Archiv der Kategorie: Aristoteles

MEMO PHILOSOPHIE JETZT – WERKSTATTGESPRÄCH – 27.November 2016

EINLADUNG

  1. Entsprechend der Einladung war das Thema dieses Treffens dieses Mal nicht das Fühlen (im philosophischen Sinne), sondern das Denken, unser eigenes Denken.

EINSTIMMUNG

  1. Jeden Tag benutzen wir unser Denken, indem wir mit anderen direkt kommunizieren oder indem wir jemandem etwas schreiben oder von jemand anderem etwas lesen/ hören.
  2. Aber was tun wir da, wenn wir mit anderen direkt kommunizieren?
  3. Die Frage ist nicht neu und hat schon viele Menschen vor uns bewegt.
  4. In einem kleinen historischen Blitzlicht wurde anhand wichtiger Philosophen und Denkern ein Zeitstrahl eingeblendet, der von Platos Geburt bis zur Gegenwart reichte (siehe Bild 1).
Zeittaffel von Plato bis zur Gegenwart
BILD 1: Zeittaffel von Plato bis zur Gegenwart
  1. Aus der Breite der (antiken) griechischen Philosophie waren stellvertretend nur die Namen der beiden bekanntesten griechischen Denker Plato und Aristoteles angeführt. Es dauerte ca. 600 – 800 Jahre, bis einige wenige Werke von Aristoteles im römischen Reich eine Übersetzung fanden, die bis ins Mittelalter wirkten.
  2. Im Mittelalter – hier abgebildet in der Spanne zwischen ca. 735 und 1360, also ca. 600 Jahre – gab es erst die Phase der direkten Aufnahme der wenigen aristotelischen Texte (zusammen mit Werken von Porphyr, Victorinus und Boethius); aus der intensiven Kommentierung entstanden zunehmend eigene, neue Positionen, die am Ende des 14.Jahrhunderts zu dem führte, was dann später neue empirische Wissenschaft, neue Logik und Mathematik bzw. neue Philosophie genannt wurde.
  3. Der Überblick machte dann einen Sprung in die letzten 150 Jahre bis zur Gegenwart.
  4. Der Überblick beginnt mit Bréal, der als Begründer der Idee einer Semantik gilt, der Lehre von der sprachlichen Bedeutung. Aus der Vielzahl der hier einschlägigen Denker und Denkerinnen folgt eine Auswahl der besonders bekannten Namen (teilweise mit Angabe der hier einschlägigen Werke).
  5. Allerdings, wie neuere Studien zum Mittelalter zeigen, sind viele der Ideen, die heute als neu daher kommen, im Mittelalter zumindest angedacht worden. Während im neuzeitlichen Denken des 20.Jahrhunderts die formalen Aspekte des Denkens und Sprechens stark bis fast vollständig von den assoziierten Inhalten (Bedeutungen) losgelöst erscheinen, hat das Mittelalter noch versucht, die Ausdrucksstrukturen und die Logik in ihrer intensiven Wechselwirkung zu denken. So sind z.B. die google-Algorithmen zur Analyse von Texten (und Bildern und …) heute ausschließlich an den formalen Ausdruckselementen orientiert; ein Bezug zu assoziierten Bedeutungen, wie sie jeder normale Sprecher-Hörer benutzt, fehlt vollständig. Dieser Bezug ist mit den bekannten Algorithmen auch nicht zu bekommen.
  6. Nach dieser blitzlichtartigen Einbettung der aktuellen Situation in den übergreifenden Denkkontext gab es die ‚individuelle Fühlpause‘ (manche nennen dies Meditation). Jeder konnte für sich – wie auch immer – 20 Min meditieren und sich anschließend Notizen machen.
  7. Wir stiegen dann in die erste Diskursrunde ein.(Siehe Bild 2)
PhJ Werkstattgespraech 27.November 2016 im INM - Gedankenskizze
BILD 2: PhJ Werkstattgespraech 27.November 2016 im INM – Gedankenskizze

START MIT EINER ÄUSSERUNG

  1. Für das gemeinsame Gedankenexperiment gab es zwei Leitfragen, von denen wir letztlich nur die erste ansatzweise bearbeiten konnten: FRAGE1: WIE HÄNGT EIN SPRACHLICHER AUSDRUCK MIT SEINER BEDEUTUNG ZUSAMMEN?
  2. Das Experiment begann damit, dass ein Teilnehmer aus der Runde spontan eine Äußerung macht: „Es ist behaglich“.
  3. Anhand dieser sprachlichen Äußerung entwickelte sich ein lebhaftes und intensives Gespräch, in dem jeder immer neue Aspekte beisteuerte.
  4. Wie man aus dem Bild 2 entnehmen kann, gab es zunächst mal Äußerungen von anderen TeilnehmernInnen, wie man diese anderen es formuliert hätten (siehe Bild 2).
  5. Daraus ergab sich, dass eine aktuelle, konkrete Äußerung in Beziehung zu setzen ist zum jeweiligen Sprecher bzw. Hörer. Je nach Sprecher empfindet dieser den Raum mit seiner für alle gleichen Temperatur entweder zu warm (also nicht behaglich), gerade richtig (z.B. behaglich) oder ganz anders.
  6. Außerdem empfanden manche Teilnehmer als Hörer die Allgemeinheit des Ausdrucks („Es ist“) zu vage. Lieber hätten sie gehört, dass der Sprecher das konkreter sagt, mehr über sich selbst („Ich empfinde es…“), was dem Hörer eher die Möglichkeit gibt, die Situation einzuschätzen. In der allgemeinen, unbestimmten Formulierung konnte es klingen, als ob der Sprecher für sich in Anspruch nimmt, auch für die anderen zu sprechen. Das fordert evtl. Widerspruch heraus…
  7. Dann wurde darauf aufmerksam gemacht, dass die Art der sprachlichen Äußerungen unterschiedliche Muster zulässt. Neben sachlicher Feststellung/ Behauptung gibt es auch einfache Ausrufe, Fragen, Befehle, Versprechen usw.
  8. Weitere Aspekte kamen ins Spiel: die Körpersprache des Sprechers. Wie steht diese im Verhältnis zu dem, was er sagt.
  9. Mit Beispielen aus eigenen Sprecherfahrungen wurde thematisiert, wie jemand von ganz vielen verschiedenen Gewohnheiten, Regeln, gesellschaftlichen Erwartungen in seinen Äußerungen gesteuert sein kann. Der Begriff der Rolle wurde eingeführt. Die Gesamtheit der wirkenden Regeln und Erwartungen können in der jeweiligen Situationen normativ wirken: jemand hat in einer bestimmten Situation bestimmte Gefühle, muss aber als Elternteil in diesem Moment eine gewisse Verantwortung wahrnehmen, entsprechend ein Therapeut in einem Beratungsgespräch, ein Lehrer in einer Unterrichtssituation, usw.
  10. Angeregt von Wittgenstein brachte ein Teilnehmer auch das Wort Sprachspiel in den Diskurs ein. Eine einzelne isolierte sprachliche Äußerung allein ist oft/ meistens nicht verständlich ohne die Einbettung in die Situation, ohne das Wechselspiel zwischen den Beteiligten, ohne dass alle Beteiligten in der Situation bestimmten (unterstellten) Regeln folgen.
  11. Ferner spielt der zeitliche Ablauf eine Rolle: was war vorher? So erwähnten einige TeilnehmerInnen, dass sie die vorausgehende individuelle Fühlzeit (Meditation) als sehr angenehm, beruhigend, entspannend erlebt hatten und danach ganz anders in den Diskurs eingestiegen sind.

DENKEN ÜBER DAS DENKEN

  1. Dies führte im Verlauf der zweiten Diskursrunde dann zum Versuch, das bislang Gesagte aus einer mehr reflektierenden Position nochmals zu betrachten. Anhand der Frage 1 gab es mehrere Anregungen des Gesprächsleiters, die Erzählperspektive des Teilnehmers mal zu verlassen und über den Diskurs zu reden. Erst als im unteren Teil von Bild 2 Ansätze einer theoretischen Modellbildung skizziert wurden, in der der Sprecher-Hörer als ein abstrakter Kreis erschien, der verschiedene sinnliche Wahrnehmungen hat, verschiedene Motive/ Interessen sowie unterschiedliche Erinnerungen/ erworbene Kompetenzen, setzte sich ansatzweise der Gedanke durch, dass die Ausdruckselemente (gesprochene Laute, geschriebene Zeichen, bestimmte Gesten,…) nicht automatisch, von vornherein, mit etwas anderem, dem, was dann Bedeutung verleiht, assoziiert sind. Man kann etwas sehen (einen Tisch im Zimmer) und etwas hören (einen sprachlichen Ausdruck ‚Tisch‘). Ohne dass man notwendigerweise den gesprochenen Ausdruck ‚Tisch‘ mit einem gesehenen Objekt (Tisch) assoziiert. Allein die Vielzahl der unterschiedlichen Sprachen zeigt, dass der deutsche Ausdruck für Russen, Chinesen, Spanier, Nigerianer, …. nicht zwingend ist. Sie haben das Problem anders gelöst.
  2. Ein Teilnehmer betonte mehrfach, dass man das Sprachgeschehen nicht in seine Bestandteile auflösen könne/ sollte, da man es ansonsten nicht verstehen würde. Mit Hinweis auf das (noch sehr primitive) Modell wurde erläutert, dass das sich Bewusstmachen der unterschiedlichen Komponenten, die in der interne Maschinerie des Sprecher-Hörers (letztlich im Gehirn) solch ein dynamisches Verhalten ermöglichen, kein Gegensatz sein muss zu einem holistischen Blick auf ein dynamisches Sprachgeschehen, eingebettet in Situationsfolgen. Das Zustandekommen von Assoziationen der unterschiedlichsten Arten in komplexen Handlungsfolgen ist gerade der Kern dessen, was man Lernen nennt. Im Lernprozess fließen alle diese unterschiedlichen Komponenten zusammen (aber nicht zwangsweise!).

AUSBLICK MIT FRAGEN

  1. Gegen Ende stellten sich dann viele neue Fragen.
  2. Z.B. die Frage nach den realen, konkreten Objekten in der Sprechsituation und der Frage, ob und wie diese als abstrakte Objekte im Kopf sein können, auch wenn sie in der konkreten Situation nicht mehr vorkommen. (So kann man ja über Gegenstände, Objekte auch in ihrer Abwesenheit sprechen).
  3. Eng damit zusammenhängend die Frage nach allgemeinen Begriffen. Wir reden von Tischen, jeder konkrete Tisch ist aber anders; entsprechend Begriffe wie Stuhl, Tasse, Mensch usw.
  4. Andere Fragestellungen ergaben sich aus dem Eindruck, dass sich die Sprache verrohen würde, vereinfachen.
  5. Oder: welche Bedeutung kommt der Handschrift zu? Kann man auf sie verzichten ohne negative Wirkung auf das Sprachvermögen/ das Sprachverstehen?
  6. Schließlich der Wunsch, dass die einzelnen noch mehr Beispiele aus ihrer persönlichen Sprachlerngeschichte beisteuern, da die Beispiele, die während des Gesprächs spontan erzählt wurden, sehr aufschlussreich waren.

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PHILOSOPHIESOMMER 2016 IN DER DENKBAR FRANKFURT

Alltag, Visionen der Wissenschaft, und die antike Philosophie: müssen hier Köpfe rollen oder gibt es neue gedankliche Fusion?

Sind Sie neugierig, oder meinen Sie, etwas beitragen zu können?

Kommen Sie dazu.

Geben Sie ihrer Eitelkeit drei Stunden Urlaub und lassen Sie zu, dass Sie in der Andersartigkeit vielleicht etwas Neues entdecken.

ORT:

DENKBAR Frankfurt
Spohrstrasse 46a

(Achtung: Parken schwierig! Man muss wirklich im Umfeld suchen)

PROGRAMMFORMAT

Moderation: Gerd Doeben-Henisch

16:00 Begrüßung

16:05 Kleine Performance aus dem PHILOSOPHY-IN-CONCERT Experiment

16:15 Eingangsüberlegungen

16:30 Erste offene Gesprächsrunde (simultan Erstellung eines Begriffsnetzwerkes)

17:30 Blubberpause (Jeder kann mit jedem reden; Essen und Trinken)

18:00 Zweite offene Gesprächsrunde (simultan Erstellung eines Begriffsnetzwerkes)

18:45 Schlussstatements

19:00 Ende

Langsames Wegdiffundieren der Teilnehmer ….

ERINNERUNGEN…

In der Regel erscheint im Anschluss an eine Sitzung ein Bericht im Blog cognitiveagent.org, der auch Gelegenheit bietet, sich durch Kommentare oder eigene Beiträge an der Diskussion zu beteiligen.

INHALTLICHE LINIE

Da der Gesprächsprozess – abhängig von den Teilnehmern! – seine eigene Dynamik gewinnt, lässt sich keine genaue Prognose für alle kommenden Themen geben.

Das Rezept für den Start orientiert sich einmal an unseren alltäglichen Erfahrung einer Menschheit im Fiebertaumel zwischen Gewalt, Krieg, Katastrophen auf der einen Seite, eingespannt in ein umfassendes Räderwerk von Wirtschaft, Verwaltungen, Medienströmen, Politikbetrieb, Anwachsen von ‚tiefem Staat‘ mit mittlerweile grenzenloser Überwachung andererseits; dazu eine scheinbar entfesselte Wissenschaft, die – abgeschottet von der Öffentlichkeit – immer neue Details der Materie enthüllt, den Menschen als biochemische Masse sieht, deren Tage gezählt sind, und in automatisierten Produktionsprozessen denkt, die mit bekannten Wertesystemen kaum noch etwas zu tun haben. Und dann, man wagt es kaum zu sagen, gab es einen alten, sehr alten Philosophen, der mindestens 1800 Jahre lang das Denken In ganz Europa (Westen wie Osten; christliche Theologie genauso wie die islamische Theologie!) geprägt hat, Aristoteles, der heute auf allen Gebieten als abgeschrieben gelten kann. Und doch, schaut man sich die großen Lücken an, die die moderne Wissenschaft mit sich herumschleppt, kann man ins Grübeln kommen. Die Zukunft ist niemals einfach nur die Wiederholung des Gestern. Aber sie ist auch niemals das total ganz andere. Die biologische Evolution praktiziert das Modell der Zähmung des Zufalls durch Erinnerung; das Ergebnis nach ca. 4 Mrd Jahren sind u.a. wir, der homo sapiens. Es ist schwer zu verstehen, bis heute. Manche wollen es auch gar nicht verstehen…

ARCHIV

Wer sich für die bisherigen philosophischen Gespräche unter der Überschrift ‚Philosophiewerkstatt‘ interessiert, ist eingeladen, die Erinnerungsseite zu besuchen. Hier gibt es Berichte von den zurückliegenden Diskursen.

VORSCHAU TERMINE PHILOSOPHIEWERKSTATT FEBRUAR – MAI 2016

Da der Start zur neuen Serie etwas ‚ruckelig‘ war (Krankheit, Weihnachtsfeiertage, Terminkollisionen), hier – in Rücksprache mit Reinhard Graeff von der DENKBAR – der Versuch eines Neustarts für die Zeit Februar – Mai 2016, jeweils 2.Sonntag im Monat 16:00 – 19:00h:

TERMINE

VORGEHENSWEISE

Wir werden den bisherigen dialogischen (sokratischen) Stil der Bedeutungsfindung beibehalten, aber ergänzt um folgende Momente:

  • Zu Beginn eine thematisch passende Eingangsmusik ca.5-8 Min aus dem PHILOSPHY-IN-CONERT Programm des Emerging Mind Projektes
  • Vorstellung einer klassischen Position aus der Geschichte der Philosophie (Platon, Aristoteles, Augustinus, Thomas v.Acquin) ca. 10 – 15Min im Umfeld der Begriffe ‚Geist‘ und ‚Seele‘.
  • Gesprächsprozess zum vertiefenden Verständnis und geleitet von der Frage, ob und wie sich diese Positionen im Lichte heutiger Philosophie und Wissenschaft noch aufrecht erhalten lassen; falls nicht, was folgt daraus?
  • Im Anschluss an die Sitzung wird wie gewohnt ein Memo der Sitzung im Blog PHILOSOPHIE JETZT veröffentlicht. Jeder ist eingeladen, diese Darstellung mit eigenen Beiträgen zu ergänzen.

SPEZIELLER HINWEIS

Für alle die es interessiert, am

Mi, 20.Januar 2016, 19:30h

findet die Eröffnung des Emerging Mind Projektes im Institut für Neue Medien (INM) (Frankfurt) statt in Form eines Werkstattgesprächs. Das Emerging Mind Projekt (EMP) ist ein philosophisch motiviertes Projekt zur theoretischen und praktischen Erforschung der Zukunft von Menschen und intelligenten Maschinen. Es kooperiert eng mit der Emergent Life Academy (ELA), die diese Frage in dem größeren Kontext einer allgemeinen Entwicklungswissenschaft stellt, ebenfalls mit einem starken philosophischen Einschlag.

PHILOSOPHIEWERKSTATT BISHER

Einen Überblick über alle Beiträge zur Philosophiewerkstatt nach Themen findet sich HIER

AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 22

(Letzte Änderungen: Mi 15.Okt.2014, 12:17h)

VORGESCHICHTE
Für einen Überblick zu allen vorausgehenden Beiträgen dieser rekonstruierenden Lektüre von Avicennas Beitrag zur Logik siehe AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – BLITZÜBERSICHT.

1. Im letzten Beitrag entstand die Arbeitshypothese, dass aufgrund des ‚fließenden‘ Bedeutungsübergangs zwischen ‚echten‘ und ‚unechten‘ Objekten auf der Bedeutungsseite damit die Unterscheidung zwischen ‚Subjekt‘ (S) und ‚Prädikat‘ (P) auch fließend würde. Das würde die Unterscheidung ob die Terme ‚S‘ oder ‚P‘ sind aufheben. Anders ausgedrückt, die Terme in einer Schlussfigur erscheinen ‚invariant‘ bzgl. der Kategorisierung als ‚S‘ oder ‚P‘.

2. Verfolgt man den Gedanken der ‚Invarianz‘ weiter, dann sieht man sofort, dass die Anordnung der Prämissen 1 und 2 auch ‚invariant‘ ist gegenüber ‚Vertauschung‘. Hat man die Prämissen A1: (_ F M) und A2: (_M H) mit dem Muster, das die Schlussfigur 1 charakterisiert, dann erhält man durch Vertauschen der Reihenfolge A1: (_ M F) und A2: (_H M) die Schlussfigur 4 (die Avicenna nicht benutzt), und kann feststellen, dass diese Vertauschung nichts an der Bedeutungsstruktur und damit an der Folgerung ändert. Darüber hinaus sieht man, dass durch die Vertauschung der Prämissen auch die Quantoren der ersten und zweiten Prämisse gespiegelt wurden. Der ‚Wahrheitsgehalt‘ der Schlussfigur bleibt ‚erhalten‘.

Schlussfigur 1 mit Quantorenkombination 1-4 'gespiegelt' als Schlussfigur 4 mit Quantorenkombination 1-4, ebenfalls gespiegelt
Schlussfigur 1 mit Quantorenkombination 1-4 ‚gespiegelt‘ als Schlussfigur 4 mit Quantorenkombination 1-4, ebenfalls gespiegelt

3. Es lieg nahe, den ‚Spiegelungstest‘ auch mit den Schlussfiguren 2 und 3 vorzunehmen. Hier die Ergebnisse:

Alle Muster von Figur 2 samt inverse
Alle Muster von Figur 2 samt inverse
Alle Muster von Figur 3 samt Inverse
Alle Muster von Figur 3 samt Inverse

4. Man sieht, dass die Spiegelung in Form der Veränderung der ‚Abfolge‘ der Prämissen keine Wirkung auf den ‚Wahrheitsgehalt‘ besitzt. Dies wird verständlich, wenn man sich klar macht, dass die ‚Ausdrücke‘ E einer Sprache L ja nicht die ‚Bedeutung selbst‘ darstellen, sondern nur auf die Bedeutungsstrukturen ‚Bezug nehmen‘. Wie immer diese beschaffen sein mögen, die sprachlichen Strukturen ‚kodieren‘ diese nur. Und insoweit es sich bei den hier angesprochenen Sachverhalten um statische Beziehungsverhältnisse handelt, spielt die Abfolge der beschreibenden Äußerungen – zumindest in diesen Fällen — keine Rolle.

5. Fasst man alle Schlussfiguren (ohne ihre ‚bedeutungsgleichen‘ inversen Varianten) zusammen, dann erhält man folgende Tabelle:

Tabellarische Gesamtübersicht über alle Schlussfiguren 1-3 samt allen benutzten Quantorenkombinationen 1-11
Tabellarische Gesamtübersicht über alle Schlussfiguren 1-3 samt allen benutzten Quantorenkombinationen 1-11

6. Angesichts dieser vielen ‚Invarianzen‘ drängt sich verstärkt die Frage auf, was denn dann der ‚harte Kern‘ an Strukturen ist, an denen sich der ‚Wahrheitsgehalt‘ einer Folgerung orientiert.

7. Bislang hat sich schon herausgeschält, dass es um ‚Beziehungen zwischen Mengen‘ geht (welche Elemente in welchen Mengen vorkommen), und um Eigenschaften, die diesen Elementen ‚zugesprochen‘ werden.

8. Die Schlussfiguren 1-3 (bzw. 1-4) setzen in den Prämissen genau drei verschiedene Mengen F, H und M voraus, zwischen denen jeweils F und H eine Beziehung zu M haben. Insofern ist M der ‚Mittelterm‘ (und F und H sind die ‚äußeren‘ Terme). Gefragt wird dann immer nach der sich daraus resultierenden Beziehung zwischen F und H. Die ‚Antwort‘ auf diese Frage wird als ‚Schlussfolgerung‘ präsentiert. Das folgende Bild zeigt die Verteilung der Quantoren für alle Schlusfiguren samt ihren Inversen.

Gesamtübersicht Schlussfiguren 1-3 samt ihren Inversen und die Verteilung der Quantoren für jede Schlussfigur
Gesamtübersicht Schlussfiguren 1-3 samt ihren Inversen und die Verteilung der Quantoren für jede Schlussfigur

9. Man kann in dieser Darstellung schon sehen, dass es im Falle der Schlussfiguren 2 und 3 gar keine Spiegelung vergleichbar zu Figur 1 mit der Figur 4 gibt.

10. Betrachtet man nochmals Figur 1, dann kann man folgende Sachverhalte erkennen (siehe Bild): (i) Bei den Mengenverhältnissen gibt es eigentlich nur drei Fälle (A), (E) = (E-), sowie (A-). Zu jedem dieser drei Fälle für Prämisse 1 kann es dann wiederum kombinatorisch jeweils drei Fälle geben. Spielt man diese durch (das Bild zeigt dies nur für den Fall (A F M) in Prämisse 1), dann zeigt sich (ii) dass von den theoretisch möglichen Fällen 3 x 3 = 9 nur jeweils 3 x 2 = 6 geben kann. Dies ergibt sich daraus, dass eine Kombination von E und E bei dem Muster von Figur 1 zu keinem eindeutigen Schluss führt. Ein Partikularquantor E kann hier immer nur zusammen mit einem Allquantor A auftreten.

Systematik der Mengenverhältnisse am Beispiel von Figur 1
Systematik der Mengenverhältnisse am Beispiel von Figur 1

11. Es fragt sich, wieweit diese Überlegungen auch auf die anderen Schlussfiguren übertragbar sind. Im folgenden Bild sind nochmals alle formal möglichen Quantorenkombinationen für jede Schlussfigur aufgelistet mit der Legende: ‚1‘ := wird von Avicenna genannt, ‚?‘ := unbestimmt, ‚+‘ := würde einen Schluss zulassen:

Syllogismen Figuren 1-3, volle Quantorenverteilung
Syllogismen Figuren 1-3, volle Quantorenverteilung

12. In der Tabelle kann man erkennen, dass es neben den Einsen ‚1‘, die anzeigen, dass diese Quantorenkombinationen in den drei ‚Schlussfiguren Verwendung finden, bei allen Schlussfiguren Fragezeichen ‚?‘ gibt, aber auch Pluszeichen ‚+‘. Dies würde bedeuten, dass es weitere mögliche Schlüsse gäbe, die aber von Avicenna nicht genannt werden.

13. Die Klassifikation ‚?‘ bzw. ‚+‘ habe ich spontan vorgenommen, ‚intuitiv‘. Es fragt sich, ob diese ‚intuitive‘ Zuordnung ‚richtig‘ ist, Eine Antwort auf diese Frage setzt voraus, dass man irgendwelche ‚Kriterien‘ explizit machen kann, anhand deren man die ‚intuitive‘ Klassifikation explizit ‚begründen‘ oder ‚widerlegen‘ kann. Dies soll hier versucht werden.

14. Aus der Geschichte der modernen Logik sind zahlreiche formale Kalküle bekannt, deren ‚Wahrheitsfähigkeit‘
nachgewiesen worden ist. Im vorliegenden Fall wird die Frage aber in einem spezifischen Kontext gestellt: (i) wir setzten hier – versuchsweise — eine allgemeine Bedeutungsfunktion auf der Basis einer dynamischen Objektstruktur voraus und (ii) im Kontext der dynamischen Objektstruktur stellt sich die Frage, wie es möglich ist, ‚zweifelsfrei‘ von zwei vorgegebenen Beziehungen in den Prämissen auf eine dritte Beziehung als Folgerung zu ’schließen‘.

15. Diese Frage hat mindestens zwei Aspekte: (i) einmal, ob und inwieweit wir ‚im Rahmen unseres Bewusstseins‘ Kriterien finden können, die solch eine Unterscheidung unterstützen und (ii) wie die ‚Maschinerie unseres Denkens‘, die dem bewussten Denken vorgelagert ist, diese Aufgabe lösen kann. Dabei fragen wir nicht ‚empirisch‘, ’nicht naturwissenschaftlich‘, sondern ‚logisch, ‚philosophisch‘ in dem Sinne, ob wir überhaupt eine rationale Konstruktion (ein formales Modell) finden können, das eine Erklärung liefern könnte. Dass es dazu dann möglicherweise noch eine empirische Struktur geben könnte, die die Aufgabe ‚anders‘ löst, wäre interessant, würde aber in diesem Kontext dann keine Veränderung bewirken.

16. Es wird notwendig sein, alle 3x 16 Fälle einzeln anzuschauen und zu überprüfen.

17. Darüber hinaus kann man die Frage stellen, ob man die Betrachtung auf andere ‚Typen von wahrheitsfähigen Sachverhalten‘ (auf andere Typen von analytisch wahren Sachverhalten) noch ausweiten kann. Denn die Beispiele mit den Syllogismen der Figuren 1-3(4) sind sehr eng. Und da wir von der modernen formalen Logik wissen, dass man mit den modernen Kalkülen beliebig komplexe Strukturen beschreiben kann, ist die Frage nach weiteren Sachverhalten eigentlich nur eine ‚rhetorische‘ Frage. Allerdings würden wir damit in Richtung einer allgemeinen Logiktheorie steuern. Möglicherweise ist dies hier noch zu früh.

Fortsetzung folgt

QUELLEN

  • Avicenna, ‚Avicennas Treatise on Logic‘. Part One of ‚Danesh-Name Alai‘ (A Concise Philosophical Encyclopedia) and Autobiography, edited and translated by Farang Zabeeh, The Hague (Netherlands): Martinus Nijhoff, 1971. Diese Übersetzung basiert auf dem Buch ‚Treatise of Logic‘, veröffentlicht von der Gesellschaft für Nationale Monumente, Serie12, Teheran, 1952, herausgegeben von M.Moien. Diese Ausgabe wiederum geht zurück auf eine frühere Ausgabe, herausgegeben von Khurasani.
  • Digital Averroes Research Environment
  • Immanuel Kant, Critik der reinen Vernunft‘, Riga, 1781
  • Konrad Lorenz, 1973, ‚Die Rückseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte des menschlichen Erkennens‘, München, Zürich: Piper
  • Günther Patzig, ‚Die Aristotelische Syllogistik‘, 3. verb.Aufl., Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht, 1969
  • Nicholas Rescher (1928 – ),The Development of Arabic Logic. University of Pittsburgh Press, 1964
  • Hans-Jörg Sandkühler (Hg.) unter Mitwirkung von Dagmar Borchers, Arnim Regenbogen, Volker Schürmann und Pirmin Stekeler-Weithofer, ‚Enzyklopädie Philosophie‘, 3 Bd., Hamburg: FELIX MEINER VERLAG, 2010 (mit CD-ROM)
  • Stanford Encyclopedia of Philosophy, Aristotle’s Logic
  • Whitehead, Alfred North, and Bertrand Russell, Principia Mathematica, 3 vols, Cambridge University Press, 1910, 1912, and 1913; Second edition, 1925 (Vol. 1), 1927 (Vols 2, 3). Abridged as Principia Mathematica to *56, Cambridge University Press, 1962.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume One. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-182-3.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Two. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-183-0.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Three. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-184-7

Eine Übersicht über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER

NACHÜBERLEGUNGEN ZUM VORTRAG „NOTION OF GOD“ von GIUSEPPE TANZELLA-NITTI, Prof. für Dogmatische Theologie der Theologischen Fakultät der Päpstlichen Universität vom Heiligen Kreuz (Rom); Vortrag gehaltem am 17.Aug.2013 an der Universität UNICAMP (Campinas, Brasilien)

Letzte Änderung: Einfügung zweier Musikstücke am 24.August 2013

Als Begleitmusik (Variante 1)

PERSÖNLICHER NACHHALL

1) Die folgenden Überlegungen beabsichtigen nicht, den Vortrag als solchen wieder zu geben (als Hintergrundlektüre für den Vortrag war angegeben worden God, Notion of), sondern Gedanken, die sich für mich aus dem Vortrag ergeben haben, auch in Verbindung mit einem der anschließenden Gesprächskreise (der zum Glück auf Englisch war, da sich mein Portugiesisch bislang nur auf wenige Worte beschränkt).
2) Aufgrund meiner Biographie vermeide ich es eher, mich mit kirchlichen Themen zu beschäftigen, da das offiziell-kirchliche Denken — ich muss es so sagen — in meiner Erfahrung aufklärendes Denken eher verhindert als befördert. Aber da ich nun mal hier war und mein Freund den Vortrag besuchen wollte, bin ich mal mitgegangen.

EINSCHRÄNKUNG AUF GRENZEN DER WISSENSCHAFTEN

3) Eine kleine Überraschung war, dass der Vortrag selbst sich nur auf Aussagen der Wissenschaft beschränkte, und hier besonders auf die großen Diskussionen in der Physik bis ca. Ende des 20.Jahrhunderts. Alle anderen Wissenschaften wie die Geologie und Biologie mit dem evolutionären Veränderungsgeschehen auf der Erde, die Molekularbiologie und Neurowissenschaften mit den neuen Erkenntnissen zu den Grundlagen des Menschseins samt den Auswirkungen auf die moderne Philosophie, dies alles fehlte in dem Vortrag. Erst recht fehlte die Position der Kirche, die Theologie, wie diese sich zu dem Ganzen verhält (die in dem oben genannten Artikel ‚Notion of God‘ sehr wohl vorkommt).

GRENZEN UND IHRE ÜBERWINDUNG

4) Der Vortrag artikulierte im Munde des Vortragenden besonders drei Leitthemen: (i) Die Wissenschaft leistet aus Sicht der Kirche sehr wohl einen Beitrag zur Erkenntnis der Welt, wie sie ist; (ii) aufgrund der verwendeten empirischen Methoden in Kombination mit der Mathematik hat die Wissenschaft aber eingebaute Erkenntnisgrenzen, die verhindern, dass man das ‚große Ganze‘ sehen kann; (iii) die Lücken, die die Wissenschaft lässt, verlangen dennoch nach einer ‚Füllung‘, die mittels philosophischem und theologischen Denken geschlossen werden können.
5) Akzeptiert man die Annahmen, die der Vortragenden in seinem Vortrag stillschweigend macht (Anmerkung: Er hat nirgends seine eigenen Voraussetzungen offengelegt (und dies geschieht auch nicht in dem angegebenen Hintergrundartikel)), dann ist dies ein recht plausibler, schlüssiger Gedankengang.
6) Er brachte dann eine Fülle von Originalzitaten aus Briefen und Büchern berühmter Forscher, die alle mit je eigenen Worten ihre persönliche Position bezüglich der Grenzen der wissenschaftlichen Erkenntnis zum Ausdruck brachten; diese mündeten in den einen Tenor, dass sie ‚hinter allem‘ letztlich eine alles übergreifende Ordnung vermuten oder gar direkt von ‚Gott‘ sprechen. Abgerundet wurde der Zitatenstrauss durch eine Episode während einer wissenschaftlichen Konferenz im Vatikan, bei der Stephen Hawking, bekennender Atheist und aus Sicht der Kirche illegal ein zweites Mal verheiratet eine Begegnung mit Papst Paul II. hatte und der Papst Hawking entgegen Hawkings Erwartungen nicht kritisierte (in der Vergangenheit hatte Hawking von einem Papst sogar eine hohe kirchliche Auszeichnung bekommen, die der Papst (Foto war da) ‚kniend‘ überreicht hatte).

EINE FALSCHE ‚HEILE WELT‘?

7) So nett dies alles klingt, es führt letztlich an der Sache vorbei und gaukelt eine ‚heile Welt‘ vor, die so nicht existiert.

KOMMENTAR: HISTORISCHE EINORDNUNG DER WISSENSCHAFT FRAGWÜRDIG

8) In meinem ersten Kommentar in der Vortragsrunde habe ich versucht deutlich zu machen, dass die Fokussierung auf die ‚Grenzen‘ wissenschaftlichen Erkennens — so lehrreich sie in gewissen Details sind — letztlich aber die Sicht auf den tatsächlichen Gang der historischen Entwicklung verstellt. Das, was aus einer vom Vortragenden bewusst gewählten Sicht als ‚Begrenzung‘ des Wissens durch die moderne Wissenschaften erscheint, erweist sich im realen historischen Kontext als gewaltige Befreiung! Vor dem systematischen Betrieb von empirischer Wissenschaft — wobei man Galileo Galilei (1564– 1642) als einen Bezugspunkt für den historischen Beginn setzen kann (natürlich gab es auch vor Galileo andere, die schon empirische Untersuchungen angestellt haben, die Mathematik zur Beschreibung benutzt haben, aber mit seiner Person, seinen Werken und seinem Schicksal verbindet sich die Geschichte der modernen Wissenschaften in besonderer Weise) — gab es ein Sammelsurium von Wissen, stark dominiert von einem philosophischen Denken, das trotz der Klarheit eines Aristoteles (384-322BC) stark in den Fallstricken der natürlichen Denkens verhaftet war und mittels einer sogenannten Meta-Physik alle die Fragen löste, die das übrige Wissen zu dieser Zeit noch nicht lösen konnte. Dies vermittelte zwar den Eindruck von ‚Klarheit‘ und ‚Sicherheit‘, da man ja alles meinte ‚erklären‘ zu können. Der große Nachteil dieses Wissens war, dass es nicht ‚falsch‘ werden konnte. Unter der Flagge der Meta-Physik konnten also auch größte Unsinnigkeit geäußert werden und man konnte sie nicht widerlegen. So schlimm dies in sich schon ist, so schlimm wird dies dann, wenn eine politische oder kirchliche Macht (oder beide zusammen, was geschehen ist), ihre eigenen Wahrheits- und Machtansprüche mit solch einer Denkform, die nicht falsch werden kann, verknüpft. Eine kirchliche Macht formal verknüpft mit einem ‚abgeleiteten‘ Aristoteles konnte jedes ’neue‘ und ‚andersartige‘ Denken im Ansatz unterbinden. Vor diesem Hintergrund war das Aufkommen der empirischen Wissenschaften eine wirkliche Befreiung, eine Revolution und das harte unerbittliche Vorgehen der Kirche gegen die ersten Wissenschaftler (bis hin zum Tod auf dem Scheiterhaufen) belegt, dass die Inhaber der Macht sehr wohl gespürt haben, dass ein empirisch wissenschaftliches Denken trotz seiner eingebauten Grenzen mächtig genug ist, die metaphysischen Kartengebäude der Vergangenheit zum Einsturz zu bringen. Und die weitere Entwicklung zeigt überdeutlich, dass es genau dieses empirische-wissenschaftliche Denken war, das im Laufe der letzten 400 Jahre schrittweise immer mehr unser gesamtes Denken über das Universum, die Erde, das Leben und den Menschen ‚umgegraben‘ hat; wir haben atemberaubende Einblicke erlangt in ein universelles Geschehen und in einen Mikrokosmos, der alles übersteigt, was frühere Zeiten nicht einmal ahnen konnten. Wenn ein Aristoteles heute leben könnte, er wäre sicher besinnungslos vor Glück angesichts all dieser aufregenden Erkenntnisse (und natürlich würde er seine Meta-Physik komplett neu schreiben; er würde es sicher tun, nicht so die vielen philologischen Philosophen, die immer nur neue Ausgaben editieren (so wertvoll dies für sich auch sein mag)).
9) Von all dem hat der Vortragende nichts gesagt! Er hat es tunlichst vermieden, hätte er doch unweigerlich die hochproblematische Rolle der realen Kirche in diesem historischen Prozess zur Sprache bringen müssen, noch mehr, er hätte sich unangenehmen Fragen danach stellen müssen, wie es denn die Kirche heute mit der wissenschaftlichen Erkenntnis hält. Dies war mein zweiter Punkt, den ich im Plenum angemerkt habe.

KOMMENTAR: AUSLASSUNG DER NEUEREN WISSENSCHAFTSENTWICKLUNG; SCHWEIGEN ÜBER WISSENSCHAFTLICHE ERKENNTNISSE IN ANWENDUNG AUF DIE BIBEL

10) In dem zitierten Dokument God, Notion of) werden einige kirchliche Dokumente aufgelistet, die auf die eine oder andere Weise — zumindest in Worten — eine grundlegende Wertschätzung von allgemeinen wissenschaftlichen und philosophischen Erkenntnissen zum Ausdruck bringen. Allerdings, wie oben schon angemerkt, werden viele neue wissenschaftliche Disziplinen, speziell jene im Umfeld der chemisch-biologischen Evolution, Neurowissenschaften, künstliche Intelligenzforschung, ausgeklammert. Und — dies fällt vielen Nicht-Theologen vermutlich gar nicht auf — die Anwendung wissenschaftlicher Methoden auf die sogenannten ‚Offenbarungsschriften‘ des alten und Neuen Testaments (kurz ‚Bibel‘ von Griechisch ‚biblos‘ = Buch) und die theologische Lehre insgesamt wird nahezu vollständig ausgeblendet. In allen offiziellen kirchlichen Texten spielen die gut 100 Jahre andauernden wissenschaftlichen Untersuchungen zur Überlieferungsgeschichte der biblischen Dokumente, ihre historischen Kontexte, ihre literarische Formen, ihre redaktionellen Be- und Überarbeitungen, ihre Übernahme vorgegebener Themen aus dem Umfeld, usw. keine ernsthafte Rolle (Anmerkung: Diese Feststellung bezieht sich wohlgemerkt auf die offiziellen kirchlichen Verlautbarungen. In den meisten theologischen Hochschulen — zumindest im deutschsprachigen Bereich –werden diese Methoden im Rahmen der Wissenschaften von der Bibel (Exegese) sehr wohl gelehrt und angewendet, allerdings, wie man sieht, im offiziell kirchlichen Denken ohne Konsequenzen). Das gleiche zieht sich fort in den theologischen Disziplinen, die zum dogmatischen Denken gehören. Hier wird Wissenschaft und moderne Philosophie — wenn überhaupt — nur sehr selektiv einbezogen. Diese gelebten Realitäten einer Kirche sprechen eine andere Sprache als die schönen Worte der offiziell kirchlichen Verlautbarungen. Würde man die hier in den letzten 100 Jahren gewonnenen Erkenntnisse ernst nehmen, dazu die übrigen neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse, dann würde man viele gewohnte kirchliche Positionen ziemlich sicher korrigieren müssen. Während die einen dies als ‚Verlust‘ empfinden mögen, als ‚Bedrohung‘, werden andere daran einen möglichen Weg sehen, die ursprüngliche Sprengkraft eines christlichen Glaubens auch unter veränderten Erkenntnisbedingungen wieder besser denken und dann vielleicht auch besser leben zu können. Auf diesen ganzen Komplex von Wissenschaftsverachtung durch die reale Kirche heute ist der Vortragende mit keinem Wort eingegangen (in dem von ihm angegebenen Text lässt der abschließende Abschnitt über die Sicht der Theologie den Eindruck entstehen, als ob er selbst als Autor diese 100 Jahre umfangreichster wissenschaftlicher Arbeiten zur Bibel auch völlig ausklammert und stattdessen nur klassische metaphysische Muster wiederholt, deren Gültigkeit heute mehr als fragwürdig ist).

KOMMENTAR: SCHLIESSEN DER LÜCKEN MIT UNGEEIGNETEN MITTELN

11) Damit kommen wir zum dritten Themenkreis, dem Schließen der ‚Lücken‘, die das wissenschaftliche Denken angeblich lässt. Nu muss man an dieser Stelle selbstkritisch einräumen, dass die vielen empirisch-wissenschaftlichen Disziplinen bis heute keinen einheitlichen, überall anerkannten ‚meta-wissenchaftlichen‘ Überbau in Form einer allgemein verbreiteten ‚Wissenschaftstheorie‘ oder ‚Philosophy of Science‘ haben; sofern es solche Professuren gibt, sind diese oft vereinzelt, isoliert, eher der Philosophie zugeschlagen und abgetrennt von den Wissenschaften, die dieses Denken eigentlich brauchen. Die ohne Zweifel in jedes wissenschaftliche Erkennen einfließenden philosophischen Anteile sind oft wenig thematisiert oder gar nicht thematisiert. Andererseits ist es aber so, dass de reale Gang der empirischen Wissenschaften beständig begleitet war von allerlei methodologischen Diskussionen. Die große Mannigfaltigkeit der Disziplinen und der hohe Veränderungsgrad machen es allerdings schwierig, hier mit einer Reflexion Schritt zu halten (zumal diese von den Universitäten zum Leidwesen der Wissenschaften kaum honoriert oder unterstützt wird). Aus dieser, sich aus der Sache heraus ergebenden, Schwierigkeit dann abzuleiten, dass es so etwas wie eine Philosophie der realen Wissenschaften nicht geben kann und dass man stattdessen doch lieber Vorlieb nimmt mit den ‚Philosophen der Vergangenheit‘ (die können sich ja nicht mehr wehren), ist verständlich, wenngleich für den Wissenschaftsbetrieb unglücklich. Statt die Kluft zwischen ‚Denken in der Vergangenheit und Denken heute‘ zu schließen, wird diese Kluft dann eher zementiert. Aus dieser unbefriedigenden Situation heraus entstehen dann solche Lösungsvorschläge, die ‚Erkenntnislücken‘ der heutigen Wissenschaften mit den Konzepten der alten klassischen Metaphysik zu ‚überbrücken‘ (zu ‚transzendieren‘), da man ja letztlich (so die stillschweigende Annahme) aus dem vorausgesetzten allgemeinen ‚Logos‘ (ein Begriff aus der griechischen Philosophie, zusätzlich aufgeladen durch die biblischen Schriften, u.a. vom Johannesevangelium her, das im griechischen Text auch vom ‚logos‘ spricht) existentiell und logisch meint allgemeine Zusammenhänge herleiten zu können, um die Erkenntnislücken empirischer Wissenschaften zu schließen.
12) Wie gesagt, die empirischen Wissenschaften bieten leider kein ideales Bild, aber die Einbeziehung von klassischen philosophischen Positionen ohne weitere Begründung ist nicht sehr rational. Da werden mindestens 400 Jahre kritische methodische Reflexionen komplett unterschlagen. Hier nur ein paar Anmerkungen (eine korrekte Darstellung könnte ganze Bücher füllen):

EINWÄNDE GEGEN NAIVE INANSPRUCHNAHME VON ‚LOGOS‘ UND METAPHYSIK
– ERKENNTNISTHEORIE

13) (i) ein Einspruch kommt von der modernen Erkenntnistheorie (etwa ab Descartes, über Hume, Kant, Locke und vielen anderen bis hin zur evolutionären Erkenntnistheorie). Hier hat man erkannt, dass unsere subjektive Erlebnis- und Denkwelt ganz konkrete Voraussetzungen hat, die in der Struktur und der Funktion des Gehirns begründet sind, das wiederum zusammen mit dem umgebenden Körper eine Entwicklung von vielen Millionen Jahren hinter sich hat. Die Art und Weise unseres Denkens ist ein Produkt, und die heutigen Erlebnis- und Denkformen bilden keinen endgültigen Schlusspunkt, sondern repräsentieren eine Übergangsform, die in einigen Zehntausend Jahren (falls die Gentechnik nicht schon früher Änderungen hervorbringt) anders aussehen werden als heute. Beispielsweise sehen wir (durch die Kodierung des Gehirns) beständig ‚Objekte‘, aber in der physikalischen Welt gibt es keine Objekte, nur Eigenschaftsmengen, Energiefelder. Eine klassische Metaphysik konnte unter Voraussetzung des subjektiven Denkens mit Objekten in Form einer ‚Ontologie‘ operieren, eine moderne Philosophie muss erst einmal erklären, wie sie damit klar kommt, dass unser Gehirn subjektiv überall Objekte konstruiert, obwohl es physikalisch eigentlich keine Objekte gibt (und eine moderne Philosophie muss natürlich noch erheblich mehr erklären als dieses).

– SPRACHPHILOSOPHIE

14) (ii) Ein zweiter Einspruch kommt von der Sprachphilosophie. Der Vortragende erwähnte zwar auch den frühen Wittgenstein (1889-1951) als Kronzeugen für die Einsicht in die Grenzen dessen, was man mit Sprache sagen kann, um damit einmal mehr die Grenzen der empirisch-wissenschaftlichen Methode zu thematisieren, er versäumte es dann aber, auch den späten Wittgenstein zu erwähnen, der nachhaltig aufzeigen konnte, wie die Grenzen des Sagbaren alle Sprachspiele durchziehen, auch die Alltagssprache, auch — und nicht zuletzt! — die Sprache der Philosophen. Konnte man in früheren Zeiten als Philosoph einfach einen Satz hinschreiben mit der trügerischen Annahme, das könne wohl jeder verstehen, der verstehen will, kann nach Wittgenstein jeder, der es wissen will, wissen, dass dies eine wenig haltbare Position ist. Nicht nur jeder Satz, sondern sogar jedes einzelne Wort unterliegen dem Problem, dass ein Sprecher A das, was er mit bestimmten Lauten oder Zeichen verbunden wissen will (die Bedeutung), in keinem einzigen Fall als selbstverständlich gegeben bei einem anderen Sprecher B voraussetzen kann. Dies liegt daran, dass die Zuordnung von sprachlichem Ausdruck und das mit dem Ausdruck Gemeintem nicht zwangsweise mit dem Ausdruck selbst verknüpft ist, sondern in jedem einzelnen Fall mühsam gelernt werden muss (was jeder, der mühsam eine neue Sprache lernen will auf Schritt und Tritt erfährt). Mag dies bei Bezugnahme auf empirische Sachverhalte noch einigermaßen gehen, wird es bei nicht-empirischen Sachverhalten zu einem Rate- und Glücksspiel, das umso abenteuerlicher ist, je weniger Bezugspunkte zu etwas anderem, was schon bekannt ist, vorliegen. Wer schon einmal klassische philosophische Texte gelesen hat, der weiß, dass philosophische Texte in der Regel NICHT von empirischen Sachverhalten sprechen, sondern von Erlebnis- und Denkstrukturen, die als solche nicht wie Objekte aufzeigbar sind. Die Vielzahl unterschiedlicher Interpretationen ein und desselben klassischen philosophischen Textes ist von daher kein Zufall sondern resultiert aus dieser schwierigen Bedeutungslage. Klassische philosophische Texte sind ’schön‘, solange man sie nicht ernsthaft analysiert; tut man dies, verliert man sich unweigerlich in immer mehr Aporien.
15) [Anmerkung: Ich selbst war Teilnehmer des folgenden Experimentes an derjenigen deutschen Universität, die als einzige unter den ersten 50 Plätzen internationalen Universitätsrankings vorkommt. Teilnehmer waren zwei bekannte Philosophieprofessoren, zwei habilitierte Assistenten und mindestens drei Doktoranden der Philosophie. Es ging um die Frage, ob man die Einleitung in Kants Kritik der reinen Vernunft so interpretieren könne, dass alle ausnahmslos zustimmen müssten. Das Experiment lief zwei Semester lang. An Methoden war alles erlaubt, was bekannt war und dienlich erschien. Natürlich wurden u.a. auch alle bisher verfügbaren Kommentare berücksichtigt. Nach zwei Semestern gab es nicht einmal ansatzweise eine gemeinsame Sicht der Dinge. Beweisen tut dies im strengen Sinne nichts. Ich fand es damals sehr ernüchternd.]
16) Fasst man die Erkenntnisse der modernen Erkenntnistheorie und die der modernen Sprachphilosophie zusammen, dann erscheint es nicht nachvollziehbar und geradezu gewagt, anzunehmen, man könne die bislang erkannten Grenzen der modernen empirisch-wissenschaftlichen Erkenntnis durch einen unreflektierten Rekurs auf einen alles übergreifenden ‚Logos‘ einfach so überbrücken. Diese Art von ’naiver‘ (sprich ‚unreflektierter‘) Meta-Physik (und Ontologie) ist vorbei.
17) Bedenkt man die Bedeutungs-Probleme, die die Alltagssprache besitzt, ist die Situation in den empirisch-wissenschaftlichen Disziplinen ja geradezu noch ‚idyllisch‘. Bis zu einem gewissen Grad gibt es hier noch aufzeigbare und kontrollierbare ‚Bedeutung‘, wenn auch nicht vollständig.

VERZICHT AUF ‚LOGOS‘ ODER METAPHYSIK BEDEUTET NICHT GOTTLOSIGKEIT

18) Akzeptiert man die kritischen Argumente, dann folgt daraus NICHT — wie der Vortragende zu unterstellen scheint –, dass sich damit die Frage nach einem letzten ‚Sinn‘ oder gar die Frage nach etwas, das wir ‚Gott‘ nennen, grundsätzlich erledigt hat. Was sich allerdings weitgehend erledigt hat, ist, dass man tiefgreifende Fragen, die sich durch das Fortschreiten der Wissenschaften dem Wahrheitssuchenden öffnen weder durch Rekurs auf eine vor-kritische naive Metaphysik ‚überspielen‘ kann, noch dass man theologische Positionen als Antworten benutzen kann, die sowohl die wissenschaftliche kritische Analyse der religiösen Überlieferungsgeschichte wie auch der sich aus den Wissenschaften ergebenden neuen Erkenntnisse zur Struktur des Menschen, seiner Erkenntnisfähigkeit, seinen Erlebnisstrukturen usw. unberücksichtigt lassen. Das, was der Vortragende in dem zitierten Artikel tut, ist aber genau dies: er benutzt die alte naive Metaphysik, als ob es die letzten 400 Jahre nicht gab, und er benutzt eine theologische Interpretation, die genau jene Wissenschaft, die zuvor als so wichtig gepriesen wird, vollständig ausklammert. Das ist in meinen Augen nicht seriös, das ist nicht rational, das ist unwissenschaftlich, das hilft all den Menschen nicht, die ernsthaft nach Wahrheit suchen und nicht nur eine ‚psychologische Beruhigung‘ mit ‚einlullenden Bildern‘ (obwohl das Erzählen von Märchen sehr wohl der Wahrheitsfindung dienen kann; man muss sie nur richtig erzählen. Viele der Gleichnisse (einfache Form von Märchen?), die der Gestalt Jesus von Nazareth zugeschrieben werden, sind z.B. von dieser Natur: sie machen Punkte im Verhalten von Menschen deutlich, denen man eine gewisse Lebensweisheit nicht absprechen kann (eine Weisheit, die nicht jeder mögen muss)).

DIE GRENZEN DER SPRACHE IMPLIZIEREN NICHT EINE BEGRENZTHEIT DER WELT

19) Der Gesprächskreis im Anschluss an den Vortrag war sehr heterogen. Ich selbst habe aus den vielen Aussagen folgenden Gedanken mitgenommen: Die Grenzen der Sprache (Für die Mathematik aufgezeigt durch Gödel (und auch Turing)), für die allgemeine Sprache durch Wittgenstein) bedeuten nicht das Ende der Erkenntnis, sie machen uns nur deutlich, dass die grundsätzlichen Möglichkeiten des Erkennens für uns Menschen (bisher, unter Voraussetzung des aktuellen Erkenntnisapparates) nicht beliebig sind und dass wir, wenn wir ‚wahre‘ Erkenntnis wollen, jene, die uns aus den Wirrungen des alltäglichen naiven Weltbildes tatsächlich herausführen kann, dass wir dann diese Grenzen beherzigen und berücksichtigen sollten. Dass die scheinbare Begrenzung des wahren Erkennens auf die empirisch-wissenschaftliche Vorgehensweise uns gegenüber dem Vorgehen mit der nur scheinbar alles umfassenden naiven metaphysischen Denkweise in geradezu explosionsartiger Weise in Denkräume hinein katapultiert hat, von denen keiner der alten Philosophen auch nur träumen konnte, dies sollte uns Ermutigung und Anstoß sein, diesen Weg beherzt weiter zu gehen. Darüber hinaus zeigt sich aber ein fundamentaler Tatbestand: explizites, sprachlich vermitteltes Denken kann letztlich nur jener Wirklichkeit folgen, in der wir uns vorfinden und die allem Denken voraus ist. Was wir nicht aufzeigen können, ist letztlich nicht greifbar. Mehr noch, nur im Erfahren des ‚wirklich Anderen‘ — dem Empirisch-widerständigen — erfahren wir uns selbst als das ‚Andere zum anderen‘, als ‚Selbst‘ und das, ‚was‘ wir sind bzw. sein können, wissen wir erst dann, wenn wir selbst in unserem konkreten Dasein uns selbst sichtbar werden. Dies aber bedeutet, nur wenn wir ‚aus uns heraus‘ gehen, nur wenn wir ‚uns aufs Spiel setzen‘, nur wenn wir etwas ‚Probieren‘, nur dann kann sichtbar werden, ‚was‘ bzw. ‚wer‘ wir ‚tatsächlich sind‘. Nur weil das ‚biologische Leben‘ beständig weiter ‚aus sich heraus‘ gewachsen ist, immer mehr ‚Varianten probiert‘ und ‚Komplexitäten geschaffen‘ hat sind Formen des Lebens entstanden, von denen wir ein kleiner Teil sind. Dass das DNA-Molekül und der zugehörige Übersetzungsmechanismus ‚begrenzt‘ ist (verglichen mit den klassischen metaphysischen Konzepten geradezu lächerlich primitiv) war — und ist — kein Hindernis dafür, dass immer komplexere Lebensformen entstanden sind, so komplex, dass unser heutiges Denkvermögen sie nicht vollständig beschreiben kann. Die Grenzen der Sprache sind NICHT die Grenzen des Lebens und der Wahrheit. Die Wahrheit geht jeder Sprache — und erst recht jeder Metaphysik — um Lichtjahre voraus.

JEDER KANN SEIN ‚GOTTESEXPERIMENT‘ MACHEN

20) Sollte es so etwas wie einen ‚Gott‘ geben, so brauchen wir uns mit Sicherheit keine Sorgen darum machen, ob er ‚ist‘, was er ‚tut‘ oder ob wir ihn ‚richtig erkennen‘. Wenn es einen ‚Gott‘ als das letztlich Unbegreiflich alles Umfassende geben sollte, dann kann man davon ausgehen, dass er schon immer handelt (auch ohne uns zu fragen), er ist schon immer bei und in uns, ohne dass wir darum bitten müssen, und er lässt die ‚Wahrheit‘ auch in Lebensformen aufscheinen und sich entwickeln, die wir uns nicht ausgedacht haben und über die wir keine Verfügungsgewalt haben. Mit Sicherheit ist dieser Gott nicht an eine spezielle ethnische Gruppe gebunden, mit Sicherheit interessiert diesen Gott nicht, was wir essen und trinken, mit Sicherheit spielt Jungfrauengeburt und ähnliche Folklore keine Rolle. Für diesen Gott, so es ihn gibt, geht es um wirklich Grundlegendes. Aus meiner beschränkten Wahrnehmung sehe ich nicht, dass irgendeiner der heute lebenden Religionen (Judentum, Christentum, Islam…) wirklich ernsthaft an Gott interessiert ist. Dazu ist viel zu viel Hass unterwegs, zu viel Menschenverachtung, zu viele gruppenspezifische Egoismen, zu viele Herrschaftsstrukturen, die nur denen dienen, die herrschen, zu viel Folklore, zu viel Geldmacherei, zu wenig echtes Wissen.
21) Alles in allem — das habe ich in einem andren Blogeintrag auch schon mal ausgeführt — kann man den Eindruck gewinnen, dass es heute weniger die alten Religionen sind, die uns etwas Interessantes über den Sinn dieser Welt und über Gott zu sagen haben, als vielmehr die modernen Wissenschaften, die trotz ihrer Unvollkommenheiten ein Fenster der Erkenntnis aufgestoßen haben, dass alle Räume sehr weit aufmacht, so weit, dass wir noch gar nicht alles fassen können, was wir da sehen, zugleich werden die Grundrisse einer neuen Spiritualität sichtbar, die zu erkunden und auszuprobieren noch viel zu tun bleibt.
22) Das wäre mein letzter Punkt (zu dem es auch schon frühere Blogeinträge gibt). Wenn das alles stimmt, was uns die empirischen Wissenschaften sagen, dann ist die Annahme einer direkten Kommunikation ‚Gottes‘ — was immer man alles über ihn im Detail noch sagen kann — mit jedem Punkt des Universums — und damit natürlich auch mit jedem Lebewesen, auch mit uns Menschen — grundsätzlich möglich, und zwar jederzeit und überall. Niemand braucht eine vermittelnde Instanz dazu, da wir durch unsere Körper (die ja alle aus Zellen bestehen, diese aus Molekülen, diese aus Atomen, diese aus subatomaren Teilchen) jederzeit mit jedem Punkt im Universum kommunizieren können. Die grundlegenden Regeln der — zumindest christlichen — Mystik sind mit diesem empirischen Befund deckungsgleich. Es macht ja auch keinen Sinn, ‚Gott‘ als alles umfassenden und ermöglichenden Grund allen Seins zu postulieren und ihm dann zu verbieten, sich mit jedem Punkt des Universums verbinden zu können. Von der Quantenphysik her gibt es jedenfalls keine grundlegenden Einwände (was nicht bedeutet, dass wir in der Quantenphysik soweit wären, eine solche Kommunikation vollständig beschreiben zu können). Das gute daran ist, man muss dies nicht ‚glauben‘, sondern man kann es ‚tun‘, d.h. jeder kann sein privates ‚Gottesexperiment‘ machen und mit Gott in Kontakt treten. Man muss dafür kein Geld bezahlen, man braucht dazu keine ‚Genehmigung‘, man muss dazu keinen Universitätsabschluss gemacht haben, man muss dazu keiner bestimmten politischen Partei angehören, man muss dazu kein Millionär sein; das ‚einfache Menschsein‘ genügt. Die einzige Bedingung, man muss es einfach ‚tun‘, womit wir wieder bei dem zentralen Sachverhalt sind: Leben gibt es nur dort, wo es sich ‚ereignet‘, indem man seine Möglichkeiten ausübt…

Eine Übersicht über alle bishergen Blogeinträge nach Titeln gibt es HIER

Variante Nr.2

Philosophie im Kontext – Teil2 – Irrtum!

Das Diagramm im letzten Beitrag über Philosophie im Kontext ist falsch, nicht so sehr in den Details, sondern in der grundlegenden Logik.

Philosophie im Kontext - FalschBild 1

Eine korigierte Version könnte wie folgt aussehen:

Philosophie im Kontext - NeuBild 2

 

(1) In dem vorausgehenden Beitrag hatte ich versucht, auf der Basis der philosophischen Überlegungen seit Januar (letztlich natürlich noch Monate und Jahre weiter zurück) in einem Diagramm die grundsätzlichen Verhältnisse zu skizzieren, die man berücksichtigen muss, will man über das Zusammenspiel all der verschiedenen möglichen wissenschaftlichen und philosophischen Theorien sprechen, einschließlich des alltäglichen Denkens.

 

(2) Dabei ist mir ein gravierender Fehler unterlaufen, der natürlich nicht zufällig ist, sondern aus der Art und Weise resultiert, wie unser Denken funktioniert.

 

 

(3) Das Bild, so wie es jetzt ist (siehe Bild 1), zeigt — wie in einer Landkarte — das erkennende Individuum aus einer ‚Draufsicht‘ (3.Person) mit seinem Körper, darin enthalten sein Gehirn, und innerhalb des Gehirns irgendwo die subjektiven Erlebnisse als ‚Phänomene [PH]‘.

 

(4) Der Fehler liegt darin begründet, dass das subjektive Erkennen niemals als ‚Objekt einer dritten Person-Perspektive‘ auftreten kann. Das ist ja gerade das Besondere der subjektiven Erkenntnis, dass sie die ‚Innenansicht‘ eines Gehirns ist, das subjektive Erleben eines bestimmten Menschen (oder auch mit Abwandlungen eines Tieres), ’seines‘ Erlebens, bei Husserl dem ‚transzendentalen ego‘ zugeordnet. D.h. das ‚primäre Erkennen‘ ist in einem subjektiven Erleben verortet, das als solches kein Objekt einer dritten Person sein kann.

 

(5) Diesem Sachverhalt trägt Bild 2 Rechnung. Das Erkennen startet dort bei der Menge der Phänomene. Wie Husserl – und auch viele andere – zurecht herausgestellt hat, sind die Phänomene aber nicht nur ‚in sich geschlossene Objekte‘, sondern ‚phänomenologische Tatbestände‘ in dem Sinne, dass ihr ‚Vorkommen/ Auftreten‘ begleitet ist von einem ‚Wissen über sie‘; jemand, der ‚etwas erkennt‘, ‚weiß‘ dass er erkennt. Das wird im Diagramm durch den Pfeil mit dem Label ‚Reflexion‘ ausgedrückt: Im ‚Wissen um etwas‘ – Husserl nennt dies ‚Intentionalität‘ des Erkennens – können wir alles, was der Inhalt dieses primären Wissens ist, hinsichtlich möglicher unterscheidbarer Eigenschaften ‚explizit unterscheiden‘ und ‚bezugnehmende Konzepte‘ bilden.

 

 

(6) Und da der Mensch – in Ansätzen auch einige Tierarten – die wundersame Fähigkeit besitzt, ‚Gewusstes‘ [PH_Non-L] in Beziehung zu setzen (assoziieren, Assoziation) zu anderem Gewussten, das als ‚verweisenden Etwas‘ (Zeichen) [PH_L] dienen soll, kann der erkennende Mensch die ‚Inhalte seines Bewusstseins‘ – die Phänomene [PH] – mit Hilfe solcher verweisender Zeichen ‚kodieren‘ und dann unter Verwendung solcher kodierender Zeichen ‚Netzwerke solcher Zeichen‘ bilden, die – je nach ‚Ordnungsgrad‘ – mehr oder weniger ‚Modelle‘ oder gar ‚Theorien‘ bilden können.

 

(7) Da das begleitende Wissen, die Reflexion, in der Lage ist, auch ‚dynamische Eigenschaften‘ der Phänomene zu erfassen (‚Erinnern‘, ‚Vorher – nachher‘,…) kann diese Reflexion auch – nach sehr vielen Reflexionsschritten – unterscheiden zwischen jenen Phänomenen, die geschehen ‚ohne eigenes Zutun‘ (ohne eigenes ‚Wollen‘) und den anderen. Das ‚ohne eigenes Zutun‘ kann aus jenen Bereichen des ‚eigenen Körpers‘ herrühren, die die Reflexion ’nicht unter Kontrolle‘ hat oder aus Bereichen ‚außerhalb des Körpers‘, den wir dann auch ‚intersubjektiv‘ nennen bzw. neuzeitlich ‚empirisch‘ [PH_emp].

 

 

(9) In einer phänomenologischen Theorie [TH_ph], deren Gegenstandsbereich die subjektiven Erlebnisse [PH] sind, kann man daher die charakteristische Teilmenge der empirischen Phänomene [PH_emp] identifizieren. Daneben – und zugleich – kann man all die anderen Eigenschaften der Phänomene samt ihrer ‚Dynamik‘ unterscheiden und begrifflich ausdrücklich machen. Eine genaue Beschreibung aller möglicher Unterscheidung ist sehr komplex und ich habe nicht den Eindruck, dass irgend jemand dies bis heute erschöpfend und befriedigend zugleich geleistet hat. Möglicherweise kann dies auch nur als ein ‚Gemeinschaftswerk‘ geschehen. Dazu müsste man eine geeignete Methodik finden, die dies ermöglicht (vielleicht sind wir Menschen technologisch erst jetzt (2012, ca. 13.7 Milliarden Jahre nach dem Big Bang, ca. 3.7 Milliarden Jahre nach dem ersten Auftreten von lebensrelevanten Molekülen auf der Erde…) langsam in der Lage, eine solche Unternehmung einer ‚gemeinsamen Theorie des menschlichen phänomenalen Bewusstseins‘ in Angriff zu nehmen).

 

(10) Vieles spricht dafür, dass die unterschiedlichen Versuche von Philosophen, die Vielfalt der Reflexionsdynamik (und deren ‚Wirkungen‘ auf den Bewusstseinsinhalt) mit Hilfe von sogenannten ‚Kategorientafeln‘ zu strukturieren (keine gleicht wirklich völlig der anderen), in diesen Kontext der Bildung einer ‚phänomenologischen Theorie‘ [TH_ph] gehört. Idealerweise würde man – zumindest einige der bekanntesten (Aristoteles, Kant, Peirce, Husserl,…) – vor dem aktuellen Hintergrund neu vergleichen und analysieren. Sofern diese die Struktur der Dynamik des ’sich ereignenden Denkens‘ beschreiben, müssten diese Kategorientafeln letztlich alle ’strukturell gleich‘ sein. Dabei unterstellen wir, dass die Dynamik des Denkens der einzelnen Menschen aufgrund der Gehirnstruktur ‚hinreichend ähnlich‘ ist. Dies ist aber streng genommen bis heute nicht erwiesen. Die vielen neuen Erkenntnisse zur Gehirnentwicklung und zum individuellen Lernen (einschließlich der emotionalen Strukturen) legen eher die Vermutung nahe, dass es sehr wohl individuelle Unterschiede geben kann in der Art und Weise, wie einzelne Menschen die Welt ‚verarbeiten‘. Träfe dies zu, hätte dies natürlich weitreichende Folgen für die Alltagspraxis und die Ethik (und die Moral und die Gesetze…).

 

 

(11) Hat man sich dies alles klar gemacht, dann wundert es nicht mehr, dass die Bildung wissenschaftlicher empirischer Theorien [TH_emp] nicht ‚außerhalb‘ einer phänomenologischen Theoriebildung stattfinden kann, sondern nur ‚innerhalb‘, und zwar aus mindestens zwei Gründen: (i) die Menge der empirischen Phänomene [PH_emp] ist eindeutig eine echte Teilmenge aller Phänomene [PH], also PH_emp subset PH. (ii) Die empirische Theorie TH_emp entsteht im Rahmen und unter Voraussetzung der allgemeinen Reflexion, die unser primäres Denken ermöglicht und ausmacht; wir haben kein ‚zweites‘ Denken daneben oder ‚jenseits‘ im ‚Irgendwo‘. Dies erklärt auch sehr einfach das häufig bemerkte Paradox der Metatheorie: Theorien sind nur möglich, weil wir ‚über‘ (Alt-Griechisch: ‚meta‘) sie ’nachdenken‘ können. Dieses ‚Nachdenken über‘ (Metareflexion‘) ist unter Annahme der allem Denken vorausgehenden und begleitenden primären Reflexion keine Überraschung. Was immer wie uns ‚ausdenken‘, es geschieht im Rahmen der primären Reflexion und von daher kann auch alles und jedes, was wir jemals gedacht haben oder uns gerade denken beliebig miteinander in Beziehung gesetzt werden. Bezogen auf diese vorausgehende und begleitende Reflexion ist jeder ‚Denkinhalt‘ grundsätzlich ‚unabgeschlossen‘; die primäre Reflexion ermöglicht eine ‚endliche Unendlichkeit‘, d.h. der prinzipiell nicht abgeschlossene Denkprozess kann – als ‚Prozess‘ – jede endliche Struktur immer wieder und immer weiter ‚erweitern‘, ‚ausdehnen‘, usf.

 

(12) Kennzeichen von neuzeitlichen empirischen Theorien ist ihre Fundierung in ‚empirischen Messverfahren‘ [MEAS]. Kennzeichen dieser empirischen Messverfahren ist es, dass sie unabhängig vom Körper eines Menschen und auch unabhängig von seinem individuellen Erkennen, Fühlen und Wollen bei gleicher ‚Durchführung‘ immer wieder die ‚gleichen Messergebnisse‘ [DATA_emp] liefern sollen. Ob und wieweit solche ‚unabhängigen‘ Messungen tatsächlich durchgeführt werden können ist eine ‚praktische‘ und ‚technologische‘ Frage. Die Geschichte zeigt, dass dieses Konzept auf jeden Fall trotz aller Probleme im Detail bislang extrem erfolgreich war.

 

(13) Allerdings ist hier folgender Umstand zu beachten: obwohl die Messergebnisse [DATA_emp] als solche idealerweise ‚unabhängig‘ vom Fühlen, Denken und Wollen eines Menschen erzeugt werden sollen, gelangen dieses Messergebnisse erst dann zu einer ‚theoretischen Wirkung‘, wenn es irgendwelche Menschen gibt, die diese Messergebnisse DATA_emp ‚wahrnehmen‘ (Englisch: perception, abgekürzt hier als ‚perc‘) können, damit sie als ‚auftretende Phänomene‘ – und zwar hier dann als empirische Phänomene [PH_emp] – in den Bereich des ‚Wissens‘ eintreten, also perc: DATA_emp —> PH_emp. Dies bedeutet, der besondere Charakter von empirischen Phänomenen haftet ihnen nicht als ‚gewussten Eigenschaften‘, nicht qua ‚Phänomen‘ an, sondern nur im Bereich ihrer ‚Entstehung‘, ihres ‚Zustandekommens‘ (aus diesem – und nur aus diesem – Grund ist es so wichtig, beim Umgang mit Phänomenen jeweils klar zu kennzeichnen, ‚woher diese stammen), der ihrem ‚Phänomensein‘ ‚vorausliegt‘.

 

 

(14) In dem Masse nun, wie wir mittels empirischer Messungen Daten über das beobachtbare menschliche Verhalten [DATA_sr], über physiologische Eigenschaften des Körpers [DATA_bd] bzw. auch über Eigenschaften des Nervennetzes im Körper (‚Gehirn‘) [DATA_nn] gewonnen haben, können wir versuchen, basierend auf diesen verschiedenen Daten entsprechende wissenschaftliche Theorien TH_sr, TH_bd, TH_nn zu formulieren, die die Gesetzmäßigkeiten explizit machen, die durch die Daten sichtbar werden.

 

(15) Der wichtige Punkt hier ist, dass alle diese Theorien nicht ‚unabhängig‘ oder ‚jenseits von‘ einer phänomenologischen Theorie zu verorten sind, sondern ‚innerhalb‘ von dieser! Jede beliebige Theorie kann immer nur eine Theorie ‚innerhalb‘ der umfassenden und zeitlich wie logisch vorausgehenden phänomenologischen Theorie sein. Eine spezifische empirische Theorie [TH_i] zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass sie sich auf eine echte Teilmenge [PH_i] aller verfügbarer Phänomene [PH] beschränkt. Gerade in dieser methodischen Beschränkung liegt – wie der Gang der Geschichte uns lehrt – der große Erfolg dieser Art von Theoriebildung. Zugleich wird aber auch deutlich, dass jede dieser speziellen Theorien TH_i aufgrund ihrer speziellen Datenmengen DATA_i (denen die entsprechenden Phänomenmengen PH_emp_i] korrespondieren) zunächst einmal nichts mit einer der vielen anderen speziellen Theorien TH_j TH_i zu tun hat. Es ist eine eigene theoretische Leistung, Querbeziehungen herzustellen, strukturelle Ähnlichkeiten aufzuzeigen, usw. Dies fällt dann in den Bereich ‚interdisziplinärer Theoriebildung‘, ist ‚Metatheorie‘. Diese Art von metatheoretischen Aktivitäten ist aber nur möglich, da die primäre Reflexion alle Arten von speziellen Reflexionen zeitlich und logisch vorausgeht und das entsprechende ‚Instrumentarium‘ zur Verfügung stellt.

 

(16) In diesem Kontext ist unmittelbar einsichtig, dass subjektives Wissen prinzipiell kein Gegenstand empirischer Theoriebildung sein kann. Im Umfeld der modernen Neurowissenschaften (einschließlich Neuropsychologie) sowie im Bereich der Psychologie ist dieser grundsätzliche Tatbestand – so scheint es – bislang methodisch nicht wirklich sauber geklärt. In unzähligen Experimenten mischen sich klare empirische Vorgehensweisen mit der Benutzung von subjektiven Daten, was methodisch ungeklärt ist. Dies durchzieht alle ‚Kreise‘.

 

(17) Will man von der einzigartigen Datenquelle des primären Wissens PH für wissenschaftliche empirische Forschung PH_emp profitieren, bietet sich bislang einzig ein ‚hybrides‘ Vorgehen an, in dem ein Mensch sein eigenes subjektives Wissen PH auf der Basis einer ‚zeitlichen Korrelation‘ (t,t‘) mit empirischen Daten PH_emp, die von anderen Wissenschaftlern mittels Messungen über seinen Körper und sein Nervennetz erhoben werden. Also etwa CORR((t,t‘), PH, PH_emp). Dies ist zwar mühsam und fehleranfällig, aber die einzige methodische Möglichkeit, mit diesen ungleichen Phänomenmengen zurecht zu kommen (Mir ist nicht bekannt, dass irgendjemand diese scharfe methodische Forderung bislang erhebt geschweige denn, dass irgend jemand danach tatsächlich vorgeht).

 

(18) Für die weiteren Überlegungen soll versucht werden, diesen methodologischen Anforderungen gerecht zu werden.

 

(19) Es zeigt sich nun auch sehr klar, dass und wie das philosophische Denken gegenüber allen anderen theoretischen Erklärungsansätzen tatsächlich eine Sonderstellung einnimmt. Das philosophische Denken ist das fundamentale Denken, das jeglichem speziellen Denken zeitlich und logisch voraus liegt, nicht als Gegensatz oder als etwas ganz Anderes, sondern als das primäre Medium innerhalb dessen sich alles andere ‚abspielt‘. Während ich eine spezielle empirische Theorie als ‚Objekt des Wissens‘ klar abgrenzen und beschreiben kann, ist die dazu notwendige Metareflexion als solche kein ‚Objekt des Wissens‘, sondern immer nur ein nicht weiter hintergehbares ‚Medium‘, eben das ‚Denken‘, in dem wir uns immer schon vorfinden, das wir nicht erst ‚machen‘, das wir nur ‚benutzen‘ können. Die ‚Eigenschaften‘ dieses unseres Denkens ‚zeigen‘ sich damit auch nur ‚indirekt‘ durch die ‚Wirkung‘ der Denkaktivität auf die Inhalte des Bewusstseins (Eine Kooperation von empirischer Psychologie TH_emp_psych und phänomenologischer Analyse TH_ph kann hilfreich sein, allerdings sind die Gegenstandsbereiche DATA_emp_psych als PH_emp_psych und PH komplett verschieden und wirklich interessant würde es erst dann, wenn wir eine TH_emp_psych einer TH_ph gegenübersetzen könnten (bislang sehe ich nirgends – nicht einmal in Ansätzen – eine phänomenologische Theorie, die diesen Namen verdienen würde, noch eine wirkliche empirische psychologische Theorie, und das im Jahr 2012).

 

 

Ein Überblick über alle bisherigen Einträge findet sich hier.

 

 

In dem Online-Skript General Computational Learning Theory versuche ich, diese erkenntnisphilosophischen Aspekte zu berücksichtigen. Ich kann in diesem Skript allerdings nur einen Teilbereich behandeln. Aber aus diesen sehr abstrakt wirkenden Überlegungen ist meine ‚Rückkehr zur Philosophie‘ entscheidend mitbeeinflusst worden.