben; ohne diesen Zusammenhang ist nicht klar, wie man die ‚Werthaftigkeit‘ eines Systems definieren soll. Ein ‚individuelles System an sich‘ gibt es nicht. Alle bekannten Systeme — biologische wie technische — kommen immer nur vor als ‚Teil eines Ganzen‚.

(4) Traditionelle Deutungssysteme (mythische, religiöse, philosophische,…?) fallen dadurch auf, dass sie versuchen, dem einzelnen Menschen einen Deutungszusammenhang anzubieten, der es ihnen erlaubt, trotz der Vielfalt der wechselnden Alltagsbilder ‚in Allem‘ einen ‚Sinn für sich selbst‘ erkennen zu können, der ’stabil‘ ist gegen die Schwankungen des Alltags.

(5) Stellt man solche traditionellen Deutungsstrategien in Frage, kann man aus Sicht der ‚Anhänger‘ dieser Deutungsstrategien sehr schnell als ‚Bedrohung‘ angesehen werden, nicht nur als Bedroher des gedeuteten Sinns, sondern dann auch als Bedroher des eigenen Lebens, das durch diesen ‚gedeuteten Sinn‘ einen ‚abgeleiteten Sinn‘ hat/hatte, der durch die Infragestellung der Deutung womöglich abhanden kommt. Letztlich ist es egal welche Deutungsstrategie man in Frage stellt (religiöse, philosophische, esoterische, ad-hoc Alltagsmythologien, Verschwörungstheorien,….), entscheidend ist, dass man durch die Infragestellung bei den jeweiligen ‚Anhängern‘ (‚Gläubigen‘) den Eindruck erweckt, man greife mit der Deutung auch den gedeuteten Sinn selbst an, und damit zentrale ‚Gegenstände‘ des subjektiven Denkens, das sich ‚in‘ diesen ‚geglaubten‘ Gegenständen eine Weltsicht ‚gebaut‘ hat, die ‚Heimat‘, ‚Sinn‘ und persönlichen ‚Wert‘ (für viele Geschäftemacher aber auch konkrete Einkünfte) verspricht.

(6) Die ‚Stabilisierung des Alltags‚ durch Ausdeutung eines Sinns kann man negativ als ‚Immunisierung‚ verstehen, als Versuch der ‚Abschottung‘ vor den ‚Tiefen‘ und ‚Unwägbarkeiten‘ des realen Lebens. Doch letztlich partizipiert diese Tendenz der ‚Stabilisierung durch Deutung‘ von der allgemeinen Natur des Wissens, in einem anfänglichen ‚Meer von isolierten Zufälligkeiten‘ schrittweise ‚Muster‘ und ‚Zusammenhänge‘ erkennen zu können, die sich mehr und mehr zu komplexen Strukturen, Modellen, Theorien formen können. D.h. es ist die Eigenart unserer biologisch bedingten Wissensmaschinerie, die uns dazu anleitet/ führt/ zwingt, im Strom der Zufälligkeiten Nicht-Zufälliges aufzuspüren und dieses dann — wie Steine im fließenden Bach — als ‚Sprungstellen‘ zu benutzen, um ‚in allem Nicht-Sinn‘ dann doch Umrisse eines möglichen ‚Sinns‘ erkennen zu können.

(7) Streng genommen sind selbst die radikalsten wissenschaftlichen Modell bzw. Theoriebildungen Formen von ‚Sinngebung‚. Im Unterschied zu den vielfältigen Formen ‚alltäglicher Deutungen‘ mit Tendenz zur Abschottung, zur Immunisierung (die Andersgläubigen, die Ausländer, die Nachbarn, die Polizei, die Politiker, die Banker, die Proleten, die Versager, die Karrieristen, …) bieten wissenschaftliche Deutungsmodelle zumindest prinzipiell eine Transparenz für alle Daten und Methoden, die benutzt werden, um eine bestimmte Deutung aufrecht zu erhalten. Je komplexer wissenschaftliche Deutungen werden, je mehr persönliche Eitelkeiten von Forschern sich mit der Geltung einer bestimmten Deutung verknüpfen, je mehr finanzielle Einkünfte und politische Macht sich mit einer bestimmten Deutung gewinnen lassen, um so eher steht natürlich auch eine sogenannte wissenschaftliche Deutung in Gefahr, sich ‚unwissenschaftlich zu stabilisieren‘, sich zu ‚immunisieren‘, da der Verlust der Deutungshoheit einhergehen würde mit dem Verlust von vielen sekundären Vorteilen, die direkt nichts mit Wahrheit zu tun haben.

(8) Es gibt also eine eingebaute Tendenz der biologischen ‚Wissensmaschinerie‘ nicht nur überhaupt Deutungen zu generieren, sondern den Inhalt dieser Deutungen als das zu nehmen, was die erfahrbare flüchtige Welt ‚eigentlich‘ ist. Während wir alle von Geburt an automatisch Teil dieses ‚Deutungsgeschehens‘ sind, ist es nicht auch automatisch der Fall, dass wir uns dieses ‚vorprogrammierten Deutungsspiels‘ ‚bewusst‘ werden. In der ‚Simulation von Welt‘ ‚in unserem Kopf‘ ist das biologische Gehirn so meisterhaft, dass viele Menschen bis zu ihrem Tode niemals gemerkt haben, dass die Welt, die sie ‚zu sehen meinten‘, gar nicht die Welt ist, die real außerhalb des Gehirns existiert, sondern ’nur‘ die Welt, wie sie das Gehirn kontinuierlich aufgrund der ihm verfügbaren ‚Signale‘ ‚zusammenbaute‘. Aufgrund von vielen hundert Millionen Jahren ‚Entwicklungszeit‘ hat das Gehirn darin eine ‚Meisterschaft‘ erlangt, die uns die Möglichkeit bietet, auch ohne spezielles bewusstes Wollen Strukturen in der uns umgebenden Welt erkennen zu können, die wir in unserer Bewusstheit noch nie gedacht hatten. M.a.W. unser Gehirn ‚erzählt‘ uns kontinuierlich eine Geschichte von der Welt, die ein hohes Maß an Plausibilität besitzt, aber dennoch nur eine bestimmte (begrenzte) Deutung aufgrund spezieller Annahmen ist.

(9) Der seit Jahrtausenden anhaltende Versuch von Menschen, der automatischen Erkennungsleistung des Gehirns explizit konstruierte zusätzliche Deutungsmodelle an die Seite zu stellen, stellt eine außerordentliche Leistung dar, ist aber aufgrund der unausweichlichen Komplexität des Geschehens auf Schritt und Tritt anfällig für Fehler und Fehldeutungen. Es ist die Aufgabe der vielfältigen wissenschaftlichen (und auch philosophischen) Disziplinen, das gesamtgesellschaftliche Deutungsgeschehen kontinuierlich zu verbessern.

(10) Sofern ein Deutungsgeschehen — in welche Form auch immer — bestimmte Deutungsinhalte ’sichtbar‘ macht, die als ’sinngebend‘ verstanden/ erlebt werden, geschieht dies niemals ohne einen Bezug zu ‚vorgegebener Welt‘, es sei denn, die Deutungsinhalte sind ‚reine gedankliche Konstruktionen‘, ‚Phantasiegebilde‘, ‚gedankliche Spielereien‘, ‚gedankliche Erfindungen‘ und damit ‚beliebig‘, ‚wertlos‘. ‚Wertvolle‘ Deutungsinhalte entstammen letztlich immer einer ‚Begegnung‘ des erkennenden Systems mit einem ‚Anderen‘, das im erkennenden System eine Art ‚Echo’/ ‚Widerhall’/ ‚Erschütterung‘ … erzeugt. In diesem fundamentalen Sinn sind ‚wertvolle Deutungsinhalte‘ ‚wahr‘, weil es das, ‚wovon’/ ‚worüber‘ sie handeln, unabhängig vom Deutungsmedium in irgendeiner Form ‚tatsächlich gibt‘. Wenn jemand also ‚unwahre‘ Deutungen kritisiert, dann gefährdet er den Deutungsinhalt wesentlich. Im Falle von ‚wahren‘ Deutungen ist dies nicht so; durch die Kritik am deutenden Modell, am Deutungsmedium, am Deutungsgeschehen wird die wahr Ursache der Deutung nicht beseitigt. Im Gegenteil, ein — vernünftig geführter — ‚Deutungsstreit‘ trägt meistens dazu bei, ‚die zu deutende Sache‘ als Anlass einer Deutung weiter zu klären. Angesichts der Unzulänglichkeiten der biologischen Wissensprozesse sind Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte keine lange Zeit, letztlich ‚evolutionäre Augenblicke‘. Wahre (!) Wahrheit verschwindet also nicht durch die Kritik an ihrer Deutung; sie kann allerdings für eine gewisse Zeit ‚verdeckt‘ bleiben. Falsche (!) Wahrheiten können ebenfalls Jahrhunderte — oder gar Jahrtausende — überdauern, wenn die Menschen nicht bemerken, dass diese Deutungen letztlich nicht der Welt entsprechen, wie sie außerhalb ihres Denkens ist, sondern nur als Konstruktion in ihrem Kopf.

(11) Entsprechend der Volksweisheit ‚Aus Nichts kommt nichts‘ haben wir in der modernen Logik gelernt, dass man nur etwas beweisen kann, was man zuvor angenommen hat; die Physiker belehren uns über den Energieerhaltungssatz, der anders formuliert besagt, dass ich aus einem System nicht mehr Energie herausbekommen kann, als sowieso schon drin steckt. Im Bereich Wissen gilt letztlich etwas Analoges: ich kann nur wissen, was es schon gibt. In dem heute bekannten Kosmos haben wir — bezogen auf die Verteilung von Energie — noch ‚lokale Ungleichheiten‘. Diese ermöglichen die Entstehung von biologischen Systemen, die lokal Energie ansammeln und in dieser zeitlich begrenzten Energieakkumulationen Strukturen möglich machen, die partiell ‚unwahrscheinlich‘ sind und damit ‚Informationen‘ darstellen, die wir als ‚Wissen‘ erleben: Strukturen, die uns im Fluss von ‚Zufälligkeiten‘ als ‚Häufigkeiten‘ auffallen, die wir ’speichern‘ können, und die wir im Kontext des ‚Fortgangs‘ weiter ‚bewerten‘ können. Durch solche bewertbaren speicherbaren Häufigkeiten akkumulieren Energieungleichheiten als Wissen, das in der Tat letztlich ’nur‘ ein Echo dessen darstellt, was uns Erkennenden ‚widerfährt‘!!! In der Form des erfahrungsbasierten Wissens akkumulieren sich Aspekte des kontinuierlichen Weltgeschehens in verstehtigten Augenblicken, durch die etwas ’sichtbar‘ werden kann, was als Weltgeschehen kontinuierlich ‚abläuft‘, ohne dass der Ablauf als solcher ‚um sich weiß‘. Aber biologische Systeme als Teil dieses kosmischen Ablaufs können im Ablauf Aspekte des Ablaufs ‚akkumulieren‘, diese dadurch ‚füreinander sichtbar‘ machen, und in diesem ‚Füreinander-Sichtbarmachen‘ die Umrisse eines ‚wachsenden Sinnes‘ sichtbar machen, der etwas über das ‚Innere‘ des Kosmos erzählt, über seine ‚mögliche Seele‘, über den möglichen ‚Weltgeist‘ (der selbst möglicherweise keine biologische Strukturen benötigt, um zu ‚wissen‘; biologische Systeme sind spezielle Konstellationen innerhalb der materiellen Makrostrukturen).

(12) Wenn es also ‚für uns Menschen‘ einen Sinn gibt, dann nur, weil es diesen Sinn schon immer unabhängig von uns gibt und nur in dem Modus, dass wir diesen potentiellen wahren Sinn in einem gemeinsamen Deutungsgeschehen über Jahrhunderte, Jahrtausende… schrittweise aufdecken. Dass die zeitliche und körperliche Begrenztheit unseres biologischen Lebens diesen globalen Sinnzusammenhang nicht in Frage stellen können, ergibt ich daraus von selbst. Sinnlosigkeit besteht dann nur solange, als der einzelne sich nicht als Teil des größeren Sinnzusammenhanges verstehen und erleben kann. … was einfacher klingt als es real getan ist…..

 

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Zwischenergebnis Juni 2011: Nochmals zur Fitnessfunktion

  1. Die Überlegungen vom 20.2.2011 ‚Jenseits des Wärmetods‘ stehen weiter im Raum. Auf mehreren Ebenen ist seitdem viel passiert. Ein ‚track‘ ist die andauernde Analyse, wie Wissen in künstlichen Systemen entstehen kann, das ’nützlich‘ ist. Ich untersuche dazu weiterhin beispielhaft und modellhaft sogenannte genetische Algorithmen (GA) und Lernende Classifier Systeme (LCS).

  2. Genetische Algorithmen ‚leben davon‘, dass es eine sogenannte ‚Fitness Funktion‘ gibt, die die Aktionen eines genetischen Systems in einer Welt ‚kommentiert‘. Ohne diese Kommentare ist ein genetisches System ‚blind‘. Solange ein genetisches System ‚lebt‘ kann es interessante Informationen über die umgebende Welt ansammeln (was tatsächlich noch von vielen wichtigen Details abhängt).

  3. Fitness Funktionen stellen aber letztlich selbst eine bestimmte Form von Wissen dar, in dem bestimmten Eigenschaften der umgebenden Welt Wertungen zugeordnet werden, anhand denen sich ein genetisches System ‚orientieren‘ kann.

  4. Im Falle ‚technischer‘ genetischer Systeme sind es die Ingenieure, die ihr Wissen in Fitnessfunktionen ‚verpacken‘ und damit genetische Systeme ermöglichen.

  5. Im Fall ’natürlicher‘ Systeme gibt es keine Ingenieure. Man muss sich fragen, wie hier eine Fitnessfunktion zustande kommt.

  6. Die primäre Fitnessfunktion ist bei natürlichen Systemen das ‚Überleben‘ einer Population (= das genetische System), deren Mitglieder genügend ‚Nachkommen‘ erzeugen, die wiederum bestehen. Dies bedeutet, im Faktum des Überlebens einer Population (die einzelnen Mitglieder sterben, aber die Population überlebt!) manifestiert sich, dass die jeweiligen Mitglieder alle diejenigen ‚Aufgaben‘, die die Welt stellt, ‚hinreichend lösen‘ konnten.

  7. Was so einfach klingt ‚eine Population überlebt‘ stellt bei näherer Betrachtung eine gedankliche Provokation ersten Ranges dar. Wenn man voraussetzt, dass es natürliche Systeme gibt, die ‚leben können‘, erscheint die Aussage ‚trivial‘. Das Problem beginnt aber vorher: wie konnte es dazu kommen, dass sich komplexe natürliche Systeme bilden konnten, ohne dass es ein Team von Ingenieuren gab, die den Molekülen gesagt haben, wie sie sich ‚anordnen‘ sollten (ganz abgesehen von der Frage, wie es zur Bildung jener Moleküle aus Atomen kommen konnte, die heute als grundlegend für die Bildung von natürlichen Systemen angesehen werden. Bislang gibt es dazu noch keine vollständige Antwort!).

  8. Wie wir heute wissen, ist schon eine einzige Zelle von extremer Komplexität. Die Komplexität der aktiven Moleküle ist mathematisch nahezu nicht ausdrückbar. Sowohl zu ihrer Bildung wie auch zu ihrem ‚Erhalt‘ benötigt es beständig Energie. Zur ‚Vererbung‘ all dieser Komplexität werden Molekülstrukturen benutzt, die nicht nur ‚Inhalte‘ kodieren, sondern auch ‚Prozesse‘, wie diese ‚Inhalte unter ‚Verwendung‘ von Molekülen ‚erzeugt werden sollen/ können. Es ist mir nicht bekannt, dass die Wissenschaft heute auch nur ansatzweise eine Vorstellung davon hat, wie es zur Ausbildung dieses komplexen Informationsweitergabelmodells kommen konnte.

  9. Bekanntlich bestehen die meisten Pflanzen und Tiere heute nicht aus einer solchen komplexen Zelle, sondern aus vielen hundert Millionen, vielen hundert Milliarden Zellen, die miteinander ‚kooperieren‘ und ‚kommunizieren‘, ohne dass irgendein Ingenieur dafür auch nur den kleinsten Finger bewegt hat bzw. bewegt.

  10. Ferner besteht das Leben auf der Erde nicht aus nur einem solchen hyperkomplexen Organismus sondern aus vielen Milliarden von ganz unterschiedlichem Zuschnitt, deren Zusammenwirken die Biosphäre ausmacht.

  11. Lernende Classifier Systeme sind einfache Modelle, wie man u.a. die Reaktion eines einzelnen Systems auf die Welt modellieren kann. WENN das System etwas Bestimmtes ‚wahrnimmt‘, DANN soll es in einer bestimmten Weise reagieren. Unter Zuhilfenahme einer Fitnessfunktion kann man auch dieses Wissen ‚dynamisch‘ gestalten und es sich ‚verändern‘ lassen entlang dem ‚Gradienten‘ zum ‚Besseren‘. Auch hier gilt –wie oben –, dass die Fitnessfunktion selbst eine Form von ‚Wissen‘ darstellt, das letztlich die Richtung der möglichen Entwicklung festlegt. Auch hier kann man wieder die Frage stellen, wo dieses Wissen herkommt.

  12. Im Fall von natürlichen Systemen wissen wir, dass diese ab einem bestimmten Punkt der Komplexität ‚intern‘ Bewertungsmechanismen ausgebildet haben, die es ihnen erlauben, bis zu einem gewissen Grad auch schon in der Zeit ‚vor dem Tod‘ erlebbare Situationen zu ’sortieren‘ in solche, die ’nützlich‘ sind und solche, die es ’nicht‘ sind.

  13. Es stellt sich die Frage, wie es möglich ist, dass natürliche Systeme ihre eigenen Strukturen in einer so markanten Weise ‚umbauen‘ können, dass die schon von Anfang an komplexe Strukturen ihre Strukturen ‚weiter ausdehnen’/ ‚erweitern‘, und zwar nicht ‚chaotisch‘, sondern so ‚geordnet‘, dass diese erweiterten Strukturen im Rahmen der gesamten Überlebensaufgabe eine ’sinnvolle Teilaufgabe‘ übernehmen können.

  14. An dieser Stelle auf die bekannten genetischen Mechanismen zu verweisen, würde genau an der eigentlichen Problemstellung vorbei gehen. Abgesehen davon, dass die Entstehung der genetischen Mechanismen selbst mehr oder weniger unklar ist geht es ja um die ‚mittels der genetischen Mechanismen‘ transportierten Informationen über potentielle Prozesse von Wachstum und Selbstorganisation.

  15. Wer jemals selbst versucht hat, künstliche formale Systeme so zu programmieren, dass diese sich in einem analogen Sinne ‚weiter entwickeln‘, und zwar ’sinnvoll‘, dem ist klar, dass die reale Vorgabe der natürlichen Systeme ‚ein Komplexitätsspiel spielt‘, für das uns bislang brauchbare Vorstellungen fehlen.

  16. (Anmerkung: die aktuell bekanntgewordene Forschungsprojekte, in denen man für viel Geld Milliarden von künstlichen Neuronen zusammenschmelzen will und dann — wie von Zauberhand — auf die Entstehung sinnvoller Strukturen hofft, erscheinen mir grotesk und lächerlich. Dass es für diese Projekte keine wirklichen Begründungen gibt, ist verständlich, machen die Projekte dadurch aber nur noch grotesker. Voodoo besitzt mehr Rationalität als diese sogenannte Forschungen.).

MENSCHENBILD IM WANDEL

Vortrag am 24.Nov.2010 im Rahmen des gesellschaftspolitischen Forums ‚Bad Nauheimer Gespräche e.V‘ in Fankfurt am Main

Kurzfassung

Einleitungsmusik

  1. Das Thema führt weit über die üblichen Fachgrenzen hinaus. Dies setzt den Vortragenden allerlei Risiken aus, die ihn zum ‚Narren‘ machen können (Zitat E.Schrödinger, 1944). Aber die Sache verlangt dies. Ohne Risiko gibt es keine neuen Erkenntnisse.

  2. Vor seiner Zeit als Informatiker hatte der Vortragende eine intensive Zeit von mehr al 20 Jahren als engagierter Theologe, Jugendsozialarbeiter und Philosoph. In dieser Zeit lernte er die jüdisch-christliche Position von den schriftlichen und praktischen Grundlagen her sehr intensiv kennen. Dies umschloss eine grundsätzliche Gegenüberstellung zwischen dem impliziten Weltbild der Naturwissenschaften und der Technologie gegenüber den theologisch geisteswissenschaftlich orientierten Weltbildern.

  3. Im Versuch , die Grenzen des naturwissenschaftlich-technologischen Weltbildes aufzudecken – und bei gleichzeitig anhaltender intensiver Auseinandersetzung mit der jüdisch-christlichen Tradition – lernte er aber langsam, dass die Grenzen sehr wohl auch auf Seiten des jüdisch-christlichen Weltbildes liegen und die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse demgegenüber eine neue Perspektive öffnen, die alte Grenzen sprengen und neue zukunftsweisende Dimensionen öffnen können, wenn man sie entsprechend nutzt.

  4. In einer kurzen Skizze des Alltagsdenkens machte der Vortragende darauf aufmerksam, dass all unser Wissen von der Welt um uns herum nicht ‚direkt‘ diese Welt widerspiegelt, sondern eine Leistung unseres Gehirns ist, das beständig die vielen Millionen sensorischen Signale von der Umgebung des Körpers wie auch aus dem Innern des Körpers in ein räumliches Gesamtbild transformiert, das für das Verhalten in der Umgebung in den meisten Fällen ‚ganz gut funktioniert‘. In vielen Alltagssituationen, durch zahllose psychologische Experimente wie auch –siehe später – durch die neuen Erkenntnisse der Physik kann man zeigen, dass dieses vom Gehirn erzeugte ‚Bild‘ von der Welt vielfach ungenau oder gar falsch ist. Nichtsdestotrotz ist diese Leistung des Gehirns unglaublich und nur verständlich vor der sehr, sehr langen Genese des heutigen Gehirns in den heutigen Körpern.

  5. Es folgte dann ein kursorischer Überblick über die Entwicklung des Lebens seit dem Beginn des messbaren Universums vor ca. -13.6 Milliarden Jahren. Anhand von vier Schaubildern konnte man wie im Zeitraffer sehen, welche ungeheuren ‚Vorleistungen‘ erbracht werden mussten, bis dann bei ca. -3.6 Milliarden Jahren die ersten Zellen auftraten, die dann in den letzten ca. 600 Millionen Jahren zur Besiedelung des Landes mit Pflanzen, Tieren und dann vor ca. 3 – 0,2 Mio Jahren auch mit menschenähnlichen Lebewesen und dann mit dem heute bekannten homo sapiens sapiens führten. Diese Geschichte ist randvoll mit Dramatik und zeigt, welcher Preis gezahlt werden mußte, damit es uns Menschen so, wie wir uns heute kennen, überhaupt geben konnte. Nach den Prognosen der Physik wird in ca. 1 Milliarde Jahre die Sonne die Erde verglühen lassen. Gemessen an der zurückliegenden Zeit bleibt also nur noch eine verhältnismäßig kurze Zeit, bis das Leben auf der Erde für diese neue totale Herausforderung eine Lösung gefunden hat (falls es sie gibt; grundsätzlich natürlich ja).

  6. Eine tiefreichende Einsicht der modernen Physik ist die Einsicht, dass all das, was wir als ‚Materie‘, ‚Substanz‘, ‚Stoffe‘ kennen nichts anderes ist als eine Zustandsform von Energie. Mit Hilfe der modernen Teilchenbeschleuniger kann man zeigen, wie sich jede Substanz (Materie, Stoff) in jede andere Substanz verwandeln läßt, wenn man genügend viel Energie zuführt. Einsteins Formel ‚E=mc²‘ stellt den Zusammenhang zwischen Energie ‚E‘ und Masse ‚m‘ über die Lichtgeschwindigkeit ‚c‘ direkt dar. Von daher ist auch verständlich, dass das heute bekannte messbare Universum, das mit einem ‚Energieausbruch‘ unvorstellbaren Ausmaßes begann, dann durch Abkühlung quasi zu ‚Strukturen erstarrte‘ indem aus der Energie ‚heraus‘ atomare Strukturen sichtbar wurden, die sich zu Galaxien, Sterne und Planeten formten.

  7. Eine weitere tiefreichende Einsicht ist die Erkenntnis der Thermodynamik, dass alle energetisch bedingten Bindungen dazu tendieren, sich abzubauen und damit die Freiheitsgrade der beteiligten Elemente (Atome) zu vergrößern. Die Physikern haben zur Bezeichnung des Grades an Freiheit den Parameter ‚Entropie‘ eingeführt und gehen davon aus, dass der Parameter Entropie tendenziell zunimmt, da der Prozess der Auflösung von energetisch bedingten Bindungen irreversibel erscheint.

  8. Vor diesem Hintergrund nimmt sich das Phänomen des ‚Lebens‘ ‚fremdartig aus: alle heute bekannten Lebensformen basieren auf molekularen Strukturen, die als DNA (und weitere) bekannt sind (die genaue Entstehung solcher Moleküle ist bis heute noch nicht vollständig aufgeklärt!). Das Erstaunliche an diesen Molekülen ist, dass sie als Informationsträger funktionieren, die komplexe Kopier- und Produktionsprozesse steuern können, die dann zur Ausbildung von noch komplexeren Molekülstrukturen führen können, die als Zellen, Zellverbände, Organe, Pflanzen, Tieren und dann auch als Menschen prozeßhaft über einige Zeit existieren können. Abgesehen von der mittlerweile irrwitzigen Komplexität dieser Strukturen (allein das menschliche Gehirn hat schätzungsweise mehr als 100 Milliarden Zellen!) ist wichtig, dass diese Strukturen nur existieren können, weil sie kontinuierlich lokal Energie aus der Umgebung aufnehmen und zum Aufbauen lokaler energetischer Bindungen nutzen. Dieses Verhalten der Lebensformen steht dem entropischen Charakter des gesamten physikalisch bekannten restlichen Universums diametral entgegen. Sowohl Erwin Schrödinger in seinem Buch ‚What is Life‘ von 1944 sowie Werner Heisenberg in seinem Buch ‚Physics and Philosophy‘ von 1958 stellen dieses Paradox explizit heraus und geben zu, dass die moderne Physik zu diesem Paradox nicht einmal ansatzweise eine Antwort besitzt.

  9. Nachdem sich also die scheinbare Vielfalt der Materie auf Energie zurückführen lässt, wird der Begriff der Energie zu neuen ‚Supermaterie‘, die – wie Heisenberg anmerkt – dem Potenzbegriff bei Aristoteles nahe kommt. Die Energie, so, wie sie heute von der Physik ‚enttarnt‘ wurde, enthält alle Eigenschaften und Strukturen, die bislang über unsere Welt bekannt geworden sind. Natürlich stellt sich damit die Frage, ob die jahrtausende lange Gegenübersetzung von ‚Geist‘ und ‚Materie‘ nicht auch obsolet geworden ist. Einerseits war diese Gegenübersetzung gespeist von der schieren Unkenntnis über die ‚wahre Natur‘ der Materie und auch durch eine weitreichende Unkenntnis über die Eigenschaften des menschlichen (bzw. auch des tierischen) ‚Geistes‘. Ob der erlebbare ‚Geist‘ dann letztlich auch nur eine der vielen Eigenschaften der Energie ist, folgt aus all den bekannten Tatsachen natürlich noch nicht unmittelbar.

  10. Hier kann eventuell die Entwicklung der modernen Gehirnforschung in Verbindung mit der Computerwissenschaft (Informatik) weitere interessante Hinweise liefern.

  11. Von der Gehirnforschung wissen wir, dass ein Neuron – bei aller Komplexität des molekularen und chemischen Aufbaus – letztlich an seinem Ausgang, dem Axonhügel, genau nur zwei Zustände kennt: Potential oder nicht Potential, Signal oder nicht Signal, An oder aus, 1 oder 0. Das Gleiche gilt für die Vielzahl der möglichen postsynaptischen Membranen als Gegenüber zu den Endstücken der anderen Neuronen, die ihre Axone zu den Neuronen senden: auch diese repräsentieren trotz all ihrer molekularen und chemischen Komplexität letztlich nur nur einen An- und Aus-Schalter, Signal an, Signal aus, 1 oder 0. Zudem ist ein Neuron auf molekularer Ebene eindeutig diskret.

  12. Bedenkt man, dass der Grundbegriff der modernen Berechenbarkeit, der letztlich auf Goedel (1931) und Turing (1936/7) zurückgeht, mit dem mathematischen Konzept der Turingmaschine einen Referenzmaßstab für Berechenbarkeit schlechthin gefunden hat, und deine Turingmaschine jedes beliebige Gehirn, sofern es binär schaltet und sich bis zu einem gewissen Grade strukturell während seiner Lebenszeit ‚umorganisieren‘ kann (Wachstum, Plastizität), prinzipiell vollständig auf einer Turingmaschine simulieren lässt – vorausgesetzt, es gibt Menschen, die verstehen das Gehirn gut genug, um eine Beschreibung des Gehirns anfertigen zu können, die dann in eine Turingmaschine ‚gefüttert‘ wird –, dann kann man dies als einen weiteren ‚Hinweis‘ dahingehend deuten, dass sich die ‚geistigen‘ Eigenschaften eines Gehirns mit beliebigen materiellen Strukturen simulieren lassen (das mathematische Konzept einer Turingmaschine lässt sich sowohl mechanisch wie elektronisch wie auch chemisch realisieren – oder noch ganz anders).

  13. Am Beispiel eines Experimentes mit einem selbst lernenden System, das aufgrund eigener Bedürfnisse ohne ‚Lehrer‘ lernen kann, illustrierte der Vortragende dann, wie man mit einfachen mathematischen Mitteln sehr komplexe Prozesse beschreiben und dann auch realisieren kann.

  14. Es gab dann noch eine angeregte Diskussion, in der u.a. gefragt wurde, (i) was dies für die verbleiben de ‚Restzeit‘ der Erde bedeuten würde; (ii) welche Konsequenzen dieses Bild für die Ethik hat, (iii) worin denn nun die Hilfe der Informatik für die Menschen besteht, (iv) ob damit denn der ‚Geist‘ vollständig ‚wegreduziert‘ sei. Die verfügbare Zeit reichte nicht aus, diese komplexen Fragen angemessen zu Ende zu diskutieren.

Überleitungsmusik Vortrag zu Diskussion

EXPERIMENTELLE HÖRBUCHFASSUNG

Der Beginner einer experimentellen Hörbuchfassung zu dem Vortrag findet sich hier: Teil 1-3 (4ff kommt noch)

WIR SIND NICHT NICHTS — Oder: Zur Ethik des Lebens

(1) Die meisten Menschen haben wenigstens einmal im Leben in den nächtlichen Sternenhimmel geschaut. manche vielleicht mit einem Fernglas oder einem Teleskop verstärkt….Der Blick in dieses Meer an Sternen, Sonnen, Galaxien kann verwirren. Milliarden von Sonnen sollen da draußen sein. Ein beständiges Kommen und Gehen noch heute. Wir, am Rande der Milchstraße, eine von vielen Millionen Galaxien, auf der Flucht voreinander, seit 13 oder mehr Milliarden Jahren…Wen beschleicht da nicht das Gefühl einer großen Verlorenheit, eine Winzigkeit in einem schier unendlichen Raum, wo kein noch so lautes Lachen das Vakuum des Weltraums überwinden kann, das uns allenthalben umgibt….

(2) Ein Resümee dieser Art von Betrachtung kann sein: Wir sind buchstäblich ‚Nichts‘. Die Wahrheit aber ist: Wir sind nicht Nichts!

(3) In dem Moment in dem einer diese meine Worte liest, muss er sich sagen, dass er ‚lebt‘; nur deswegen kann er diese Worte lesen.

(4) Dass jemand ‚lebt‘ bedeutet, dass er  einen ‚Körper‘ hat, der weit mehr als 100 Milliarden Zellen hat, wo jede Zelle in sich ein kleiner Kosmos ist mit einer Komplexität, die bis heue noch nicht vollständig erforscht ist. Viel wichtiger noch: diese Zellen sind selbst ‚lebendig‘: unfassbar viele chemische Prozesse finden in ihnen statt, in jedem Moment. Sie tauschen ‚Botschaften‘ aus, sie koordinieren ihre Prozesse. Sie formen unterschiedliche Funktionseinheiten von einer Komplexität, die sich dem Begreifen bislang weitgehend widersetzt. Die Physiologen sprechen von ‚Organen‘ (Leber, Niere, Herz, Blutkreislauf, Gehirn, Immunsystem,….), aber das Wort ‚Organ‘ sagt so gut wie garnichts; eher verdeckt es das ungeheuerliche Geschehen, was sich hier kontinuierlich ereignet. Außerdem, beständig sterben Zellen auch wieder ab und neue bilden sich; ein ‚Kommen‘ und ‚Gehen’….Kein einzelner Mensch kann bislang umfassend begreifen, was hier geschieht. Es gibt nicht nur ‚Galaxien da draussen‘, es gibt solche ‚Galaxien‘ auch  ‚in uns’……

(5) Zudem, ein biologisches Lebewesen ‚entsteht‘: es beginnt als eine einzige Zelle, die anfängt, sich zu teilen, immer mehr, unaufhaltsam; gleichsam ‚aus dem Nichts‘ entsteht etwas, ein Symphonie an Zellen, die sich in einem besonderen ‚Rhythmus‘ teilen, aber nicht ‚planlos‘, sondern einer ‚inneren Stimme‘ in Form von chemischen Regeln folgend, die mehr und mehr eine ‚Ordnung‘ erkennen lassen, mehrere Ordnungsebenen, aufeinander aufbauend, jede dieser über hundert Milliarden Zellen weiß, ‚was sie zu tun hat’….

(6) Diese Entstehung ‚lebender Strukturen‘ läuft den Gesetzen der Physik bis zu einem gewissen Grad zuwider. Nach dem Gesetzt der Entropie soll sich die Energie in einem geschlossenen System auf Dauer ausgleichen. Die Bildung eines lebenden Systems ist aber das genaue Gegenteil: an einem bestimmten Punkt im System wird Energie in Form von Zellverbänden ‚angehäuft‘, ‚verdichtet‘. Die Physik hat dafür noch kein Gesetz. Fakt ist aber, dass dies im großen Maßstab geschieht; es muss also ‚Gesetze‘ geben, die dies beschreiben. Die Physik läßt uns hier bislang im Stich.

(7) Wir wissen heute, dass es bis zur Entstehung unseres Sonnensystems mit der Erde und dem Mond ca. 10 Mrd Jahre gebraucht hat; weitere ca. 3.5 Mrd Jahre hat es gedauert, bis das Lebens aus ersten RNA- und DNA-Molekülen sich bis zur heutigen Form ‚hochgearbeitet‘ hat. Zeiträume, die für uns, die wir bislang ca. 50-70 Jahre im Schnitt leben, jenseits aller Vorstellungskraft sind. Und dennoch, die entscheidende Botschaft ist, dass wir mit unserem unglaublich fantastischem Körper nur deshalb existieren, weil wir Teil eines umfassenden gigantischen  Prozesses sind, innerhalb dessen sich Miliarden unterschiedlichster biologischer Körper in Form von Tieren, Pflanzen, Mikroben, Bakterien usw.  als eine ‚Arbeitsgemeinschaft‘ auf dem Planet Erde so eingerichtet hat, dass jeder auf seine Weise Energie aus der Umgebung entzieht und wiederum Energie dem anderen in irgendeiner Weise ‚zuspielt‘, sehr oft zum Preis des eigenen ‚Todes‘! Kein Körper kann alleine existieren! Leben heißt ‚per se‘, dass man aus anderem Leben hervorgegangen ist und dass man nur im Zusammenspiel mit anderen Lebensformen selber leben kann!

(8) In dem Masse, wie einem diese Zusammenhänge klar werden, verliert der einzelne seine ‚isolierte Winzigkeit‘ sondern es wird deutlich, dass es tatsächlich in erster Linien nur ein einziges großes Projekt gibt, das planetenumspannende Projekt Leben, das alle Tiefen (Erdreich, Ozeane) und Höhen (Luftschichten Atmosphäre) umfasst, das auf dem Prinzip der ‚Weitergabe von Generation zu Generation‘ beruht, das an ‚Extremen‘ (Hitze, Kälte, Trockenheit) geschult wurde, und das auf Effizienz basiert, da alle Ressourcen grundsätzlich knapp sind (dass wir ‚Menschen‘ als selbsternannte ‚Ego-Idioten‘ in der Lage sind, in wenigen Jahrtausenden alles zu zerstören, was in vielen Milliarden Jahren aufgebaut wurde, soll hier jetzt kein Thema sein).

(9) Obgleich schon die bisherige Betrachtungsweise viele Hinweise liefert, die den Gedanken unterstützen, dass wir als Teil des ‚Projektes Leben‘ Teil von etwas sind, das Milliarden Jahre  überdauern kann und dazu einen kompletten Planeten bis zu einem gewissen Grad verändern konnte –und wir in diesem Sinne keinesfalls ‚Nichts‘ sind–, ist dies noch nicht die ganze Geschichte. Denn, alle diese wunderbaren Eigenschaften, die uns am Beispiel der biologischen Strukturen  ins Auge fallen, kommen ja wiederum nicht aus dem ‚Nichts‘, sondern gründen darauf, dass  die Bestandteile von Molekülen, die Atome, selbst keine ’neutralen, blassen Nichtse‘ sind sondern in sich eine reiche –wiederum höchst komplexe– Struktur besitzen, die so ist, dass jedes Atom –bildlich gesprochen– ein Bündel von spezifischen Eigenschaften verkörpert, verschiedene ‚Farben‘, die nach bestimmten ‚vorgegebenen Gesetzen‘ (!) auf unterschiedliche Weise in ‚Wechselwirkung‘ treten. Atome als Atome können ’nicht Nichts‘ sein in dem Sinne, dass Sie die anderen Atome nicht ‚wahrnehmen‘ würden; ein Atom ist quasi dazu ‚verurteilt‘, mit einem anderen Atom in Wechselwirkung zu treten. In diesem Sinne sind Atome keine ‚geschlossenen‘ Systeme, sondern ‚offene‘ Systeme: sie tauschen zwangsläufig Eigenschaften aus und formen so systemische Einheiten ‚oberhalb‘ der Organsationsebene ‚Atom‘. Dies bedeutet, was immer wir an Atomverbindungen vorfinden bis dahin, dass wir Moleküle haben, die RNA- und DNA-Moleküle bilden können, diese Verbindungen  quasi ‚erzwungen‘ sind aufgrund der Eigenschaften, die einzelne Atome ‚charakterisieren‘. Dies bedeutet, in dem Moment wo es überhaupt solche Atome gibt wie jene, die unser Universum charakterisieren, in dem Moment ist der Weg zu komplexeren Einheiten angelegt.  Dass es bislang in dem uns bekannten Weltall nur einen einzigen Ort gibt, an dem diese ‚Kondensierung von komplexen lebensfähigen Strukturen‘ tatsächlich stattgefunden hat, zeigt –unbeschadet der Möglichkeit, dass wir noch woanders im Weltall irgendwann Lebensformen finden können– dass diese Lebensform, von der wir ein Teil sind, etwas extrem Seltenes ist! In anderen Zusammenhängen sprechen Menschen gerne davon, dass etwas ‚kostbar‘ sei und man deswegen dafür ein ‚hohen Preis zu zahlen bereit wäre‘. Im Falle des biologischen Lebens im Weltall, das an Kostbarkeit kaum zu überbieten ist, verhalten wir uns bislang eher als grenzenlose ‚Verächter‘ und treten es (und damit uns selbst) in  einer Weise mit Füßen, die kaum zu überbieten ist.

(10) Es wird heute immer noch die Meinung vertreten, dass es aufgrund der Größe des Weltalls mit höchster Wahrscheinlichkeit noch an vielen anderen Stellen im Universum Leben gibt und dass dieses Leben auch ganze andere Formen haben könnte als jene, die wir bislang kennen. Angesichts der immer mehr bekanntwerdenden Komplexität von Leben und der Entwicklung des Lebens auf der Erde in diesem Sonnensystem in dieser unserer Galaxie ist die mathematische Wahrscheinlichkeit, dass ein ähnlich komplexer Prozess irgendwo anders auch nochmals stattfinden konnte statistisch so gering ist, dass die angeführte Größe des Universums dafür mathematisch keinen Ausgleich liefern kann. Was den  anderen Punkt mit der möglichen anderen Form von Leben betrifft, so läßt die bis heute bekanntgewordene Struktur der Atome keine anderen Molekülformen zu; wenn sich Moleküle bilden, dann nur die, die bislang bekannt geworden sind. Auch wenn die mathematischen Modelle zur Beschreibung von Atomen statistischer Natur sind, die letztlich wirkende ‚Eigenschaftsstruktur‘ der Atome ist nicht ‚beliebig‘ sondern eher deterministisch und –sofern sich überhaupt komplexere Lebensformen bilden– der ‚Bootstrapping‘-Prozess von Leben ist damit weitgehend vorgezeichnet (wenn er gelingt).

(11) Völlig offen ist, welche Formen Leben annehmen kann, wenn es –wie auf der Erde geschehen– sich bis zur Struktur von modellhaftem Denken, symbolischer Kommunikation, Selbstbewusstsein ‚hochgearbeitet‘ hat und durch  Verfügbarmachung geeigneter Werkzeuge (Technologien)  auf die Struktur der Materie ‚zurückwirken‘ kann; Genetik und Kernphysik bilden den Ausgangspunkt zu Organisationsformen, die es so noch nie gab. Allerdings weiß auch bislang niemand, in welche Richtung die Entwicklung gehen sollte. Die Menschen sind bislang noch so sehr mit sich selbst, lächerlichen Alltagsproblemen oder gegenseitiger Vernichtung beschäftigt, dass kaum Potential verfügbar ist, die eigentliche ‚Mission Leben‘ in Angriff zu nehmen.  Eine erste Bewährungsprobe entsteht in den nächsten 25 Jahren z.B. dann, wenn die Weltbevölkerung die verfügbaren Ressourcen in Punkto Ernährung überschritten haben wird. In ein paar Millionen Jahren wird der Mond die Erde tanzen lassen, weil er sich dann weit genug von der Erde entfernt hat; sollten wir das in den Griff bekommen (im Prinzip nicht unmöglich) bleiben dem Leben noch ein paar hundert Millionen Jahre, bis die Sonne alles zum Verdampfen bringen wird; auch dies ist prinzipiell nicht unlösbar (auch wenn man sich angesichts unserer heutigen Alltagsformen und alltäglichen Vorstellungswelten nicht so recht vorstellen kann, wie eine solche Mentalität dies in den verfügbaren Zeiträumen schaffen soll).