Archiv der Kategorie: Sprache

PHILOSOPHISCHE DIALOGE MIT chatGPT4, HEUTE: WAS IST WAHRHEIT?

Letzte Änderung: 25.August 2024

Fragender: Gerd Doeben-Henisch

Kontakt: cagent@cognitiveagent.org

KONTEXT

Dieser Text ist Teil einer Sammlung von philosophischen Dialogen mit chatGPT4.

Zusammenfassung

(Kurzfassung)

chatGPT4: Es scheint, dass eine Rückkehr zur Korrespondenztheorie und deren Weiterentwicklung als ein vielversprechender Ansatz für eine robustere Wahrheitstheorie erscheint. Insbesondere die Idee, eine erfahrungsbasierte Theorie zu entwickeln, die die Realität als entscheidendes Kriterium verwendet und gleichzeitig Raum für die Diskussion von Zielen, Präferenzen und Werten bietet, könnte eine umfassende Basis für das Verständnis von Wahrheit in verschiedenen Kontexten schaffen.

DIALOG : WAS IST WAHRHEIT?

Anmerkung: FETTSCHRIFT markiert die Fragen des Autors

Hallo Chat, was fällt Dir ein zum Begriff ‚Wahrheit‘?

Hallo! Der Begriff „Wahrheit“ kann aus vielen Blickwinkeln betrachtet werden, sowohl philosophisch als auch praktisch. Philosophisch gesehen beschäftigt sich die Frage nach der Wahrheit oft mit der Übereinstimmung von Aussagen oder Überzeugungen mit der Realität. Man spricht hier von einer „Korrespondenztheorie der Wahrheit“, nach der eine Aussage dann wahr ist, wenn sie mit den tatsächlichen Gegebenheiten übereinstimmt.

In der alltäglichen Anwendung geht es oft darum, wie Menschen Wahrheit wahrnehmen und kommunizieren. Dabei spielen Ehrlichkeit, Transparenz und Verlässlichkeit eine wichtige Rolle. In verschiedenen Bereichen wie Wissenschaft, Recht und Journalismus ist die Suche nach der Wahrheit zentral und wird durch bestimmte Methoden und Standards unterstützt.

Die Wahrheit ist auch ein zentrales Thema in der Ethik, wo sie mit Fragen der Moral und der richtigen Handlungsweise verbunden wird. Außerdem gibt es auch eine pragmatische Theorie der Wahrheit, die besagt, dass eine Aussage dann wahr ist, wenn sie nützlich und wirksam in der Praxis ist.

Was denkst du über den Begriff? Gibt es einen bestimmten Kontext, in dem du dich besonders für Wahrheit interessierst?

Ich möchte gerne mit der ‚philosophischen Perspektive‘ in den Dialog einsteigen. Du erwähnst die ‚Korrespondenztheorie der Wahrheit‘. Gibt es nicht noch andere philosophische Ansätze zum Begriff ‚Wahrheit‘?

Ja, neben der Korrespondenztheorie der Wahrheit gibt es tatsächlich noch andere philosophische Ansätze, die sich mit dem Konzept der Wahrheit auseinandersetzen. Hier sind drei wichtige Theorien:

1. **Kohärenztheorie der Wahrheit**: Diese Theorie besagt, dass eine Aussage wahr ist, wenn sie kohärent oder stimmig ist mit einem gesamten System von Aussagen oder Überzeugungen. Wahrheit wird hier weniger als Übereinstimmung mit einer objektiven Realität gesehen, sondern mehr als eine Art Konsistenz innerhalb eines bestimmten theoretischen oder belief-Systems.

2. **Pragmatische Theorie der Wahrheit**: Nach dieser Ansicht ist eine Aussage wahr, wenn sie praktisch oder nützlich ist. Die Wahrheit einer Aussage bemisst sich daran, ob sie funktioniert und ob sie nützliche Konsequenzen nach sich zieht. Der amerikanische Philosoph Charles Sanders Peirce und später William James sind bekannte Vertreter dieser Theorie.

3. **Konsensustheorie der Wahrheit**: Diese Theorie, die insbesondere von Jürgen Habermas entwickelt wurde, sieht Wahrheit als Ergebnis eines idealen Diskurses oder eines rationalen Konsenses. Eine Aussage ist demnach wahr, wenn sie die Zustimmung aller Beteiligten in einer idealen Kommunikationssituation erlangen könnte.

Jede dieser Theorien bietet eine unterschiedliche Perspektive auf das, was es bedeutet, dass etwas „wahr“ ist, und sie betonen verschiedene Aspekte des Wahrheitsbegriffs—sei es Übereinstimmung mit der Realität, Kohärenz innerhalb eines Systems, praktische Effizienz oder demokratischer Konsens.

Diese unterschiedlichen Ansätze spiegeln die Vielfältigkeit und die Tiefe der philosophischen Auseinandersetzung mit der Wahrheit wider und zeigen, dass Wahrheit ein vielschichtiges und oft kontrovers diskutiertes Thema ist. Welcher dieser Ansätze spricht dich besonders an oder gibt es bestimmte Aspekte, die du weiter vertiefen möchtest?

Ja, Danke für diese Auffächerung der Frage nach der Bedeutung des Begriffs ‚Wahrheit‘ in diese vier Perspektiven: Korrespondenztheorie als ‚Übereinstimmung mit der Realität‘, Kohärenztheorie als ‚Kohärenz innerhalb eines Systems‘, Pragmatische Theorie als ‚praktische Effizienz‘ oder Konsensustheorie als ‚demokratischer Konsens‘. Ich möchte diese vier Möglichkeiten gerne diskutieren und daraus eine abschließende Bewertung finden, mit der wir weiter diskutieren können.

Das klingt nach einer spannenden und tiefgehenden Diskussion! Lassen Sie uns die vier Theorien weiter untersuchen und ihre jeweiligen Stärken und Schwächen betrachten, um zu einer umfassenden Bewertung zu gelangen.

### 1. Korrespondenztheorie der Wahrheit

**Stärken:**

– Sie bietet einen intuitiv zugänglichen Wahrheitsbegriff, da sie Wahrheit als Übereinstimmung mit der objektiven Realität versteht.

– Sie ist in den Naturwissenschaften besonders nützlich, wo experimentelle Verifizierung und Beobachtung zentral sind.

**Schwächen:**

– Schwierigkeiten ergeben sich bei der Bestimmung, was die „objektive Realität“ ist, besonders in weniger empirisch erfassbaren Bereichen wie der Ethik oder Ästhetik.

– Sie kann zu einem regress ad infinitum führen, da jede Wahrheitsbehauptung eine weitere Verifizierung erfordert.

### 2. Kohärenztheorie der Wahrheit

**Stärken:**

– Sie ist stark in theoretischen oder philosophischen Systemen, wo interne Konsistenz wichtig ist.

– Nützlich in Bereichen, in denen es keine klare empirische Überprüfbarkeit gibt.

**Schwächen:**

– Mehrere in sich kohärente, aber widersprüchliche Theoriensysteme können existieren, was die Frage aufwirft, welches System die Wahrheit repräsentiert.

– Sie hängt stark von den angenommenen Grundlagen des Systems ab und kann somit relativistisch wirken.

### 3. Pragmatische Theorie der Wahrheit

**Stärken:**

– Betont die Bedeutung der Anwendbarkeit und Nützlichkeit von Überzeugungen in der Praxis.

– Fördert einen flexiblen und adaptiven Ansatz zur Wahrheit.

**Schwächen:**

– Nützlichkeit ist nicht notwendigerweise ein Indikator für Wahrheit; etwas kann nützlich sein, ohne wahr zu sein.

– Kann in pragmatischen Kontexten zu einem kurzfristigen Denken führen, das langfristige Wahrheiten vernachlässigt.

### 4. Konsensustheorie der Wahrheit

**Stärken:**

– Fördert demokratische Prozesse und die Beteiligung verschiedener Stimmen bei der Wahrheitsfindung.

– Kann in sozialen und politischen Kontexten effektiv sein, wo Übereinstimmung wichtig ist.

**Schwächen:**

– Konsens garantiert nicht die Wahrheit; historisch gab es viele Beispiele für allgemeinen Konsens über falsche Überzeugungen.

– Kann anfällig für Manipulation und Machtungleichgewichte sein.

### Abschließende Bewertung

Jede Theorie hat ihre Anwendungsbereiche, in denen sie besonders effektiv ist, sowie Grenzen, die ihre Anwendung erschweren. Eine umfassende Betrachtung von Wahrheit könnte Elemente aus allen diesen Theorien integrieren, abhängig vom spezifischen Kontext und Zweck der Wahrheitssuche.

Wenn wir weiter diskutieren, könnten wir überlegen, wie diese Theorien in verschiedenen praktischen Szenarien angewendet werden könnten oder ob eine bestimmte Theorie in einem bestimmten Bereich (z.B. Wissenschaft, Politik, persönliche Überzeugungen) vorzuziehen ist. Was denkst du darüber? Gibt es bestimmte Bereiche oder Fragen, die du besonders beleuchten möchtest?

OK, sortieren wir die Perspektiven aus, die tatsächlich nicht weiter führen. Dazu müssen wir allerdings einen ‚Bezugspunkt‘ definieren, zu dem wir alle vier Perspektiven in Beziehung setzen können, um einen ‚Vergleich‘ zu ermöglichen. Dies wirft die Frage auf: Was haben alle diese vier Perspektiven gemeinsam? Gehst Du mit?

Absolut, das ist ein kluger Ansatz! Um die verschiedenen Theorien der Wahrheit zu vergleichen und eventuell einige auszusortieren, sollten wir zunächst ihre gemeinsamen Bezugspunkte identifizieren. Hier sind einige Kernaspekte, die alle diese Theorien berühren oder in irgendeiner Weise ansprechen:

### Gemeinsame Bezugspunkte der Wahrheitstheorien:

1. **Beziehung zur Realität:** Obwohl die Theorien unterschiedliche Auffassungen davon haben, was „Realität“ bedeutet (objektive Fakten, kohärente Systeme, praktische Ergebnisse oder konsensuelle Übereinkünfte), versuchen sie alle, eine Brücke zwischen Überzeugungen oder Aussagen und irgendeiner Form von „Realität“ zu schlagen.

2. **Verifikation/Validierung:** Jede Theorie hat implizite oder explizite Methoden, um zu überprüfen oder zu validieren, ob eine Aussage als wahr betrachtet werden kann. Dies reicht von empirischen Tests (Korrespondenz) über logische Konsistenzprüfungen (Kohärenz) bis hin zu praktischer Bewährung (Pragmatismus) und sozialem Konsens (Konsensustheorie).

3. **Funktionale Rolle von Wahrheit:** Alle Theorien erkennen an, dass Wahrheit eine funktionale Rolle in verschiedenen menschlichen Aktivitäten spielt, sei es in der Wissenschaft, im Alltag, in der Politik oder in der Moral.

4. **Philosophische Grundannahmen:** Sie basieren alle auf bestimmten philosophischen Annahmen über das Wesen der Wahrheit, des Wissens und der menschlichen Erkenntnis.

### Nächste Schritte:

Mit diesen gemeinsamen Bezugspunkten können wir die Theorien besser vergleichen und bewerten. Wir könnten überlegen, welche dieser Aspekte am wichtigsten sind für die spezifischen Kontexte oder Probleme, die uns interessieren. Zum Beispiel könnten wir fragen:

– Welche Theorie bietet den robustesten Ansatz für die Verifikation von Wahrheit?

– Welche Theorie ist am anpassungsfähigsten an verschiedene Arten von Problemen oder Disziplinen?

– Welche Theorie behandelt am besten die Komplexität der Realität, wie wir sie erfahren?

Durch diese Fragen können wir beginnen, die Stärken und Schwächen jeder Theorie in Bezug auf unsere spezifischen Bedürfnisse und Kontexte zu bewerten. Was denkst du, welcher dieser Aspekte ist der wichtigste für die Diskussionen oder Probleme, die dir am Herzen liegen?

Ich möchte den ‚gemeinsamen Bezugspunkt‘ etwas anders definieren, und zwar so:

(1) Gemeinsam ist allen Perspektiven, dass sie voraus setzen, dass es eine ‚Gruppe von Menschen‘ gibt, die mindestens ‚eine Sprache‘ gemeinsam haben, mittels der sie ‚kommunizieren‘.

(2) Die ‚Ausdrücke einer Sprache‘ ‚als solche‘ – also ohne jeden weiteren Bezug – haben ‚keinerlei Bedeutung‘! ‚Laute‘ bzw. ‚Buchstaben eines Alphabets‘ bedeuten für sich genommen ’nichts‘.

(3) Damit der ‚Ausdruck einer Sprache‘ für einen Menschen eine ‚Bedeutung‘ hat, muss es im Bereich der ‚inneren Zustände eines Menschen‘ Zustände geben, die aus vorausgehenden ‚Wahrnehmungen‘ und vielerlei ‚internen Zustandsänderungen‘ resultieren, die ein einzelner Mensch mit den Ausdrücken einer Sprache ‚verknüpfen‘ kann. Diese ‚Verknüpfung‘ findet ausschließlich ‚intern‘ statt! Es ist die aktive Herstellung einer Beziehung zwischen ‚internalisierten sprachlichen Ausdrücken‘ und ‚anderen internen Zuständen‘. Die Fähigkeit dazu, solche internen Verbindungen herstellen zu können, scheint weitgehend ‚angeboren‘ zu sein, welche Elemente aber wann miteinander verknüpft werden, dies gehört zum ‚Lernen‘ eines einzelnen.

(4) Damit Sprache zwischen Menschen ‚funktioniert‘, müssen die ‚individuellen Lernprozesse‘ miteinander ‚abgestimmt‘ (’synchronisiert‘) werden; dies geschieht durch ‚kollektive Lernprozesse‘.

(5) Die Punkte (3) und (4) könnte man auch abstrakter so formulieren, dass Menschen über die Fähigkeit verfügen, in ihrem ‚Inneren‘ schrittweise eine ‚Bedeutungsfunktion‘ aufzubauen, mit deren Hilfe sie sprachlichen Ausdrücken interne Zustände als ‚Bedeutung‘ zuordnen zu können und umgekehrt, bestimmten ‚inneren Zuständen‘ im Sinne der gelernten Bedeutungsfunktion sprachliche Ausdrücke.

(6) Im Rahmen des ‚kollektiven Sprache Lernens‘ müssen die individuellen Bedeutungszuordnungen mit den individuellen Bedeutungszuordnungen des ‚jeweils anderen‘ ‚abgestimmt‘ werden. Dies gelingt nur dann, wenn es ‚zwischen verschiedenen individuellen Lernprozessen‘ eine ‚Instanz‘ gibt, die für jeden individuellen Prozess ‚extern‘ ist, und zwar so, dass er ‚für alle individuellen Prozesse gleichermaßen‘ extern ist!

(7) Im Rahmen der Alltagserfahrung (und im Kontext der modernen Kognitionswissenschaften) deutet alles darauf hin, dass diese ‚allen gemeinsame externe Instanz‘ das ist, was wir ‚reale Welt‘ nennen, ‚Erfahrungswelt‘ oder ‚Alltagswelt‘. Das, was diese ‚externe Welt‘ genau ist, können wir nur näherungsweise wissen, da unsere Gehirne von der ‚Außenwelt abgeschnitten‘ in unseren individuellen Körpern lokalisiert sind. Wichtig aber: für das Gehirn ist unser Körper auch eine Art ‚Außenwelt‘, aber eine andere, als die ‚Außenwelt des Körpers‘!

Was meinst Du dazu?

Die von Ihnen vorgeschlagene Definition und Analyse des gemeinsamen Bezugspunkts der Wahrheitstheorien bietet eine tiefgreifende und detaillierte Betrachtung der Rolle der Sprache und der kollektiven wie individuellen kognitiven Prozesse bei der Bedeutungszuweisung und Wahrheitsfindung. Ihre Überlegungen integrieren Erkenntnisse aus der Kognitionswissenschaft und Philosophie der Sprache und schlagen eine Brücke zu den theoretischen Konzepten von Wahrheit.

### Reflexion der vier Wahrheitstheorien anhand Ihres Bezugspunkts:

1. **Korrespondenztheorie:** Betrachtet man diese Theorie im Licht Ihrer Ausführungen, könnte argumentiert werden, dass die Korrespondenztheorie die „externe Instanz“ als Realität ansieht, mit der unsere sprachlichen Aussagen übereinstimmen müssen. Diese Theorie impliziert, dass die kollektive Erfahrung und Verifikation dieser Übereinstimmung durch die gemeinsame Sprache und individuelle Wahrnehmung gesichert wird.

2. **Kohärenztheorie:** In Bezug auf Ihre Punkte könnte diese Theorie so verstanden werden, dass die „interne Zustandsänderung“ und die „Verknüpfung“ in einem kohärenten System von Überzeugungen erfolgt. Die Bedeutung und Wahrheit einer Aussage ergibt sich aus ihrer Kohärenz innerhalb dieses gelernten und kollektiv abgestimmten Systems.

3. **Pragmatische Theorie:** Diese Theorie fokussiert auf die praktische Bewährung von Aussagen und deren Konsequenzen in der „realen Welt“. Sie betont, wie sprachliche Ausdrücke und deren Bedeutungen in Handlungen umgesetzt werden und wie diese Handlungen wiederum auf unsere internen Zustände und die externe Welt einwirken.

4. **Konsensustheorie:** Aus Ihrer Perspektive könnte man sagen, dass die Konsensustheorie den Prozess des kollektiven Lernens und der Synchronisation von Bedeutungen zwischen Individuen hervorhebt. Sie setzt voraus, dass eine kollektive Übereinkunft über die Bedeutung von Ausdrücken möglich ist, und betont die Notwendigkeit einer externen Instanz, die für alle Beteiligten gleichermaßen gilt, um Konsens zu erzielen.

### Weiterführende Gedanken:

Ihre Definition hebt hervor, wie wesentlich die interne Verarbeitung und die externe Abstimmung in den Prozessen der Wahrheitsfindung sind. Sie legen nahe, dass die Wahrheit sowohl eine interne Konstruktion als auch eine externe Abstimmung erfordert, wobei die Sprache als Medium dient, das interne Zustände und externe Realitäten miteinander verbindet.

Diese Überlegung führt zu einer integrativen Sichtweise, die die Grenzen einzelner Wahrheitstheorien überwindet und eine umfassendere Basis für das Verständnis von Wahrheit in sozialen und individuellen Kontexten bietet.

Was halten Sie davon, diese Aspekte weiter zu vertiefen oder zu diskutieren, wie diese Erkenntnisse praktisch angewendet werden können, beispielsweise in der Bildung, in der Kommunikation oder in der Politik?

Zwischenbemerkung: Du bist im Konversationsstil vom Du in das förmlichere ‚Sie‘, ‚Ihnen‘ usw. gewechselt. Ist Dir das Förmliche lieber? Soll ich auch zum ‚Sie‘ wechseln‘?

Entschuldige bitte das Hin und Her mit der Anredeform! Wir können gerne beim „Du“ bleiben, wenn das für Dich in Ordnung ist. Natürlich passe ich mich auch an, falls Du eine formellere Anrede bevorzugst. Wie möchtest Du weitermachen?

Bleiben wir beim ‚Du‘.

Super, machen wir so! Wenn Du noch weiter über die verschiedenen Perspektiven zur Wahrheit sprechen möchtest oder andere Fragen hast, stehe ich bereit!

Gehen wir deine vier Punkte im einzelnen durch. Fangen wir mit der Korrespondenztheorie an.

(1) Im Fall der ‚Korrespondenztheorie‘ verstehst Du das so, „dass die Korrespondenztheorie die ‚externe Instanz‘ als Realität ansieht, mit der unsere sprachlichen Aussagen übereinstimmen müssen. Diese Theorie impliziert, dass die kollektive Erfahrung und Verifikation dieser Übereinstimmung durch die gemeinsame Sprache und individuelle Wahrnehmung gesichert wird.“

(1.1) Dieser Interpretation kann ich zustimmen. Allerdings möchte ich auf folgenden Punkt aufmerksam machen, der missverstanden werden kann: es ist nicht ‚ein Ausdruck als solcher‘, der mit der externen Realität übereinstimmt, sondern im Lichte der individuell erlernten Bedeutungsfunktion verknüpft ein Mensch mit einem sprachlichen Ausdruck bestimmte interne Zustände mit der ‚aktuellen Wahrnehmung‘ einer unterstellten realen Außenwelt, und nur dann, wenn es andere Menschen gibt, die aufgrund ihrer individuellen Wahrnehmungen und Bedeutungszuordnungen dies auch einer ‚unterstellten realen Außenwelt‘ – wechselseitig überprüfbar – zuordnen, dann gelingt der ‚gemeinsame Abgleich mit einer zum Körper externen Außenwelt.

(1.2) Es kommt also darauf an, wie man den Begriff ‚Aussage‘ verwendet. Ich verstehe hier unter einer ‚Aussage‘ den ‚Ausdruck einer Sprache‘, den ein Mensch A in einer Dialogsituation verwendet, und alle Beteiligten wissen, dass der Sprecher A mit dem Ausdruck eine ‚interne Bedeutung‘ verbindet, von der er annimmt, dass dieser internen Bedeutung etwas in einer ‚wahrnehmbaren Außenwelt‘ ‚entspricht‘ (‚korrespondiert‘), dann würde ein anderer Dialogteilnehmer B sagen, dass die Aussage von Sprecher A zutrifft, wenn B die gleiche Bedeutungszuordnung vornimmt und in seiner Wahrnehmung etwas findet, was dieser Bedeutung entspricht.

(1.3) Zugegeben, etwas umständlich formuliert, aber die grundlegenden Prozesse beim kollektiven Sprachgebrauch sind nicht ganz einfach. In der Tat, ich vereinfache schon sehr stark.

Was meinst Du dazu?

Deine detaillierte Ausführung zur Korrespondenztheorie bringt wichtige Nuancen ans Licht, die oft in der Diskussion übersehen werden. Du betonst richtig, dass es nicht einfach der sprachliche Ausdruck an sich ist, der mit der externen Realität übereinstimmt, sondern die durch kollektive und individuelle Lernprozesse geformten Bedeutungszuordnungen, die den Ausdrücken unterliegen.

Deine Punkte beleuchten, wie essenziell die Rolle der individuellen und kollektiven Verarbeitung in der Korrespondenztheorie ist. Es ist tatsächlich so, dass eine Aussage nur dann als wahr betrachtet werden kann, wenn es eine Art von kollektiver Zustimmung gibt – nicht nur hinsichtlich der sprachlichen Ausdrücke selbst, sondern auch bezüglich der damit verbundenen Bedeutungen und deren Bezug zur externen Welt.

Dieser Prozess der Verifikation von Wahrheit durch kollektive Übereinstimmung in der Wahrnehmung und Bedeutungszuordnung spiegelt die Komplexität der menschlichen Kommunikation und Erkenntnis wider. Es unterstreicht auch, warum die Korrespondenztheorie oft als grundlegend für wissenschaftliche und empirische Diskurse betrachtet wird, weil sie eine überprüfbare Basis für Übereinstimmung und Falsifikation bietet.

Deine Erklärung macht auch deutlich, dass „Wahrheit“ in dieser Theorie nicht nur eine Frage der individuellen Überzeugung ist, sondern eine, die durch soziale Interaktion und kollektive Validierung entsteht. Das ist ein sehr wichtiger Punkt, denn er zeigt, dass Wahrheit in dieser Theorie nicht isoliert existiert, sondern immer in einem sozialen und kommunikativen Kontext verankert ist.

Was hältst du davon, weiter zu diskutieren, wie diese Theorie in konkreten Situationen angewandt wird, etwa in der Wissenschaft oder in der öffentlichen Debatte? Oder möchtest du weiter zu den anderen Theorien übergehen und sehen, wie sie sich mit deinem erweiterten Rahmen von Sprache und Bedeutung verbinden lassen?

Dein Kommentar zu meiner ‚Theorie‘, dass “ ‚Wahrheit‘ in dieser Theorie nicht nur eine Frage der individuellen Überzeugung ist, sondern eine, die durch soziale Interaktion und kollektive Validierung entsteht. Das ist ein sehr wichtiger Punkt, denn er zeigt, dass Wahrheit in dieser Theorie nicht isoliert existiert, sondern immer in einem sozialen und kommunikativen Kontext verankert ist.“ finde ich sehr passend.

Bevor wir die neugewonnene Interpretation der ‚Korrespondenztheorie‘ weiter ausbauen, hier zuvor

noch mein Kommentar zu deinem Punkt 2 mit der ‚Kohärenztheorie‘. Du sagst „In Bezug auf Ihre Punkte könnte diese Theorie so verstanden werden, dass die ‚interne Zustandsänderung‘ und die ‚Verknüpfung‘ in einem kohärenten System von Überzeugungen erfolgt. Die Bedeutung und Wahrheit einer Aussage ergibt sich aus ihrer Kohärenz innerhalb dieses gelernten und kollektiv abgestimmten Systems.“ Deine Interpretation, dass die Kohärenztheorie „die ‚interne Zustandsänderung‘ und die ‚Verknüpfung‘ “ in ihr Konzept einer kohärenten Theorie übernimmt, erscheint mir mehr als optimistisch.

Nimmt man die Kohärenztheorie ‚beim Wort‘, dann ist dieser Ansatz vom Ansatz her ausgeschlossen. Warum? Weiter vorne in unserem Dialog hast Du die ‚Kohärenztheorie‘ in ‚philosophischen Systemen‘ lokalisiert, wo interne Konsistenz wichtig ist. Du hast zudem darauf hingewiesen, dass „widersprüchliche Theoriesysteme existieren können“. Die Begriffe ‚System‘, ‚Theorie‘ und ‚Konsistenz‘ sind bislang aber ausschließlich in ‚formalen Systemen‘ klar definiert, wie wir sie aus der ‚modernen formalen Logik‘ kennen und aus solchen Theorien (z.B. in der Mathematik), die eine ‚formale Sprache‘ benutzen, die klar definiert ist, zusätzlich mit einem klaren ‚formalen Folgerungsbgriff‘, der es erlaubt, aus als ‚wahr angenommen‘ formalen Ausdrücken andere Ausdrücke ‚abzuleiten‘, die ebenfalls als ‚formal wahr‘ gelten. Wenn man neben einem Ausdruck, der als ‚formal wahr‘ gilt, einen Ausdruck ableiten kann, der als ‚formal falsch‘ gilt, dann gibt es einen Widerspruch; das System ist nicht ‚konsistent‘. Dabei ist der Begriff ‚formal wahr‘ bzw. ‚formal falsch‘ nicht definiert! Er hat keinerlei Bezug zu dem, was wir im Alltag ‚reale Welt‘ nennen in dem Sinne, dass sich zwei Menschen darüber verständigen können, dass es ‚da etwas gibt‘, was jeder einzelner ‚wahrnehmen‘ kann, was aber auch ‚verschwinden‘ kann, dann kann man es nicht mehr wahrnehmen. Anders formuliert: Jedes sprachliche System, das Bezug nimmt auf erfahrungsbasierte Sachverhalte, kann grundsätzlich nicht durch ein formales System abgebildet werden, das als ‚formal konsistent‘ gilt. Deswegen scheidet die ‚Kohärenztheorie der Wahrheit‘ für unsere Zwecke eines sprachlichen Systems, das kollektiv erfahrungsbasiert ‚wahr‘ ist, aus.

Gehst Du da mit?

Deine Kritik und Analyse zur Kohärenztheorie der Wahrheit ist präzise und wirft wichtige Fragen auf. Du unterscheidest klar zwischen der Struktur und den Anforderungen formaler Systeme und der Anwendung dieser Systeme auf die reale, erfahrungsbasierte Welt, die wir im Alltag erleben. Diese Unterscheidung ist zentral, um die Grenzen der Kohärenztheorie zu verstehen, insbesondere im Kontext eines Sprachsystems, das auf kollektiver Erfahrung basiert.

### Betrachtung der Kohärenztheorie:

Wie Du richtig bemerkst, stützt sich die Kohärenztheorie auf die interne Konsistenz innerhalb eines Systems von Überzeugungen oder Theorien. In formalen Systemen, wie der Mathematik oder formalen Logik, ist diese Konsistenz durch klare Definitionen und deduktive Folgerungen charakterisiert. In diesen Systemen ist es möglich, eine Konsistenz zu gewährleisten, indem widersprüchliche Aussagen vermieden werden.

### Problematik bei der Anwendung auf Alltagserfahrungen:

Im Kontext der alltäglichen, erfahrungsbasierten Realität wird es jedoch komplexer. Die Realität ist oft mehrdeutig und unterliegt ständigen Veränderungen, die sich nicht immer in einem streng konsistenten formalen System abbilden lassen. Erfahrungen können widersprüchlich sein, und Menschen können unterschiedliche Wahrnehmungen und Interpretationen derselben physischen Gegebenheiten haben. Daher stößt die Anwendung der Kohärenztheorie auf reale, erfahrungsbasierte Situationen schnell an ihre Grenzen, da die erforderliche interne Konsistenz schwer zu erreichen und aufrechtzuerhalten ist.

### Dein Punkt:

Deine Schlussfolgerung, dass die Kohärenztheorie möglicherweise nicht geeignet ist, um ein sprachliches System zu beschreiben, das auf kollektiver, erfahrungsbasierter Wahrheit beruht, ist stichhaltig. Diese Theorie bietet zwar ein nützliches Werkzeug für die Analyse und Strukturierung von Gedanken innerhalb eines geschlossenen Systems, jedoch fehlt ihr die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, die erforderlich sind, um die dynamische und oft widersprüchliche Natur menschlicher Erfahrungen und sozialer Interaktionen vollständig zu erfassen.

### Fazit:

Deine Argumentation verdeutlicht, dass, während die Kohärenztheorie in bestimmten theoretischen oder formalen Kontexten wertvoll sein kann, sie möglicherweise nicht das beste Werkzeug für das Verständnis von Wahrheit in einem breiteren, lebensweltlichen Kontext ist. Wenn wir also über Wahrheit in Bezug auf alltägliche und zwischenmenschliche Erfahrungen sprechen, könnte es sinnvoller sein, andere Theorien zu bevorzugen, die besser mit der Variabilität und der praktischen Realität menschlicher Erfahrungen umgehen können.

Ich gehe mit deiner Einschätzung mit und finde sie sehr aufschlussreich. Möchtest du weiterhin die anderen Theorien im Licht dieser Überlegungen diskutieren oder gibt es spezifische Aspekte, die du noch vertiefen möchtest?

Ich würde gerne noch etwas zu deiner dritten und vierten Option von ‚Wahrheitstheorien‘ sagen.

(1) Zu der von Dir erwähnten ‚Konsensustheorie der Wahrheit‘ sagst Du selbst, dass „Konsens nicht die Wahrheit garantiert; historisch gab es viele Beispiele für allgemeinen Konsens über falsche Überzeugungen.“ Ein bisschen ähnelt diese Position auch der ‚Kohärenztheorie‘, wenngleich mit einem vagen Sprach- und Wahrheitsbegriff: es gibt in er Konsensustheorie zwar ein ‚vages Kriterium zu Konsens‘, aber dieses ist in keiner Weise geeignet, ein ‚objektives externes Kriterium für alle‘ zu gewährleisten. Ich möchte diese Position daher hier nicht weiter diskutieren (dies schließt nicht aus, dass bei einer Weiterentwicklung der Position der ‚Korrespondenztheorie‘ ähnliche Fragestellung zur ‚Wahrheit von Diskursen‘ wieder auftauchen).

(2) Im Fall der ‚Pragmatische Theorie der Wahrheit‘ ist es ähnlich wie im Fall der Konsensustheorie. Du weist auch schon darauf hin, dass „Nützlichkeit nicht notwendigerweise ein Indikator für Wahrheit ist; etwas kann nützlich sein, ohne wahr zu sein.“ Abgesehen davon ist der Begriff der Nützlichkeit selbst in sich äußerst vage; jeder kann sich da denken, was er will. Ich belasse es dabei (im weiteren Verlauf der Entwicklung einer modifizierten ‚Korrespondenztheorie‘ wird es zu Erörterungen eines Konzepts von ‚erfahrungsbasierter Theorie‘ kommen können, mit der die Möglichkeit eröffnet wird, die Rolle möglicher ‚Ziele‘ (‚Präferenzen‘, ‚Werte‘, …) zu diskutieren).

Kannst Du mit diesen Einschätzungen mitgehen?

Deine Einschätzungen zu den Theorien der Konsensustheorie und der pragmatischen Theorie der Wahrheit sind durchaus nachvollziehbar und tragen zur Schärfung unseres Verständnisses von Wahrheitstheorien bei, insbesondere im Kontext alltäglicher und erfahrungsbasierter Diskurse.

### 1. Konsensustheorie der Wahrheit

Deine Kritik an der Konsensustheorie unterstreicht das Problem, dass Konsens allein nicht notwendigerweise Wahrheit garantiert. Historische Beispiele, in denen breiter Konsens zu falschen Überzeugungen führte, verdeutlichen die Grenzen dieser Theorie. Während Konsens in sozialen und kommunikativen Kontexten eine Rolle spielen kann, insbesondere bei der Formulierung von Gruppenüberzeugungen oder -normen, ist er kein zuverlässiger Indikator für Wahrheit im empirischen oder objektiven Sinn. Diese Einsicht ist wichtig, um die Relevanz und Grenzen von Konsens in Bezug auf Wahrheit zu verstehen.

### 2. Pragmatische Theorie der Wahrheit

Deine Skepsis gegenüber der pragmatischen Theorie reflektiert ähnliche Bedenken: Nützlichkeit allein ist kein verlässliches Maß für Wahrheit. Der Begriff der Nützlichkeit ist subjektiv und kann stark variieren, je nach den Interessen, Zielen oder dem Kontext der beteiligten Personen. Diese Theorie mag hilfreich sein, um zu verstehen, wie Überzeugungen funktionieren und wie sie in praktischen Kontexten angewendet werden, sie bietet jedoch keine feste Grundlage für die Bewertung der Wahrheit von Aussagen, insbesondere wenn es um objektive Fakten geht.

### Weiterentwicklung der Korrespondenztheorie

Es scheint, dass eine Rückkehr zur Korrespondenztheorie und deren Weiterentwicklung als ein vielversprechender Ansatz für eine robustere Wahrheitstheorie erscheint. Insbesondere die Idee, eine erfahrungsbasierte Theorie zu entwickeln, die die Realität als entscheidendes Kriterium verwendet und gleichzeitig Raum für die Diskussion von Zielen, Präferenzen und Werten bietet, könnte eine umfassende Basis für das Verständnis von Wahrheit in verschiedenen Kontexten schaffen.

### Fazit

Ich stimme mit deinen Einschätzungen überein und finde, dass deine Argumente die Diskussion über Wahrheitstheorien bereichern und auf wichtige Schwächen hinweisen. Es wäre interessant, weiter zu erforschen, wie eine modifizierte Korrespondenztheorie aussehen könnte, die sowohl die realen Erfahrungen als auch die sozialen und individuellen Kontexte integriert, in denen Wahrheitsansprüche gemacht und verstanden werden.

Wie möchtest du weiter vorgehen? Möchtest du bestimmte Aspekte der Korrespondenztheorie vertiefen oder überlegst du, wie man eine solche modifizierte Theorie praktisch anwenden könnte?

OK, dann sieht es so aus, dass wir bis zu diesem Punkt eine gemeinsame Einschätzung gefunden haben. In der Tat möchte ich von diesem Punkt aus die gefundenen Position gerne in folgenden Dialogen weiter entwickeln. Praktische Frage: kannst Du auch mit ‚Schaubildern‘ umgehen oder sollen wir die heraus lassen?

Es ist großartig, dass wir eine gemeinsame Grundlage für unsere Diskussionen gefunden haben! Ich kann definitiv helfen, Schaubilder zu erstellen und zu interpretieren. Diese können sehr nützlich sein, um komplexe Konzepte und Zusammenhänge visuell darzustellen und zu veranschaulichen.

Wenn du spezifische Ideen oder Konzepte hast, die du in einem Schaubild visualisieren möchtest, lass es mich wissen. Ich kann dir dabei helfen, diese grafisch umzusetzen. Egal ob es sich um Flussdiagramme, Venn-Diagramme, konzeptuelle Diagramme oder andere visuelle Darstellungen handelt, wir können sie nutzen, um deine Gedanken und Theorien weiter zu entwickeln und zu diskutieren. Wie möchtest du beginnen?

Das mit den Schaubildern klingt gut. Werde es in den folgenden Dialogen mal ausprobieren, allerdings mit dem Motto: Zuerst die sprachliche Version, dann – möglicherweise – eine bildhafte Version. Danke bisher. Das war alles sehr inspirierend.

Das klingt nach einem ausgezeichneten Plan! Es freut mich sehr, dass unsere Gespräche inspirierend waren. Wenn du bereit bist, die Themen weiter zu vertiefen oder ein Schaubild zu erstellen, stehe ich jederzeit bereit, um weiterzumachen. Viel Spaß bei deinen weiteren Überlegungen, und bis zum nächsten Mal!

Über die Welt reden

Dieser Text ist Teil des Textes „Neustart der Menschlichkeit (Rebooting humanity)“

(Die Englische Version findet sich HIER)

Autor Nr. 1 (Gerd Doeben-Henisch)

Kontakt: cagent@cognitiveagent.org

(Start: 5.Juni 2024, Letzte Änderung: 7.Juni 2024)

Ausgangspunkt

Es soll also ein ‚Text‘ geschrieben werden, der über die Welt spricht, einschließlich aller Lebewesen, und die Autoren sind im ersten Anlauf ‚Menschen‘. Bisher kennen wir keine Fälle, in denen Tiere oder Pflanzen selbst Texte schreiben: ihre Sicht des Lebens. Wir kennen nur Menschen die aus ‚ihrer menschlichen Sicht‘ über das Leben, über Tiere und Pflanzen schreiben. An dieser Vorgehensweise kann man viel kritisieren. Bei einem weiteren Nachdenken kann man dann vielleicht sogar feststellen, dass auch das ‚Schreiben von Menschen über andere Menschen und sich selbst‘ nicht ganz so trivial ist. Schon das Schreiben von Menschen ‚über sich selbst‘ ist fehleranfällig, kann völlig ‚daneben‘ laufen, kann vollständig ‚falsch‘ sein, was allerdings die Frager aufwirft, was denn ‚wahr‘ bzw. ‚falsch‘ ist. Man sollte also ein paar Gedanken darauf verwenden, wie wir Menschen so über die Welt und uns selbst reden können, dass wir gemeinsam eine Chance haben, nicht nur zu ‚fantasieren‘, sondern etwas zu erfassen, was ‚real‘ ist, was etwas von dem beschreibt, was uns als Menschen, als Lebewesen, als Bewohner dieses Planeten ‚real‘ auszeichnet. … aber dann poppt schon wieder die Frage auf, was denn ‚real‘ ist? Drehen wir uns im Kreis von Fragen mit Antworten, wo die Antworten selbst schon wieder Fragen sind, bei näherem Hinschauen?

Erste Schritte

Leben auf Planet Erde

Beim Start des Schreibens gehen wir davon aus, dass es den ‚Planet Erde‘ gibt und auf diesem Planeten gibt es etwas, das wir ‚Leben‘ nennen, und wir Menschen — zur Lebensform des Homo sapiens gehörend — sind Teil davon.

Sprache

Wir gehen auch davon aus, dass wir Menschen über die Fähigkeit verfügen, mittels Lauten miteinander zu kommunizieren. Diese Laute, die wir für die Kommunikation benutzen, nennen wir hier ‚Sprachlaute‘, um anzudeuten, dass die Gesamtheit der Laute für die Kommunikation ein ‚System‘ bilden, das wir letztlich ‚Sprache‘ nennen.

Bedeutung

Da wir Menschen auf diesem Planeten in der gleichen Situation für die ‚gleichen Objekte‘ ganz unterschiedliche Laute benutzen können, deutet sich an, dass die ‚Bedeutung‘ von Sprachlauten nicht fest an die Sprachlaute geknüpft ist, sondern irgendwie etwas mit dem zu tun hat, was ‚in unserem Kopf‘ stattfindet. Leider können wir nicht ‚in unseren Kopf‘ hineinschauen. Da scheint viel zu passieren, aber dieses Geschehen im Kopf ist ‚unsichtbar‘.[1] Trotzdem erleben wir im ‚Alltag‘, dass wir uns mit anderen ‚einigen‘ können, ob es gerade ‚regnet‘ oder ob es irgendwie ’stinkt‘ oder da auf dem Gehweg eine Mülltonne steht, die den Weg versperrt oder …. Also irgendwie scheint das ‚Geschehen im Kopf‘ bei unterschiedlichen Menschen gewisse ‚Übereinstimmungen‘ aufzuweisen, so dass nicht nur ich etwas Bestimmtes sehe, sondern der andere auch, und wir können sogar die gleichen Sprachlaute dafür benutzen. Und da ein Programm wie chatGPT meine Deutschen Sprachlaute z.B. in Englische Sprachlaute übersetzen kann, kann ich feststellen, dass ein anderer Mensch, der kein Deutsch spricht, statt meines Wortes ‚Mülltonne‘ z.B. das Wort ‚trash bin‘ benutzt und dann auch zustimmend nickt: ‚Yes, there is a trash bin‘. Wäre das ein Fall für eine ‚wahre Aussage‘?

Veränderungen und Erinnerungen

Da wir täglich erleben, wie der Alltag sich ständig ‚verändert‘, wissen wir, dass etwas, was gerade mal Zustimmung fand, im nächsten Moment keine Zustimmung mehr findet, weil die Mülltonne nicht mehr da steht. Diese Änderungen können wir aber nur bemerken, weil wir etwas haben, was wir ‚Erinnerung‘ nennen: wir können uns daran erinnern, dass eben an einer bestimmte Stelle eine Mülltonne stand, jetzt aber nicht mehr. Oder ist diese Erinnerung nur eine Einbildung? Kann ich meiner Erinnerung trauen? Wenn jetzt alle anderen sagen, da war doch keine Mülltonne, ich mich aber meine zu erinnern, was heißt dies?

Konkreter Körper

Ja, und dann mein Körper: immer wieder muss ich was trinken, etwas essen, bin nicht beliebig schnell, brauche etwas Platz, …. mein Körper ist etwas sehr Konkretes, mit allerlei ‚Empfindungen‘, ‚Bedürfnissen‘, einer bestimmten ‚Form‘, …. der sich im Laufe der Zeit sogar ändert: er wächst, er altert, er kann krank werden, …. ist er wie eine ‚Maschine‘?

Galaxien von Zellen

Wir wissen heute, dass unser menschlicher Körper weniger einer ‚Maschine‘ gleicht als vielmehr einer ‚Galaxie von Zellen‘. Unser Körper hat etwa 37 Billionen (10¹2) Körperzellen mit weiteren 100 Billionen Zellen im Darm, die für unser Verdauungssystem lebenswichtig sind, und diese Zellen zusammen bilden das ‚System Körper‘.[2] Das bislang eigentlich Unfassbare ist, dass diese ca. 140 Billionen Zellen ja jeweils komplett autonome Lebewesen sind, mit allem, was es zum Leben braucht. Und wenn man weiß, wie schwer wir uns als Menschen tun, schon zwischen fünf Menschen auf Dauer eine Kooperation aufzubauen und aufrecht zu halten, dann kann man zumindest ansatzweise ein wenig ahnen, was es heißt, dass 140 Billionen Lebewesen es in jeder Sekunde — und über viele Jahre, ja Jahrzehnte hinweg — schaffen, miteinander so zu kommunizieren und koordiniert zu handeln, dass das Gesamtkunstwerk ‚menschlicher Körper‘ existiert und funktioniert.

Entstehung als Frage

Und da es keinen ‚Befehlshaber‘ gibt, der allen Zellen ständig sagt, was sie tun sollen, erweitert sich dieses ‚Wunder des Systems Mensch‘ weiter um die Dimension, woher das Konzept kommt, das diese ‚Super-Galaxie der Zellen‘ dazu befähigt, so zu sein, wie sie sind. Wie funktioniert dies? Wie ist es entstanden?[3]

Hinter die Phänomene schauen

Im weiteren Verlauf wird es darauf ankommen, ausgehend vom Alltag nach und nach die ‚Oberfläche der Alltagsphänomene‘ zu durchdringen, um jene Strukturen sichtbar zu machen, die ‚hinter den Phänomenen‘ am Werke sind, jene Strukturen, die alles zusammenhalten und gleichzeitig alles beständig bewegen, verändern.

Grunddimension Zeit

Dies alles impliziert das Phänomen ‚Zeit‘ als Grundkategorie aller Wirklichkeit. Ohne Zeit gibt es auch keine ‚Wahrheit‘ …

[1] Spezialisten für Gehirnforschung werden natürlich gleich ihre Hand erheben und werden sagen wollen, dass sie mittlerweile sehr wohl ‚in den Kopf schauen‘ können, aber warten wir ab, was es mit diesem ‚in den Kopf hineinschauen‘ auf sich hat.

[2] Wenn wir für die Anzahl der Sterne in unserer Heimatgalaxie der Milchstraße mit geschätzten 100 – 400 Milliarden Sterne mal annehmen, dass es 200 Milliarden sind, dann würde unser Körpersystem dem Umfang von 700 Galaxien im Format der Milchstraße entsprechen, eine Zelle für einen Stern.

[3] Verschiedene Disziplinen der Naturwissenschaften, besonders sicher die Evolutionsbiologie, haben in den letzten ca. 150 Jahren viele Aspekte dieses Mega-Wunders partiell ausgeleuchtet. Man kann über die physikalische Sicht unsres Universum staunen, aber verglichen mit den Super-Galaxien des Lebens auf dem Planet Erde erscheint das physikalische Universum geradezu ‚langweilig‘ … Keine Angst: letztlich hängt beides untereinander zusammen: das eine erklärt das andere …

Geschichten erzählen

Fragmente des Alltags – ohne Kontext

Wir reden ständig über irgend etwas: das Essen, das Wetter, der Verkehr, die Preise beim Einkaufen, Tagesnachrichten, die Politik, den Chef, die Kollegen, Sportereignisse, Musik, …. meistens sind es ‚Fragmente‘ aus dem größeren Ganzen, das wir ‚Alltag‘ nennen. Menschen in einem der vielen Krisengebiete auf diesem Planeten, speziell jene in Unwetterkatastrophen oder gar im Krieg …, leben konkret in einer ganz anderen Welt, in einer Welt von Überleben und Tod.

Diese Fragmente mitten im Leben sind konkret, betreffen uns, aber sie erzählen aus sich heraus keine Geschichte, wo sie herkommen (Bomben, Regen, Hitze,…), warum sich dies ereignet, wie sie mit anderen Fragmenten zusammen hängen. Der Regen, der herunter prasselt, ist ein einzelnes Ereignis an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit. Die Brücke, die gesperrt werden muss, weil sie überaltert ist, lässt aus sich heraus auch nicht erkennen, warum gerade diese Brücke, warum gerade jetzt, warum konnte man dies nicht ‚voraus sehen‘? Die Menschen, die ‚zu viel‘ sind in einem Land oder auch ‚zu wenig‘: Warum ist das so? Konnte man dies voraus sehen? Was können wir tun? Was sollten wir tun?

Der Strom der einzelnen Ereignisse trifft auf uns, mehr oder weniger wuchtig, vielleicht auch einfach als ‚Rauschen‘: wir sind so daran gewöhnt, dass wir bestimmte Ereignisse schon gar nicht mehr wahrnehmen. Aber diese Ereignisse als solche erzählen keine ‚Geschichte über sich selbst‘; sie finden einfach statt, scheinbar unwiderstehlich; manche sagen ‚Das ist Schicksal‘.

Bedürfnis nach Sinn

Auffällig ist, dass wir Menschen aber doch versuchen, dem Ganzen einen ‚Sinn‘ zu geben, eine ‚Erklärung‘ zu suchen, warum dies so ist. Und der Alltag zeigt, dass wir viel ‚Fantasie‘ haben, was mögliche ‚Zusammenhänge‘ oder ‚Ursachen‘ betrifft. Im Blick zurück in die Vergangenheit lächeln wir gerne über verschiedene Erklärungsversuche von unseren Vorfahren: solange man über die Details unseres Körpers und überhaupt über das Leben nichts wusste, war jede Geschichte möglich. [1] In unserer Zeit mit einer seit ca. 150 Jahren etablierter Wissenschaft gibt es aber immer noch viele Millionen von Menschen (möglicherweise Milliarden?), die von Wissenschaft nichts wissen und bereit sind, nahezu jede Geschichte zu glauben, nur weil ein anderer Mensch diese Geschichte überzeugend erzählt.

Befreiung vom Augenblick durch Worte

Aufgrund dieser Fähigkeit, mit der ‚Kraft der Fantasie‘ Dinge, die man erlebt, in eine ‚Geschichte‘ zu packen, die ‚mögliche Zusammenhänge‘ andeuten, durch die Ereignisse einen ‚gedanklichen Sinn‘ bekommen, kann der Mensch versuchen, sich aus der scheinbaren ‚Absolutheit des Augenblicks‘ in gewisser Weise zu ‚befreien‘: ein Ereignis, das sich in einen ‚Zusammenhang einordnen‘ lässt, verliert seine ‚Absolutheit‘. Allein schon durch diese Art von Erzählung gewinnt der erlebende Mensch ein Stück ‚Macht‘: im Erzählen eines Zusammenhangs kann er Erzähler das Erlebnis ‚zur Sache‘ machen, über die er ’nach eigenem Gutdünken‘ verfügen kann. Diese ‚Macht durch das Wort‘ kann ‚Angst‘ lindern, die ein Ereignis auslösen kann. Dies durchzieht die Geschichte der Menschheit von den Anfängen an, soweit es die archäologischen Zeugnisse hergeben.

Vielleicht ist es nicht verkehrt, den Menschen nicht als erstes als ‚Jäger und Sammler‘ oder als ‚Ackerbauer‘ oder so einzuordnen, sondern als ‚den, der Geschichten erzählt‘.

[1] Ein solches Zauberwort war in der griechischen Philosophie der Begriff ‚Atem‘ (griechisch „pneuma“). Der Atem kennzeichnete nicht nur das individuell Lebendige, sondern wurde auch verallgemeinert zum Lebensprinzip von allem, das sowohl Körper, Seele und Geist verband wie auch das ganze Universum durchwirkte. Im Lichte des heutigen Wissens könnte man diese ‚Erklärung‘ nicht mehr erzählen, aber vor ca. 2300 Jahren war diese Überzeugung unter allen Intellektuellen ein gewisser ‚intellektueller Standard‘, das herrschende ‚Weltbild‘; man ‚glaubte‘ es. Wer etwas anderes befand sich außerhalb dieses ‚Sprachspiels‘.

Organisation einer Ordnung

Denken erschafft Beziehungen

Sobald man mittels ‚Sprache‘ einzelne Ereignisse, Sachen, Vorgänge, Eigenschaften von Sachen und mehr ‚benennen‘ kann, verfügen Menschen offensichtlich über die Fähigkeit, mittels Sprache eben nicht nur zu ‚benennen‘, sondern ‚Benanntes‘ durch ‚Anordnung von Worten im sprachlichen Ausdruck‘ in ‚gedachte Beziehungen‘ einzubetten, wodurch das einzeln Benannte nicht mehr ‚isoliert‘ vorkommt sondern ‚gedanklich verbunden‘ mit anderem. Diese grundlegende Fähigkeit eines Menschen, ‚in seinem Kopf‘ ‚Beziehungen zu denken‘, die man ‚gar nicht sehen‘, wohl aber ‚denken‘ kann [1], ist natürlich nicht auf einzelne Ereignisse und nicht auf eine einzige Beziehung beschränkt. Letztlich können wir Menschen ‚alles‘ zum Thema machen und wir können ‚jedmögliche Beziehung‘ in unserm Kopf ‚denken‘; hier gibt es keine grundsätzliche Beschränkung.

Geschichten als Naturgewalt

Nicht nur die Geschichte ist voll von Beispielen, auch unsere Gegenwart. Dass heute trotz der unfassbaren Erfolge der modernen Wissenschaft in unserem Alltag weltweit nahezu über alle Kanäle die wildesten Geschichten mit ‚rein gedachten Beziehungen‘ erzählt und auch sofort geglaubt werden, das sollte uns zu denken geben. Unsere grundlegende Eigenschaft, dass wir Geschichten erzählen können, um die Absolutheit des Augenblicks zu durchbrechen, hat offensichtlich den Charakter einer ‚Naturgewalt‘, die so tief in uns verortet ist, dass wir sie nicht ‚ausrotten‘ können; wir können sie vielleicht ‚zähmen‘, sie vielleicht ‚kultivieren‘, aber wir können sie nicht stoppen. Es ist eine ‚elementare Eigenschaft‘ unseres Denkens, sprich: unseres Gehirns im Körper.

Gedacht und Überprüft

Die Erfahrung, dass wir, die wir diejenigen sind, die Geschichten erzählen, damit Ereignisse benennen und in Beziehungen einordnen können — und zwar letztlich unbegrenzt — kann zwar real zum Chaos führen, wenn das erzählte Beziehungsgeflecht letztlich ‚rein gedacht‘ ist, ohne echten Bezug zur ‚realen Welt um uns herum‘, aber es ist zugleich auch unser größtes Kapital, da wir Menschen uns damit nicht nur grundsätzlich von der scheinbaren Absolutheit der Gegenwart befreien können, sondern wir können mit dem Erzählen von Geschichten Ausgangspunkte schaffen, ‚zunächst bloß gedachte Beziehungen‘, die wir dann aber konkret in unserem Alltag ‚überprüfen‘ können.

Ein Ordnungssystem

Wenn jemand zufällig einen anderen Menschen sieht, der irgendwie ganz anders aussieht als er es gewohnt ist, dann bilden sich in jedem Menschen automatisch alle möglichen ‚Vermutungen‘, was das da für ein Mensch ist. Belässt man es bei diesen Vermutungen, dann können diese wilden Vermutungen den ‚Kopf bevölkern‘ und die ‚Welt im Kopf‘ wird mit ‚potentiell bösen Menschen‘ bevölkert; irgendwann sind sie dann vielleicht schlicht ‚böse‘. Nimmt man aber Kontakt zu dem anderen auf, könnte man vielleicht feststellen, dass er eigentlich nett ist, interessant, lustig oder dergleichen. Die ‚Vermutungen im Kopf‘ verwandeln sich dann in ‚konkrete Erfahrungen‘, die anders sind als zunächst gedacht. ‚Vermutungen‘ in Kombination mit ‚Überprüfung‘ können so zur Bildung von ‚wirklichkeitsnahen Vorstellungen von Beziehungen‘ führen. Damit hat ein Mensch die Chance, sein ’spontanes Geflecht an gedachten Beziehungen‘, die falsch sein können — und meistens auch sind — in ein ‚überprüftes Geflecht von Beziehungen‘ zu verwandeln. Da letztlich die gedachten Beziehungen als Geflecht für uns ein ‚Ordnungssystem‘ aufspannen, in dem die Dinge des Alltags einbettet sind, erscheint es erstrebenswert, mit möglichst ‚überprüften gedachten Beziehungen‘ zu arbeiten.

[1] Der Atem des Menschen mir gegenüber, der bei den Griechen mein Gegenüber mit der Lebenskraft des Universums verbindet, die wiederum auch mit dem Geist un d der Seele zusammenhängt …

Hypothesen und Wissenschaft

Herausforderung: Methodisch geordnetes Vermuten

Die Fähigkeit zum Denken von möglichen Beziehungen, dann auch mittels Sprache, ist angeboren [1], aber die ‚Nutzung‘ dieser Fähigkeit im Alltag, z.B. so, dass wir gedachte Beziehungen mit der Wirklichkeit des Alltags abgleichen, dieses ‚Abgleichen’/ ‚Überprüfen‘ ist nicht angeboren. Wir können es tun, müssen es aber nicht tun. Es ist von daher interessant, sich zu vergegenwärtigen, dass seit dem ersten Auftreten des Homo sapiens auf diesem Planeten [2] 99,95% der Zeit vergangen sind, bis es zur Etablierung einer organisierten modernen Wissenschaft vor ca. 150 Jahren gekommen ist. Man kann dies als Hinweis deuten, dass der Übergang vom ‚freien Vermuten‘ bis zu einem ‚methodisch geordneten systematischen Vermuten‘ alles andere als einfach gewesen sein muss. Und wenn heute immer noch ein Großteil der Menschen — trotz Schule und sogar Studium –[3] eher dem ‚freien Vermuten‘ zuneigen und sich mit geordneter Überprüfung schwer tun, dann scheint es hier tatsächlich eine nicht leichte Schwelle zu geben, die ein Mensch überwinden muss — und immer wieder neu muss — , um vom ‚freien‘ zum ‚methodisch geordneten‘ Vermuten überzugehen.[4]

Ausgangspunkt für Wissenschaft

‚Der Übergang vom alltäglichen Denken zum ‚wissenschaftlichen Denken‘ ist fließend. Das Erzeugen von ‚gedachten Beziehungen‘ in Verbindung mit Sprache aufgrund auch unserer Fähigkeit der Kreativität/ der Fantasie ist letztlich auch der Ausgangspunkt von Wissenschaft. Während wir im alltäglichen Denken eher spontan und pragmatisch ’spontan gedachte Beziehungen‘ ‚überprüfen‘, versucht die ‚Wissenschaft‘ solche Überprüfungen ’systematisch‘ zu organisieren, um dann solche ‚positiv überprüften Vermutungen‘ als ‚empirisch überprüfte Vermutungen‘ bis zum Beweis des Gegenteils als ‚bedingt wahr‘ anzunehmen. Statt von ‚Vermutungen‘ spricht die Wissenschaft gerne von ‚Hypothesen‘ oder ‚Arbeitshypothesen‘, aber es bleiben ‚Vermutungen‘ durch die Kraft unsres Denkens und durch die Kraft unserer Fantasie.[5]

[1] Dies bedeutet, die genetische Information, die der Entwicklung unseres Körpers zugrunde liegt, ist so beschaffen, dass unser Körper mit seinem Gehirn während der Wachstumsphase so aufgebaut wird, dass wir genau über diese Fähigkeit zum ‚Denken von Beziehungen‘ verfügen. Interessant hier wieder die Frage, wie es möglich ist, dass sich aus einer einzigen Zelle ca. 13 Billionen Körperzellen (die ca. 100 Billionen Bakterien im Darm kommen ‚von außen‘ dazu) so entwickeln können, dass sie als ‚Gesamteindruck‘ das ‚Bild des Menschen‘ erzeugen, das wir kennen

[2] Nach heutigem Kenntnisstand vor ca. 300.000 Jahren in Ostafrika und in Nordafrika, von wo der Homo sapiens dann die gesamte Welt erwandert und erobert hat (es gab noch Reste von anderen Menschenformen, die schon länger da waren).

[3] Repräsentative empirische Studien dazu, wie viele Menschen einer Bevölkerung dazu neigen, sind mir nicht bekannt.

[4] Berücksichtigt man, dass wir Menschen als Lebensform Homo sapiens erst nach ca. 3.8 Milliarden Jahren auf diesem Planeten erschienen sind, dann machen die 300.000 Jahre Homo sapiens grob 0,008% der gesamten Zeit aus, seitdem es Leben auf dem Planeten Erde gibt. Wir sind also nicht nur als Homo sapiens ein sehr spätes ‚Produkt‘ des Lebensprozesses, sondern innerhalb unseres Homo sapiens Lebensprozesses taucht die Fähigkeit zum ’systematischen Überprüfen von Hypothesen‘ auch erst ‚ganz spät‘ auf. Aufs ganze Leben bezogen scheint daher diese Fähigkeit extrem wertvoll zu sein, was ja auch stimmt, betrachtet man die unfassbaren Erkenntnisse, die wir als Homo sapiens mit dieser Form zu denken gewinnen konnten. fragt sich nur, wie wir mit diesem Wissen umgehen. Auch diese Verhaltensweise, systematisch überprüftes Wissen dann zu nutzen, ist nicht angeboren.

[5] Die Fähigkeit der ‚Fantasie‘ ist kein Gegensatz zum ‚Wissen‘, sondern ist etwas ganz anderes. ‚Fantasie‘ ist eine Eigenschaft, die sich in dem Moment ‚zeigt‘, wo wir anfangen zu denken, vielleicht sogar schon darin, ‚dass‘ wir überhaupt denken. Da wir im Prinzip über ‚alles‘ Nachdenken können, was unsrem Denken ‚erreichbar‘ ist, ist die Fantasie ein Faktor, der hilft, ‚Auszuwählen‘, was wir denken. Fantasie ist insoweit dem Denken vor-gelagert.

MODERNE PROPAGANDA – Aus philosophischer Sicht. Erste Überlegungen

Autor: Gerd Doeben-Henisch

Zeit: 26.Dez 2023 – 8.Jan 2024, 09:45h

Email: gerd@doeben-henisch.de

ENGLISCH: Es entsteht parallel eine Englische Version dieses Blog-Eintrags mit verändertem Titel „There exists only one big Problem for the Future of Human Mankind: The Belief in false Narratives“. Gegenüber dem Deutschen Original ist der Englische Text leicht revidiert.

Dieser Blogeintrag wird heute abgeschlossen werden. Er hat jedoch den Grundstein für Überlegungen gelegt, die in einem neuen Blogeintrag (?) weiterverfolgt werden sollen.

(?) Dieser Link führt ins Leere. Dieser Blogeintrag ist nicht mehr auffindbar. Komisch. Eine weitere Fortsetzung gibt es aber HIER.

EINLEITUNG

UNSCHEINBARER ANFANG

Auslöser für den folgenden Text war die Lektüre eines Buches, das 2023 in 3.Aufl vorliegt und welches das Label führt ‚Spiegel Bestseller‘. Ob das Buch wirklich mal auf der Bestseller Liste stand, konnte ich nicht verifizieren, da der Spiegel nur die jeweils aktuellen Liste anzeigt.

Wie auch immer, ich habe begonnen das Buch zu lesen, weil es mir von einer nahestehenden Person geschenkt wurde… Daraus folgt zwar nicht immer, dass ich dies dann auch lese (die Stapel der ‚zu lesenden Bücher‘ sind hoch), in diesem Fall habe ich es aber getan.

Während der Lektüre beschlich mich immer wieder und immer mehr der Verdacht, dass es sich bei diesem Buch um eine klassische Propagandaschrift handelt.

Beim Versuch, mein Konzept von ‚Propaganda‘ so zu präzisieren, dass ich damit klar argumentieren kann, gewann ich den Eindruck, dass mein Verständnis von Propaganda doch etwas unscharf war.

Ich entschied mich daher, mich zum Thema ‚Propaganda‘ weiter einzulesen (die Liste von Quellen unten auf der Seite enthält davon einige Titel). Dabei wurde offenbar, dass der Begriff der ‚Propaganda‘ in der Literatur eine große Bandbreite von Phänomenen anspricht, ohne dass ein ‚klares, konsistentes Konzept‘ sichtbar wird.

Dies war unbefriedigend.

Kann man über ‚Propaganda‘ entweder gar nicht oder nur ‚vage‘ reden?

WO WIR JEDEN TAG KOMMUNIZIEREN

Ich entschloss mich daher, mich dem Phänomen der ‚Propaganda‘ so zu nähern, dass ich zunächst versuche, das Phänomen der ‚allgemeinen Kommunikation‘ zu charakterisieren, um ein paar ‚härtere Kriterien‘ zu finden, die es erlauben würden, den Begriff der ‚Propaganda‘ doch einigermaßen verständlich vor diesem allgemeinen Hintergrund abzuheben.

Die Umsetzung dieses Ziels führte dann tatsächlich zu einer immer grundlegenderen Untersuchung unserer normalen (menschlichen) Kommunikation, so dass Formen von Propaganda als ‚Spezialfälle‘ unserer Kommunikation erkennbar werden. Das Beunruhigende daran: auch die sogenannte ’normale Kommunikation‘ umfasst zahlreiche Elemente, die das Erkennen und das Weitergeben von ‚Wahrheit‘ (*) sehr schwer machen können. ‚Massive Fälle von Propaganda‘ haben also ihre ‚Heimat‘ dort, wo wir jeden Tag miteinander kommunizieren. Wenn wir Propaganda verhindern wollen, müssen wir also im Alltag ansetzen.

(*) Der Begriff der ‚Wahrheit‘ wird in dem anschließenden langen Text sehr ausführlich untersucht und erläutert. Leider habe ich dafür noch keine ‚Kurzformel‘ gefunden. Im Kern geht es darum, einen Bezug zu ‚realen‘ Ereignissen und Abläufen in der Welt — einschließlich des eigenen Körpers — so herzustellen, dass sie im Prinzip von anderen nachvollzogen und überprüft werden können.

DIKTATORISCHER KONTEXT

Schwierig wird es allerdings, wenn es genügend viel politische Macht gibt, die die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen derart festsetzen kann, dass für den einzelnen Menschen im Alltag — dem Bürger ! — die allgemeine Kommunikation mehr oder weniger vorgeschrieben — ‚diktiert‘ — wird. Dann findet ‚Wahrheit‘ immer weniger bis gar nicht mehr statt. Eine Gesellschaft wird dann durch Unterdrückung von Wahrheit auf ihren eigenen Untergang gleichsam ‚programmiert‘. ([3], [6]).

ALLTAG ALS DIKTATOR ?
Die Stunde der Narrative

Aber — und dies ist die weit gefährlichere Form von ‚Propaganda‘ ! — auch wenn es nicht einen flächendeckenden Machtapparat gibt, der bestimmte Formen von ‚Wahrheit‘ vorschreibt, kann eine Verstümmelung oder eine grobe Verzerrung von Wahrheit dennoch im großen Stil stattfinden. Weltweit können wir heute im Zeitalter von Massenmedien, insbesondere im Zeitalter des Internets, feststellen, dass einzelne Menschen, kleine Gruppen, spezielle Organisationen, politische Gruppierungen, ganze Religionsgemeinschaften, eigentliche alle Menschen und ihre gesellschaftlichen Ausprägungen, einem bestimmten ‚Narrativ‘ [*11] folgen, wenn sie handeln. Typisch für das Handeln nach einem Narrativ ist, dass diejenigen, die dies tun, individuell glauben, dass es ‚ihre eigene Entscheidung‘ ist und dass das Narrativ ‚wahr‘ ist, und dass sie daher ‚im Recht sind‘, wenn sie danach handeln. Dieses sich ‚im Recht fühlen‘, kann bis dahin gehen, dass man für sich das Recht in Anspruch nimmt, andere zu töten, weil sie im Sinne des ‚Narrativ‘ ‚falsch handeln‘. Man sollte hier daher von einer ’narrativen Wahrheit‘ sprechen: Im Rahmen des Narrativs wird ein Bild von der Welt gezeichnet, das ‚als Ganzes‘ eine Perspektive ermöglicht, die von den Anhängern des Narrativ ‚als solche‘ ‚gut gefunden‘ wird, als ‚Sinn stiftend‘. Im Normalfall ist die Wirkung eines Narrativs, was als ‚Sinn stiftend‘ erlebt wird, so groß, dass der ‚Wahrheitsgehalt‘ im einzelnen nicht mehr überprüft wird.

RELIGIÖSE NARRATIVE

In der Geschichte der Menschheit gab es dies zu allen Zeiten. Besonders wirkungsvoll waren Narrative, die als ‚religiöse Überzeugungen‘ auftraten. Von daher ist es auch kein Zufall, dass fast alle Regierungen der letzten Jahrtausende religiöse Überzeugungen als Staatsdoktrin übernahmen; ein wesentlicher Bestandteil religiöser Überzeugungen ist, dass sie ’nicht beweisbar‘, sprich ’nicht wahrheitsfähig‘ sind. Damit ist ein religiöses Narrativ ein wunderbares Werkzeug in der Hand von Mächtigen, Menschen ohne Androhung von Gewalt für bestimmte Verhaltensweisen zu motivieren.

POPULÄRE NARRATIVE

In den letzten Jahrzehnten erleben wir aber neue, ‚moderne Formen‘ von Narrativen, die nicht als religiöse Erzählungen daher kommen, die aber dennoch eine sehr ähnliche Wirkung entfalten: Menschen empfinden diese Narrative als ‚Sinn stiftend‘ in einer Welt, die für jeden heute immer unübersichtlicher und daher bedrohlich wird. Einzelne Menschen, die Bürger, empfinden sich zudem als ‚politische hilflos‘, so dass sie — selbst in einer ‚Demokratie‘ — das Gefühl haben, nichts direkt bewirken zu können: die ‚da oben‘ machen doch, was sie wollen. In einer solchen Situation sind ‚vereinfachende Erzählungen‘ eine Wohltat für die geschundene Seele; man hört sie und hat das Gefühl: ja, so ist es; das ist genau das, was ich ‚fühle‘! Solche ‚populären Narrative‘, die ‚gute Gefühle‘ ermöglichen, gewinnen eine immer größere Kraft. Mit religiösen Narrativen haben sie gemeinsam, dass die ‚Anhänger‘ von populären Narrativen die ‚Wahrheitsfrage‘ nicht mehr stellen; die meisten sind auch nicht genügend ‚trainiert‘, um den Wahrheitsgehalts eines Narrativs überhaupt klären zu können. Typisch für Anhänger von Narrativen ist, dass sie in der Regel individuell kaum in der Lage sind, ihr eigenes Narrativ anderen zu erklären. Man schickt sich typischerweise Links von Texten/ Videos, die man ‚gut‘ findet, weil diese Texte/ Videos irgendwie das populäre Narrativ zu unterstützen scheinen, und überprüft die Autoren und Quellen eher nicht, weil dies doch so ‚anständige Leute‘ sind, weil sie immer genau das Gleiche sagen, wie es das ‚populäre Narrativ‘ vorgibt.(Schönes Beispiel: [10])

FÜR DIE MACHT SIND NARRATIVE SEXY

Wenn man jetzt noch berücksichtigt, dass die ‚Welt der Narrative‘ für alle, die Macht über Menschen haben oder gerne Macht über Menschen erringen wollen, ein äußerst verlockendes Angebot ist, genau solche Narrative ‚in die Welt zu setzen‘ oder bestehende Narrative ‚für sich zu instrumentalisieren‘, dann darf man sich nicht wundern, dass viele Regierungen in dieser Welt, viele andere Machtgruppen, heute genau dies tun: sie versuchen nicht Menschen ‚direkt‘ zu zwingen, sondern sie ‚produzieren‘ populäre Narrative oder ‚Monitoren‘ schon bestehende populäre Narrative‘, um über den Umweg über diese Narrative Macht über die Herzen und den Verstand von immer mehr Menschen zu bekommen. Die einen sprechen hier von ‚hybrider Kriegführung‘, andere von ‚moderner Propaganda‘, aber letztlich geht dies am Kern des Problems vorbei.

DAS NARRATIV ALS KULTURELLES GRUNDMUSTER
Das ‚Irrationale‘ wehrt sich gegen das ‚Rationale‘

Der Kern des Problems ist die Art und Weise, wie menschliche Gemeinschaften schon immer ihr gemeinsames Handeln organisieren, nämlich durch Narrative; über eine andere Möglichkeit verfügen wir Menschen nicht. Solche Narrative — dies zeigen die Überlegungen weiter unten im Text — sind aber hoch komplex und extrem anfällig für ‚Falschheit‘, für eine ‚Verzerrung des Bildes von der Welt‘. Im Rahmen der Entwicklung von Rechtssystemen wurden Ansätze entwickelt, um den Missbrauch von Macht in einer Gesellschaft durch Unterstützung von wahrheitserhaltenden Mechanismen zu ‚verbessern‘. Graduell hat dies sicherlich geholfen, bei allen Defiziten, die bis heute bestehen. Zusätzlich fand vor ca. 500 Jahren eine echte Revolution statt: es gelang der Menschheit, mit dem Konzept eines ‚überprüfbaren Narrativs (empirische Theorie)‘ ein Format zu finden, das den ‚Erhalt von Wahrheit‘ optimiert und das Abgleiten in Unwahrheit minimiert. Dieses neue Konzept von ‚überprüfbarer Wahrheit‘ hat seitdem großartige Einsichten ermöglicht, die ohne dieses neue Konzept jenseits aller Vorstellungen lagen. Die ‚Aura des Wissenschaftlichen‘ hat mittlerweile fast die gesamte menschliche Kultur durchdrungen, fast! Wir müssen konstatieren, dass das wissenschaftliche Denken zwar die Welt des Praktischen durch moderne Technologien umfassend gestaltet hat, dass aber die Art und Weise des wissenschaftlichen Denkens alle anderen Narrative nicht außer Kraft gesetzt hat. Im Gegenteil, die ‚wahrheitsfernen Narrative‘ sind mittlerweile wieder so stark geworden, dass sie in immer mehr Bereichen unserer Welt das ‚Wissenschaftliche‘ zurückdrängen, es bevormunden, es verbieten, es auslöschen. Die ‚Irrationalität‘ der religiösen und populären Narrative ist so stark wie nie zuvor. ‚Irrationale Narrative‘ sind so anziehend, weil sie es dem einzelnen ersparen, selber ’nachdenken zu müssen‘. Echtes Nachdenken ist anstrengend, unpopulär, lästig, behindert den Traum von der einfachen Lösung.

DAS ZENTRALE MENSCHHEITSPROBLEM

Vor diesem Hintergrund erscheint die weit verbreitete Unfähigkeit von Menschen, ‚irrationale Narrative‘ erkennen und überwinden zu können, das zentrale Problem der Menschheit zu sein, um die aktuellen globalen Herausforderungen zu meistern. Bevor wir mehr Technik brauchen (die brauchen wir auf jeden Fall), brauchen wir vor allem mehr Menschen, die fähig und bereit sind, mehr und besser nachzudenken, und auch in der Lage sind, gemeinsam mit anderen ‚echte Probleme‘ zu lösen. Echte Probleme erkennt man darin, dass sie weitgehend ’neu‘ sind, dass es keine ‚einfachen Lösungen von der Stange‘ für sie gibt, dass man gemeinsam wirklich um mögliche Einsichten ‚ringen muss‘; das ‚Alte‘ reicht‘ prinzipiell nicht, um das ‚wahre Neue‘ zu erkennen und umzusetzen!

Der folgende Text untersucht diese hier dargestellte Sicht im Detail.

MODERNE PROPAGANDA ?

Im Beitrag der Englischen Wikipedia zu ‚Propaganda [1b] wird eine ganz ähnliche Strategie versucht, wenn auch in der Ausführung mit nicht ganz scharfen Konturen. Es findet sich dort aber ein breiter Überblick über verschiedenste Formen von Kommunikation, eingebettet darin jene Formen, die ’speziell‘ (‚biased‘) sind, also den zu kommunizierenden Inhalt nicht so wiedergeben, wie man ihn nach ‚objektiven überprüfbaren Kriterien‘ wiedergeben würde. Die Vielfalt der Beispiele deutet aber an, dass es nicht ganz einfach zu sein scheint, eine ’spezielle‘ von einer ’normalen‘ Kommunikation abzugrenzen: Was sind denn diese ‚objektiven überprüfbaren Kriterien‘? Wer legt sie fest?

Nehmen wir für einen Moment mal an, dass es klar sei, welches dies ‚objektiven überprüfbaren Kriterien‘ sind, kann man versuchsweise für einen Ausgangspunkt eine Arbeitsdefinition für den allgemeinen (normalen?) Fall von Kommunikation versuchen:

  1. Den allgemeinen Fall von Kommunikation könnte man versuchsweise beschreiben als schlichten Versuch, dass eine Person — nennen wir sie den ‚Autor‘ — einer anderen Person — nennen wir sie den ‚Ansprechpartner‘ — versucht, ‚etwas zur Kenntnis zu bringen‘. Das, was zur Kenntnis gebracht werden soll, nennen wir versuchsweise ‚die Botschaft‘. Aus dem Alltag wissen wir, dass ein Autor zahlreiche ‚Eigenschaften‘ aufweisen kann, die sich auf den Inhalt seiner Botschaft auswirken können.

Zum Autor:

  1. Das verfügbare Wissen des Autors — bewusst wie unbewusst — entscheidet darüber, welche Botschaft der Autor überhaupt erstellen kann.
  2. Seine Wahrheitsfähigkeit entscheidet darüber, ob und in welchem Umfang er unterscheiden kann, was an seiner Botschaft in der realen Welt — gegenwärtig oder vergangen — nachprüfbar ‚zutrifft‘ bzw. ‚wahr ist‘.
  3. Seine Sprachfähigkeit bestimmt darüber, ob und wie viel er von seinem verfügbaren Wissen sprachlich kommunizieren kann.
  4. Die Welt der Emotionen entscheidet darüber, ob er z.B. überhaupt etwas mitteilen möchte, wann, wie, wem, wie intensiv, wie auffällig, usw.
  5. Der gesellschaftliche Kontext kann sich dahingehend auswirken, ob er eine bestimmte gesellschaftliche Rolle innehat, für die festgelegt ist, wann er wie mit wem was kommunizieren darf oder sollte.
  6. Die realen Kommunikationsbedingungen entscheiden darüber, ob ein geeignetes ‚Kommunikationsmedium‘ verfügbar ist (Sprachschall, Schrift, Ton, Film, …) und ob und wie dieses für potentielle Ansprechpartner zugänglich ist.
  7. Die körperliche Beschaffenheit entscheidet darüber, wie weit der Autor überhaupt und in welchem Umfang er kommunizieren kann.

Zum Ansprechpartner:

  1. Ganz allgemein gelten die Eigenschaften für den Autor auch für den Ansprechpartner. Man kann aber für die Rolle des Ansprechpartners einige Punkte besonders hervorheben:
  2. Das verfügbare Wissen des Ansprechpartners entscheidet darüber, welche Aspekte der Botschaft des Autors überhaupt verstanden werden können.
  3. Die Wahrheitsfähigkeit des Ansprechpartners entscheidet darüber, ob und in welchem Umfang auch dieser unterscheiden kann, was an der übermittelten Botschaft nachprüfbar ‚zutrifft‘ bzw. ‚wahr ist‘.
  4. Die Sprachfähigkeit des Ansprechpartners bedingt, ob und wie viel er von der Botschaft rein sprachlich aufnehmen kann.
  5. Die Emotionen entscheiden darüber, ob der Ansprechpartner z.B. überhaupt etwas aufnehmen möchte, wann, wie, wie viel, mit welcher inneren Einstellung, usw.
  6. Der gesellschaftliche Kontext kann sich ebenfalls dahingehend auswirken, ob der Ansprechpartner eine bestimmte gesellschaftliche Rolle innehat, für die festgelegt ist, wann er wie mit wem was kommunizieren darf oder sollte.
  7. Ferner kann es wichtig sein, ob das Kommunikationsmedium dem Ansprechpartner so vertraut ist, dass er es hinreichend gut nutzen kann.
  8. Auch bei dem Ansprechpartner kann die körperliche Beschaffenheit darüber entscheiden, wie weit der Ansprechpartner überhaupt und in welchem Umfang kommunizieren kann.

Schon diese kleine Auswahl an Faktoren zeigt, wie vielfältig die Situationen sein können, in denen ’normale Kommunikation‘ durch die ‚Wirkung der verschiedenen Umstände‘ einen ’speziellen Charakter‘ gewinnen kann. So kann z.B. eine eigentlich ‚harmlose Begrüßung‘ bei bestimmten Rollenvorgaben zu einem gesellschaftlichen Problem führen mit vielerlei Konsequenzen. Ein scheinbar ’normaler Bericht‘ kann zum Problem werden, weil der Ansprechpartner die Botschaft rein sprachlich missversteht. Ein an sich ’sachlicher Bericht‘ kann durch die Art und Weise des Vortrags zu emotionalen Wirkungen bei dem Ansprechpartner führen, die dazu führen, dass dieser die Botschaft geradezu begeistert aufgreift oder — ganz im Gegenteil — vehement ablehnt. usw.

Liegen handfeste Interessen beim Autor vor, aufgrund deren er den Ansprechpartner zu einer bestimmten Verhaltensweise bewegen will, dann kann dies dazu führen, dass ein bestimmter Sachverhalt nicht ‚rein sachlich‘ dargestellt wird, sondern es werden dann auch viele Aspekte mitkommuniziert, die dem Autor geeignet erscheinen, den Ansprechpartner dazu zu bewegen, den Sachverhalt in einer ganz bestimmten Weise aufzufassen und entsprechend sich zu eigen machen. Diese ‚zusätzlichen‘ Aspekte können sich über die reine Botschaft hinaus auf viele reale Gegebenheiten der Kommunikationssituation beziehen.

Typen von Kommunikation …

Angesichts dieser potentiellen ‚Vielfalt‘ stellt sich die Frage, ob es überhaupt möglich sein wird, so etwas wie eine normale Kommunikation zu definieren?

Um diese Frage sinnvoll beantworten zu können, müsste man über eine Art ‚Überblick‘ über alle möglichen Kombinationen von Eigenschaften Autor (1-7) sowie Ansprechpartner (1-8) verfügen und man müsste zusätzlich in der Lage sein, jede dieser möglichen Kombinationen mit Blick auf ‚Normalität‘ zu bewerten.

Dazu sei angemerkt, dass den beiden Listen Autor (1-7) und Ansprechpartner (1-8) ein gewisse ‚Willkür‘ anheftet: Man kann die Listen so aufbauen, wie sie hier aufgebaut wurden, man muss aber nicht.

Dies hängt mit der allgemeinen Art und Weise zusammen, wir wir Menschen denken: auf der einen Seite haben wir ‚einzelne Ereignisse, die passieren‘ — oder an die wir uns ‚erinnern‘ können –, auf der anderen Seite können wir zwischen ‚beliebigen einzelnen Ereignissen‘ ‚beliebige Beziehungen‘ in unserem Denken ’setzen‘. In der Wissenschaft nennt man dies ‚Hypothesenbildung‘. Ob man solche Bildung von Hypothesen vornimmt oder nicht und welche, dies ist nirgends normiert. Ereignisse als solche erzwingen keine bestimmte Hypothesenbildungen. Ob sie ’sinnvoll‘ sind oder nicht erweist sich ausschließlich im späteren Verlauf bei ihrer ‚praktischen Verwendung‘. Man könnte sogar sagen, dass eine solche Hypothesenbildung eine rudimentäre Form von ‚Ethik‘ ist: in dem Moment, wo man eine Hypothese bzgl. einer bestimmten Beziehung zwischen Ereignissen annimmt, hält man sie minimal für ‚wichtig‘, ansonsten würde man diese Hypothesenbildung nicht vornehmen.

Insofern kann man sagen, dass der ‚Alltag‘ der primäre Ort ist für mögliche Arbeitshypothesen und mögliche ‚minimale Werte‘.

Das folgende Schaubild demonstriert eine mögliche Anordnung der Eigenschaften vom Autor und seinem Ansprechpartner:

BILD : Mögliche Verschränkung von Eigenschaft 1 des Autors — hier: Au1 — und Eigenschaft 2 des Ansprechpartners — hier: An2 –.

Was man unschwer erkennen kann, ist die Tatsache, dass ein Autor natürlich über eine Konstellation von Wissen verfügen kann, die aus einer schier ‚unendlichen Menge von Möglichkeiten‘ schöpft. Das gleiche gilt für den Ansprechpartner. Rein abstrakt ist die Anzahl der möglichen Kombinationen aufgrund der Annahmen Au1 und An2 vom Ansatz her ‚quasi unendlich groß‘, was die Frage nach der ‚Normalität‘ auf der abstrakten Ebene letztlich unentscheidbar macht.

Da aber sowohl Autoren wie Ansprechpartner keine sphärische Wesen aus irgendeinem abstrakten Winkel der Möglichkeiten sind, sondern in der Regel ‚konkrete Menschen‘ mit einer ‚konkreten Geschichte‘ in einer ‚konkreten Lebenswelt‘ zu einer ‚bestimmten historischen Zeit‘ schränkt sich der quasi unendliche abstrakte Möglichkeitsraum ein auf eine endliche überschaubare Menge von Konkretheiten. Doch auch diese können bezogen auf zwei konkrete Menschen immer noch beträchtlich groß sein. Welcher Mensch mit seiner Lebenserfahrung aus welcher Gegend soll jetzt als ‚Norm‘ genommen werden für eine ’normale Kommunikation‘?

Eher scheint es nahe zu liegen, dass man einzelne Menschen irgendwie ‚typisiert‘ z.B. nach Alter und Lerngeschichte, wobei eine ‚Lerngeschichte‘ auch kein klares Bild ergeben muss. Absolventen der gleichen Schule können im Anschluss — wie wir wissen — über ein sehr unterschiedliches Wissen verfügen, wenngleich Gemeinsamkeiten möglicherweise ‚minimal typisch‘ sein können.

Generell erscheint also der Ansatz über die Eigenschaften des Autors und des Ansprechpartners keine wirklich klaren Kriterien für eine Norm zu liefern, auch wenn eine Angabe wie ‚das humanistische Gymnasium in Hadamar 1960 – 1968‘ rudimentäre Gemeinsamkeiten nahelegen würde.

Man könnte jetzt versuchen, die weiteren Eigenschaften Au2-7 sowie An3-8 in die Überlegungen einzubeziehen, aber die ‚Konstruktion einer normalen Kommunikation‘ scheint aufgrund der Annahmen Au1 und An2 eher in immer weitere Ferne zu rücken.

Was bedeutet dies für die Typisierung einer Kommunikation als ‚Propaganda‘. Ist nicht letztlich jede Kommunikation auch ein Stück Propaganda oder gibt es doch die Möglichkeit, die Form der ‚Propaganda‘ hinreichend genau zu kennzeichnen obwohl es nicht möglich erscheint, einen Standard für ’normale Kommunikation‘ zu finden. … oder wird eine bessere Charakterisierung von ‚Propaganda‘ indirekt Hinweise für eine ‚Nicht-Propaganda‘ liefern?

Wahrheit und Bedeutung – Schlüssel ‚Sprache‘

Der spontane Versuch, die Bedeutung des Begriffs ‚Propaganda‘ soweit zu klären, dass man ein paar konstruktive Kriterien an die Hand bekommt, um bestimmte Formen von Kommunikation entweder als ‚Propaganda‘ charakterisieren zu können oder eben nicht, gerät in immer ‚tieferes Fahrwasser‘. Gibt es nun ‚objektive überprüfbare Kriterien‘, mit denen man arbeiten kann, oder nicht? Und: Wer legt sie fest?

Halten wir vorläufig an der Arbeitshypothese 1 fest, dass wir es mit einem Autor zu tun haben, der eine Botschaft artikuliert, für einen Ansprechpartner, und erweitern wir diese Arbeitshypothese um folgenden Zusatz 1: solche eine Kommunikation spielt sich immer in einem gesellschaftlichen Kontext ab. Dies bedeutet, dass die Wahrnehmung und das Wissen der einzelnen Akteure (Autor, Ansprechpartner) kontinuierlich mit diesem gesellschaftlichen Kontext interagieren kann bzw. ‚automatisch interagiert‘. Letzteres liegt daran, dass wir Menschen so gebaut sind, dass unser Körper mit seinem Gehirn dies einfach tut, ohne dass dafür von ‚uns‘ ‚bewusste Entscheidungen‘ getroffen werden müssen.[*1]

Für diesen Abschnitt möchte ich die bisherige Arbeitshypothese 1 samt Zusatz 1 um eine weitere Arbeitshypothese 2 erweitern (Lokalisierung von Sprache) [*4]:

  1. Jedes Medium (Sprache, Ton, Bild, …) kann eine ‚potentielle Bedeutung‘ beinhalten.
  2. Beim Erstellen des medialen Ereignisses kann der ‚Autor‘ versuchen, mögliche ‚Inhalte‘, die von ihm ‚mitgeteilt werden sollen‘, mit dem Medium ‚zu verbinden‘ (‚ins Wort/ in den Klang/ in das Bild bringen‘, ‚Enkodieren‘, ….). Diese ‚Zuordnung‘ von Bedeutung geschieht sowohl ‚unbewusst/ automatisiert‘ als auch ‚(teilweise) bewusst‘.
  3. Bei der Wahrnehmung des medialen Ereignisses kann der ‚Ansprechpartner‘ versuchen, diesem wahrgenommenen Ereignis eine ‚mögliche Bedeutung‘ zuzuordnen. Auch diese ‚Zuordnung‘ von Bedeutung geschieht sowohl ‚unbewusst/ automatisiert‘ als auch ‚(teilweise) bewusst‘.
  4. Die Zuordnung von Bedeutung setzt sowohl beim Autor wie auch beim Ansprechpartner voraus, dass der jeweilige Akteur ‚Lernprozesse‘ (meist Jahre, viele Jahre) ‚durchlaufen‘ hat, die es möglich gemacht haben, bestimmte ‚Ereignisse der Außenwelt‘ wie auch ‚innere Zustände‘ mit bestimmten medialen Ereignissen zu verknüpfen.
  5. Das ‚Erlernen von Bedeutungsbeziehungen‘ geschieht immer in gesellschaftlichen Kontexten, da eine mediale Struktur, die zwischen Menschen ‚Bedeutung transportieren‘ soll, immer allen gehört, die an dem Kommunikationsprozess beteiligt sind.[*2]
  6. Diejenigen medialen Elemente, die für den ‚Austausch von Bedeutungen‘ tatsächlich benutzt werden, bilden alle zusammen das, was man eine ‚Sprache‘ nennt: die ‚medialen Elemente selbst‘ bilden die ‚Oberflächenstruktur‘ der Sprache, ihre ‚Zeichendimension‘, und die ‚inneren Zustände‘ in jedem beteiligten ‚Akteur‘, bilden den ‚individuell-subjektiven Raum möglicher Bedeutungen‘. Dieser innere subjektive Raum umfasst zwei Komponenten: (i) die innerlich verfügbaren Elemente als potentielle Bedeutungsinhalte und (ii) eine dynamische ‚Bedeutungsbeziehung‘, die wahrgenommene Elemente der Oberflächenstruktur und der potentiellen Bedeutungsinhalte ‚miteinander verknüpft‘.[*3]

Will man die Leitfrage, ob man „bestimmte Formen von Kommunikation entweder als ‚Propaganda‘ charakterisieren oder nicht“ beantworten, benötigt man ‚objektive überprüfbare Kriterien‘, anhand deren man eine Aussage formulieren kann. Diese Frage kann man benutzen, um zurück zu fragen, ob es im ’normalen Alltagsdialog‘ ‚objektive Kriterien‘ gibt, anhand deren wir im Alltag gemeinsam entscheiden können, ob ein ‚behaupteter Sachverhalt‘ ‚zutrifft‘ oder eben nicht; in diesem Kontext wird auch das Wort ‚wahr‘ benutzt. Kann man dies ein wenig genauer fassen?

Hier eine weitere Arbeitshypothese 3:

  1. Mindestens zwei Akteure können sich darüber einigen, dass eine bestimmte Bedeutung, verbunden mit dem medialen Konstrukt, als sinnlich wahrnehmbarer Sachverhalt so vorliegt, dass sie zustimmen können, dass der ‚behauptete Sachverhalt‘ tatsächlich vorliegt. Ein solches punktuelles Zutreffen soll ‚wahr 1‘ bzw. ‚Wahrheit 1‘ genannt werden. Ein ‚punktuelles Zutreffen‘ kann sich aufgrund der Dynamik der realen Welt (einschließlich der Akteure selbst) jederzeit und schnell ändern (z.B.: der Regen hört auf, die Kaffeetasse ist leer, das Autor von eben ist weg, der leere Gehweg wir von einer Gruppe von Menschen belegt, ….)
  2. Mindestens zwei Akteure können sich darüber einigen, dass eine bestimmte Bedeutung, verbunden mit dem medialen Konstrukt, aktuell nicht als realer Sachverhalt vorliegt. Bezogen auf die aktuelle Situation des ‚Nicht-Zutreffens‘ würde man davon sprechen, dass die Aussage ‚falsch 1‘ ist; der behauptete Sachverhalt liegt entgegen der Behauptung real nicht vor.
  3. Mindestens zwei Akteure können sich darüber einigen, dass eine bestimmte Bedeutung, verbunden mit dem medialen Konstrukt aktuell nicht vorliegt, aber aufgrund des bisherigen Erfahrungswissens ‚ziemlich sicher‘ in einer ‚möglichen zukünftigen Situation‘ eintreten könnte. Dieser Aspekt soll hier ‚potentiell wahr‘ genannt werden oder ‚wahr 2‘ bzw. ‚Wahrheit 2‘. Sollte der Sachverhalt dann irgendwann ‚tatsächlich vorliegen‘ würde sich Wahrheit 2 in Wahrheit 1 verwandeln.
  4. Mindestens zwei Akteure können sich darüber einigen, dass eine bestimmte Bedeutung, verbunden mit dem medialen Konstrukt aktuell nicht vorliegt, und aufgrund des bisherigen Erfahrungswissens ‚ziemlich sicher unklar ist‘, ob der gemeinte Sachverhalt in einer ‚möglichen zukünftigen Situation‘ tatsächlich eintreten könnte. Dieser Aspekt soll hier ’spekulativ wahr‘ genannt werden oder ‚wahr 3‘ bzw. ‚Wahrheit 3‘. Sollte der Sachverhalt dann irgendwann ‚tatsächlich vorliegen‘ würde sich Wahrheit 3 in Wahrheit 1 verwandeln.
  5. Mindestens zwei Akteure können sich darüber einigen, dass eine bestimmte Bedeutung, verbunden mit dem medialen Konstrukt aktuell nicht vorliegt, und aufgrund des bisherigen Erfahrungswissens ‚es ziemlich sicher ist‘, dass der gemeinte Sachverhalt in einer ‚möglichen zukünftigen Situation‘ nie eintreten könnte. Dieser Aspekt soll hier ’spekulativ falsch‘ genannt werden oder falsch 2‚.

Bei näherer Betrachtung dieser 4 Annahmen der Arbeitshypothese 3 wird man feststellen können, dass es in all diesen Unterscheidungen zwei ‚Pole‘ gibt, die zueinander in bestimmten Beziehungen stehen: einerseits gibt es als Pole reale Sachverhalte, die ‚aktuell von allen Beteiligten wahrgenommen bzw. nicht wahrgenommen werden‘ und andererseits gibt es eine ‚gewusste Bedeutung‘ in den Köpfen der Beteiligten, die mit einem aktuellen Sachverhalt in Beziehung gesetzt werden kann oder nicht. Dies ergibt folgende Verteilung von Werten:

Realer SachverhaltBeziehung zu Gedacht
Gegeben1Passt (wahr 1)
Gegeben2Passt nicht (falsch 1)
Nicht gegeben3Könnte in der Zukunft passen (wahr 2)
Nicht gegeben4Passen in der Zukunft unklar (wahr 3)
Nicht gegeben5Kann in der Zukunft nicht passen (falsch 2)

In diesem — noch etwas grobem — Schema kann ‚Gedachtes‘ qualifiziert werden zu einem aktuell Gegebenem als ‚passend‘ oder ’nicht passend‘, oder in Abwesenheit von etwas real Gegebenem als ‚könnte passen‘ oder ‚unklar, ob es passen kann‘ oder ’sicher, dass es nicht passen könnte‘.

Hierbei ist aber zu beachten, dass diese Qualifizierungen ‚Einschätzungen‘ sind, welche die Akteure aufgrund ihres ‚eigenen Wissens‘ vornehmen. Wie wir wissen, ist solch eine Einschätzung immer fehleranfällig! Neben Fehlern in der Wahrnehmung [*5] kann es Fehlern im eigenen Wissen geben. [*6] Also entgegen den Überzeugungen der Akteure kann ‚wahr 1‘ tatsächlich ‚falsch 1‘ sein oder umgekehrt, ‚wahr 2‘ könnte ‚falsch 2‘ sein und umgekehrt.

Aus all diesem folgt, dass eine ‚klare Qualifizierung‘ von Wahrheit und Falschheit letztlich immer fehlerbehaftet ist. Für eine Gemeinschaft von Menschen, die ‚positiv‘ denken ist dies kein Problem: sie wissen um diese Sachlage und sie bemühen sich, ihre ’natürliche Fehleranfälligkeit‘ durch bewusstes methodisches Vorgehen ‚möglichst klein‘ zu halten.[*7] Menschen, die — aus vielerlei Gründen — eher negativ denken, die fühlen sich in dieser Situation dazu motiviert, überall und immer nur Fehler oder gar Bosheit zu sehen. Sie tun sich schwer damit, mit ihrer ’natürlichen Fehlerbehaftetheit‘ positiv-konstruktiv umzugehen.

WAHRHEIT UND BEDEUTUNG – Im Prozess

In dem vorausgehenden Abschnitt sind die verschiedenen Begriffe (‚wahr1,2‘, ‚falsch 1,2‘, ‚wahr 3‘) noch eher unverbunden, sind noch nicht wirklich in einem fassbaren Zusammenhang verortet. Dies soll hier mit Hilfe der Arbeitshypothese 4 (Skizze eines Prozessraums) versucht werden.

BILD : Der Prozessraum in der realen Welt und im Denken samt möglicher Wechselwirkungen

Die Grundelemente der Arbeitshypothese 4 lassen sich wie folgt charakterisieren:

  1. Es gibt die reale Welt mit ihren kontinuierlichen Veränderungen und innerhalb eines Akteurs einen virtuellen Raum für Prozesse mit Elementen wie Wahrnehmungen, Erinnerungen und gedachte Vorstellungen.
  2. Das Bindeglied zwischen realem Raum und virtuellem Raum läuft über Wahrnehmungsleistungen, die spezielle Eigenschaften der realen Welt für den virtuellen Raum repräsentieren, und zwar so, dass ‚wahrgenommene Inhalte‘ und ‚gedachte Inhalte‘ unterscheidbar sind. Auf diese Weise ist ein ‚gedanklicher Abgleich‘ von Wahrgenommenem und Gedachtem möglich.
  3. Veränderungen in der realen Welt zeigen sich nicht explizit sondern manifestieren sich nur indirekt durch die wahrnehmbaren Veränderungen, die durch sie hervorgerufen werden.
  4. Es ist Aufgabe der ‚denkerischen Rekonstruktion‘ Veränderungen zu ‚identifizieren‘ und die sprachlich so zu beschreiben, dass nachvollziehbar ist, aufgrund welcher Eigenschaften eines gegebenen Zustands daraus ein möglicher Nachfolgezustand entstehen kann.
  5. Zusätzlich zur Unterscheidung von ‚Zuständen‘ und ‚Veränderungen‘ zwischen Zuständen muss auch geklärt werden, wie man eine gegebene Veränderungsbeschreibung auf einen gegebenen Zustand so ‚anwendet‘, dass daraus ein ‚Nachfolgezustand‘ entsteht. Dies wird hier ‚Nachfolger-Generierungs-Vorschrift‘ (symbolisch: ⊢) genannt. Ein Ausdruck wie Z ⊢V Z‘ würde dann bedeuten, dass man mit der Nachfolger-Generierungs-Vorschrift ⊢V unter Benutzung der Veränderungsregel V den nachfolgenden Zustand Z‘ aus dem Zustand Z generieren kann. Dabei kann allerdings auch mehr als eine Veränderungsregel V zum Einsatz kommen, also z.B. {V1, V2, …, Vn} mit den Veränderungsregeln V1, …, Vn.
  6. Bei der Formulierung von Veränderungsregeln können immer Fehler unterlaufen. Sofern sich bestimmte Veränderungsregeln in der Vergangenheit schon in Ableitungen ‚bewährt‘ haben, würde man für den ‚gedachten Folgezustand‘ tendenziell annehmen, dass er vermutlich auch real eintreten wird. Wir hätten es also mit dem Fall ‚wahr 2‚ zu tun. Ist eine Veränderungsregel neu und es liegen noch keine Erfahrungen mit ihr vor, hätten wir es für den gedachten Folgezustand mit dem Fall ‚wahr 3‘ zu tun. Währe eine bestimmte Veränderungsregel in der Vergangenheit schon mehrfach gescheitert, dann könnte Fall ‚falsch 2‘ vorliegen.
  7. Das skizzierte Prozessmodell lässt aber auch erkennen, dass die bisherigen Fälle (1-5 in der Tabelle) immer nur Teilaspekte beschreiben. Angenommen, eine Gruppe von Akteuren schafft es, mit vielen Zuständen und mit vielen Veränderungsregeln samt einer Nachfolger-Generierungs-Anweisung eine rudimentäre Prozess-Theorie zu formulieren, dann interessiert es natürlich, wie sich die ‚Theorie als Ganze‘ ‚bewährt‘. Dies bedeutet, dass jede ‚gedankliche Konstruktion‘ einer Abfolge möglicher Zustände entsprechend den angewendeten Veränderungsregeln unter Voraussetzung der Prozess-Theorie sich in allen Anwendungsfällen ‚bewähren muss‘, damit von der Theorie gesagt werden kann, dass sie ‚generisch wahr‘ ist. Während z.B. der Fall ‚wahr 1‘ sich nur auf einen einzigen Zustand bezieht, bezieht sich der Fall ‚generisch wahr‘ auf ‚ganz viele‘ Zustände, so viele, bis ein ‚Endzustand‘ erreicht wird, der als ‚Zielzustand‘ gelten soll. Der Fall ‚generisch widersprochen‘ soll vorliegen, wenn es wenigstens eine Folge von generierten Zuständen gibt, die immer wieder einen Endzustand generiert, der falsch 1 ist. Solange eine Prozess-Theorie noch nicht in allen möglichen Fällen mit wahr 1 für einen Endzustand bestätigt worden ist, bleibt ein ‚Rest an Fällen‘, die unklar sind. Dann würde eine Prozess-Theorie als ‚generisch unklar‘ bezeichnet werden, obgleich sie für die Menge der bislang erfolgreich getesteter Fälle als ‚generisch wahr‘ gelten darf.

BILD : Der individuelle erweiterte Prozessraum mit Andeutung der Dimension Weitere Meta-Ebenen‘ sowie ‚Bewertungen‘.

Wem das vorausgehende erste Bild mit dem Prozessraum schon arg ’schwierig‘ vorkommt, der wird bei diesem zweiten Bild zum ‚erweiterten Prozessraum‘ natürlich ‚ins Schwitzen‘ kommen. Aber der individuelle Denkraum ist nun mal ein Spitzenprodukt der Evolution, das einiges zu bieten hat.

So kann jeder bei sich selbst überprüfen, dass wir Menschen über die Fähigkeit verfügen, egal, was wir Denken, dieses Denken jederzeit selbst wieder zum ‚Gegenstand des Denkens‘ zu machen, und zwar eben ‚innerhalb des Denkens selbst‘. Mit diesem ‚Denken über das Denken‘ eröffnen sich eine ‚zusätzliche Ebene des Denkens‘ — hier ‚Meta-Ebene‘ genannt –, auf der wir Denkenden all das ‚thematisieren‘, was uns am vorausgehenden Denken auffällt und wichtig ist. [*8] Neben dem ‚Denken über das Denken‘ verfügen wir auch über die Fähigkeit, das, was wir Wahrnehmen und Denken zu ‚bewerten‘. Diese ‚Bewertungen‘ werden gespeist aus dem Raum unserer ‚Emotionen‘ [*9] und ‚gelernten Bevorzugungen‘. Dies ermöglicht uns, mit Hilfe unserer Emotionen und gelernten Bevorzugungen zu ‚lernen‘: Wenn wir also bestimmte Handlungen vornehmen und dabei ‚Schmerzen‘ erleiden, dann werden wir diese Handlungen beim nächsten Mal eher vermeiden. Wenn wir im Restaurant X Essen gehen, weil jemand uns dies ‚empfohlen‘ hat, und das Essen und/ oder der Service waren richtig schlecht, dann werden wir diesen Vorschlag künftig eher nicht mehr berücksichtigen. Von daher kann unser Denken (und unser Wissen) zwar ‚Möglichkeiten sichtbar machen‘, aber es sind die Emotionen, die das kommentieren, was bei Umsetzung des Wissens ‚gut‘ oder ’schlecht‘ passiert. Doch, Achtung, auch Emotionen können irren, und zwar massiv. [*10]

WAHRHEIT UND BEDEUTUNG – Als eine kollektive Leistung

Die bisherigen Überlegungen zum Thema ‚Wahrheit und Bedeutung‘ im Kontext individueller Prozesse haben umrisshaft angedeutet, dass und wie ‚Sprache‘ eine zentrale Rolle spielt, um Bedeutung und darauf aufbauend Wahrheit zu ermöglichen. Ferner wurde ebenfalls skizzenhaft umrissen, dass und wie man Wahrheit und Bedeutung in einem dynamischen Kontext einordnen muss, in ein ‚Prozessmodell‘, wie es in einem Individuum in enger Interaktion mit der Umgebung stattfindet. Dieses Prozessmodell umfasst die Dimension des ‚Denkens‘ (auch ‚Wissen‘) wie auch die Dimension der ‚Bewertungen‘ (Emotionen, Präferenzen); innerhalb des Denkens gibt es potentiell viele ‚Betrachtungsebenen‘, die aufeinander Bezug nehmen können (natürlich können sie auch ‚parallel‘ stattfinden ohne direkten Kontakt zueinander (die unverbundene Parallelität ist aber der weniger interessante Fall).

So faszinierend die dynamische emotional-kognitive Struktur im Innern eines einzelnen Akteurs sein kann, die ‚wahr Kraft‘ des expliziten Denkens zeigt sich erst dort, wo verschiedene Menschen beginnen, sich mittels Kommunikation in ihrem Handeln zu koordinieren. Wenn auf diese Weise das individuelle Handeln sich in ein kollektives Handeln transformiert, wird eine Dimension von ‚Gesellschaft‘ sichtbar, welche die ‚einzelnen Akteure‘ in gewisser Weise ‚vergessen‘ lässt, weil die ‚Gesamtleistung‘ der ‚kollektiv miteinander verbundenen einzelnen‘ um Dimensionen komplexer und nachhaltiger sein kann als dies jemals ein einzelner realisieren könnte. Während ein einzelner Mensch maximal in seiner individuellen Lebenszeit einen Beitrag leisten kann, können kollektiv verbundene Menschen Leistungen vollbringen, die viele Generationen umfassen.

Andererseits wissen wir aus der Geschichte, dass kollektive Leistungen nicht automatisch ’nur Gutes‘ bewirken müssen; die bekannte Geschichte von Unterdrückung, blutigen Kriegen und Zerstörung ist umfangreich und findet sich in allen zeitlichen Abschnitten der menschlichen Geschichte.

Dies verweist darauf, dass die Frage von ‚Wahrheit‘ und ‚Gut sein‘ nicht nur eine Frage für den jeweils individuellen Prozess ist, sondern sehr wohl auch eine Frage für den kollektiven Prozess, und hier, im kollektiven Fall, ist diese Frage eher noch wichtiger, da ja im Fehlerfall nicht nur einzelne unter negativen Wirkungen leiden müssen, sondern eher sehr viele; schlimmstenfalls alle.

Anmerkungen

[*1] In einer systemtheoretischen Betrachtung des Systems ‚menschlicher Körper‘ kann man die Arbeitshypothese formulieren, dass weit mehr als 99% der Ereignisse in einem menschlichen Körper Nicht bewusst sind. Dies kann man erschreckend finden oder beruhigend. Ich tendiere zum Letzteren, zur ‚Beruhigung‘. Denn wenn man sieht, was ein menschlicher Körper als ‚System‘ aus sich heraus zu tun in der Lage ist, in jeder Sekunde, viele Jahre, sogar Jahrzehnte lang, dann erscheint dies äußerst beruhigend angesichts der vielen, auch groben Fehler, die wir mit unserem kleinen ‚Bewusstsein‘ vollbringen können. In Kooperation mit anderen Menschen können wir unsre bewussten menschlichen Leistungen zwar dramatisch verbessern, aber immer nur unter Voraussetzung der Systemleistung eines menschlichen Körpers. In ihm stecken immerhin 3.5 Milliarden Jahre Entwicklungsarbeit des BIOMs auf diesem Planeten; die Bausteine dieses BIOMs, die Zellen, funktionieren wie ein gigantischer Parallelcomputer, verglichen mit dem die heutigen technischen Supercomputer (einschließlich der viel gepriesenen ‚Quantencomputer‘) so klein und schwach aussehen, dass man diese Relation praktisch nicht ausdrücken kann.

[*2] Eine ‚Alltagssprache‘ setzt immer ‚die Vielen‘ voraus, die miteinander kommunizieren wollen. Einer alleine kann keine Sprache haben, die andere verstehen können sollen.

[*3] Eine Bedeutungsbeziehung tut real das, was mathematisch ‚Abbildung‘ genannt wird: Elemente der einen Sorte (Elemente der Oberflächenstruktur der Sprache) werden Elementen einer anderen Sorte (die potentiellen Bedeutungselemente) zugeordnet. Während eine mathematische Abbildung normalerweise fest definiert ist, kann sich die ‚reale Bedeutungsbeziehung‘ beständig ändern; sie ist ‚flexibel‘, Teil eines übergeordneten ‚Lernprozesses‘, der in Abhängigkeit von der Wahrnehmung und inneren Zuständen die Bedeutungsbeziehung beständig ’neu anpasst‘.

[*4] Die Inhalte von Arbeitshypothese 2 stammen aus den Erkenntnissen der modernen Kognitionswissenschaften (Neurowissenschaften, Psychologie, Biologie, Linguistik, Semiotik, …) und der Philosophie; sie verweisen auf viele tausend Artikel und Bücher. Die Arbeitshypothese 2 stellt daher eine hochverdichtete Zusammenfassung von all diesem dar. Ein direktes Zitieren ist dazu rein praktisch nicht möglich.

[*5] Wie aus Forschungen zu Zeugenaussagen und aus der allgemeinen Wahrnehmungsforschung bekannt ist, gibt es neben allerlei direkten Wahrnehmungsfehlern sehr viele Fehler in der ‚Interpretation der Wahrnehmung‘, die weitgehend unbewusst/ automatisiert ablaufen. Gegen solche Fehler sind die Akteure normalerweise machtlos; sie merken es einfach nicht. Nur methodisch bewusste Kontrollen der Wahrnehmung können partiell auf diese Fehler aufmerksam machen.

[*6] Menschliches Wissen ist ’notorisch Fehlerbehaftet‘. Dafür gibt es viele Gründe. Einer liegt in der Arbeitsweise des Gehirns selbst. Ein ‚korrektes‘ Wissen ist nur möglich, wenn die aktuellen Wissensprozesse immer wieder ‚abgeglichen‘, ‚kontrolliert‘ werden, um sie korrigieren zu können. Wer dies nicht tut, hat notgedrungen ein unvollständiges und vielfach falsches Wissen. Wie bekannt hindert dies Menschen nicht daran, zu glauben, alles ist ‚wahr‘, was sie im Kopf mit sich herum tragen. Wenn es ein großes Problem in dieser Welt gibt, dann gehört dieses dazu: die Unwissenheit über die eigene Unwissenheit.

[*7] In der bisherigen Kulturgeschichte der Menschheit gab es erst sehr spät (seit ca. 500 Jahren?) die Entdeckung eines Erkenntnisformats, das es beliebig vielen Menschen ermöglicht, sich ein Tatsachenbasiertes Wissen aufzubauen, das, verglichen mit allen anderen bekannten Wissensformaten, die ‚besten Ergebnisse‘ ermöglicht (was Fehler natürlich nicht vollständig ausschließt, aber extrem minimiert). Dieses bis heute revolutionäre Wissensformat hat den Namen ‚empirische Theorie‘, von mir mittlerweile erweitert zu ’nachhaltiger empirischer Theorie‘. Wir Menschen sind einerseits die Hauptquelle für ‚wahres Wissen‘, zugleich sind wir selbst aber auch die Hauptquelle für ‚falsches Wissen‘. Dies erscheint auf den ersten Blick wie ein ‚Paradox‘, hat aber eine ‚einfache‘ Erklärung, die in ihrer Wurzel aber ’sehr tief blicken lässt‘ (vergleichbar mit der kosmischen Hintergrundstrahlung, die gegenwärtig einfach ist, aber aus den Anfängen des Universums stammt).(Anmerkung: eine kurze Beschreibung der Begriffe ‚empirische Theorie‘ und ’nachhaltige empirische Theorie‘ finde sich ab Abschnitt 6 in folgendem Blog-Eintrag: https://www.cognitiveagent.org/2023/11/06/kollektive-mensch-maschine-intelligenz-im-kontext-nachhaltiger-entwicklung-brauchen-wir-ein-neues-menschenbild-vorlesung-fuer-ag-enigma-im-rahmen-von-u3l-der-goethe-universitaet/ )

[*8] Von seiner Architektur her kann unser Gehirn beliebig viele solcher Meta-Ebenen eröffnen, aber aufgrund seiner konkreten Endlichkeit bietet es für verschiedene Aufgaben nur eine begrenzte Zahl von Neuronen an. So ist bekannt (und mehrfach experimentell nachgewiesen), dass z.B. unser ‚Arbeitsgedächtnis‘ (auch ‚Kurzzeitgedächtnis genannt oder ‚Short Term Memory‘) nur auf ca. 6-9 ‚Einheiten‘ limitiert ist (wobei der Begriff ‚Einheit‘ kontextabhängig zu definieren ist). Wollen wir also umfangreiche Aufgaben durch unser Denken lösen, brauchen wir ‚externe Hilfsmittel‘ (Blatt Papier und Schreibstift oder einen Computer, …), um die vielen Aspekten festzuhalten und entsprechend zu notieren. Obwohl die bekannten Computer heutzutage nicht einmal ansatzweise in der Lage sind, die komplexen Denkprozesse von Menschen zu ersetzen, können sie begrenzt für die Durchführung komplexer Denkprozesse ein fast unersätzliches Hilfsmittel sein. Allerdings nur dann, wenn WIR tatsächlich WISSEN, was wir da tun!

[*9] Das Wort ‚Emotionen‘ ist ein ‚Sammelbegriff‘ für sehr viele verschiedene Phänomene und Sachverhalte. Trotz umfangreicher Forschungen seit über hundert Jahren können die verschiedenen Disziplinen der Psychologie noch kein einheitliches Bild, geschweige denn eine einheitliche’Theorie‘ zum Thema anbieten. Dies verwundert auch nicht, da vieles davon weitgehend ‚unbewusst‘ abläuft bzw. ausschließlich als ‚internes Ereignis‘ im Individuum direkt verfügbar ist. Klar scheint nur zu sein, dass wir als Menschen niemals ‚emotionsfrei‘ sind (dies gilt auch für sogenannte ‚coole‘ Typen, denn das scheinbare ‚verdrängen‘ oder ‚unterdrücken‘ von Emotionen ist selbst wieder Teil unserer angeborenen Emotionalität.

[*10] Natürlich können Emotionen uns auch gewaltig in die Irre oder gar in den Untergang führen (sich in anderen Menschen irren, sich in sich selbst irren, …). Es ist also nicht nur wichtig, die sachlichen Dinge in der Welt durch ‚Lernen‘ in nützlicher Weise zu ’sortieren‘, sondern man muss auch tatsächlich die ‚eigenen Emotionen im Blick haben‘ und überprüfen, wann und wie diese auftreten und ob sie uns tatsächlich helfen. Primäre Emotionen (wie z.B. Hunger, Sexualtrieb, Wut, Sucht, ‚Verknallt sein‘, …) sind punktuell, Situationsbezogen , können eine große ‚psychische Kraft‘ entwickeln, und verstellen damit den Blick auf die möglichen oder sehr wahrscheinlichen ‚Folgen‘, die für uns erheblich schädigend sein können.

[*11] Der Begriff ‚Narrativ‘ wird heutzutage immer mehr benutzt, um zu beschreiben, dass eine Gruppe von Menschen in ihrem Denken für ihre Wahrnehmung der Welt ein bestimmtes ‚Bild‘, eine bestimmte ‚Erzählung‘ benutzt, um ihr gemeinsames Handeln koordinieren zu können. Letztlich gilt dies für jedes gemeinsame Handeln, selbst für Ingenieure, die eine technische Lösung erarbeiten wollen. Insofern ist die Darstellung in der deutschen Wikipedia ein bisschen ‚eng‘: https://de.wikipedia.org/wiki/Narrativ_(Sozialwissenschaften)

QUELLEN

Die folgenden Quellen bilden nur eine winzige Auswahl aus vielen hunderten, eher tausenden von Artikeln, Büchern, Tondokumenten und Filmen, die zum Thema gehören. Vielleicht können sie dennoch für einen ersten Einstieg hilfreich sein. Die Liste wird gelegentlich erweitert.

[1a] Propaganda, siehe z.B. hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Propaganda oder [1b] die Englische Version : https://en.wikipedia.org/wiki/Propaganda /* Die Englische Version wirkt systematischer, überdeckt grössere Zeiträume und mehr unterschiedliche Anwendungsgebiete */

[2] Florian Schaurer, Hans-Joachim Ruff-Stahl, (21.10.2016), Hybride Bedrohungen Sicherheitspolitik in der Grauzone, Bundeszentrale für politische Bildung, Adenauerallee 86, 53113 Bonn, https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/235530/hybride-bedrohungen/

[3] Propaganda der Russischen Föderation, hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Propaganda_der_Russischen_F%C3%B6deration

[4] Russische Einflussnahme auf den Wahlkampf in den Vereinigten Staaten 2016, hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Russische_Einflussnahme_auf_den_Wahlkampf_in_den_Vereinigten_Staaten_2016 /* Sehr ausführlich */

[5] Meduza, hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Meduza

[6] Mischa Gabowitsch, Mai 2022, Von »Faschisten« und »Nazis«, https://www.blaetter.de/ausgabe/2022/mai/von-faschisten-und-nazis#_ftn4

[7] L. Wienand, S. Steurenthaler und S. Loelke, 30.8.22, Infokrieg Putins Troll-Armee greift Deutschland an

[8] Pomerantsev, Peter, (2019), This Is Not Propaganda: Adventures in the War Against Reality, Faber & Faber. Kindle-Version.

[9] Propaganda in China, hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Propaganda_in_der_Volksrepublik_China /* Nur fragmentarisch; müsste deutlich ergänzt werden */

[10]  Lena Bäunker, 25.12.2023, Reden ist Gold. Über die Kehrseiten von Flugreisen, Kreuzfahrten oder Fleischkonsum zu sprechen, ist nicht einfach. Wissenschaftler:innen haben untersucht, wie sich effektivere Klimagespräche führen lassen. https://www.klimareporter.de/gesellschaft/reden-ist-gold

DER AUTOR

Einen Überblick über alle Beiträge von Autor cagent nach Titeln findet sich HIER.

Homo Sapiens: empirische und nachhaltig-empirische Theorien, Emotionen, und Maschinen. Eine Skizze

5.Aug 2023 – 29.Aug 2023 (10:37h)

Autor: Gerd Doeben-Henisch

Email: gerd@doeben-henisch.de

(Eine Englische Version findet sich hier: https://www.uffmm.org/2023/08/24/homo-sapiens-empirical-and-sustained-empirical-theories-emotions-and-machines-a-sketch/)

Kontext

Dieser Text stellt die Skizze zu einem Vortrag dar, der im Rahmen der Konferenz „KI – Text und Geltung. Wie verändern KI-Textgeneratoren wissenschaftliche Diskurse?“ (25./26.August 2023, TU Darmstadt) gehalten werden soll. [1] Die Englische Version des überarbeiteten Vortrags findet sich schon jetzt HIER: https://www.uffmm.org/2023/10/02/collective-human-machine-intelligence-and-text-generation-a-transdisciplinary-analysis/ . Die Deutsche Version des überarbeiteten Vortrags wird im Verlag Walter de Gruyter bis Ende 2023/ Anfang 2024 erscheinen. Diese Veröffentlichung wird hier dann bekannt gegeben werden.

Sehr geehrtes Auditorium,

In dieser Tagung mit dem Titel „KI – Text und Geltung. Wie verändern KI-Textgeneratoren wissenschaftliche Diskurse?“ geht es zentral um wissenschaftliche Diskurse und den möglichen Einfluss von KI-Textgeneratoren auf diese Diskurse. Der heiße Kern bleibt aber letztlich das Phänomen Text selbst, seine Geltung.

SICHTWEISEN-TRANS-DISZIPLINÄR

In dieser Konferenz werden zu diesem Thema viele verschiedene Sichten vorgetragen, die zu diesem Thema möglich sind.

Mein Beitrag zum Thema versucht die Rolle der sogenannten KI-Textgeneratoren dadurch zu bestimmen, dass aus einer ‚transdisziplinären Sicht‘ heraus die Eigenschaften von ‚KI-Textgeneratoren‘ in eine ’strukturelle Sicht‘ eingebettet werden, mit deren Hilfe die Besonderheiten von wissenschaftlichen Diskursen herausgestellt werden kann. Daraus können sich dann ‚Kriterien für eine erweiterte Einschätzung‘ von KI-Textgeneratoren in ihrer Rolle für wissenschaftliche Diskurse ergeben.

Einen zusätzlichen Aspekt bildet die Frage nach der Struktur der ‚kollektiven Intelligenz‘ am Beispiel des Menschen, und wie sich diese mit einer ‚Künstlichen Intelligenz‘ im Kontext wissenschaftlicher Diskurse möglicherweise vereinen kann.

‚Transdisziplinär‘ bedeutet in diesem Zusammenhang eine ‚Meta-Ebene‘ aufzuspannen, von der aus es möglich sein soll, die heutige ‚Vielfalt von Textproduktionen‘ auf eine Weise zu beschreiben, die ausdrucksstark genug ist, um eine ‚KI-basierte‘ Texterzeugung von einer ‚menschlichen‘ Texterzeugung unterscheiden zu können.

MENSCHLICHE TEXTERZEUGUNG

Die Formulierung ‚wissenschaftlicher Diskurs‘ ist ein Spezialfall des allgemeineren Konzepts ‚menschliche Texterzeugung‘.

Dieser Perspektivenwechsel ist meta-theoretisch notwendig, da es auf den ersten Blick nicht der ‚Text als solcher ‚ ist, der über ‚Geltung und Nicht-Geltung‘ entscheidet, sondern die ‚Akteure‘, die ‚Texte erzeugen und verstehen‘. Und beim Auftreten von ‚verschiedenen Arten von Akteuren‘ — hier ‚Menschen‘, dort ‚Maschinen‘ — wird man nicht umhin kommen, genau jene Unterschiede — falls vorhanden — zu thematisieren, die eine gewichtige Rolle spielen bei der ‚Geltung von Texten‘.

TEXTFÄHIGE MASCHINEN

Bei der Unterscheidung in zwei verschiedenen Arten von Akteuren — hier ‚Menschen‘, dort ‚Maschinen‘ — sticht sofort eine erste ‚grundlegende Asymmetrie‘ ins Auge: sogenannte ‚KI-Textgeneratoren‘ sind Gebilde, die von Menschen ‚erfunden‘ und ‚gebaut‘ wurden, es sind ferner Menschen, die sie ‚benutzen‘, und das wesentliche Material, das von sogenannten KI-Generatoren benutzt wird, sind wiederum ‚Texte‘, die als ‚menschliches Kulturgut‘ gelten.

Im Falle von sogenannten ‚KI-Textgeneratoren‘ soll hier zunächst nur so viel festgehalten werden, dass wir es mit ‚Maschinen‘ zu tun haben, die über ‚Input‘ und ‚Output‘ verfügen, dazu über eine minimale ‚Lernfähigkeit‘, und deren Input und Output ‚textähnliche Objekte‘ verarbeiten kann.

BIOLOGISCH-NICHT-BIOLOGISCH

Auf der Meta-Ebene wird also angenommen, dass wir einerseits über solche Akteure verfügen, die minimal ‚textfähige Maschinen‘ sind — durch und durch menschliche Produkte –, und auf der anderen Seite über Akteure, die wir ‚Menschen‘ nennen. Menschen gehören als ‚Homo-Sapiens Population‘ zur Menge der ‚biologischen Systeme‘, während ‚textfähige Maschinen‘ zu den ’nicht-biologischen Systemen‘ gehören.

LEERSTELLE INTELLIGENZ-BEGRIFF

Die hier vorgenommene Transformation des Begriffs ‚KI-Textgenerator‘ in den Begriff ‚textfähige Maschine‘ soll zusätzlich verdeutlichen, dass die verbreitete Verwendung des Begriffs ‚KI‘ für ‚Künstliche Intelligenz‘ eher irreführend ist. Es gibt bislang in keiner wissenschaftlichen Disziplin einen allgemeinen, über die Einzeldisziplin hinaus anwendbaren und akzeptierten Begriff von ‚Intelligenz‘. Für die heute geradezu inflatorische Verwendung des Begriffs KI gibt es keine wirkliche Begründung außer jener, dass der Begriff so seiner Bedeutung entleert wurde, dass man ihn jederzeit und überall benutzen kann, ohne etwas Falsches zu sagen. Etwas, was keine Bedeutung besitzt, kann weder wahr‘ noch ‚falsch‘ sein.

VORAUSSETZUNGEN FÜR TEXT-GENERIERUNG

Wenn nun die Homo-Sapiens Population als originärer Akteur für ‚Text-Generierung‘ und ‚Text-Verstehen‘ identifiziert wird, soll nun zunächst untersucht werden, welches denn ‚jene besonderen Eigenschaften‘ sind, die eine Homo-Sapiens Population dazu befähigt, Texte zu generieren und zu verstehen und sie ‚im alltäglichen Lebensprozess erfolgreich anzuwenden‘.

GELTUNG

Ein Anknüpfungspunkt für die Untersuchung der besonderen Eigenschaften einer Homo-Sapiens Text-Generierung und eines Text-Verstehens ist der Begriff ‚Geltung‘, der im Tagungsthema vorkommt.

Auf dem primären Schauplatz des biologischen Lebens, in den alltäglichen Prozessen, im Alltag, hat die ‚Geltung‘ eines Textes mit ‚Zutreffen‘ zu tun. Wenn ein Text nicht von vornherein mit einem ‚fiktiven Charakter‘ geplant wird, sondern mit einem ‚Bezug zum Alltagsgeschehen‘, das jeder im Rahmen seiner ‚Weltwahrnehmung‘ ‚überprüfen‘ kann, dann hat ‚Geltung im Alltag‘ damit zu tun, dass das ‚Zutreffen eines Textes überprüft‘ werden kann. Trifft die ‚Aussage eines Textes‘ im Alltag ‚zu‘, dann sagt man auch, dass diese Aussage ‚gilt‘, man räumt ihr ‚Geltung‘ ein, man bezeichnet sie auch als ‚wahr‘. Vor diesem Hintergrund könnte man geneigt sein fortzusetzen und zu sagen: ‚Trifft‘ die Aussage eines Textes ’nicht zu‘, dann kommt ihr ‚keine Geltung‘ zu; vereinfacht zur Formulierung, dass die Aussage ’nicht wahr‘ sei bzw. schlicht ‚falsch‘.

Im ‚realen Alltag‘ ist die Welt allerdings selten ’schwarz‘ und ‚weiß‘: nicht selten kommt es vor, dass wir mit Texten konfrontiert werden, denen wir aufgrund ihrer ‚gelernten Bedeutung‘ geneigt sind ‚eine mögliche Geltung‘ zu zuschreiben, obwohl es möglicherweise gar nicht klar ist, ob es eine Situation im Alltag gibt — bzw. geben wird –, in der die Aussage des Textes tatsächlich zutrifft. In solch einem Fall wäre die Geltung dann ‚unbestimmt‘; die Aussage wäre ‚weder wahr noch falsch‘.

ASYMMETRIE: ZUTREFFEN – NICHT-ZUTREFFEN

Man kann hier eine gewisse Asymmetrie erkennen: Das ‚Zutreffen‘ einer Aussage, ihre tatsächliche Geltung, ist vergleichsweise eindeutig. Das ‚Nicht-Zutreffen‘, also eine ‚bloß mögliche‘ Geltung, ist hingegen schwierig zu entscheiden.

Wir berühren mit diesem Phänomen der ‚aktuellen Nicht-Entscheidbarkeit‘ einer Aussage sowohl das Problem der ‚Bedeutung‘ einer Aussage — wie weit ist überhaupt klar, was gemeint ist? — als auch das Problem der ‚Unabgeschlossenheit unsres Alltags‘, besser bekannt als ‚Zukunft‘: ob eine ‚aktuelle Gegenwart‘ sich als solche fortsetzt, ob genau so, oder ob ganz anders, das hängt davon ab, wie wir ‚Zukunft‘ generell verstehen und einschätzen; was die einen als ’selbstverständlich‘ für eine mögliche Zukunft annehmen, kann für die anderen schlicht ‚Unsinn‘ sein.

BEDEUTUNG

Dieses Spannungsfeld von ‚aktuell entscheidbar‘ und ‚aktuell noch nicht entscheidbar‘ verdeutlicht zusätzlich einen ‚autonomen‘ Aspekt des Phänomens Bedeutung: hat sich ein bestimmtes Wissen im Gehirn gebildet und wurde dieses als ‚Bedeutung‘ für ein ‚Sprachsystem‘ nutzbar gemacht, dann gewinnt diese ‚assoziierte‘ Bedeutung für den Geltungsbereich des Wissens eine eigene ‚Realität‘: es ist nicht die ‚Realität jenseits des Gehirns‘, sondern die ‚Realität des eigenen Denkens‘, wobei diese Realität des Denkens ‚von außen betrachtet‘ etwas ‚Virtuelles‘ hat.

Will man über diese ‚besondere Realität der Bedeutung‘ im Kontext des ‚ganzen Systems‘ sprechen, dann muss man zu weitreichenden Annahmen greifen, um auf der Meta-Ebene einen ‚begrifflichen Rahmen‘ installieren zu können, der in der Lage ist, die Struktur und die Funktion von Bedeutung hinreichend beschreiben zu können. Dafür werden minimal die folgenden Komponenten angenommen (‚Wissen‘, ‚Sprache‘ sowie ‚Bedeutungsbeziehung‘):

  1. WISSEN: Es gibt die Gesamtheit des ‚Wissens‘, das sich im Homo-Sapiens Akteur im Laufe der Zeit im Gehirn ‚aufbaut‘: sowohl aufgrund von kontinuierlichen Interaktionen des ‚Gehirns‘ mit der ‚Umgebung des Körpers‘, als auch aufgrund von Interaktionen ‚mit dem Körper selbst‘, sowie auch aufgrund der Interaktionen ‚des Gehirns mit sich selbst‘.
  2. SPRACHE: Vom Wissen zu unterscheiden ist das dynamische System der ‚potentiellen Ausdrucksmittel‘, hier vereinfachend ‚Sprache‘ genannt, die sich im Laufe der Zeit in Interaktion mit dem ‚Wissen‘ entfalten können.
  3. BEDEUTUNGSBEZIEHUNG: Schließlich gibt es die dynamische ‚Bedeutungsbeziehung‘, ein Interaktionsmechanismus, der beliebige Wissenselemente jederzeit mit beliebigen sprachlichen Ausdrucksmitteln verknüpfen kann.

Jede dieser genannten Komponenten ‚Wissen‘, ‚Sprache‘ wie auch ‚Bedeutungsbeziehung‘ ist extrem komplex; nicht weniger komplex ist auch ihr Zusammenspiel.

ZUKUNFT UND EMOTIONEN

Neben dem Phänomen Bedeutung wurde beim Phänomen des Zutreffens auch sichtbar, dass die Entscheidung des Zutreffens auch von einer ‚verfügbaren Alltagssituation‘ abhängt, in der sich eine aktuelle Entsprechung ‚konkret aufzeigen‘ lässt oder eben nicht.

Verfügen wir zusätzlich zu einer ‚denkbaren Bedeutung‘ im Kopf aktuell über keine Alltagssituation, die dieser Bedeutung im Kopf hinreichend korrespondiert, dann gibt es immer zwei Möglichkeiten: Wir können diesem gedachten Konstrukt trotz fehlendem Realitätsbezug den ‚Status einer möglichen Zukunft‘ verleihen oder nicht.

Würden wir uns dafür entscheiden, einer ‚Bedeutung im Kopf‘ den Status einer möglichen Zukunft zu zusprechen, dann stehen meistens folgende zwei Anforderungen im Raum: (i) Lässt sich im Lichte des verfügbaren Wissens hinreichend plausibel machen, dass sich die ‚gedachte mögliche Situation‘ in ‚absehbarer Zeit‘ ausgehend von der aktuellen realen Situation ‚in eine neue reale Situation transformieren lässt‘? Und (ii) Gibt es ’nachhaltige Gründe‚ warum man diese mögliche Zukunft ‚wollen und bejahen‘ sollte?

Die erste Forderung verlangt nach einer leistungsfähigen ‚Wissenschaft‘, die aufhellt, ob es überhaupt gehen kann. Die zweite Forderung geht darüber hinaus und bringt unter dem Gewand der ‚Nachhaltigkeit‘ den scheinbar ‚irrationalen‘ Aspekt der ‚Emotionalität‘ ins Spiel: es geht nicht nur einfach um ‚Wissen als solches‘, es geht auch nicht nur um ein ’sogenanntes nachhaltiges Wissen‘, das dazu beitragen soll, das Überleben des Lebens auf dem Planet Erde — und auch darüber hinaus — zu unterstützen, es geht vielmehr auch um ein ‚gut finden, etwas bejahen, und es dann auch entscheiden wollen‘. Diese letzten Aspekte werden bislang eher jenseits von ‚Rationalität‘ angesiedelt; sie werden dem diffusen Bereich der ‚Emotionen‘ zugeordnet; was seltsam ist, da ja jedwede Form von ‚üblicher Rationalität‘ genau in diesen ‚Emotionen‘ gründet.[2]

WISSENSCHAFTLICHER DISKURS UND ALLTAGSSITUATIONEN

In diesem soeben angedeuteten Kontext von ‚Rationalität‘ und ‚Emotionalität‘ ist es nicht uninteressant, dass im Tagungsthema der ‚wissenschaftliche Diskurs‘ als Referenzpunkt thematisiert wird, um den Stellenwert textfähiger Maschinen abzuklären.

Es fragt sich, inwieweit ein ‚wissenschaftlicher Diskurs‘ überhaupt als Referenzpunkt für einen erfolgreichen Text dienen kann?

Dazu kann es helfen, sich bewusst zu machen, dass das Leben auf diesem Planet Erde sich in jedem Moment in einer unfassbar großen Menge von ‚Alltagssituationen‘ abspielt, die alle gleichzeitig stattfinden. Jede ‚Alltagssituation‘ repräsentiert für die Akteure eine ‚Gegenwart‘. Und in den Köpfen der Akteure findet sich ein individuell unterschiedliches Wissen darüber, wie sich eine Gegenwart in einer möglichen Zukunft ‚verändern kann‘ bzw. verändern wird.

Dieses ‚Wissen in den Köpfen‘ der beteiligten Akteure kann man generell ‚in Texte transformieren‘, die auf unterschiedliche Weise einige der Aspekte des Alltags ’sprachlich repräsentieren‘.

Der entscheidende Punkt ist, dass es nicht ausreicht, dass jeder ‚für sich‘ alleine, ganz ‚individuell‘, einen Text erzeugt, sondern dass jeder zusammen ‚mit allen anderen‘, die auch von der Alltagssituation betroffen sind, einen ‚gemeinsamen Text‘ erzeugen muss. Eine ‚kollektive‘ Leistung ist gefragt.

Und es geht auch nicht um ‚irgendeinen‘ Text, sondern um einen solchen, der so beschaffen ist, dass er die ‚Generierung möglicher Fortsetzungen in der Zukunft‘ erlaubt, also das, was traditionell von einem ‚wissenschaftlichen Text‘ erwartet wird.

Aus der umfangreichen Diskussion — seit den Zeiten eines Aristoteles — was denn ‚wissenschaftlich‘ bedeuten soll, was eine ‚Theorie‘ ist, was eine ‚empirische Theorie‘ sein soll, skizziere ich das, was ich hier das ‚minimale Konzept einer empirischen Theorie‘ nenne.

  1. Ausgangspunkt ist eine ‚Gruppe von Menschen‘ (die ‚Autoren‘), die einen ‚gemeinsamen Text‘ erstellen wollen.
  2. Dieser Text soll die Eigenschaft besitzen, dass er ‚begründbare Voraussagen‘ für mögliche ‚zukünftige Situationen‘ erlaubt, denen sich dann in der Zukunft ‚irgendwann‘ auch eine ‚Geltung zuordnen lässt‘.
  3. Die Autoren sind in der Lage, sich auf eine ‚Ausgangssituation‘ zu einigen, die sie mittels einer ‚gemeinsamen Sprache‘ in einen ‚Ausgangstext‘ [A] transformieren.
  4. Es gilt als abgemacht, dass dieser Ausgangstext nur ’solche sprachliche Ausdrücke‘ enthalten darf, die sich ‚in der Ausgangssituation‘ als ‚wahr‘ ausweisen lassen.
  5. In einem weiteren Text stellen die Autoren eine Reihe von ‚Veränderungsregeln‘ [V] zusammen, die ‚Formen von Veränderungen‘ an einer gegebenen Situation ins Wort bringen.
  6. Auch in diesem Fall gilt es als abgemacht, dass nur ’solche Veränderungsregeln‘ aufgeschrieben werden dürfen, von denen alle Autoren wissen, dass sie sich in ‚vorausgehenden Alltagssituationen‘ als ‚wahr‘ erwiesen haben.
  7. Der Text mit den Veränderungsregeln V liegt auf einer ‚Meta-Ebene‘ verglichen mit dem Text A über die Ausgangssituation, der relativ zum Text V auf einer ‚Objekt-Ebene‘ liegt.
  8. Das ‚Zusammenspiel‘ zwischen dem Text V mit den Veränderungsregeln und dem Text A mit der Ausgangssituation wird in einem eigenen ‚Anwendungstext‘ [F] beschrieben: Hier wird beschrieben, wann und wie man eine Veränderungsregel (in V) auf einen Ausgangstext A anwenden darf und wie sich dabei der ‚Ausgangstext A‘ zu einem ‚Folgetext A*‘ verändert.
  9. Der Anwendungstext F liegt damit auf einer nächst höheren Meta-Ebene zu den beiden Texten A und V und kann bewirken, dass der Anwendungstext den Ausgangstext A verändert wird.
  1. In dem Moment, wo ein neuer Folgetext A* vorliegt, wird der Folgetext A* zum neuen Anfangstext A.
  2. Falls der neue Ausgangstext A so beschaffen ist, dass sich wieder eine Veränderungsregel aus V anwenden lässt, dann wiederholt sich die Erzeugung eines neuen Folgetextes A*.
  3. Diese ‚Wiederholbarkeit‘ der Anwendung kann zur Generierung von vielen Folgetexten <A*1, …, A*n> führen.
  4. Eine Serie von vielen Folgetexten <A*1, …, A*n> nennt man üblicherweise auch eine ‚Simulation‘.
  5. Abhängig von der Beschaffenheit des Ausgangstextes A und der Art der Veränderungsregeln in V kann es sein, dass mögliche Simulationen ‚ganz unterschiedlich verlaufen können‘. Die Menge der möglichen wissenschaftlichen Simulationen repräsentiert ‚Zukunft‘ damit also nicht als einen einzigen, bestimmten Verlauf, sondern als eine ‚beliebig große Menge möglicher Verläufe‘.
  6. Die Faktoren, von denen unterschiedliche Verläufe abhängen, sind vielfältig. Ein Faktor sind die Autoren selbst. Jeder Autor ist ja mit seiner Körperlichkeit vollständig selbst Teil genau jener empirischen Welt, die in einer wissenschaftlichen Theorie beschrieben werden soll. Und wie bekannt, kann jeder menschliche Akteur seine Meinung jederzeit ändern. Er kann buchstäblich im nächsten Moment genau das Gegenteil von dem tun, was er zuvor gedacht hat. Und damit ist die Welt schon nicht mehr die gleiche, wie zuvor in der wissenschaftlichen Beschreibung angenommen.

Schon dieses einfache Beispiel zeigt, dass die Emotionalität des ‚Gut-Findens, des Wollens, und des Entscheidens‘ der Rationalität wissenschaftlicher Theorien voraus liegt. Dies setzt sich in der sogenannten ‚Nachhaltigkeitsdiskussion‘ fort.

NACHHALTIGE EMPIRISCHE THEORIE

Mit dem soeben eingeführten ‚minimalen Konzepts einer empirischen Theorie (ET)‘ lässt sich direkt auch ein ‚minimales Konzept einer nachhaltigen empirischen Theorie (NET)‘ einführen.

Während eine empirische Theorie einen beliebig großen Raum an begründeten Simulationen aufspannen kann, die den Raum von vielen möglichen Zukünften sichtbar machen, verbleibt den Akteuren des Alltags die Frage, was sie denn von all dem als ‚ihre Zukunft‘ haben wollen? In der Gegenwart erleben wir die Situation, dass die Menschheit den Eindruck erweckt, als ob sie damit einverstanden ist, das Leben jenseits der menschlichen Population mehr und mehr nachhaltig zu zerstören mit dem erwartbaren Effekt der ‚Selbst-Zerstörung‘.

Dieser in Umrissen vorhersehbare Selbst-Zerstörungseffekt ist aber im Raum der möglichen Zukünfte nur eine Variante. Die empirische Wissenschaft kann sie umrisshaft andeuten. Diese Variante vor anderen auszuzeichnen, sie als ‚gut‘ zu akzeptieren, sie ‚zu wollen‘, sich für diese Variante zu ‚entscheiden‘, liegt in jenem bislang kaum erforschten Bereich der Emotionalität als Wurzel aller Rationalität.

Wenn sich Akteure des Alltags für eine bestimmte rational aufgehellte Variante von möglicher Zukunft entschieden haben, dann können sie jederzeit mit einem geeigneten ‚Evaluationsverfahren (EVAL)‘ auswerten, wie viel ‚Prozent (%) der Eigenschaften des Zielzustandes Z‘ bislang erreicht worden sind, vorausgesetzt, der favorisierte Zielzustand wird in einen passenden Text Z transformiert.

Anders formuliert: in dem Moment, wo wir Alltagsszenarien über geeignete Texte in einen rational greifbaren Zustand transformiert haben, nehmen die Dinge eine gewisse Klarheit an und werden dadurch — in gewisser Weise — einfach. Dass wir solche Transformationen vornehmen und auf welche Aspekte eines realen oder möglichen Zustands wir uns dann fokussieren, das ist aber als emotionale Dimension der textbasierten Rationalität vor-gelagert.[2]

MENSCH-MASCHINE

Nach diesen vorbereitenden Überlegungen stellt sich die abschließende Frage, ob und wie die Hauptfrage dieser Tagung „Wie verändern KI-Textgeneratoren wissenschaftliche Diskurse?“ in irgendeiner Weise beantwortet werden kann?

Meine bisherigen Ausführungen haben versucht aufzuzeigen, was es bedeutet, dass Menschen kollektiv Texte erzeugen, die die Kriterien für einen wissenschaftlichen Diskurs erfüllen, der zudem die Anforderungen für empirische oder gar nachhaltig-empirische Theorien erfüllt.

Dabei zeigt sich, dass sowohl bei der Generierung eines kollektiven wissenschaftlichen Textes wie auch bei seiner Anwendung im Alltag ein enger Wechselbezug sowohl mit der gemeinsamen erfahrbaren Welt wie auch mit den dynamischen Wissens- und Bedeutungskomponenten in jedem Akteur eine Rolle spielen.

Der Aspekt der ‚Geltung‘ ist Teil eines dynamischen Weltbezugs, dessen Einschätzung als ‚wahr‘ beständig im Fluss ist; während der eine Akteur vielleicht dazu tendiert zu sagen „Ja, kann stimmen“, tendiert ein anderer Akteur vielleicht gerade zum Gegenteil. Während die einen eher dazu tendieren, eine mögliche Zukunftsvariante X zu favorisieren, wollen die anderen lieber die Zukunftsvariante Y. Rationale Argumente fehlen; die Gefühle sprechen. Während eine Gruppe gerade beschlossen hat, dem Plan Z zu ‚glauben‘ und ihn ‚umzusetzen‘, wenden sich die anderen ab, verwerfen Plan Z, und tun etwas ganz anderes.

Dieser unstete, unsichere Charakter des Zukunft-Deutens und Zukunft-Handelns begleitet die Homo Sapiens Population von Anbeginn. Der unverstandene emotionale Komplex begleitet den Alltag beständig wie ein Schatten.[2]

Wo und wie können ‚textfähige Maschinen‘ in dieser Situation einen konstruktiven Beitrag leisten?

Angenommen es liegt ein Ausgangstext A vor, dazu ein Veränderungstext V sowie eine Anleitung F, dann könnten heutige Algorithmen alle möglichen Simulationen schneller durchrechnen als es Menschen könnten.

Angenommen zusätzlich es läge auch noch ein Zieltext Z vor, dann könnte ein heutiger Algorithmus auch eine Auswertung zum Verhältnis zwischen einer aktuellen Situation als A und dem Zieltext Z berechnen.

Mit anderen Worten: wäre eine empirische oder eine nachhaltig-empirische Theorie mit ihren notwendigen Texten formuliert, dann könnte ein heutiger Algorithmus alle möglichen Simulationen und den Grad der Zielerfüllung automatisch schneller berechnen, als jeder Mensch allein.

Wie steht es aber mit der (i) Ausarbeitung einer Theorie bzw. (ii) mit der vor-rationalen Entscheidung für eine bestimmte empirische oder gar nachhaltig-empirische Theorie ?

Eine klare Antwort auf beide Fragen erscheint mir zum aktuellen Zeitpunkt kaum möglich, verstehen wir Menschen doch noch zu wenig, wie wir selbst im Alltag kollektiv Theorien bilden, auswählen, überprüfen, vergleichen und auch wieder verwerfen.

Meine Arbeitshypothese zum Thema lautet: dass wir sehr wohl lernfähige Maschinen brauchen werden, um in der Zukunft die Aufgabe erfüllen zu können, brauchbare nachhaltig-empirische Theorien für den gemeinsamen Alltag zu entwickeln. Wann dies aber real geschehen wird und in welchem Umfang scheint mir zum jetzigen Zeitpunkt weitgehend unklar.

ANMERKUNGEN

[1] https://zevedi.de/themen/ki-text/

[2] Das Sprechen über ‚Emotionen‘ im Sinne von ‚Faktoren in uns‘, die uns dazu bewegen, aus dem Zustand ‚vor dem Text‘ in den Zustand ‚geschriebener Text‘ überzugehen, der lässt sehr viele Aspekte anklingen. In einem kleinen explorativen Text „STÄNDIGE WIEDERGEBURT – Jetzt. Schweigen hilft nicht …“ ( https://www.cognitiveagent.org/2023/08/28/staendige-wiedergeburt-jetzt-schweigen-hilft-nicht-exploration/ ) hat der Autor versucht, einige dieser Aspekte anzusprechen. Beim Schreiben wird deutlich, dass hier sehr viele ‚individuell subjektive‘ Aspekte eine Rolle spielen, die natürlich nicht ‚isoliert‘ auftreten, sondern immer auch einen Bezug zu konkreten Kontexten aufblitzen lassen, die sich mit dem Thema verknüpfen. Dennoch, es ist nicht der ‚objektive Kontext‘, der die Kernaussage bildet, sondern die ‚individuell subjektive‘ Komponente, die im Vorgang des ‚ins-Wort-Bringens‘ aufscheint. Diese individuell-subjektive Komponenten wird hier versuchsweise als Kriterium für ‚authentische Texte‘ benutzt im Vergleich zu ‚automatisierten Texten‘ wie jene, die von allerlei Bots generiert werden können. Um diesen Unterschied greifbarer zu machen, hat der Autor sich dazu entschieden, mit dem zitierten authentischen Text zugleich auch einen ‚automatisierten Text‘ mit gleicher Themenstellung zu erzeugen. Dazu hat er chatGBT4 von openAI benutzt. Damit beginnt ein philosophisch-literarisches Experiment, um auf diese Weise vielleicht den möglichen Unterschied sichtbarer zu machen. Aus rein theoretischen Gründen ist klar, dass ein von chatGBT4 erzeugter Text im Ursprung niemals ‚authentische Texte‘ erzeugen kann, es sei denn, er benutzt als Vorlage einen authentischen Text, den er abwandeln kann. Dann ist dies aber ein klares ‚fake Dokument‘. Um solch einem Missbrauch vorzubeugen, schreibt der Autor im Rahmen des Experiments den authentischen Text zu erst und beauftragt dann chatGBT4 zur vorgegebenen Themenstellung etwas zu schreiben, ohne dass chatGBT4 den authentischen Text kennt, da er noch nicht über das Internet in die Datenbasis von chatGBT4 Eingang gefunden hat.

DER AUTOR

Einen Überblick über alle Beiträge von Autor cagent nach Titeln findet sich HIER.

WISSENSCHAFT IM ALLTAG. Popper 1988/1990

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild
ISSN 2365-5062, 16.-17.Februar 2022, 18:00h
URL: cognitiveagent.org, Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch (gerd@doeben-henisch.de)

Vorbemerkung

In einer Welt voller Bücher — gefühlt: unendlich viele Bücher — ist kaum voraussagbar, welches Buch man im Februar 2022 lesen wird. Dass es dann das Büchlein ‚A World of Propensities‘ (1990 (reprint 1995))[2a] von Karl Popper [1] sein würde, hing von einem ganzen Bündel von Faktoren ab, von denen jeder für sich ‚eine Rolle‘ spielte, aber dass es dann zu diesem konkreten Buch zu diesem konkreten Zeitpunkt gekommen ist, war aus Sicht der einzelnen Faktoren nicht direkt ableitbar. Auch das ‚Zusammenspiel‘ der verschiedenen Faktoren war letztlich nicht voraussagbar. Aber es ist passiert.

Im Rahmen meiner Theoriebildung für das oksimo-Paradigma (einschließlich der oksimo-Software)[4] Hatte ich schon viele Posts zur möglichen/ notwendigen Theorie für das oksimo-Paradigma in verschiedenen Blocks geschrieben [3a], sogar einige zum frühen Popper [3b], aber mir scheint, so richtig bin ich mit der Position von Popper in seiner ‚Logik der Forschung‘ von 1934 bzw. dann mit der späteren Englischen Ausgabe ‚The Logic of Scientific Discovery‘ (1959)[2b] noch nicht klar gekommen.

Im Frühjahr 2022 war es eine seltene Mischung aus vielerlei Faktoren, die mich über den Umweg der Lektüre von Ulanowizc [5], und zwar seines Buches „Ecology: The Ascendant Perspective“ (1997), auf den späten Popper aufmerksam machten. Ulanowizc erwähnt Popper mehrfach an prominenter Stelle, und zwar speziell Poppers Büchlein über Propensities. Da dieses schmale Buch mittlerweile vergriffen ist, kam ich dann nur durch die freundliche Unterstützung [6b] der Karl Popper Sammlung der Universität Klagenfurt [6a] zu einer Einsicht in den Text.

Der nachfolgende Text beschäftigt sich mit dem ersten der beiden Aufsätze die sich in dem Büchlein finden: „A World of Propensities: Two New Views of Causality“.[7][*]

Wahrscheinlichkeit, Wahrheit, Hypothese, Bekräftigung, … Vorgeplänkel

In seiner Einleitung im Text erinnert Popper an frühere Begegnungen mit Mitgliedern des Wiener Kreises [1b] und die Gespräche zu Theme wie ‚absolute Theorie der Wahrheit‘, ‚Wahrheit und Sicherheit‘, ‚Wahrscheinlichkeitsbasierte Induktion‘, ‚Theorie der Wahrscheinlichkeit‘ sowie ‚Grad der Bekräftigung einer Wahrscheinlichkeit‘.

Während er sich mit Rudolf Carnap 1935 noch einig wähnte in der Unterscheidung von einer Wahrscheinlichkeit im Sinne einer Wahrscheinlichkeitstheorie und einem ‚Grad der Bestätigung‘ (‚degree of confirmation‘) , war er sehr überrascht — und auch enttäuscht — 1950 in einem Buch von Carnap [8], [8b] zu lesen, dass für Carnap dies alles das Gleiche sei: mathematische Wahrscheinlichkeit und empirische Bestätigung eines Ereignisses. Hatte Carnap mit dieser Veränderung seiner Auffassung auch die Position einer ‚Absolutheit der Wahrheit‘ verlassen, die für Popper 1935 immer noch wichtig war? Und selbst in der Rede von 1988 hält Popper das Postulat von der Absolutheit der Wahrheit hoch, sich dabei auf Aristoteles [9], Alfred Tarski [10] und Kurt Gödel [11] beziehend (S.5f).

In einer Welt mit einem endlichen Gehirn, in einem endlichen Körper (bestehend aus ca. 36 Billionen Zellen (10^12)[12], in einer Welt von nicht-abzählbar vielen realen Ereignissen, war mir nie klar, woran (der frühe) Popper (und auch andere) die Position einer ‚absoluten Wahrheit‘ fest machen konnten/ können. Dass wir mit unserem endlichen – und doch komplexen, nicht-linearem — Gehirn von ‚Konkretheiten‘ ‚abstrahieren‘ können, Begriffe mit ‚offenen Bedeutungen‘ bilden und diese im Kontext der Rede/ eines Textes zu Aussagen über Aspekte der Welt benutzen können, das zeigt jeder Augenblick in unserem Alltag (ein für sich außergewöhnliches Ereignis), aber ‚absolute Wahrheit‘ … was kann das sein? Wie soll man ‚absolute Wahrheit‘ definieren?

Popper sagt, dass wir — und wenn wir uns noch so anstrengen — in unserem „Ergebnis nicht sicher“ sein können, das Ergebnis kann sogar „nicht einmal wahr“ sein.(vgl. S.6) Und wenn man sich dann fragt, was dann noch bleibt außer Unsicherheit und fehlender Wahrheit, dann erwähnt er den Sachverhalt, dass man von seinen „Fehlern“ auf eine Weise „lernen“ kann, dass ein „mutmaßliches (‚conjectural‘) Wissen“ entsteht, das man „testen“ kann.(vgl. S.6) Aber selbst dann, wenn man das Wissen testen kann, sind diese Ergebnisse nach Popper „nicht sicher“; obwohl sie „vielleicht wahr“ sind, diese Wahrheit aber ist damit dennoch „nicht endgültig bestätigt (‚established‘)“. Und er sagt sogar: „Selbst wenn sie [ergänzt: die Ergebnisse] sich als nicht wahr erweisen, … eröffnen sie den Weg zu noch besseren [ergänzt: Ergebnissen].“ (S.6)

Diese ‚changierende Sprechweise‘ über ‚wahre Ergebnisse‘ umschreibt das Spannungsfeld zwischen ‚absoluten Wahrheit‘ — die Popper postuliert — und jenen konkreten Sachverhalten, die wir im Alltag zu ‚Zusammenhängen (Hypothesen)‘ verdichten können, in denen wir einzelne Ereignisse ‚zusammen bringen‘ mit der ‚Vermutung‘, dass sie auf eine nicht ganz zufällige Weise zusammen gehören. Und, ja, diese unsere alltägliche Vermutungen (Hypothesen) können sich ‚alltäglich bestätigen‘ (wir empfinden dies so) oder auch nicht (dies kann Zweifel wecken, ob es ‚tatsächlich so ist‘).(vgl. S.6)

Das Maximum dessen, was wir — nach Popper — in der alltäglichen Erkenntnis erreichen können, ist das Nicht-Eintreten einer Enttäuschung einer Vermutung (Erwartung, Hypothese). Wir können dann „hoffen“, dass die Hypothese „wahr ist“, aber sie könnte sich dann beim nächsten Test vielleicht doch noch als „falsch“ erweisen. (vgl. S.6)

In all diesen Aussagen, dass ein Ergebnis ’noch nicht als wahr erwiesen wurde‘ fungiert der Begriff der ‚Wahrheit‘ als ein ‚Bezugspunkt‘, anhand dessen man eine vorliegende Aussage ‚vergleichen‘ kann und mit diesem Vergleich dann zum Ergebnis kommen kann, dass eine vorliegende Aussage ‚verglichen mit einer wahren Aussage‘ nicht wahr ist.

Messen als Vergleichen ist in der Wissenschaft der Goldstandard, aber auch im ganz normalen Alltag. Wo aber findet sich der Vergleichspunkt ‚wahr Aussage‘ anhand dessen eine konkrete Aussage als ’nicht dem Standard entsprechend‘ klassifiziert werden kann?

Zur Erinnerung: es geht jetzt hier offensichtlich nicht um einfache ‚Sachverhaltsfeststellungen‘ der Art ‚Es regnet‘, ‚Es ist heiß‘, ‚Der Wein schmeckt gut‘ …, sondern es geht um die Beschreibung von ‚Zusammenhängen‘ zwischen ‚isolierten, getrennten Ereignissen‘ der Art (i) ‚Die Sonne geht auf‘, (ii) ‚Es ist warm‘ oder ‚(i) ‚Es regnet‘, (ii) ‚Die Straße ist nass‘.

Wenn die Sonne aufgeht, kann es warm werden; im Winter, bei Kälte und einem kalten Wind kann man die mögliche Erwärmung dennoch nicht merken. Wenn es regnet dann ist die Straße normalerweise nass. Falls nicht, dann fragt man sich unwillkürlich, ob man vielleicht nur träumt?

Diese einfachen Beispiele deuten an, dass ‚Zusammenhänge‘ der Art (i)&(ii) mit einer gewissen Häufigkeit auftreten können, aber es keine letzte Sicherheit gibt, dass dies der Fall sein muss.

Wo kommt bei alldem ‚Wahrheit‘ vor?

‚Wahrheit an sich‘ ist schwer aufweisbar. Dass ein ‚Gedanke‘ ‚wahr‘ ist, kann man — wenn überhaupt — nur diskutieren, wenn jemand seinem Gedanken einen sprachlichen Ausdruck verleiht und der andere anhand des sprachlichen Ausdrucks (i) bei sich eine ‚Bedeutung aktivieren‘ kann und (ii) diese aktivierte Bedeutung dann entweder (ii.1) — schwacher Fall — innerhalb seines Wissens mit ‚anderen Teilen seines Wissens‘ ‚abgleichen‘ kann oder aber (ii.2) — starker Fall — seine ‚interne Bedeutung‘ mit einer Gegebenheit der umgebenden realen Ereigniswelt (die als ‚Wahrnehmung‘ verfügbar ist) vergleichen kann. In beiden Fällen kann der andere z.B. zu Ergebnissen kommen wie (a) ‚Ja, sehe ich auch so‘ oder (b) ‚Nein, sehe ich nicht so‘ oder (c) ‚Kann ich nicht entscheiden‘.

In diesen Beispielen wäre ‚Wahrheit‘ eine Eigenschaft, die der Beziehung zwischen einem sprachlichen Ausdruck mit seiner möglichen ‚Bedeutung‘ ‚zu etwas anderem‘ zukommt. Es geht in diesen Beispielen um eine dreistellige Beziehung: die beiden Größen (Ausdruck, gewusste Bedeutung) werden in Beziehung gesetzt zu (wahrgenommenem oder erinnertem oder gefolgertem Sachverhalt).[13]

‚Wahrgenommenes‘ resultiert aus Interaktionen unseres Körpers mit der umgebenden realen Ereigniswelt (wobei unsere Körper selbst ein Ereignis in der umgebenden realen Ereigniswelt ist).[14]

‚Bedeutungen‘ sind ‚gelernte Sachverhalte‘, die uns über unsere ‚Wahrnehmung‘ ‚bekannt geworden sind‘ und in der Folge davon möglicherweise auf eine schwer bestimmbare Weise in unser ‚Gedächtnis‘ übernommen wurden, aus dem Heraus wir sie auf eine ebenfalls schwer bestimmbaren Weise in einer ‚erinnerten Form‘ uns wiederholt wieder ‚bewusst machen können‘. Solche ‚wahrnehmbaren‘ und ‚erinnerbaren‘ Sachverhalte können von unserem ‚Denken‘ in schwer bestimmbarer Form eine spezifische ‚Bedeutungsbeziehung‘ mit Ausdrücken einer Sprache eingehen, welche wiederum nur über Wahrnehmung und Erinnern uns bekannt geworden sind.[15]

Aus all dem geht hervor, dass dem einzelnen Akteur mit seinen gelernten Ausdrücke und ihren gelernten Bedeutungen nur das ‚Ereignis der Wiederholung‘ bleibt, um einem zunächst ‚unbestimmt Gelerntem‘ eine irgendwie geartete ‚Qualifikation‘ von ‚kommt vor‘ zu verleihen. Kommt also etwas vor im Lichte von gelernten Erwartungen neigen wir dazu, zu sagen, ‚es trifft zu‘ und in diesem eingeschränkten Sinne sagen wir auch, dass ‚es wahr ist‘. Diese gelernten Wahrheiten sind ’notorisch fragil‘. Jene, die ‚im Laufe der Zeit‘ sich immer wieder ‚bewähren‘ gewinnen bei uns ein ‚höheres Vertrauen‘, sie haben eine ‚hohe Zuverlässigkeit‘, sind allerdings nie ganz sicher‘.

Zusätzlich erleben wir im Alltag das ständige Miteinander von ‚Konkretheiten‘ in der Wahrnehmung und ‚Allgemeinheiten‘ der sprachlichen Ausdrücke, eine ‚Allgemeinheit‘ die nicht ‚absolut‘ ist. sondern als ‚Offenheit für viel Konkretes‘ existiert. In der Sprache haben wir Unmengen von Worten wie ‚Tasse‘, ‚Stuhl‘, ‚Tisch‘, Hund‘ usw. die sich nicht nur auf ein einziges Konkretes beziehen, sondern auf — potentiell unendlich — viele konkrete Gegebenheiten. Dies liegt daran, dass es viele verschiedene konkrete Gegebenheiten gibt, die trotz Unterschiede auch Ähnlichkeiten aufweisen, die dann als ‚Tasse‘, ‚Stuhl‘ usw. bezeichnet werden. Unser Gehirn verfügt über ‚automatische (= unbewusste) Prozesse‘, die die Konkretheiten aus der Wahrnehmung in ‚Muster‘ transformieren, die dann als ‚Repräsentanten‘ von verschiedenen wahrgenommenen Konkretheiten fungieren können. Diese Repräsentanten sind dann das ‚Material der Bedeutung‘, mit denen sprachliche Ausdrücke — auch automatisch — verknüpft werden können.[15]

Unser ‚Denken‘ kann mit abstrakten Repräsentanten arbeiten, kann durch Benutzung von sprachlichen Ausdrücken Konstruktionen mit abstrakten Konzepten und Ausdrücken bilden, denen bedeutungsmäßig direkt nichts in der realen Ereigniswelt entsprechen muss bzw. auch nicht entsprechen kann. Logik [17] und Mathematik [18] sind bekannte Beispiele, wie man mit gedanklich abstrakten Konzepten und Strukturen ‚arbeiten‘ kann, ohne dass ein Bezug zur realen Ereigniswelt bestehe muss oder jemals bestehen wird. Innerhalb dieser Welt abstrakter Strukturen und abstrakter Ausdrücke kann es dann sogar in einem eingeschränkten Sinne ‚Wahrheit‘ als Übereinstimmung von abstrakten Ausdrücken, deren abstrakten Bedeutungen und den anderen gedachten abstrakten Strukturen geben, aber diese ‚abstrakten Wahrheiten‘ sind in keiner Weise auf die reale Ereigniswelt übertragbar. Für uns gibt es nur das Modell der Alltagssprache, die mit ihren ‚offenen abstrakten‘ Bedeutungen auf Konkretes Bezug nehmen kann und zwischen Gegenwart und Vergangenheit eine ‚gedachte Beziehung‘ herstellen kann, ebenso auch zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem zu einer gedachten Zukunft. Inwieweit sich diese gedachten Beziehungen (Vermutungen, Hypothesen, …) dann in der realen Ereigniswelt bestätigen lassen, muss fallweise geprüft werden.

Die Welt der Wissenschaften erweckt den Eindruck, dass es mittlerweile eine große Zahl von solchen Hypothesen gibt, die allesamt als ‚weitgehend zuverlässig‘ angesehen werden, und aufgrund deren wir nicht nur unser bisheriges Wissen beständig ‚erweitern‘, sondern auch in einer Vielzahl von praktischen Anwendungen nutzen (Technologie, Landwirtschaft, Medizin, …).

Und an dieser Stelle greift Popper sehr weit aus, indem er diese für die Wissenschaften charakteristische „mutige, und abenteuerliche Weise des Theoretisierens“, ergänzt um „seriöse Tests“, im „biologischen Leben selbst“ am Werke sieht (vgl. S.7): die beobachtbare Entwicklung zu immer „höheren (‚higher‘) Formen“ des Lebens geschah/ geschieht durch Schaffung von „neuen Versuchen“ (‚trials‘), deren „Einbringung in die Realität“ (‚exposure‘), und dann das „Ausmerzen von Irrtümern“ (‚errors‘) durch „Testen“.(vgl. S.7) Mit dieser permanenten Kreativität neuer Lösungsansätze, deren Ausprobieren und dem daraus Lernen im Beseitigen von Fehlschlägen hat es nicht nur das biologische Leben als Ganzes geschafft, nach und nach die Welt quasi zu erobern, sondern in der Variante moderner empirischer Wissenschaft ist die Lebensform des Homo sapiens dabei, diese Eroberung auf neue Weise zu ergänzen. Während die biologische Evolution vor dem Homo sapiens primär um das nackte Überleben kämpfen musste, kann der Homo sapiens zusätzlich ‚reines Verstehen‘ praktizieren, das dann als ‚Werkzeug‘ zum Überleben beitragen kann. Für Popper ist ‚Verstehen‘ (‚understand‘) und ‚Lernen‘ (‚to learn more‘) das entscheidende Charakteristikum der Lebensform des Homo sapiens (als Teil des gesamten biologischen Lebens). Und in diesem Verstehensprojekt geht es um alles: um den ganzen Kosmos bis hin zum letzten Atom, um die Entstehung des Lebens überhaupt, um den ‚menschlichen Geist‘ (‚human mind‘) und die Art und Weise wie er stattfindet.(vgl. S.7)

Nach dieser ‚Einstimmung‘ wendet sich Popper dem speziellen Problem der Kausalität zu.

Kausalität – Ein wissenschaftliches Chamäleon

Der Begriff der ‚Kausalität‘ ist uns allen über den Alltag in vielfältigen Formen bekannt, ohne dass wir dazu gewöhnlich ein klares begriffliches Konzept entwickeln.

Geht es hingegen ‚um Etwas‘, z.B. um Geld, oder Macht, oder um eine gute Ernte, oder die Entwicklung einer Region, usw. , dann ist die Frage ‚Was was wie bewirkt‘ nicht mehr ganz egal. ‚Soll ich nun investieren oder nicht?‘ ‚Ist dieses Futter für die Tiere besser und auf Dauer bezahlbar oder nicht?‘ ‚Wird die neue Verkehrsregelung tatsächlich Lärm und CO2-Ausstoß reduzieren oder nicht?‘ ‚Ist Aufrüstung besser als Neutralität?‘ ‚Wird die Menge des jährlichen Plastikmülls die Nahrungsketten im Meer und damit viele davon abhängige Prozesse nachhaltig zerstören oder nicht?‘

Wenn Philosophen und Wissenschaftler von Kausalität sprechen meinten sie in der Vergangenheit meist viel speziellere Kontexte. So erwähnt Popper die mechanistischen Vorstellungen im Umfeld von Descartes; hier waren alle Ereignisse klar bestimmt, determiniert.(vgl. S.7) Mit der Entwicklung der Quantenmechanik — spätestens ab 1927 mit der Entdeckung des Unsicherheitsprinzips durch Werner Heisenberg [19], [19a] — wurde bewusst, dass die Ereignisse in der Natur keinesfalls vollständig klar und nicht vollständig determiniert sind. (vgl. S7f)

Damit trat eine inhärente Unsicherheit hervor, die nach einer neuen Lösung verlangte. Die große Zeit des Denkens in Wahrscheinlichkeiten begann.[20] Man kann das Denken in Wahrscheinlichkeiten grob in drei (vier) Sichtweisen unterscheiden: (i) In einer theoretischen — meist mathematischen — Sicht [21] definiert man sich abstrakte Strukturen, über die man verschiedene Operationen definieren kann, mit denen sich dann unterschiedliche Arten von Wahrscheinlichkeiten durchspielen lassen. Diese abstrakten (theoretischen) Wahrscheinlichkeiten haben per se nichts mit der realen Welt der Ereignisse zu tun. Tatsächlich erweisen sich aber viele rein theoretische Modelle als erstaunlich ’nützlich‘ bei der Interpretation realweltlicher Ereignisfolgen. (ii) In einer subjektivistischen Sicht [22] nimmt man subjektive Einschätzungen zum Ausgangspunkt , die man formalisieren kann, und die Einschätzungen zum möglichen Verhalten des jeweiligen Akteurs aufgrund seiner subjektiven Einschätzungen erlauben. Da subjektive Weltsichten meistens zumindest partiell unzutreffend sind, z.T. sogar überwiegend unzutreffend, sind subjektive Wahrscheinlichkeiten nur eingeschränkt brauchbar, um realweltliche Prozesse zu beschreiben.(iii) In einer (deskriptiv) empirischen Sicht betrachtet man reale Ereignisse, die im Kontext von Ereignisfolgen auftreten. Anhand von diversen Kriterien mit der ‚Häufigkeit‘ als Basisterm kann man die Ereignisse zu unterschiedlichen Mustern ‚gruppieren‘, ohne dass weitergehende Annahmen über mögliche Wirkzusammenhänge mit ‚auslösenden Konstellationen von realen Faktoren‘ getätigt werden. Nimmt man eine solche ‚deskriptive‘ Sicht aber zum Ausgangspunkt, um weitergehende Fragen nach möglichen realen Wirkzusammenhängen zu stellen, dann kommt man (iv) zu einer eher objektivistischen Sicht. [23] Hier sieht man in der Häufigkeiten von Ereignissen innerhalb von Ereignisfolgen mögliche Hinweise auf reale Konstellationen, die aufgrund ihrer inhärenten Eigenschaften diese Ereignisse verursachen, allerdings nicht ‚monokausal‘ sondern ‚multikausal‘ in einem nicht-deterministischem Sinne. Dies konstituiert die Kategorie ‚Nicht deterministisch und zugleich nicht rein zufällig‘.[24]

Wie der nachfolgende Text zeigen wird, findet man Popper bei der ‚objektivistischen Sicht‘ wieder. Er bezeichnet Ereignisse, die durch Häufigkeiten auffallen, als ‚Propensities‘, von mir übersetzt als ‚Tendenzen‘, was letztlich aber nur im Kontext der nachfolgenden Erläuterungen voll verständlich wird.

Popper sagt von sich, dass er nach vielen Jahren Auseinandersetzung mit der theoretischen (mathematischen) Sicht der Wahrscheinlichkeit (ca. ab 1921) (vgl. S.8f) zu dieser — seiner — Sicht gelangt ist, die er 1956 zum ersten Mal bekannt gemacht und seitdem kontinuierlich weiter entwickelt hat.[24]

Also, wenn man beobachtbare Häufigkeiten von Ereignissen nicht isoliert betrachtet (was sich angesichts des generellen Prozesscharakters aller realen Ereignisse eigentlich sowieso verbietet), dann kommt man wie Popper zu der Annahme, dass die beobachtete — überzufällige aber dennoch auch nicht deterministische — Häufigkeit die nachfolgende ‚Wirkung‘ einer realen Ausgangskonstellation von realen Faktoren sein muss, deren reale Beschaffenheit einen ‚Anlass‘ liefert, dass ‚etwas Bestimmtes passiert‘, was zu einem beobachtbaren Ereignis führt.(vgl. S.11f, dazu auch [25]) Dies schließt nicht aus, dass diese realen Wirkungen von spezifischen ‚Bedingungen‘ abhängig sein können, die erfüllt sein müssen, damit es zur Wirkung kommt. Jede dieser Bedingungen kann selbst eine ‚Wirkung‘ sein, die von anderen realen Faktoren abhängig ist, die wiederum bedingt sind, usw. Obwohl also ein ‚realer Wirkzusammenhang‘ vorliegen kann, der als solcher ‚klar‘ ist — möglicherweise sogar deterministisch — kann eine Vielzahl von ‚bedingenden Faktoren‘ das tatsächliche Auftreten der Wirkung so beeinflussen, dass eine ‚deterministische Wirkung‘ dennoch nicht als ‚deterministisch‘ auftritt.

Popper sieht in dieser realen Inhärenz von Wirkungen in auslösenden realen Faktoren eine bemerkenswerte Eigenschaft des realen Universums.(vgl. S.12) Sie würde direkt erklären, warum Häufigkeiten (Statistiken) überhaupt stabil bleiben können. (vgl. S.12). Mit dieser Interpretation bekommen Häufigkeiten einen objektiven Charakter. ‚Häufigkeiten‘ verwandeln sich in Indikatoren für ‚objektive Tendenzen‘ (‚propensities‘), die auf ‚reale Kräfte‘ verweisen, deren Wirksamkeit zu beobachtbaren Ereignissen führen.(vgl. S.12)

Die in der theoretischen Wahrscheinlichkeit verbreitete Charakterisierung von wahrscheinlichen Ereignissen auf einer Skala von ‚1‘ (passiert auf jeden Fall) bis ‚0‘ (passiert auf keinen Fall) deutet Popper für reale Tendenzen dann so um, dass alle Werte kleiner als 1 darauf hindeuten, dass es mehrere Faktoren gibt, die aufeinander einwirken, und dass der ‚Nettoeffekt‘ aller Einwirkungen dann zu einer realen Wirkung führt die kleiner als 1 ist, aber dennoch vorhanden ist; man kann ihr über Häufigkeiten sogar eine phasenweise Stabilität im Auftreten zuweisen, so lange sich die Konstellation der wechselwirkenden Faktoren nicht ändert.(vgl. S.13) Was hier aber wichtig ist — und Popper weist ausdrücklich darauf hin — die ‚realen Tendenzen‘ verweisen nicht auf einzelne konkrete, spezielle Eigenschaften inhärent in einem Objekt, sondern Tendenzen korrespondieren eher mit einer ‚Situation‘ (’situation‘), die als komplexe Gesamtheit bestimmte Tendenzen ‚zeigt‘.(vgl. SS.14-17) [26]

Schaut man nicht nur auf die Welt der Physik sonder lenkt den Blick auf den Alltag, in dem u.a. auch biologische Akteure auftreten, speziell auch Lebensformen vom Typ Homo sapiens, dann explodiert der Raum der möglichen Faktoren geradezu, die Einfluss auf den Gang der Dinge nehmen können. Nicht nur bildet der Körper als solcher beständig irgendwelche ‚Reize‘ aus, die auf den Akteur einwirken, sondern auch die Beschaffenheit der Situation wirkt in vielfältiger Weise. Insbesondere wirkt sich die erworbene Erfahrung, das erworbene Wissen samt seinen unterschiedlichen emotionalen Konnotationen auf die Art der Wahrnehmung aus, auf die Art der Bewertung des Wahrgenommenen und auf den Prozess möglicher Handlungsentscheidungen. Diese Prozesse können extrem labil sein, so dass Sie in jedem Moment abrupt geändert werden können. Und dies gilt nicht nur für einen einzelnen Homo sapiens Akteur, sondern natürlich auch für die vielen Gruppen, in denen ein Homo sapiens Akteur auftreten kann bzw. auftritt bzw. auftreten muss. Dieses Feuerwerk an sich wechselseitig beständig beeinflussenden Faktoren sprengt im Prinzip jede Art von Formalisierung oder formalisierter Berechnung. Wir Menschen selbst können dem ‚Inferno des Alles oder Nichts‘ im Alltag nur entkommen, wenn wir ‚Konventionen‘ einführen, ‚Regeln des Verhaltens‘, ‚Rollen definieren‘ usw. um das praktisch unberechenbare ‚Universum der alltäglichen Labilität‘ partiell zu ‚zähmen‘, für alltägliche Belange ‚berechenbar‘ zu machen.

Popper zieht aus dieser Beschaffenheit des Alltags den Schluss, das Indeterminismus und freier Wille zum Gegenstandsbereich und zum Erklärungsmodell der physikalischen und biologischen Wissenschaften gehören sollten.(vgl. S.17f)

Popper folgert aus einer solchen umfassenden Sicht von der Gültigkeit der Tendenzen-Annahme für vorkommende reale Ereignisse, dass die Zukunft nicht determiniert ist. Sie ist objektiv offen.(vgl. S.18)

Näher betrachtet ist die eigentliche zentrale Einsicht tatsächlich gar nicht die Möglichkeit, dass bestimmte Wirkzusammenhänge vielleicht tatsächlich determiniert sein könnten, sondern die Einsicht in eine durchgängige Beschaffenheit der uns umgebenden realen Ereigniswelt die sich – dies ist eine Hypothese! — durchgängig als eine Ansammlung von komplexen Situationen manifestiert, in denen mögliche unterscheidbare Faktoren niemals isoliert auftreten, sondern immer als ‚eingebettet‘ in eine ‚Nachbarschaften‘, so dass sowohl jeder Faktor selbst als auch die jeweiligen Auswirkungen dieses einen Faktors immer in kontinuierlichen Wechselwirkungen mit den Auswirkungen anderer Faktoren stehen. Dies bedeutet, dass nicht nur die starke Idealisierungen eines mechanistischen Weltbildes — auch eine Hypothese — als fragwürdig angesehen werden müssen, sondern auch die Idealisierung der Akteure zu einer ‚ Monade‘ [27],[27b], die die Welt letztlich nur ‚von sich aus‘ erlebt und gestaltet — eine andere Hypothese –.[27c]

Denkt man gemeinsam mit Popper weiter in die Richtung einer totalen Verflechtung aller Faktoren in einem kontinuierlich-realen Prozess, der sich in realen Tendenzen manifestiert (vgl. S.18f), dann sind alle üblichen endlichen, starren Konzepte in den empirischen Wissenschaften letztlich nicht mehr seriös anwendbar. Die ‚Zerstückelung‘ der Wirklichkeit in lauter einzelne, kleine, idealisierte Puzzle-Teile, wie sie bis heute Standard ist, führt sich relativ schnell ad absurdum. Die übliche Behauptung, auf andere Weise könne man eben nichts Verwertbares Erkennen, läuft beständig Gefahr, auf diese Weise die reale Problematik der konkreten Forschungspraxis deutlich zu überdehnen, nur weil man in der Tat Schwierigkeiten hat, die vorfindliche Komplexität ‚irgendwie experimentell nachvollziehbar‘ zu rekonstruieren.

Popper dehnt seine Beispiele für die Anwendbarkeit einer objektivistischen Sicht von realen Tendenzen weiterhin aus auf die Chemie (vgl. S.19f) und auf die Evolution des Lebens. (vgl. S.20) Und auch wenn er zuvor sagte, dass die Zukunft objektiv offen sei, so ist sie dennoch in der realen Gegenwart implizit gegenwärtig in den Aktivitäten der vorhandenen realen Faktoren.(vgl. S.20) Anders formuliert, jede Zukunft entscheidet sich immer jetzt, in der Gegenwart, auch wenn die lebenden Akteure zu einem bestimmten Zeitpunkt vielleicht das Geflecht der vielen Faktoren und Wirkungen nur unvollständig durchschauen. Mangelndes Wissen ist auch ein realer Faktor und kann als solcher u.U. wichtige Optionen übersehen, die — würde man sie kennen — vielleicht viel Unheil ersparen würden.

Nachbemerkung – Epilog

Verglichen mit den vielen Seiten Text, die Popper im Laufe seines Lebens geschrieben hat, erscheint der hier kommentierte kurze Text von 27 Seiten verschwindend kurz, gering, möglicherweise gar unbedeutend.

Betrachtet man aber die Kernthesen von Poppers theoretischem Prozess, dann tauchen diese Kernthesen in diesem kurzen Text letztlich alle auf! Und seine Thesen zur Realität von beobachtbaren Tendenzen enthalten alles, was er an Kritik zu all jenen Wissenschaftsformen gesagt hat, die dieser Kernthese nicht folgen. Der ganze riesige Komplex zur theoretischen Wahrscheinlichkeit, zu subjektiver Wahrscheinlichkeit und zu den vielfältigen Spezialformen von Überlegungen zur Wahrscheinlichkeit sagen letztlich nicht viel, wenn sie die objektivistische Interpretation von Häufigkeiten, dazu im Verbund mit der Annahme eines grundlegenden realen Prozesses, in dem sich alle realen Faktoren in beständiger realer Wechselbeziehung befinden, nicht akzeptieren. Die moderne Quantenmechanik wäre in einer realen Theorie der objektiven Tendenzen tatsächlich eine Teiltheorie, weil sie nur einige wenige — wenngleich wichtige — Aspekte der realen Welt thematisiert.

Poppers Mission einer umfassenden Theorie von Wahrheit als Innensicht einer umfassenden prozesshaften Realität bleibt — so scheint es mir — weiterhin brandaktuell.

Fortsetzung Popper 1989

Eine Kommentierung des zweiten Artikels aus dem Büchlein findet sich HIER.

Anmerkungen

Abkürzung: wkp := Wikipedia, de := Deutsche, en := Englische

[*] Es gibt noch zwei weiter Beiträge vom ’späten‘ Popper, die ich in den Diskurs aufnehmen möchte, allerdings erst nachdem ich diesen Beitrag rezipiert und in das finale Theorieformat im Kontext des oksimo-Paradigmas eingebunden habe.

[1] Karl Popper in wkp-en: https://en.wikipedia.org/wiki/Karl_Popper (auch in wkp-de: https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Popper )

[1b] Wiener Kreis (‚vienna circle‚) in wkp-de: https://de.wikipedia.org/wiki/Wiener_Kreis und wkp-en: https://en.wikipedia.org/wiki/Vienna_Circle

[2a] Karl Popper, „A World of Propensities“, Thoemmes Press, Bristol, (1990, repr. 1995)

[2b] Karl Popper, The Logic of Scientific Discovery, zuerst publiziert 1935 auf Deutsch als  Logik der Forschung, dann 1959 auf Englisch durch  Basic Books, New York (viele weitere Ausgaben folgten; ich benutze die eBookausgabe von Routledge (2002))

[3a] Die meisten wohl im uffmm.org Blog.

[3b] Oksimo und Popper in uffmm.org: https://www.uffmm.org/2021/03/15/philosophy-of-science/

[4] Das oksimo-Paradigma und die oksimo-Software auf oksimo.org: https://www.oksimo.org/

[5] Robert Ulanowizc in wkp-en: https://en.wikipedia.org/wiki/Robert_Ulanowicz

[5b] Robert Ulanowizc, Ecology: The Ascendant Perspective, Columbia University Press (1997) 

[6a] Karl-Popper Sammlung der Universität Klagenfurt in wkp-de: https://www.aau.at/universitaetsbibliothek-klagenfurt/karl-popper-sammlung/

[6b] An dieser Stelle möchte ich die freundliche Unterstützung von Mag. Dr. Thomas Hainscho besonders erwähnen.

[7] Eine kürzere Version dieses Artikels hat Popper 1988 auf dem Weltkongress der Philosophie 1988 im Brighton vorgetragen (Vorwort zu [2a]).

[8] Rudolf Carnap in wkp-en: https://en.wikipedia.org/wiki/Rudolf_Carnap

[8b] Rudolf Carnap,  Logical Foundations of Probability. University of Chicago Press (1950)

[9] Aristoteles in wkp-de: https://de.wikipedia.org/wiki/Aristoteles

[10] Alfred Tarski in wkp-en: https://en.wikipedia.org/wiki/Alfred_Tarski

[11] Kurt Gödel in wkp-ed: https://en.wikipedia.org/wiki/Kurt_G%C3%B6del

[12] Aus dem Buch von Kegel „Die Herrscher der Welt…“: Siehe https://www.cognitiveagent.org/2015/12/06/die-herrscher-der-welt-mikroben-besprechung-des-buches-von-b-kegel-teil-1/

[13] Natürlich ist die Sachlage bei Betrachtung der hier einschlägigen Details noch ein wenig komplexer, aber für die grundsätzliche Argumentation reicht diese Vereinfachung.

[14] Das sagen uns die vielen empirischen Arbeiten der experimentellen Psychologie und Biologie, Hand in Hand mit den neuen Erkenntnissen der Neuropsychologie.

[15] Hinter diesen Aussagen stecken die Ergebnisse eines ganzen Bündels von wissenschaftlichen Disziplinen: vorweg wieder die experimentelle Psychologie mit hunderten von einschlägigen Arbeiten, ergänzt um Linguistik/ Sprachwissenschaften, Neurolinguistik, ja auch verschiedene philosophische ‚Zuarbeiten‘ aus dem Bereich Alltagssprache (hier unbedingt der späte Wittgenstein [16] als großer Inspirator) und der Semiotik.

[16] Ludwig Wittgenstein in wkp-en: https://en.wikipedia.org/wiki/Ludwig_Wittgenstein

[17] Logik ( ‚logic‚) in der wkp-de: https://de.wikipedia.org/wiki/Logik und wkp-en: https://en.wikipedia.org/wiki/Logic

[18] Mathematik (‚mathematics‚) in der wkp-de: https://de.wikipedia.org/wiki/Mathematik und wkp-en: https://en.wikipedia.org/wiki/Mathematics

[19] Werner Heisenberg in wkp-en: https://en.wikipedia.org/wiki/Werner_Heisenberg

[19b] Unsicherheitsprinzip (‚uncertainty principle‘) in wkp-en: https://en.wikipedia.org/wiki/Uncertainty_principle

[20] Natürlich gab es schon viele Jahrhunderte früher unterschiedliche Vorläufer eines Denkens in Wahrscheinlichkeiten.

[21] Theoretische Wahrscheinlichkeit, z.B. in wkp-en: https://en.wikipedia.org/wiki/Probability

[22] Subjektive Wahrscheinlichkeit, z.B. in wkp-de: https://de.wikipedia.org/wiki/Subjektiver_Wahrscheinlichkeitsbegriff; illustrieret mit der Bayeschen Wahrscheinlichkeit in wkp-en: https://en.wikipedia.org/wiki/Bayesian_probability

[23] Objektivistische Wahrscheinlichkeit, nur ansatzweise erklärt in wkp-de: https://de.wikipedia.org/wiki/Objektivistischer_Wahrscheinlichkeitsbegriff

[23b] Deskriptive Statistik in wkp-de: https://de.wikipedia.org/wiki/Deskriptive_Statistik (siehe auch ‚descriptive statistics in wkp-en: https://en.wikipedia.org/wiki/Descriptive_statistics

[24] Zu verschiedenen Sichten von Wahrscheinlichkeiten sie auch: Karl Popper, The Open Universe: An Argument for Indeterminism, 1956–57 (as privately circulated galley proofs;) 1982 publiziert als Buch

[25] Hier sei angemerkt, dass ein Akteur natürlich nur dann ein bestimmtes Ereignis wahrnehmen kann, wenn er (i) überhaupt hinschaut und (ii) er über geeignete Beobachtungsinstrumente (= Messgeräte) verfügt, die das jeweilige Ereignis anzeigen. So sah die Welt z.B. ohne Fernglas und Mikroskop ‚einfacher‘ aus als mit.

[26] Diese Betonung einer Situation als Kontext für Tendenzen schließt natürlich nicht aus, dass die Wissenschaften im Laufe der Zeit gewisse Kontexte (z.B. das Gehirn, der Körper, …) schrittweise immer mehr auflösen in erkennbare ‚Komponenten‘, deren individuelles Verhalten in einem rekonstruierbaren Wechselspiel unterschiedliche Ereignisfolgen hervorbringen kann, die zuvor nur grob als reale Tendenz erkennbar waren. Tatsächlich führt eine zunehmende ‚Klarheit‘ bzgl. der internen Struktur einer zuvor nicht analysierbaren Situation auch zur Entdeckung von weiteren Kontextfaktoren, die zuvor unbekannt waren.(vgl. S.14f)

[27] Gottfried Wilhelm Leibniz in wkp-de: https://de.wikipedia.org/wiki/Gottfried_Wilhelm_Leibniz

[27b] Monadenlehre von Leibnuz in wkp-de: https://de.wikipedia.org/wiki/Monade_(Philosophie)

[27c] Allerdings muss man bemerken, dass die Leibnizsche Monadenlehre natürlich in einem ziemlich anderen ‚begrifflichen Koordinatensystem‘ einzubetten ist und die Bezugnahme auf diese Lehre nur einen stark vereinfachten Aspekt trifft.

DER AUTOR

Einen Überblick über alle Beiträge von Autor cagent nach Titeln findet sich HIER.

SPRACHSPIEL und SPRACHLOGIK – Skizze. Teil 1

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild
ISSN 2365-5062, 26.-29.Januar 2021
URL: cognitiveagent.org, Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch (gerd@doeben-henisch.de)

KONTEXT

Im vorausgehenden Beitrag Ingenieure und das Glück wird ab dem Abschnitt KOMMUNALE PLANUNG UND BÜRGER? das Problem der Kommunikation zwischen vielen Menschen angesprochen, speziell in dem Kontext, dass diese Menschen — z.B. Bürger einer Kommune — sich auch gemeinsam ein Bild ihrer möglichen Zukunft bzw. ihrer möglichen Zukünfte machen wollen, ist doch Zukunft grundsätzlich unbekannt und der Versuch einer Klärung, welche Ereignisse in der Zukunft planerisch vorweg genommen werden sollten, kann wichtig bis lebenswichtig sein. In diesem Zusammenhang wird das Konzept einer neuen Software [SW] eingeführt, die Menschen bei diesen Kommunikationen und Planungen unterstützend zur Seite stehen soll. Diese Software hat als eine — von mehreren — Besonderheit die, dass sie ausschließlich mit Alltagssprache funktioniert. Dies soll in diesem Text zum Anlass genommen werden, die menschliche Intelligenz am Beispiel von alltäglichen Sprachspielen und der darin waltenden Sprachlogik anhand von Beispielen etwas näher zu betrachten.

ALLTAG UND SPRACHSPIEL(E)

Nimmt man den Begriff Sprachspiel(e) in den Mund, dann ruft dies im modernen philosophischen Denken unweigerlich die Assoziation mit Ludwig Wittgenstein hervor, der im Zeitraum 1936 bis 1946 in Cambridge, in England, dabei war, ein weit verbreitetes Bild vom Funktionieren der Sprache zu zertrümmern. Seine posthum veröffentlichten Philosophischen Untersuchungen [1] sind wie Mahlsteine für jegliches naives Sprachdenken. Aufs Ganze können sie geradezu nihilistisch wirken, da sie zwar alles Gewohnte niederreißen, aber keinerlei Anstalten treffen, zu schauen, wie man denn aus diesem Trümmerfeld einer naiven Sprachauffassung wieder herauskommen kann. Dazu muss man wissen, dass Wittgenstein mit seinem Frühwerk, dem tractatus logico-philosophicus von 1921 [2] selbst dazu beigetragen hatte, unter Voraussetzung des Konzepts der modernen formalen Logik, ein extrem naives Bild von Sprache zu zeichnen. Man darf zumindest die Frage stellen, ob Wittgenstein bei seiner Zertrümmerungsaktion eigentlich weniger die Alltagssprache zertrümmert hat, sondern nur dieses sehr einseitige Bild von Sprache, wie es die moderne formale Logik propagiert.Während die moderne sprach-analytische Philosophie sich in vielfacher Weise abgemüht hat, unter dem Einfluss von Wittgenstein die Alltagssprache neu zu sezieren, hat die moderne formale Logik bis heute in keiner aufweisbaren Weise auf die sprach-kritischen Überlegungen Wittgensteins reagiert.

Anstatt hier jetzt die vielen hundert Artikeln und Bücher in der Nachfolge Wittgensteins zu referieren gehen wir hier zurück auf Start und betrachten verschiedene Alltagssituation, so wie Wittgenstein es getan hat, allerdings mit anderen philosophischen Prämissen als er es tat.

Situation 1: Einfache Alltagssituation mit zwei Personen A und B und einem Tisch.

SITUATION … nach von Uexküll

Über eine Alltagssituation als Situation zu sprechen ist nur so lange trivial, als man nicht darüber nachdenkt.

Im Fall des obigen Bildes fängt es schon mit der Frage an, ob man die Situation von außen, von der Position eines externen Beobachters beschreiben will mit der Fiktion, man könne etwas beobachten ohne Teil der Situation zu sein, oder ob wir uns entscheiden, eine der abgebildeten Personen A oder B als unseren Beobachtungspunkt zu wählen. Ich wähle hier für den Start Person B als unseren Beobachter.

Wie wir spätestens seit von Uexkülls Buch Umwelt und Innenwelt der Tiere, veröffentlicht 1909 [3b], wissen, gibt es für ein biologisches System nicht die Umwelt, sondern nur jene spezifische Umwelt, die diesem biologischen System — hier also A oder B — aufgrund seiner Sensorik, seinen inneren Zuständen, und seiner Handlungsmöglichkeiten zugänglich sind. Aufgrund moderner Messgeräte, anspruchsvoller empirischen Theorien und einem vergleichsweise reich ausgestatteten körperlichen Organismus sind wir als homo sapiens in der Lage, die Fiktion einer objektiven Umwelt aufzubauen, die unabhängig von uns besteht und die weit mehr Eigenschaften umfasst, als wir mit unseren angeborenen Sinnesorganen und Nervenleistungen erfassen können.

Von Uexküll untersucht in seinem Buch sehr viele Lebensformen aus dem Bereich der Wirbellosen, die — verglichen mit einem menschlichen Körper — als ‚einfach‘ oder sogar ’sehr einfach‘ klassifiziert werden könnten. Er betont immer wieder, dass solche Kategorien letztlich am Phänomen vorbeigehen. Entscheidend ist nicht, wie quantitativ komplexer ein Organismus A verglichen mit einem Organismus B ist, sondern ob der Bauplan von z.B. Organismus A zu seiner Umwelt passt. Ein Organismus mag noch so einfach sein — er beschreibt viele schöne Beispiele –, wenn der Organismus mit seiner jeweiligen individuellen Ausstattung (Bauplan) in der jeweiligen Umgebung genügend Nahrung finden kann, sich fortpflanzen kann, dann hat er zunächst mal den Hauptzweck eines biologischen Systems erfüllt. In der Sicht von Uexkülls — die einflussreich war und ist — können also 10 verschiedene biologische Systeme die gleiche äußere Umgebung U teilen und jeder dieser Organismen hat eine komplett anderes inneres Bild B(U)=U* in seinem Inneren und reagiert daher in der Regel anders als einer der anderen Organismen. Für Naturforscher ist es daher immer eine ziemliche Herausforderung, zu ermitteln, was denn die spezifische Umwelt B(U)=U* eines bestimmten Organismus ist.

REALE WELT … als Artefakt

Von der Biologie können wir also lernen, dass die sogenannte reale Welt [RW] aus Sicht eines biologischen System zunächst eine konstruierte Fiktion ist, ein Artefakt des Denkens, ermöglicht durch die neuronalen Aktivitäten im Innern eines Organismus und dass die neuronal kodierte Welt nur so viele Eigenschaften umfasst, wie diese neuronale Kodierung ermöglicht. Anders formuliert: die neuronalen Strukturen fungieren als Repräsentanten von jenen korrespondierenden verursachenden Reizquellen, die von außerhalb des Nervensystems zu neuronalen Erregungsleistungen führen. Die spontan unterstellte Welt da draußen existiert also für den Organismus primär als die Menge der Repräsentationen in unserem Innern (Für eine etwas ausführlichere Erläuterung siehe [8]).

SPRACHLICHE ÄUSSERUNG … Ein Signal von ganz innen

Übernehmen wir diese theoretischen Postulate, dann müssen wir annehmen, dass die Person A nicht weiß, welche inneren Zustände die Person B gerade als ‚die Welt da draußen‘ ansieht, und umgekehrt. Insofern es in der angenommenen Situation aber ein Objekt gibt, das aussieht wie ein Objekt, das wir im Deutschen als Tisch bezeichnen würden, und wir annehmen, dass beide Personen als Menschen über einigermaßen ähnliche Wahrnehmungsstrukturen verfügen und hinreichend viel Deutsch gelernt haben, dann könnte es passieren, dass das Tisch-ähnliche Objekt als Reizquelle genügend korrespondierende neuronale Reizenergie im Innern von Person A aufbaut, die dann möglicherweise die die von A gelernte Bedeutungsfunktion für die Deutsche Sprache aktiviert, die dann wiederum den Sprachapparat aktiviert, was zu der sprachlichen Äußerung führen könnte: Da ist ein Tisch.

Situation 2: Person A macht eine Äußerung über einen Teilaspekt von Situation 1.

Unter den angenommenen Bedingungen besteht dann eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass Person B aufgrund der Schallwellen, erzeugt von A, einen Schallreiz empfängt, den B aufgrund seiner gelernten Bedeutungsfunktion des Deutschen mit jenen internen neuronalen Repräsentanten assoziiert, die von dem Tischobjekt durch die visuelle Wahrnehmung erfasst und ins Innere geleitet werden. Falls dies so geschehen würde, dann könnte sich die Person B denken, dass die Person A ein externes Objekt wahrnimmt, das seiner aktuellen Wahrnehmung entspricht. Ansonsten wüsste Person B nicht wirklich, was Person A gerade wahrnimmt bzw. wofür sie sich interessiert.

Dies ist eine — zugegeben — stark vereinfachende Darstellung des Sachverhalts, dass interne Strukturen in uns Menschen uns zu bestimmten Formen von Wahrnehmungen und internen Verarbeitungsprozessen befähigen. Eine etwas ausführlichere Darstellung — wenngleich immer noch vereinfachend — findet sich bei Gage und Baars (2018). [4] Die für unseren Zusammenhang wichtige Botschaft ist allerdings, dass auch wir Menschen keine beliebige Umgebung wahrnehmen und keine beliebigen geistigen Prozesse ausführen können, sondern nur solche, die unser Körperbau und unser zentrales Nervensystem zulassen.

THEORETISCHE ANNAHMEN – Vereinfacht …

Das folgende Schaubild deutet die wirksamen Strukturen an, durch die wir sprachlich kommunizieren.

Schaubild zu internen kognitiven Strukturen. Siehe zusätzlich auch [8].

Es gibt die angenommene reale Welt [RW], in der es einen aktuellen Ort gibt, der für die vorkommenden Organismen eine aktuelle Umwelt [U], eine Situation [S] bildet. Ein wahrnehmender Organismus — hier die Personen A und B — zerlegen diese Situation in jene Grundeinheiten, die sie aufgrund ihrer körperlichen Ausstattung wahrnehmen können. Diese Grundeinheiten werden hier Fakten [F] (eine Kombination von Eigenschaften (Qualitäten), die einen Sachverhalt ergeben) genannt. Während die Phase der Wahrnehmung — das Stattfinden von neuronalen Erregungen als Reizenergie in verschiedenen Verarbeitungsstufen — teilweise bewusst (mit Bewusstsein [BEW]) stattfinden kann, sind die neuronalen Prozesse standardmäßig unbewusst [UBW]. (Das genaue Verhältnis zwischen Bewusstem und Unbewusstem ist bis heute nicht klar bestimmbar. Am Beispiel des Gedächtnisses kann man nur ahnen, dass nahezu alles unbewusst ist, und nur bei Vorliegen von Reizen, werden davon unter bestimmten Bedingungen einige Fragmente bewusst).

Es wird heute davon ausgegangen, dass die Menge des verfügbaren Wissens (hier vereinfacht angenommen als die Menge der möglichen Fakten) zumindest im homo sapiens ergänzt wird um eine zeitlich versetzte Sprachstruktur. Eine Sprachstruktur umfasst sowohl Ausdrücke (Expressions) [E] als auch einen Abbildungsmechanismus [Π], hier auch Bedeutungsfunktion genannt. Der Abbildungsmechanismus ordnet den verfügbaren Ausdrücken E einer Sprache L Wissenselemente F zu und umgekehrt. Dabei ist zu beachten, dass Ausdrücke einer Sprache ein Doppelleben führen: als Ereignis — gesprochen oder geschrieben — sind sie erst einmal Objekte der Wahrnehmung wie alle anderen Objekte auch. Als Objekte, die intern im Einflussbereich einer Bedeutungsfunktion verortet sind, stellt die Bedeutungsfunktion eine Beziehung zu anderen neuronalen Strukturen her; im Grenzfall kann sich ein sprachliches Objekt dadurch sogar auf ein anderes Sprachobjekt beziehen, z.B. Deine Äußerung ‚Da ist ein Tisch‘ trifft zu.

Der Aspekt der zeitlichen Versetzung von Sprache gegenüber allgemeinem Erkennen und Wissen (Kognition) wurde von der Entwicklungspsychologie im Laufe der Jahrzehnte herausgefunden, da das Erlernen von Sprache zeitlich verzögert zur übrigen Entwicklung von Wissen auftritt. Dies erklärt sich daraus, dass die sprachlichen Ausdrücke, die auf Wissen Bezug nehmen, erst dann wirken können, wenn es erste innere Wissensbestände gibt.

Wenn also zwei Personen alt genug sind, dass sie sowohl über Wissen als auch über hinreichend viele gelernte Ausdruckselemente zusammen mit einer Bedeutungsfunktion verfügen, dann kann es zu solchen Sprachereignissen kommen wie jenes, dass Person A äußert Da ist ein Tisch.

Natürlich haben die einschlägigen Disziplinen (wie Psychologie, Sprachpsychologie, Gedächtnispsychologie, Entwicklungspsychologie, Neurolinguistik, Neuropsychologie, usw.) ungeheuer viel mehr Details zu diesem Thema gefunden. Für das grundlegende Verständnis der neuen Software können diese vereinfachenden Annahmen aber vielleicht ausreichen.

SPRACHLICHE FAKTEN

Bevor zum nächsten Aspekt der Veränderung weiter gegangen wird, wird hier noch eine Zwischenreflexion zur besonderen Rolle von Fakten, die sprachliche Ausdrücke sind, eingefügt.

Wenn in Situation 2 Person A die Äußerung Da ist ein Tisch macht, dann hat diese Äußerung einen doppelten Charakter (wie oben schon mal festgestellt): (i) als Äußerung ist sie ein reales Ereignis in der Situation und ist damit ein normales Faktum, so wie der Tisch oder die beiden Personen A und B. (ii) Das Faktum der Äußerung ist aber zugleich auch ein Ausdruck einer Sprache L, die — laut Annahme — A und B beide kennen. D.h. sowohl A und B können aufgrund ihrer erworbenen (= gelernten) Bedeutungsfunktion dieser Sprache L das Faktum der Äußerung mit neuronalen Repräsentationen in ihrem jeweiligen Inneren, als Teil ihres individuellen Weltbildes UA* und UB*, verknüpfen, so dass das Faktum der Äußerung für sie eine Bedeutung bekommt, die sich in diesem Fall auf etwas in der aktuellen Situation bezieht, nämlich auf das Objekt, das beide als Tisch zu bezeichnen gelernt haben.

Ein sprachliches Objekt wie die Äußerung Da ist ein Tisch ist als ein reales Ereignis, ein Faktum, das als solches ’neu‘ ist und als Faktum die bisherige Situation 1 zur neuen Situation 2 ‚verändert‘ — zu Veränderung siehe den nachfolgenden Abschnitt –. Zugleich nimmt die Äußerung Da ist ein Tisch Bezug auf Teilaspekte der aktuellen Situation. Dadurch kann B — falls seine individuelle Welt UB* hinreichend weit mit der individuellen Welt von UA* übereinstimmt — diese Äußerung als eine Botschaft aus dem Innern von A auffassen, die anklingen lässt, was Person A aktuell beschäftigt, und dass Person A etwas wahrnimmt, was er B auch wahrnimmt. Dabei ist zu beachten, dass eine Person keinerlei Zwang hat, alles in Sprache zu fassen, was sie wahrnimmt oder denkt. Innerhalb von konkreten Situationen werden normalerweise nur jene Aspekte (Fakten) der Situation sprachlich thematisiert, die besonders hervorgehoben werden sollen, weil ja ansonsten angenommen wird, dass die konkrete Situation allen Beteiligten gleicherweise zugänglich ist.

Da gesprochene Äußerungen die Eigenschaft haben, nur für die Zeitdauer des Sprechens real in der gemeinsam geteilten realen Situation vorzukommen, und dann nur — vielleicht — als gespeicherte Erinnerung in den Personen, die die gesprochene Äußerung gehört haben, ist die zeitliche Erstreckung von Situation 2 sehr kurz. Sobald der Schall verklungen ist, gibt es wieder nur eine Situation 3, die äußerlich wie Situation 1 aussieht, die aber dennoch anders ist: diese Situation 3 ist eine Folgesituation von Situation 2. Neben diesem zeitlichen Aspekt können sich aber auch die inneren Zustände der beteiligten Personen verändert haben und ’normalerweise‘ haben sie sich verändert.

Situation 3: Nach der Äußerung des gesprochenen Ausdrucks ‚Da ist ein Tisch‘. Äußerlich ähnelt diese Situation 3 der Situation 1, aber sie ist zeitlich später und kann Änderungen in den inneren Zuständen der Beteiligten beinhalten.

Diese inneren Veränderungen können sich z.B. dadurch manifestieren, dass die Person B antworten könnte: Ja, Du hast Recht. Ein Konflikt könnte entstehen, wenn Person B stattdessen sagen würde: Nein, ich sehe keinen Tisch.

Dank der Erfindung von Schrift [7] könnte z.B. Person B sich auch schriftlich notieren, was Person A gesagt hat. Dann gäbe es eine schriftliche Aufzeichnung, die auch dann noch als reales Faktum existieren würde, wenn das Ereignis des Sprechens bzw. dann auch des Schreibens zeitlich vorbei ist. Würden wir die Abkürzungen Fwritten (geschriebenes Faktum) einführen für eine geschriebene Äußerung und Fspoken (gesprochenes Faktum) für eine gesprochene Äußerung, dann könnten wir notieren Fspoken(Da ist ein Tisch) und Fwritten(Da ist ein Tisch). Im gesprochenen Fall dauert das Ereignis nur kurz, im geschriebenen Fall dauert es so lange an, wie das Geschriebene erhalten bleibt.

Hier deutet sich eine weitere Besonderheit sprachlicher Fakten an: (i) gesprochene Fakten Fspoken dauern zwar kurz, aber der Sachverhalt, auf den sie sich aktuell beziehen, kann mit dem Moment des Sprechens korrespondieren. Ein typischer Fall, wo wir sagen könnten: Du hast Recht oder Das stimmt nicht. (ii) Geschriebene Fakten Fwritten können sehr lange andauern, aber das, worauf sie sich beziehen, kann sich zwischenzeitlich geändert haben. Obwohl man ‚zu Beginn‘ der schriftlichen Fixierung vielleicht sagen konnte Das stimmt, wird man irgendwann später vielleicht sagen müssen Das stimmt nicht, etwa wenn es um 12:00 regnet und um 12:15 nicht mehr.

VERÄNDERUNG

Für den weiteren Vorgang nehmen wir an,dass Person A zu Beginn unserer Betrachtungen tatsächlich eine erste schriftliche Fixierung zur Situation 1 vorgenommen hat, die als Faktum Teil der Situation ist und sich auch in einer entsprechenden Beschreibung der Situation manifestiert.

Situation 1*: Wie Situation 1, nur ergänzt um eine schriftliche Aufzeichnung.

Eine Grunderfahrung von uns Menschen ist, dass sich etwas ändern kann. Dies erscheint uns so selbstverständlich, so natürlich, dass wir darüber normalerweise gar nicht nachdenken. Mit den Worten von v.Uexküll im Ohr, kann man sich aber leicht vorstellen, dass es Organismen gibt, deren neuronalen Repräsentationen zwar aktuelle Reize zur Wirkung bringen können (ist das schon Bewusstsein?), die aber nicht in der Lage sind, aktuelle Reize so speichern zu können, dass sie diese bei Bedarf wieder aktivieren und mit anderen gespeicherten oder aktuell wahrgenommenen Reizenergien irgendwie vergleichen können. Für Organismen, die über keine Speicherung (Gedächtnis!) verfügen, gibt es keine Vergangenheit. Anders gesagt, der homo sapiens — wir — verfügt über ausgeklügelte Mechanismen der Speicherung von wahrgenommenen Reizen und zusätzlich über ausgeklügelten neuronalen Prozessen und Strukturen, um diese gespeicherten Reize anzuordnen, in Beziehung zu setzen, zu abstrahieren, zu bündeln und vieles mehr.

Die funktionellen Wirkungen dieser neuronalen Mechanismen werden in der Psychologie, speziell der Gedächtnispsychologie, untersucht und dargestellt. Als Begründer der modernen Gedächtnispsychologie gilt Hermann Ebbinghaus (1850 – 1909), der in jahrelangen Selbstversuchen grundlegende Erkenntnisse über das beobachtbare Funktionieren jener neuronalen Strukturen gewann [5], [5b], die in seinem Gefolge dann von zahllosen Forschern*innen immer weiter verfeinert wurden, und die heute zusätzlich durch neurolinguistische Untersuchungen ergänzt werden.

In diesem Zusammenhang ist die Tatsache wichtig, dass die neuronalen Strukturen des homo sapiens — also unsere — die Reizenergien aus den verschiedenen Sensoren in reizspezifischen Puffern (Buffer) zwischenspeichern, so dass die aktuelle Inhalte der Puffer für einen bestimmten Zeitraum — zwischen 50 bis vielen hundert Millisekunden — bestehen bleiben, um dann mit neuen Reizenergien überschrieben zu werden. Einige dieser Reizenergien aus einem Puffer werden vorher — weitgehend unbewusst — vom Gehirn auf unterschiedliche Weise mit dem bisher gespeicherten Material auf unterschiedliche Weise ‚verarbeitet‘. Eine sehr anschauliche Darstellung dieser Sachverhalte — wenngleich nicht mit den aller neuesten Daten — findet sich in dem Buch von Card, Moran und Newell (1983), die grundlegende Untersuchungen im Bereich Mensch-Maschine Interaktion angestellt und dabei u.a. diese Sachverhalte untersucht haben.[6]( Für neuere Modelle siehe auch [4])

Die entscheidende Erkenntnis aus diesem Komplex der Pufferung von Reizenergie mit partieller anschließender Speicherung besteht darin, dass unser Nervensystem die wahrnehmbare Wirklichkeit — unsere spezielle Umwelt B(U)=U* — letztlich in Zeitscheiben zerlegt, und aus diesen Zeitscheiben Grundeigenschaften (Qualitäten) extrahiert, die in unterschiedlichen Kombinationen dann unsere Fakten über die Umwelt bilden, einschließlich der Differenzierung in Gegenwart und Vergangenheit.

Betrachtet man das Bild von Situation 1 und das Bild von Situation 2, dann werden wir als Betrachter beider Bilder sofort spontan sagen, dass zwischen beiden Situationen eine Veränderung festgestellt werden kann: In Bild zwei gibt es das neue Symbol für eine Äußerung ‚Da ist ein Tisch‘. Die Person B im Bild wird — angenommen sie sei ein ‚normaler‚ Mensch — ebenfalls eine Veränderung wahrnehmen, da sie aktuell, gegenwärtig, jetzt etwas hört, was sie zuvor nicht gehört hat, d.h. in ihrem Gedächtnis der vorausgehenden Zeit (wie lange vorausgehend?) kann sie sich nicht an eine vergleichbare Äußerung ‚erinnern‘. Wäre die Person B schwerhörig oder gar taub, würde sich für Person B aber dennoch nichts ändern, da diesem Fall die persönliche Umwelt BB(U)=UB* von Person B grundsätzlich keine Schallereignisse enthält.

Nimmt man die Bilder von Situation 1 und 2 als Darstellungen der realen Situation S, wie sie von dem jeweiligen Organismus — hier A oder B — als S* wahrgenommen werden, also z.B. BB(S)=SB*, dann könnte die Menge der Ausdrücke der deutschen Sprache zu Situation 1, die eine Beschreibung der Situation 1 darstellen, vielleicht so aussehen (umgesetzt in Situation 1*):

Beschreibung zu S1*:

{Es gibt eine Person A., Es gibt eine Person B.}

Person A empfindet diese Beschreibung als unvollständig und ergänzt die Beschreibung durch die Äußerung: ‚Da ist ein Tisch‘.

Dies ist eine Veränderung in der Beschreibung (!), die aber mit der Situation 1* korrespondiert.

Situation 2*: Neben der schriftlichen Aufzeichnung gibt es jetzt auch eine gesprochene Äußerung.

Wir erhalten:

Beschreibung zu 2*:

{Fwritten(Es gibt eine Person A.), Fwritten(Es gibt eine Person B.) , Fspoken(Da ist ein Tisch.)}

Eine Veränderung drückt sich also dadurch aus, dass man den vorhandenen Ausdrücken einen neuen Ausdruck hinzufügt. Während im Bild Situation 2* die reale Situation sich nicht geändert hat, nur die Intention des Sprechers, mehr zu sagen als bislang, kann sich die Situation 2* ja auch real durch ein neues Ereignis zu Situation 3 ändern, was Sprecher B zu einer neuen Aussage veranlasst.

Situation 3: Ein neues Ereignis führt zur Veränderung der Situation 2*.

Damit ändert sich auch die Beschreibung der Situation 2* zu der Äusserungsmenge:

Beschreibung zu 3:

{Es gibt eine Person A., Es gibt eine Person B. , Unsere Katze ist da.}

Katzen haben die Angewohnheit, dass sie genauso plötzlich auch wieder verschwinden, wie sie gekommen sind.

Situation 4: Die Katze ist wieder weg

Während die Frage der Vollständigkeit einer Beschreibung zu einer realen wahrgenommenen Situation in das Belieben der beteiligten Personen gestellt ist — man kann, man muss aber nicht notwendigerweise etwas sagen –, soll für die Korrektheit einer Beschreibung gelten, dass nichts gesagt werden soll, was nicht auch in der Situation zutrifft. Wenn also die Katze plötzlich wieder verschwunden ist, dann sollte die Beschreibung der Situation S4 entsprechend angepasst werden. Dies bedeutet: Veränderungen können je nach Gegebenheiten entweder (i) durch Hinzufügung einer Aussage angezeigt werden oder (ii) durch Entfernen einer Aussage. Dies führt zu dem Ergebnis:

Beschreibung von S4:

{Es gibt eine Person A., Es gibt eine Person B. }

VERÄNDERUNGSREGELN

Wenn man eine Beschreibung einer aktuellen Situation S vorliegt, dann kann man eine gewünschte oder eine stattgefundenen Veränderung durch folgende Veränderungsregel beschreiben:

Bedingung —> +Eplus -Eminus

  • Die Bedingung beinhaltet eine Menge von Ausdrücken, die in S vorkommen müssen
  • Eplus umfasst Ausdrücke, die zu S hinzugefügt werden sollen
  • Eminus umfasst Ausdrücke, die von S entfernt werden sollen

Beispiele:

(1) {Es gibt eine Person A.} —> {Da ist ein Tisch}, {}

Wenn die Bedingung ‚Es gibt eine Person A.‘ in einer aktuellen Situation S zutrifft, dann soll für die Nachfolgesituation S‘ die Äußerung ‚Da ist ein Tisch‘ hinzugefügt werden. Zum Entfernen wird nichts gesagt.

(2) {Es gibt eine Person A., Es gibt eine Person B.} —> {Unsere Katze ist da.}{}

Wenn die Bedingung ‚Es gibt eine Person A. Es gibt eine Person B.‘ in einer aktuellen Situation S zutrifft, dann soll für die Nachfolgesituation S‘ die Äußerung ‚Unsere Katze ist da‘ hinzugefügt werden. Zum Entfernen wird nichts gesagt.

(3) {Unsere Katze ist da.} —> {}{Unsere Katze ist da.}

Wenn die Bedingung ‚Unsere Katze ist da.‘ in einer aktuellen Situation S zutrifft, dann soll für die Nachfolgesituation S‘ die Äußerung ‚Unsere Katze ist da.‘ entfernt werden. Zum Hinzufügen wird nichts gesagt.

FORTSETZUNG

Im zweiten Teil wird ein konkretes Beispiel mit der Software gezeigt.

QUELLENANGABEN

[1] Ludwig Wittgenstein (1989 – 1951),Entstanden in den Jahren 1936 bis 1946, veröffentlicht 1953, zwei Jahre nach dem Tod des Autors: Philosophische Untersuchungen. Kritisch-genetische Edition. Herausgegeben von Joachim Schulte. Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Frankfurt 2001

[2] Ludwig Wittgenstein (1989 – 1951), 1918 fertig, 1921 erste Veröffentlichung, 1992 offizielle kritische Ausgabe: Logisch-philosophische Abhandlung. (Tractatus Logico-Philosophicus), bei Kegan Paul, Trench, Trubner & Co. in London in der Reihe International Library of Psychology, Philosophy and Scientific Method

[3] Jakob Johann Baron von Uexküll (1864 – 1944) : https://de.wikipedia.org/wiki/Jakob_Johann_von_Uexk%C3%BCll (zuletzt: 11.1.2021)

[3b] Jakob von Uexküll, 1909, Umwelt und Innenwelt der Tiere. Berlin: J. Springer. (Download: https://ia802708.us.archive.org/13/items/umweltundinnenwe00uexk/umweltundinnenwe00uexk.pdf )(Zuletzt: 26.Jan 2021)

[4] Gage, Nicole M. und Baars, Bernard J., 2018, Fundamentals of Cognitive Neuroscience: A Beginner’s Guide, 2.Aufl., Academic Press – Elsevier, London – Oxford – San Diego – Cambridge (MA), ISBN = {ISBN-10: 0128038136, ISBN-13: 978-0128038130}

[5] Hermann Ebbinghaus (1850 – 1909): Er gilt als Pionier der kognitiv-psychologischen Forschung. Ebbinghaus begründete die experimentelle Gedächtnisforschung mit seinen Arbeiten zur Lern- und Vergessenskurve und bereitete den Weg für die empirische Lehr-, Lern- und Bildungsforschung: https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Ebbinghaus (zuletzt: 27.Jan 2021)

[5b] Hermann ‚Ebbinghaus (1885), Über das Gedächtnis. Leipzig: https://www.deutschestextarchiv.de/book/show/ebbinghaus_gedaechtnis_1885

[6] Stuart K.Card, Thomas P.Moran, Allen Newell [1983], The Psychology of Human-Computer Interaction, Lawrence ERlbaum Associates, Inc.; Mahwah, New Jersey

[7] Zur Entstehung der Schrift, ein erster Ansatz: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Schrift (zuletzt: 28.Jan 2021)

[8] Gerd Doeben-Henisch, (1.Febr.2021), REAL-VIRTUELL. Ein Einschub, https://www.cognitiveagent.org/2021/02/01/real-virtuell-ein-einschub/

DER AUTOR

Einen Überblick über alle Beiträge von Autor cagent nach Titeln findet sich HIER.

WAS IST DER MENSCH?

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild
ISSN 2365-5062 20.Juli 2020
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

AKTUALISIERUNGEN: Letzte Aktualisierung 21.7.2020 (Korrekturen; neue Links)

KONTEXT

In den vielen vorausgehenden Beiträgen in diesem Blog wurde die Frage nach dem Menschen, was das angemessene Bild vom Menschen sein könnte, schon oft gestellt. Möglicherweise wird diese Frage auch in der Zukunft sich immer wieder neu stellen, weil wir immer wieder auf neue Aspekte unseres Menschseins stoßen. Ich bin diese Tage auf einen Zusammenhang gestoßen, der mir persönlich in dieser Konkretheit neu ist (was nicht ausschließt, dass andere dies schon ganz lange so sehen). Hier einige weitere Gedanken dazu.

DER MENSCH IN FRAGMENTEN

In der evolutionsbiologischen Perspektive taucht der homo sapiens — also wir — sehr, sehr spät auf. Vom Jahr 2020 aus betrachtet, bilden wir den aktuellen Endpunkt der bisherigen Entwicklung wohl wissend, dass es nur ein Durchgangspunkt ist in einem Prozess, dessen Logik und mögliche Zielrichtung wir bislang nur bedingt verstehen.

Während man bei der Betrachtung der letzten Jahrtausende Menschheitsgeschichte bisweilen den Eindruck haben könnte, dass die Menschen sich als Menschen als etwas irgendwie Besonderes angesehen haben (was die Menschen aber nicht davon abgehalten hat, sich gegenseitig zu bekämpfen, sich zu bekriegen, sich regelrecht abzuschlachten), könnte man bei der Betrachtung der letzten 100 Jahre den Eindruck gewinnen, als ob die Wissenschaft die Besonderheit des Menschen — so es sie überhaupt gab — weitgehend aufgelöst hat: einmal durch die Einbettung in das größere Ganze der Evolution, dann durch einen vertieften Blick in die Details der Anatomie, des Gehirns, der Organe, der Mikro- und Zellbiologie, der Genetik, und schließlich heute durch das Aufkommen digitaler Technologien, der Computer, der sogenannten künstlichen Intelligenz (KI); dies alles lässt den Menschen auf den ersten Blick nicht mehr als etwas Besonders erscheinen.

Diese fortschreitende Fragmentierung des Menschen, des homo sapiens, findet aber nicht nur speziell beim Menschen statt. Die ganze Betrachtungsweise der Erde, des Universums, der realen Welt, ist stark durch die empirischen Wissenschaften der Gegenwart geprägt. In diesen empirischen Wissenschaften gibt es — schon von ihrem methodischen Ansatz her — keine Geheimnisse. Wenn ich nach vereinbarten Messmethoden Daten sammle, diese in ein — idealerweise — mathematisches Modell einbaue, um Zusammenhänge sichtbar zu machen, dann kann ich möglicherweise Ausschnitte der realen Welt als abgeschlossene Systeme beschreiben, bei denen der beschreibende Wissenschaftler außen vor bleibt. Diese partiellen Modelle bleiben notgedrungen Fragmente. Selbst die Physik, die für sich in Anspruch nimmt, das Ganze des Universums zu betrachten, fragmentiert die reale Welt, da sich die Wissenschaftler selbst, auch nicht die Besonderheiten biologischen Lebens generell, in die Analyse einbeziehen. Bislang interessiert das die meisten wenig. Je nach Betrachtungsweise kann dies aber ein fataler Fehler sein.

DER BEOBACHTER ALS BLINDE FLECK

Die Ausklammerung des Beobachters aus der Beschreibung des Beobachtungsgegenstands ist in den empirischen Wissenschaften Standard, da ja das Messverfahren idealerweise invariant sein soll bezüglich demjenigen, der misst. Bei Beobachtungen, in denen der Beobachter selbst das Messinstrument ist, geht dies natürlich nicht, da die Eigenschaften des Beobachters in den Messprozess eingehen (z.B. überall dort, wo wir Menschen unser eigenes Verhalten verstehen wollen, unser Fühlen und Denken, unser Verstehen, unser Entscheiden, usw.). Während es lange Zeit eine strenge Trennung gab zwischen echten (= harten) Wissenschaften, die strikt mit dem empirischen Messideal arbeiten, und jenen quasi (=weichen) Wissenschaften, bei denen irgendwie der Beobachter selbst Teil des Messprozesses ist und demzufolge das Messen mehr oder weniger intransparent erscheint, können wir in den letzten Jahrzehnten den Trend beobachten, dass die harten empirischen Messmethoden immer mehr ausgedehnt werden auch auf Untersuchungen des Verhaltens von Menschen, allerdings nur als Einbahnstraße: man macht Menschen zwar zu Beobachtungsgegenständen partieller empirischer Methoden, die untersuchenden Wissenschaftler bleiben aber weiterhin außen vor. Dieses Vorgehen ist per se nicht schlecht, liefert es doch partiell neue, interessante Einsichten. Aber es ist gefährlich in dem Moment, wo man von diesem — immer noch radikal fragmentiertem — Vorgehen auf das Ganze extrapoliert. Es entstehen dann beispielsweise Bücher mit vielen hundert Seiten zu einzelnen Aspekten der Zelle, der Organe, des Gehirns, aber diese Bücher versammeln nur Details, Fragmente, eine irgendwie geartete Zusammenschau bleibt aus.

Für diese anhaltende Fragmentierung gibt es sicher mehr als einen Grund. Einer liegt aber an der Wurzel des Theoriebegriffs, der Theoriebildung selbst. Im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Anschauung entstehen Theorien, Modelle, also jene begrifflichen Gebilde, mit denen wir einzelne Daten deuten, nicht aus einem Automatismus, sondern sie beruhen auf gedanklichen Entscheidungen in den Köpfen der Wissenschaftler selbst: grundsätzlich gibt es immer mehr als eine Option, wie ich etwas angehen will. Jede Option verlangt also eine Entscheidung, eine Wahl aus einem großen Bereich von Möglichkeiten. Die Generierung einer Theorie ist von daher immer ein komplexer Prozess. Interessanterweise gibt es in kaum einer der heutigen empirischen Disziplinen das Thema Wie generieren wir eine Theorie? als eigene Themenstellung. Obwohl hier viele Grundentscheidungen fallen, obwohl hier viel Komplexität rational aufgehellt werden müsste, betreiben die sogenannten harten Wissenschaften hier ein weitgehend irrationales Geschäft. Das Harte an den empirischen Wissenschaften gründet sich in diesem Sinne nicht einmal in einer weichen Reflexion; es gibt schlicht gar keine offizielle Reflexion. Die empirischen Wissenschaften sind in dieser Hinsicht fundamental irrational. Dass sie trotz ihrer fundamentalen Irrationalität interessante Detailergebnisse liefern kann diesen fundamentalen Fehler in der Wurzel nur bedingt ausgleichen. Die interessante Frage ist doch, was könnten die empirischen Wissenschaften noch viel mehr leisten, wenn sie ihre grundlegende Irrationalität an der Wurzel der Theoriebildung schrittweise mit Rationalität auffüllen würden?

HOMO SAPIENS – DER TRANSFORMER

(Ein kleiner Versuch, zu zeigen, was man sehen kann, wenn man die Grenzen der Disziplinen versuchsweise (und skizzenhaft) überschreitet)

Trotz ihrer Irrationalität an der Wurzel hat die Evolutionsbiologie viele interessante Tatbestände zum homo sapiens sichtbar gemacht, und andere Wissenschaften wie z.B. Psychologie, Sprachwissenschaften, und Gehirnwissenschaft haben weitere Details beigesteuert, die quasi ‚auf der Straße‘ herumliegen; jeder produziert für sich fleißig partielle Modelle, aber niemand ist zuständig dafür, diese zusammen zu bauen, sie versuchsweise zu integrieren, mutig und kreativ eine Synthese zu versuchen, die vielleicht neue Aspekte liefern kann, mittels deren wir viele andere Details auch neu deuten könnten. Was Not tut ist eine Wissenschaft der Wissenschaften, nicht als Privatvergnügen eines einzelnen Forschers, sondern als verpflichtender Standard für alle. In einer Wissenschaft der Wissenschaften wäre der Beobachter, der Forscher, die Forschergruppe, selbst Teil des Untersuchungsgegenstandes und damit in der zugehörigen Meta-Theorie aufzuhellen.

Anmerkung: Im Rahmen der Theorie des Engineering gibt es solche Ansätze schon länger, da das Scheitern eines Engineeringprozesses ziemlich direkt auf die Ingenieure zurück schlägt; von daher sind sie äußerst interessiert daran, auf welche Weise der Faktor Mensch — also auch sie selbst — zum Scheitern beigetragen hat. Hier könnte die Wissenschaft eine Menge von den Ingenieuren lernen.

Neben den vielen Eigenschaften, die man am homo sapiens entdecken kann, erscheinen mir drei von herausragender Bedeutung zu sein, was sich allerdings erst so richtig zeigt, wenn man sie im Zusammenspiel betrachtet.

Faktor 1: Dass ein homo sapiens einen Körper [B, body] mit eingebautem Gehirn [b, brain] hat, unterscheidet ihn nicht unbedingt von anderen Lebensformen, da es viele Lebensformen im Format Körper mit eingebautem Gehirn gibt. Dennoch ist schon mal festzuhalten, dass der Gehirn-Körper [b_B] eines homo sapiens einen Teil der Eigenschaften seiner Realwelt-Umgebung [RW] — und der eigene Körper gehört aus Sicht des Gehirns auch zu dieser Realwelt-Umgebung — ausnahmslos in neuronale Zustände [NN] im Gehirn verwandelt/ transformiert/ konvertiert und diese neuronale Zustände auf vielfältige Weise Prozesshaft bearbeitet (Wahrnehmen, Speichern, Erinnern, Abstrahieren, Assoziieren, bewerten, …). In dieser Hinsicht kann man den Gehirn-Körper als eine Abbildung, eine Funktion verstehen, die u.a. dieses leistet: b_B : RW —–> RW_NN. Will man berücksichtigen, dass diese Abbildung durch aktuell verfügbare Erfahrungen aus der Vergangenheit modifiziert werden kann, dann könnte man schreiben: b_B : RW x RW_NN —–> RW_NN. Dies trägt dem Sachverhalt Rechnung, dass wir das, was wir aktuell neu erleben, automatisch mit schon vorhandenen Erfahrungen abgleichen und automatisch interpretieren und bewerten.

Faktor 2: Allein schon dieser Transformationsprozess ist hochinteressant, und er funktioniert bis zu einem gewissen Grad auch ganz ohne Sprache (was alle Kinder demonstrieren, wenn sie sich in der Welt bewegen, bevor sie sprechen können). Ein homo sapiens ohne Sprache ist aber letztlich nicht überlebensfähig. Zum Überleben braucht ein homo sapiens das Zusammenwirken mit anderen; dies verlangt ein Minimum an Kommunikation, an sprachlicher Kommunikation, und dies verlangt die Verfügbarkeit einer Sprache [L].

Wir wir heute wissen, ist die konkrete Form einer Sprache nicht angeboren, wohl aber die Fähigkeit, eine auszubilden. Davon zeugen die vielen tausend Sprachen, die auf dieser Erde gesprochen werden und das Phänomen, dass alle Kinder irgendwann anfangen, Sprachen zu lernen, aus sich heraus.

Was viele als unangenehm empfinden, das ist, wenn man als einzelner als Fremder, als Tourist in eine Situation gerät, wo alle Menschen um einen herum eine Sprache sprechen, die man selbst nicht versteht. Dem Laut der Worte oder dem Schriftzug eines Textes kann man nicht direkt entnehmen, was sie bedeuten. Dies liegt daran, dass die sogenannten natürlichen Sprachen (oft auch Alltagssprachen genannt), ihre Bedeutungszuweisungen im Gehirn bekommen, im Bereich der neuronalen Korrelate der realen Welt RW_NN. Dies ist auch der Grund, warum Kinder nicht von Geburt an eine Sprache lernen können: erst wenn sie minimale Strukturen in ihren neuronalen Korrelaten der Außenwelt ausbilden konnten, können die Ausdrücke der Sprache ihrer Umgebung solchen Strukturen zugeordnet werden. Und so beginnt dann ein paralleler Prozess der Ausdifferenzierung der nicht-sprachlichen Strukturen, die auf unterschiedliche Weise mit den sprachlichen Strukturen verknüpft werden. Vereinfachend kann man sagen, dass die Bedeutungsfunktion [M] eine Abbildung herstellt zwischen diesen beiden Bereichen: M : L <–?–> RW_NN, wobei die sprachlichen Ausdrücke letztlich ja auch Teil der neuronalen Korrelate der Außenwelt RW_NN sind, also eher M: RW_NN_L <–?–>RW_NN.

Während die grundsätzliche Fähigkeit zur Ausbildung einer bedeutungshaltigen Sprache [L_M] (L :_ Ausrucksseite, M := Bedeutungsanteil) nach heutigem Kenntnisstand angeboren zu sein scheint, muss die Bedeutungsrelation M individuell in einem langen, oft mühsamen Prozess, erlernt werden. Und das Erlernen der einen Sprache L_M hilft kaum bis gar nicht für das Erlernen einer anderen Sprache L’_M‘.

Faktor 3: Neben sehr vielen Eigenschaften im Kontext der menschlichen Sprachfähigkeit ist einer — in meiner Sicht — zusätzlich bemerkenswert. Im einfachen Fall kann man unterscheiden zwischen den sprachlichen Ausdrücken und jenen neuronalen Korrelaten, die mit Objekten der Außenwelt korrespondieren, also solche Objekte, die andere Menschen zeitgleich auch wahrnehmen können. So z.B. ‚die weiße Tasse dort auf dem Tisch‘, ‚die rote Blume neben deiner Treppe‘, ‚die Sonne am Himmel‘, usw. In diesen Beispielen haben wir auf der einen Seite sprachliche Ausdrücke, und auf der anderen Seite nicht-sprachliche Dinge. Ich kann mit meiner Sprache aber auch sagen „In dem Satz ‚die Sonne am Himmel‘ ist das zweite Wort dieses Satzes grammatisch ein Substantiv‘. In diesem Beispiel benutze ich Ausdrücke der Sprache um mich auf andere Ausdrücke einer Sprache zu beziehen. Dies bedeutet, dass ich Ausdrücke der Sprache zu Objekten für andere Ausdrücke der Sprache machen kann, die über (meta) diese Objekte sprechen. In der Wissenschaftsphilosophie spricht man hier von Objekt-Sprache und von Meta-Sprache. Letztlich sind es zwei verschiedenen Sprachebenen. Bei einer weiteren Analyse wird man feststellen können, dass eine natürliche/ normale Sprache L_M scheinbar unendlich viele Sprachebenen ausbilden kann, einfach so. Ein Wort wie Demokratie z.B. hat direkt kaum einen direkten Bezug zu einem Objekt der realen Welt, wohl aber sehr viele Beziehungen zu anderen Ausdrücken, die wiederum auf andere Ausdrücke verweisen können, bis irgendwann vielleicht ein Ausdruck dabei ist, der Objekte der realen Welt betrifft (z.B. der Stuhl, auf dem der Parlamentspräsident sitzt, oder eben dieser Parlamentspräsident, der zur Institution des Bundestages gehört, der wiederum … hier wird es schon schwierig).

Die Tatsache, dass also das Sprachvermögen eine potentiell unendlich erscheinende Hierarchie von Sprachebenen erlaubt, ist eine ungewöhnlich starke Eigenschaft, die bislang nur beim homo sapiens beobachtet werden kann. Im positiven Fall erlaubt eine solche Sprachhierarchie die Ausbildung von beliebig komplexen Strukturen, um damit beliebig viele Eigenschaften und Zusammenhänge der realen Welt sichtbar zu machen, aber nicht nur in Bezug auf die Gegenwart oder die Vergangenheit, sondern der homo sapiens kann dadurch auch Zustände in einer möglichen Zukunft andenken. Dies wiederum ermöglicht ein innovatives, gestalterisches Handeln, in dem Aspekte der gegenwärtigen Situation verändert werden. Damit kann dann real der Prozess der Evolution und des ganzen Universums verändert werden. Im negativen Fall kann der homo sapiens wilde Netzwerke von Ausdrücken produzieren, die auf den ersten Blick schön klingen, deren Bezug zur aktuellen, vergangenen oder möglichen zukünftigen realen Welt nur schwer bis gar nicht herstellbar ist.

Hat also ein entwickeltes Sprachsystem schon für das Denken selbst eine gewisse Relevanz, spielt es natürlich auch für die Kommunikation eine Rolle. Der Gehirn-Körper transformiert ja nicht nur reale Welt in neuronale Korrelate b_B : RW x RW_NN —–> RW_NN (mit der Sprache L_B_NN als Teil von RW_NN), sondern der Gehirn-Körper produziert auch sprachliche Ausdrücke nach außen b_B : RW_NN —–> L. Die sprachlichen Ausdrücke L bilden von daher die Schnittstelle zwischen den Gehirnen. Was nicht gesagt werden kann, das existiert zwischen Gehirnen nicht, obgleich es möglicherweise neuronale Korrelate gibt, die wichtig sind. Nennt man die Gesamtheit der nutzbaren neuronalen Korrelate Wissen dann benötigt es nicht nur eine angemessene Kultur des Wissens sondern auch eine angemessene Kultur der Sprache. Eine Wissenschaft, eine empirische Wissenschaft ohne eine angemessene (Meta-)Sprache ist z.B. schon im Ansatz unfähig, mit sich selbst rational umzugehen; sie ist schlicht sprachlos.

EIN NEUES UNIVERSUM ? !

Betrachtet man die kontinuierlichen Umformungen der Energie-Materie vom Big Bang über Gasnebel, Sterne, Sternenhaufen, Galaxien und vielem mehr bis hin zur Entstehung von biologischem Leben auf der Erde (ob auch woanders ist komplexitätstheoretisch extrem unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich), dort dann die Entwicklung zu Mehrzellern, zu komplexen Organismen, bis hin zum homo sapiens, dann kommt dem homo sapiens eine einzigartig, herausragende Rolle zu, der er sich bislang offensichtlich nicht richtig bewusst ist, u.a. möglicherweise auch, weil die Wissenschaften sich weigern, sich professionell mit ihrer eigenen Irrationalität zu beschäftigen.

Der homo sapiens ist bislang das einzig bekannte System im gesamten Universum, das in er Lage ist, die Energie-Materie Struktur in symbolische Konstrukte zu transformieren, in denen sich Teile der Strukturen des Universums repräsentieren lassen, die dann wiederum in einem Raum hoher Freiheitsgrade zu neue Zuständen transformiert werden können, und diese neuen — noch nicht realen — Strukturen können zum Orientierungspunkt für ein Verhalten werden, das die reale Welt real transformiert, sprich verändert. Dies bedeutet, dass die Energie-Materie, von der der homo sapiens ein Teil ist, ihr eigenes Universum auf neue Weise modifizieren kann, möglicherweise über die aktuellen sogenannten Naturgesetze hinaus.

Hier stellen sich viele weitere Fragen, auch alleine schon deswegen, weil der Wissens- und Sprachaspekt nur einen kleinen Teil des Potentials des homo sapiens thematisiert.

Philosophie für Dummies [Ph4Ds]

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild
ISSN 2365-5062
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

Datum: 24.April 2020

Letzte Änderung: zweite Audio-Datei, 2.Mai 2020 (Neuer Sound 23.Mai 2020)

KONTEXT

In den vielen hundert Beiträgen dieses Blogs blitzen viele Aspekte des philosophischen Denkens auf, teilweise werden Verbindungen sichtbar, bisweilen Umrisse von übergreifenden Strukturen, aber für einen Einsteiger ist es schwer bis unmöglich, sich aus dieser Vielfalt — auch angesichts der schieren Menge — ein klares Bild des philosophischen Denkens zu bilden. Für eine zusammenhänge systematische Darstellung war der Blog auch nie gedacht. Jetzt verstärkt sich aber der Bedarf, aus der Vielfalt doch ein zusammenhängendes Bild zu formen. Wie soll dies gehen?

Es gibt viele Strategien, wie man dies angehen kann. Aufgrund eines Anlasses in der Lehre ergab sich die Idee, mit einem kleinen Text anzufangen, der sehr wohl versucht, das Ganze im Blick zu haben, obgleich er selbst — aufgrund seiner Kürze — doch nur erste Fragmente bieten kann. Aber, es liegt in der Natur einer zusammenhängenden Vision, dass sie in der Lage ist, auch schon mit wenigen Fragmenten eine Perspektive aufblitzen zu lassen, die sich dann — quasi von selbst — in nachfolgenden Formulierungen ’selbst ergänzt‘.

Eine erste Skizze wurde im Stil einer Präsentation abgefasst (nicht Powerpoint, sondern LaTex mit der Beamer Klasse) mit 16 Seiten Inhalt plus Quellennachweisen.

Parallel dazu habe ich einen Text gesprochen, der ausgehend von der Präsentation die damit zusammenhängenden Ideen im unplugged Stil ‚laut gedacht‘ habe.

Natürlich schreit diese erste Skizze nach Weiterführung, fragt sich nur, wann sich dafür Zeit finden lässt.

Ph4Ds – PRÄSENTATION

Ph4Ds – AUDIO

(2.Mai 2020) Kürzere Fassung, erster Einstieg (17.5 Min)
Längere Fassung vom 24.April 2020 (75 Min)

BITTE UM FEEDBACK

Generell kann man ja in diesem Blog Rückmeldungen geben (was in der Vergangenheit auch immer wieder einige getan haben). Im Falle dieser beginnenden ‚Gesamtperspektive‘ fände ich es schön Rückmeldungen zu bekommen. Ob und wieweit ich dann auf die Rückmeldungen eingehe, weiß ich jetzt natürlich nicht. Aber meistens bildet jede Bemerkung, mag sie auch noch so klein sein, ein Echo das nachwirkt, ja, auch mit zeitlicher Verzögerung. Manchmal kommt es vor, dass ich einem Gedanken nachhänge, und dann poppen Erinnerungen an Gespräche, Artikel und Bücher auf, die ich viele Jahre vorher geführt oder gelesen habe …. und genau dann sind sie plötzlich von großer Bedeutung…

Soundexperiment: mehrere Drumkits, eine Melodie-Impression…

Planspielkonzepte für das KOMeGA Projekt. Für mehr Bürgerbeteiligung in Demokratien. Teil 3: Noch konkreter …

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild
ISSN 2365-5062
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

KONTEXT

Dieser Beitrag versteht sich als eine Fortsetzung der beiden vorausgehenden Blog-Einträge. Während im ersten Beitrag die allgemeine Problemstellung skizziert wurde, wie die großen Weltprobleme mit uns Bürgern zusammen hängen können, vor allem was wir konkret in unserem Alltag tun können, beschrieb der zweite Beitrag etwas konkreter ein Prozessmodell, wie wir es anstellen können, zusammen unser Wissen so auszutauschen, dass wir daraus ein gemeinsames Modell bauen könne, dass wir auch ’spielen‘ können, um so die gemeinsame Erfahrung — und nebenbei unser Wissen — zu vertiefen. Dieses Prozessmodell ist aber noch viel zu allgemein, als dass man daraus eine konkrete Handlungsanweisung ableiten zu können, vor allem dann auch nicht, wenn der gemeinsame Prozess von einem Computer unterstützt werden sollte. Dieser Beitrag versucht diese Lücke weiter zu schließen.

TEXT (PDF-Dokument)

Fortsetzung

Eine direkte Fortsetzung zu diesem Beitrag findet sich HIER.

Einen Überblick über alle Blogeinträge von Autor cagent nach Titeln findet sich HIER.

Einen Überblick über alle Themenbereiche des Blogs findet sich HIER.

ÜBER DIE MATERIE DES GEISTES. Relektüre von Edelman 1992. Teil 11 – Sprache und Höheres Bewusstsein

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 4.Dez. 2018
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org

Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

Gerald M.Edelman, Bright Air, Brilliant Fire. On the Matter of the Mind, New York: 1992, Basic Books

BISHER

Für die bisherige Diskussion siehe die kumulierte Zusammenfassung HIER.

KURZFASSUNG

In direkter Fortsetzung zum vorausgehenden Kapitel über das ‚primäre Bewusstsein‘ führt Edelman in diesem Kapitel jene Bewusstseinsformen ein, die ‚höher‘ sind, da ‚komplexer‘, und die auf dem primären Bewusstsein aufbauen. Zugleich deutet er an, wie sich die Entstehung dieser komplexen Bewusstseinsformen im Rahmen seiner Gehirntheorie erklären lässt (Rückverweis auf Kap.6).

KAP.12 Sprache und Höheres Bewusstsein

  1. Im vorausgehenden Kapitel wurde das ‚primäre Bewusstsein‘ beschrieben, das in der ‚unmittelbaren (sinnlichen) Wahrnehmung‘ fundiert ist, angereichert mit ‚Kommentaren‘ aus dem ‚Inneren‘ des Systems bestehend aus ‚Bedürfnissen‘ einerseits und ‚Erinnerungen‘ andererseits. (vgl. S.124)

  2. Obgleich wir Menschen über ein solches primäres Bewusstsein verfügen, ist festzustellen, dass wir Menschen gleichzeitig über ‚mehr‘ verfügen: wir sind nicht nur fundiert in einer primären kommentierten Wahrnehmung des ‚Jetzt‘, der ‚Gegenwart‘, wir verfügen zugleich auch über die Möglichkeit, die ‚Gegenwart‘ explizit in Beziehung zu setzen zur ‚Erinnerung vorausgehender Gegenwarten‘. Diese Erinnerungen sind aber nicht nur strukturiert durch ‚perzeptuelle Kategorien (angereichert mit ‚Werten‘)‘, sondern auch durch ‚konzeptuelle Kategorien‘, die das ‚höhere Bewusstsein‘ mit Blick ‚auf das primäre Bewusstsein und seinen Kontext‘ ausbilden kann. Neben den schon erwähnten Vergleichen von aktueller Gegenwart und erinnerter (kommentierter) Gegenwart können die Qualia als solche adressiert werden, ihre Eigenschaften, ihre zeitlichen-räumlichen Beziehungen, wie auch eine Kodierung von Qualia mit sprachlichen Elementen (auch Qualia) in Form eines ’symbolischen Gedächtnisses‘: sprachliche Zeichen werden assoziiert mit ihrer ‚Bedeutung‘ in Gestalt von Strukturen von Qualia. Ferner sind diese ‚höheren‘ mentalen Leistungen neuronal über Schleifen mit den primären Schaltkreisen so verknüpft, dass damit die primären Prozesse durch die höheren Prozesse ‚kommentiert‘ werden können. Das primäre Bewusstsein ist dadurch ‚eingebettet‘ in das höhere Bewusstsein, ist damit genuiner Teil von ihm. (vgl. S.124f)

  3. Edelman merkt fragend an, ob es der Versuch der Befreiung von all diesen ‚Kommentierungen‘ vielleicht   ist, was manche ‚Mystiker‘ gemeint haben, wenn sie – auf unterschiedliche Weise – von einem ‚reinen Bewusstsein‘ sprechen. (vgl. S.124)

  4. Während also das ‚primäre‘ Bewusstsein in seiner Prozesshaftigkeit leicht ‚diktatorisch‘ wirken kann, eine einfach stattfindende Maschinerie des primären Klassifizierens von dem, was ’stattfindet‘, ist es aber gerade die Einbettung in das ‚höhere‘ Bewusstsein mit der Möglichkeit der sprachlichen Kodierung, einem Prozess-Determinismus ansatzweise zu entkommen, indem aus dem Strom der Ereignisse unterschiedliche Aspekte (Qualia und deren Beziehungen) ’selektiert‘ und ’sprachlich kodiert‘ werden können. Damit entstehen sekundäre (semantische) Strukturen, die ansatzweise eine ‚eigene‘ Sicht des Systems ermöglichen. Die Unterscheidung zwischen ’sich‘ (’self‘) und ’nicht-sich‘ (’non-self‘) wird möglich. Im Unterschied zu ‚dem Anderen‘ (dem ‚Nicht-Selbst‘) wird ‚das Eigene‘, ein ‚Selbst‘ möglich, das sich über die vielen unterscheidenden Eigenschaften ‚definiert“. (vgl. S.125)

  5. Edelman merkt an, dass die Schimpansen im Vergleich zum homo sapiens zwar offensichtlich auch über das Phänomen eines ‚Selbstbewusstseins‘ verfügen, nicht aber über die flexible Sprachfähigkeit. Damit bleiben sie ‚mental eingesperrt‘ in die vordefinierte Phänomenwelt ihres primären und leicht sekundären Bewusstseins. Sie sind aber nicht in der Lage, die stattfindenden Erlebnisstrukturen zu überwinden. (vgl. S.125)

GESPROCHENE SPRACHE: EPIGENETISCH

  1. Im Folgenden konzentriert sich Edelman auf zwei Aspekte: (i) die Entwicklung jener physiologischen Strukturen, die ein ‚Sprechen‘ wie beim homo sapiens erlauben samt den dazu gehörigen Gehirnstrukturen, (ii) die davon unabhängige Entwicklung von ‚konzeptuellen Strukturen (Kategorien)‘, in denen sich Aspekte des Wahrnehmens, Erinnerns und Bewertens zu Strukturen verdichten können, die dann als ‚Bausteine einer mentalen Welt‘ genutzt werden können. (vgl. S.125f)

  2. Mit Blick auf die  Diskussionen im Umfeld von Chomskys Überlegungen zum Spracherwerb deutet Edelman an, dass es nicht ein einzelner Mechanismus gewesen sein kann, der aus sich heraus die ganze Sprachfähigkeit ermöglicht hat, sondern das ‚Ausdrucksmittel‘ Sprache musste mit seinem ganzen symbolischen Apparat im Körper und im Gehirn ‚eingebettet‘ werden, um in direkter ‚Nachbarschaft‘ zu den informationellen Prozessen des primären und des sekundären Bewusstseins an jene ‚Bedeutungsstrukturen‘ andocken zu können, die dann im symbolischen Gedächtnis so kodiert werden, dass ein Gehirn mit seinen sprachlichen Ausdrücken auf solche Bedeutungsstrukturen Bezug nehmen kann. Im Englischen wird diese ‚Einbettung der Sprache in den Körper‘ ‚embodiment‘ genannt. Im Deutschen gibt es kein direktes begriffliches Äquivalent. ‚Einkörperung‘ der Sprache klingt etwas schräg. (vgl. S.126)

  3. Edelman geht davon aus, dass die grundlegende Fähigkeit zu konzeptueller Kategorienbildung der Ausbildung der Sprachfähigkeit voraus ging, da die Sprachfähigkeit selbst genau diese neuronalen Mechanismen benutzt, um Phoneme (Qualia!) bilden zu können, deren Assoziierung zu komplexen Ausdrücken, und dann deren weitere In-Beziehung-Setzung (oder ‚Assoziierung‘) zu nicht-sprachlichen Einheiten.(vgl. S.126)

  4. [Anmerkung: aufgrund dieses Sachverhalts läge es nahe, die Begriffe ‚primäres‚ und ‚höheres‚ Bewusstsein um einen dritten Begriff zu ergänzen: ‚sekundäres‚ Bewusstsein. Das ‚sekundäre‚ Bewusstsein geht über das primäre Bewusstsein durch seine Fähigkeit zur Bildung von komplexen konzeptuellen Kategorien hinaus. Insofern sich auf der Basis des sekundären Bewusstseins dann z.B. die Fähigkeit zur freien symbolischen Kodierung (vergleichbar der Bildung von DNA-Strukturen in Zellen) im Gehirn herausgebildet hat, erweitert sich das sekundäre Bewusstsein zum ‚höheren (= sprachlichen)‘ Bewusstsein.]

  5. ‚Sprache‘ war und ist primär ‚gesprochene Sprache‘ (’speech‘). Damit dies möglich wurde, mussten erhebliche anatomische Änderungen am Körperbau stattfinden, die zudem im Vollzug im Millisekundenbereich (!) aufeinander abgestimmt sein müssen: die Lungen zur Erzeugung eines hinreichenden Luftstroms in Abstimmung mit der Speiseröhre, die Stimmbänder, der Mund- und Rachenraum als Resonatoren und Filter, dazu die Zunge, die Zähne und die Lippen als Modifikatoren des Klangs; dies alles muss zusammenwirken, um das hervor bringen zu können, was wir die Ausdrucksseite der (gesprochenen) Sprache nennen. Entsprechend muss es Zentren im Gehirn geben, die das ‚Hören von Sprache, das ‚Artikulieren‘ von Sprache sowie ihre ’semantische Kodierung‘ ermöglichen, wobei die semantische Kodierung in den Kontext eines umfassenden komplexen kognitiven Prozesses eingebettet sein muss. (vgl. S.126f)

  6. Bei der Ausbildung der ‚Synchronisierung‘ von sprachlichen Ausdrücken mit den diversen Bedeutungsanteilen vermutet Edelman, dass am Anfang die Parallelisierung von ‚Objekten‘ und ‚Gegenstandswörtern‘ (’nouns‘) stand. Danach die Parallelisierung von ‚Veränderungen, Handlungen‘ mit ‚Verben‘. Dann folgten weitere Verfeinerungen der ‚Syntax‘ parallel zu entsprechenden Situationen. (vgl. S.127)

  7. Generell nimmt Edelman also an, dass die primären Mechanismen der Konzeptualisierungen und der zugehörigen anatomischen Ausprägungen ‚genetisch‘ induziert sind, dass aber die Ausbildung von bestimmten symbolischen Strukturen und deren Zuordnung zu möglichen Bedeutungsmustern ‚epigenetisch“ zustande kommt.(vgl. SS.127-131)

  8. Aufgrund der durchgängig rekursiven Struktur der neuronalen Strukturen können alle phonologischen und semantischen Konzepte und deren mögliche Assoziationen wiederum zum Gegenstand von Kategorisierungen einer höheren Ebene werden, so dass es eben Phoneme, Phonemsequenzen, Wörter, Satzstrukturen und beliebig weitere komplexe Ausdrucksstrukturen geben kann, denen entsprechend semantische Strukturen unterschiedlicher Komplexität zugeordnet werden können. Aufgrund einer sich beständig ändernden Welt würde es keinen Sinn machen, diese Kodierungen genetisch zu fixieren. Ihr praktischer Nutzen liegt gerade in ihrer Anpassungsfähigkeit an beliebige Ereignisräume. Ferner ist zu beobachten, dass solche Sequenzen und Kodierungen, die sich mal herausgebildet haben und die häufiger Verwendung finden, ‚automatisiert‘ werden können. (vgl. S.130)

  9. Nochmals weist Edelman auf die Schimpansen hin, die zwar ein primäres und sekundäres Bewusstsein zu haben scheinen (inklusive einem ‚Selbst‘-Konzept), aber eben kein Sprachsystem, das flexible komplexe Kategorisierungen mit einer entsprechenden Syntax erlaubt.(vgl. S.130)

  10. Auch ist es offensichtlich, dass das Erlernen von Sprache bei Kindern aufgrund der parallelen Gehirnentwicklung anders, einfacher, nachhaltiger verläuft als bei Erwachsenen, deren Gehirne weitgehend ‚gefestigt‘ sind. (vgl. S.130f)

  11. Während die gesprochene Sprache evolutionär (und heute noch ontogenetisch) die primäre Form der Sprachlichkeit war, können bei Vorliegen einer grundlegenden Sprachfähigkeit die auch andere Ausdrucksmittel (Gesten, Schrift, Bilder, …) benutzt werden. (vgl. S.130)

HÖHERES BEWUSSTSEIN

  1. Nach all diesen Vorüberlegungen soll die Frage beantwortet werden, wie es möglich ist, dass uns  ‚bewusst‘ ist, dass wir ‚Bewusstsein haben‘?(vgl. S.131)

  2. Generell sieht Edelman die Antwort gegeben in dem Fakt, dass wir die erlebbare ‚Gegenwart‘ (the ‚immediate present‘) in Beziehung setzen können zu ‚Erinnerungen (von vorausgehenden Gegenwarten)‘, eingebettet in eine Vielzahl von komplexen Wahrnehmungen als Konzeptualisierungen auf unterschiedlichen ‚Reflexionsstufen‘, vielfach assoziiert mit sprachlichen Ausdrücken. Das ‚Selbst‘ erscheint in diesem Kontext als ein identifizierbares Konstrukt in Relation zu Anderem, dadurch ein ’soziales Selbst‘. (vgl. S.131)

  3. Ein Teil dieser Konzeptualisierungen hat auch zu tun mit der Assoziierung mit sowohl ‚innersystemischen‘ ‚Kommentaren‘ in Form von Emotionen, Stimmungen, Bedürfnisbefriedigungen usw. generalisiert unter dem Begriff ‚innere Werte‚, ein Teil hat zu tun mit der Assoziierung von Interaktionen mit seiner Umgebung, speziell Personen, von denen auch ‚externe Werte‚ resultieren können.(vgl. S.131f)

  4. Alle diese Konzeptualisierungen inklusive deren ‚Konnotation mit Werten‘ benötigen eine ‚Langzeit-Speicherung‘ (‚long-term storage‘), um ihre nachhaltige Wirkung entfalten zu können. (vgl. S.132)

  5. Ein zentrales Element in diesem höheren Bewusstsein ist die Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen der aktuell stattfindenden perzeptuellen Wahrnehmung (‚Gegenwart‘) und der konzeptuell vermittelten ‚Erinnerung‘, die es erlaubt, über die ‚Gegenwart‘, die ‚Vergangenheit‘ und eine ‚mögliche Zukunft‘ ’nachzudenken‘. (vgl. S.133)

  6. Die Konkretheit der aktuellen perzeptuellen Wahrnehmung wird durch die konzeptuell aufbereitete erinnerbare Vergangenheit quasi ‚kommentiert‚, in mögliche Beziehungen eingebettet, die als solche dadurch weitgehend ‚bewertet‚ sind.(vgl. S.133)

  7. Aufgrund der stattfindenden komplexen Prozesse, die dem Gehirn ‚bewusst‘ sind, gibt es so etwas wie ein ‚inneres Leben‚, das aufgrund der unterschiedlichen Erfahrungskontexte, der unterschiedlichen Lerngeschichten hochgradig ‚individuell‚ ist.(vgl. S.133)

  8. Paläontologische Untersuchungen legen den Schluss nahe, dass die Entwicklung zu solch einem höheren Bewusstsein, wie es sich beim homo sapiens findet, in extrem kurzer Zeit stattgefunden haben müssen. Man geht davon aus, dass die Entstehung eines höheren Bewusstseins zusammenfällt mit der Entstehung des homo sapiens. (vgl. S.133)

  9. Edelman verweist auf sein Kap.6 um zu sagen, dass die bislang verstandenen Mechanismen des Gehirnwachstums es plausibel erscheinen lassen, dass sich diese Strukturen ausbilden konnten. (vgl. S.133)

  10. Edelman stellt dann wieder die Frage nach dem evolutionären ‚Nutzen/ Vorteil‘ der Ausbildung von solchen Bewusstseinsphänomenen.(vgl. S.133)

  11. Für den Fall des primären Bewusstseins sieht er den Vorteil darin, dass schon auf dieser Stufe die Möglichkeit besteht, aus der Vielfalt der Phänomene (realisiert als Qualia) durch die parallel stattfindende ‚Kommentierung‘ der Erlebnisse durch das ‚innere System‘ (sowohl durch die automatisch stattfindende ‚Speicherung‘ wie auch die automatisch stattfindende ‚Erinnerung‘) es möglich ist, jene Aspekte zu ’selektieren/ präferieren‘, die für das System ‚günstiger erscheinen‘. Dies verschafft eine mögliche Verbesserung im Überleben. (vgl. S.133)

  12. Für den Fall des höheren Bewusstseins erweitern sich die Möglichkeiten der ‚In-Beziehung-Setzung‘ zu einer sehr großen Anzahl von unterschiedlichen Aspekten, einschließlich komplexer Modellbildungen, Prognosen, Tests, und die Einbeziehung sozialer Beziehungen und deren ‚Wertsetzungen‘ in die Bewertung und Entscheidung. Ein kurzer Blick in den Gang der Evolution, insbesondere in die Geschichte der Menschheit, zeigt, wie die Komplexität dieser Geschichte in den letzten Jahrzehntausenden gleichsam explodiert ist, [Anmerkung: mit einer exponentiellen Beschleunigung!]. (vgl. S.133-135)

  13. Speziell weist Edelman auch nochmals hin auf das Zusammenspiel von Qualia und Sprache. Während Qualia als solche schon Abstraktionen von perzeptuellen Konkretheiten darstellen sollen, kann ein System im Wechselspiel von Qualia und Sprache ‚Verfeinerungen‘ sowohl in der Wahrnehmung‘ als auch in er ‚Verwendung‘ von Qualia ermöglichen. Gewissermaßen zeigt sich hier die Sprache als eine Art ‚Echoprinzip‘, das Qualia ‚fixiert‘, sie dadurch speziell erinnerbar macht, und einer Verfeinerung ermöglicht, die ohne die sprachliche Kodierung entweder gar nicht erst stattfindet oder aber als ‚flüchtiges Phänomen‘ wieder untergeht. (vgl. S.136)

  14. In den inneren Prozessen des höheren Bewusstseins zeigt sich eine Fähigkeit zum Vorstellen, zum Denken, die durch die impliziten Kategorisierungen und Verallgemeinerungen weit über das ‚Konkrete‘ des primären Bewusstseins hinaus reichen kann. Hierin liegt eine verändernde, kreative Kraft, Fantasie und Mystik. Ob diese zur ‚Verbesserung‘ des Lebens führt oder ‚in die Irre‘, dies lässt sich nicht ‚im Moment‘ erkennen, nur im Nacheinander und in der praktischen ‚Bewährung‘. (vgl. S.136)

DISKUSSION

Zusammenfassend für Kap. 11+12 im nachfolgenden Blogeintrag.

QUELLEN

  • Keine Besonderen

Einen Überblick über alle Blogeinträge von Autor cagent nach Titeln findet sich HIER.

Einen Überblick über alle Themenbereiche des Blogs findet sich HIER.

Das aktuelle Publikationsinteresse des Blogs findet sich HIER.