Archiv der Kategorie: Triebstruktur

DIE SELBSTABSCHALTUNG – UND NOCH EIN PAAR BETRACHTUNGEN ZUR PSYCHOLOGIE DES MENSCHEN

  1. Im Laufe seines Lebens trifft man auf sehr viele unterschiedliche Menschen. Über Körperformen, Geruchsprofile, Spracheigenschaften, Hautfarben, Verhaltensbesonderheiten, Art des Lachens oder Weinens, Essgewohnheiten, Musikvorlieben, und vielem mehr, gibt es eine große Bandbreite. Viele neigen dazu, äußerliche Besonderheiten sofort aufzugreifen, sie hoch zu stilisieren als abgrenzende Besonderheiten, als besondere Menschenklasse, als der bzw. die Anderen. Dabei sind es nur die ganz gewöhnlichen Varianten, die im biologischen Programm der Menschwerdung möglich und vorgesehen sind. Der/ die/ das Andere erweckt in vielen Menschen zudem oft spontane Ängste, weil sie instinktiv spüren, dass sie selbst, so, wie sie sind, nichts Absolutes sind, nicht die einzige Wahrheit; das sie selbst angesichts des Anderen sich auch als etwas Besonderes spüren, etwas Veränderliches, möglicherweise etwas Zufälliges, das am Selbstverständnis nagen kann: wer bin ich, wenn ich auch nur etwas Anderes für Andere bin? Wer bin ich, wenn ich auch nur etwas Zufälliges für andere bin, eine Variante?
  2. Es ist offensichtlich, dass Menschen, von Innen getrieben, nach Fixpunkten suchen, nach Wahrheiten, nach Gewissheiten, nach Anerkennung, nach einem positiven Selbstgefühl. Menschen halten es nicht gut aus, sie mögen es nicht, wenn ihr Selbstgefühl leidet. Und selbst in schweren Formen der Erniedrigung (z.B. in der leider viel zu häufigen Realität, wenn Frauen von Männern misshandelt werden), suchen Menschen noch in der Erniedrigung eine Form der Wertschätzung heraus zu lesen: Ja, der andere quält mich, aber noch in dieser Form der Qual nimmt der andere mich doch ernst, nimmt er mich wahr, verbringt er Zeit mit mir, usw. Dieses letzte Flackern des Lebenswillens reicht zwar aus, sich über der Nulllinie zu halten, nicht aber, um das zu verändern, was Leid und Zerstörung mit sich bringt.
  3. Dass Männer so oft Frauen misshandeln, weil Männer sich Frauen gegenüber aus vielfachen Gründen unterlegen fühlen, erscheint aber nur als eine Spielart von vielen anderen: Wenn Mitglieder einer politischen Partei wie besinnungslos auf Mitglieder anderer politischer Parteien mit Worten (und bisweilen auch Fäusten) einschlagen, dabei gebetsmühlenartig ihre Slogans wiederholen ohne dass irgend jemand näher überprüft hat, ob und wie man die Dinge auch anders sehen könnte, dann ist dies letztlich nichts anderes. Die andere Gesinnung als solche wird zum ab- und ausgrenzenden Merkmal, der Andere erscheint als direkte in Fragestellung der eigenen Position. Egal welche Parteien, ich habe noch nie erlebt, dass man mit einem aktiven Mitglied einer Partei (ob in Deutschland, Frankreich, England, den USA oder wo auch immer) bei einer Veranstaltung, wo verschiedene Vertreter präsent sind, einfach normal über mögliche Alternativen reden konnte.
  4. Bei Religionsgemeinschaften – zumindest in ihren fundamentalistischen Teilen – ist dies nicht anders (Juden, Christen, Muslime, Buddhisten, Hindus, …). Sie alle treten auf wie Marionetten eines Einpeitschers, der nicht außen steht, sondern sich in ihr eigenes Gehirn eingenistet hat und von dort aus alles terrorisiert. Das Furchtbare, das Erschreckende daran ist eben dieses: der Einpeitscher sitzt in ihrem eigenen Gehirn und er erlaubt diesen Menschen nicht, dass sie Fragen stellen, Fragen zu sich selbst, Fragen zu ihren eigenen Anschauungen, Fragen über die Welt, Fragen dazu, wie denn das alles gekommen ist, usw. Der Einpeitscher in ihren Gehirnen ist wie ein Computervirus, der dieses Gehirn gekapert hat, es so umprogrammiert hat, dass es gegen jegliche Beeinflussung von außen immunisiert wurde. Manche gehen damit bis in ihren eigenen Tod, wie jene Ameisen, die von einem bestimmten Pilz befallen wurden, der dann mit chemischen Stoffen über das Blut das Gehirn dieser Ameise so steuert, dass sie sich Vögeln zum Fraß anbieten, damit der Pilz in diese Vögel gelangen kann. Nicht anders funktionieren die fremde Einpeitscher-Slogans im eigenen Gehirn: sie schalten diese Menschen quasi ab, machen sie zu willenlosen Werkzeugen ihres Gedankenvirus. Man erkennt diese Menschen daran, dass sie im Gespräch immer nur Slogans wiederholen und nicht mehr selbst denken können.
  5. Wer glaubt, dass dies nur bei dummen Menschen funktioniert, der lebt in einer gefährlichen Täuschung. Der Virus der Selbstabschaltung findet sich auch bei intelligenten Menschen, und zwar nicht weniger häufig als bei sogenannten dummen Menschen (ich benutze die Begriffe ‚dumm‘ und ‚intelligent‘ normalerweise nicht, weil sie sehr oft zur Abgrenzung und Abwertung benutzt werden, aber in diesem Fall tue ich es, um genau diese Instrumentalisierung von Eigenschaften als Waffe gegen Menschen anzusprechen). Da die Welt sehr kompliziert ist und die allerwenigsten Menschen genügen Zeit haben, allen Dingen selbst soweit auf den Grund zu gehen, dass sie sich ernsthaft eine eigene Meinung bilden können, sind viele Menschen – ob sie wollen oder nicht – auf die Meinung anderer angewiesen. Davor sind auch intelligente Menschen nicht befreit. Da auch sogenannte intelligente Menschen die ganze Bandbreite menschlicher Triebe, Bedürfnisse, Emotionen, Gefühle in sich tragen (auch Eitelkeit, Machthunger usw.), angereichert mit ebenso vielen sublimen Ängsten, ist ihre Intelligenz nicht im luftleeren Raum, nicht beziehungslos, sondern steht auch permanent unter dem Andruck all dieser – vielfach unbewussten – Ängste, Triebe und Emotionen. Und, jeder einzelne, wie im Bilderbuch, nutzt seine Intelligenz um all diese unbewältigten Ängste, Triebe und Emotionen maximal zu bedienen. Wer seine Ängste, Triebe und Emotionen nicht in den Griff bekommt (Wer kennt jemanden, der dies vollständig kann?), erfindet wunderbare Geschichten (Psychologen nennen dies Rationalisieren), warum man eher das tut als etwas anderes; warum man nicht kommen konnte, weil; warum man unbedingt dorthin fahren muss, weil; warum dieser Mensch blöd ist, weil; usw. um damit  die wahren Motive unangetastet zu lassen.  Die große Masse der intellektuell verkleideten Geschichten ist in dieser Sicht möglicherweise Schrott, in der Politik, in der Religion, im menschlichen Zwischeneinander, in der Wirtschaft ….
  6. In einem der vielen Gespräche, die man so führt, stand mir einmal jemand gegenüber, der ohne Zweifel hochintelligent war und sehr viel wusste. Leitmotiv seiner vielen Äußerungen war, dass die meisten Menschen dumm sind und innerlich abgeschaltet sind. Daher lohne es sich nicht, sich mit Ihnen zu beschäftigen. Dabei fand er nichts dabei, dass er selbst immer wieder die gleichen Argumentationsfiguren wiederholte und bei Nachfrage, nach seinen Voraussetzungen tatsächlich erregt wurde, weil seine Kronzeugen nicht anzugreifen waren; seine eigenen Kronzeugen waren eben einfach wahr. Wer war hier abgeschaltet? War dies auch eine Strategie, um sich von der Vielfalt des Lebens mit Begründung abschotten zu können? Im Gespräch ging es fast nur um die Unterwerfung unter seine Prämissen; ein neugieriges Hinhören oder spielerisches Umgehen mit Varianten war im Ansatz trotz vielfacher Angebote meinerseits ausgeschlossen. Dieses Verhalten wirkte auf mich wie eine massive Selbstabschaltung vor der Vielfalt und dem Reichtum des Lebens, insbesondere auch als eine massive Selbstabschaltung vor den eigenen Abgründen und Möglichkeiten.
  7. Dieses sehr verbreitete Phänomen der Selbstabschaltung der Menschen von der Welt, von den anderen Menschen, vor sich selbst, ist gepaart mit einerseits einer unkritischen Überhöhung jener Positionen, die man (wie intelligent man auch sein mag) als für sich als wahr übernommen hat, und zugleich einer fast fanatischen Verteuflung von allem anderen. Wie eine Menschheit, die am Virus der Selbstabschaltung leidet, die sich nähernde Zukunft meistern soll, ist schwer zu sehen. Bislang haben die impliziten Kräfte der biologischen Evolution lebensunfähige Strukturen aussortiert. Das hat oft viele Millionen Jahre, wenn nicht hunderte von Millionen Jahren gedauert. Durch die Transformierung der Realität in das symbolische Denken von Gehirnen, erweitert um Kulturtechniken des Wissens, zuletzt durch Computer, Netzwerke und Datenbanken, hat es der homo sapiens geschafft, sich von diesem sehr langsamen Gang der bisherigen Form der Evolution zu befreien. Im Prinzip kann die Menschheit mit ihren Wissenstechniken die Erde, das Weltall, die Evolution denkerisch nachempfinden, nach analysieren, selber mögliche Zukünfte durchspielen und dann versuchen, durch eigenes Verhalten zu beschleunigen. Wenn nun aber dieses Denken eingebettet ist in eine unbewältigte Struktur von Ängsten, Trieben und Emotionen aus der Frühzeit des Lebens, ohne dass genau dafür neue leistungsfähige Kulturtechniken gefunden wurden, dann wirken all diese neuen analytischen Errungenschaften wie ein Panzer, der von einem kleinen Baby gesteuert wird mitten in einer belebten Stadt. Dies wirkt nicht wie ein Erfolgsrezept.
  8. Da das Universum ohne unsere Zutun entstanden ist, unsere Milchstraße, unser Sonnensystem, unsere Erde, das biologische Leben, wir alle, besteht vielleicht ein wenig Hoffnung, das in diesem – für uns nur schwer zu durchschauenden – Chaos Elemente vorhanden sind, implizite Dynamiken, die wir (dank unseres Selbstabschaltungsvirus?) bislang noch nicht entdeckt haben. Leider ist das, was viele offizielle Religionen als Lösungsmuster propagieren, offensichtlich nicht das, was uns hilft. Die meisten institutionalisierten Religionen erscheinen selbst als Teil des Problems.
  9. Man darf gespannt sein. Ich bin es. Höchstwahrscheinlich werde ich in meinem Leben nicht mehr erleben können, ob und wie die Menschheit ihre eigene Selbstabschaltung in den Griff bekommt.

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WISSEN vs. GEFÜHL oder DEMOKRATIE vs. MACHT – DAS ‚UNGEHEUER‘ LEBT WEITER

WISSEN UND FÜHLEN WAREN ALS THEMEN GESETZT

1. Im Rahmen der Philosophiewerkstatt wurde von Anfang neben dem ‚Wissen‘ u.a. auch der Aspekt des Gefühls thematisiert. Verschiedene TeilnehmerInnen legten Wert darauf, dass wir das Wissen nicht isoliert betrachten, sondern immer auch im Kontext von ‚Gefühl‘ (Emotionen, Stimmungen, Bedürfnissen, …).

2. Es zeigte sich dann im weiteren Verlauf, dass es nicht einfach ist, die Komponente des ‚Gefühls‘ neben der Komponenten ‚Wissen‘ klar heraus zu arbeiten, um die möglichen Wechselwirkungen besser zu sehen.

BEWUSSTSEIN – NICHTBEWUSSTSEIN

3. Erschwerend kam dann noch hinzu, dass in der letzten Philosophiewerkstatt das Thema Bewusstsein – Nichtbewusstsein überraschend in den Mittelpunkt trat. Es wurde allen anhand von Beispielen ansatzweise klar, dass das, was wir ‚bewusst‘ haben ‚von uns‘ möglicherweise nur ein kleiner Teil all dessen ist, was in unserem Körper gleichzeitig passiert. Und nicht nur das, dass möglicherweise die wichtigsten Prozesse, die unser Denken konstituieren, möglicherweise in diesem Bereich des Nichtbewusstseins verortet sind (z.B. die größten und wichtigsten Teile unseres Gedächtnisses samt zugehörigen Prozessen von ‚Abstraktion‘, ‚Kategorienbildung‘, ‚Verknüpfungen zwischen Kategorien‘, usw.).

WISSENSINHALTE (BEWUSST, NICHTBEWUSST)

4. Unterstellen wir mal, dass es außerhalb unseres Körpers eine Welt gibt und nennen wir sie X. Was wir wissen, ist, dass wir mit unserem Körper die Welt immer nur partiell wahrnehmen, immer nur insoweit, als unsere Sinnesorgane uns Teilaspekte dieser Welt liefern. Nennen wir diese Abbildung von Welt X auf intern wahrgenommene Aspekte ‚Wahrnehmung‘ [perc, p], dann könnte man sagen p:X —> X_p, oder p(X)=X_p mit X_p als das, was von der externen Welt X in unserem Körper ‚ankommt‘ (Sehen, Hören, Schmecken, Riechen, …). Ein Teil von dem, was wir auf diese Weise sensorisch wahrnehmen ist uns bewusst, nicht alles. Zugleich haben wir schon immer ein (Langzeit-)Gedächtnis, in dem jene Aspekte von Weltwahrnehmung ‚lagern‘ – nennen wir sie X_lt – , die unser Körper schon zuvor ‚gespeichert‘ und ‚verarbeitet‘ hat. Die Inhalte dieses Langzeitgedächtnisses sind uns in der Regel nicht bewusst. In der Wechselwirkung zwischen aktueller Wahrnehmung X_p und gespeicherten Wahrnehmungen X_lt entsteht jener Teil von Wahrnehmung X_st, der uns normalerweise ‚bewusst‘ ist. Dies sind laut Forschung immer nur wenige Elemente zur gleichen Zeit (einige sprechen hier von ‚chunks‘ und es gibt Experimente, die darauf hindeuten, dass es ca. +/- 7 solcher ‚chunks‘ sind, die wir gleichzeitig bewusst haben können). Nur das, was in diesem ‚bewussten Teil unseres Gedächtnisses‘ (auch ‚Kurzzeit- oder Arbeitsgedächtnis genannt) kann im Langzeitgedächtnis gespeichert und weiter verarbeitet werden.

5. Nach diesen Annahmen haben wir also neben der Wahrnehmung p noch ein Arbeitsbewusstsein st: X_p x X_lt —> X_st, das Aktuelles und Erinnerbares zusammenführt, eine Speicherfunktion store: X_st x X_lt —> X_lt und eine Erinnerungsfunktion rem: X_p x X_st x X_lt —> X_st. Speichern und Erinnern verläuft völlig im Bereich des Nichtbewusstseins, ebenso Teile des Arbeitsbewusstseins (wir sind uns zwar gewisser ‚Inhalte‘ des Arbeitsbewusstseins ‚bewusst‘, wir haben aber kein Bewusstsein davon, wie diese Inhalte zustande kommen).

6. Diese stark vereinfachenden Annahmen liefern folgendes vorläufiges Bild: unsere sensorische Wahrnehmung filtert Teilaspekte X_p von der unterstellten realen Welt X in den Körper hinein. Diese ermöglichen eine bewusste Wahrnehmung X_st durch Wechselspiel mit schon vorhandenen Erfahrungen X_lt. Diese neuen Bewusstseinsinhalte X_st können die vorhandenen Erfahrungen unter bestimmten Bedingungen erweitern, d.h. X_st x X_lt —> X_lt. Dabei ist zu beachten, dass uns normalerweise die Inhalte X_lt des Langzeitgedächtnisses nicht ‚einfach so‘ zur Verfügung stehen, sondern nur dann, wenn das aktuelle Arbeitsgedächtnisses (unser ‚Bewusstsein‘) uns einen Anlass gibt, nach solchen Inhalten zu ’suchen‘, die mit den aktuellen Bewusstseinsinhalten in Verbindung stehen (z.B. Name —> Telefonnummer, Straße, Beruf …)

7. Damit stellt sich die Frage, was wir eigentlich unter ‚Wissen‘ verstehen wollen: diejenigen Inhalte, (i) die gerade in einem Arbeitsgedächtnis ‚bewusst‘ sind oder diejenigen, (ii) die ‚potentiell‘ aus dem Langzeitgedächtnis ‚abrufbar wären‘?

8. Im Rahmen des Alltagshandelns würde man spontan für (ii) votieren, da die alltägliche Erfahrung davon lebt, dass uns ‚gespeichertes Wissen immer dann, wenn wir es ‚brauchen‘, ‚verfügbar‘ ist. Menschen, bei denen dies nicht funktioniert, die nennen wir ‚vergesslich‘ oder wir klassifizieren sie als ‚krank‘, z.B. mit ‚Demenz‘, ‚Alzheimer‘, ‚psychische Störungen‘.

9. Dennoch, wir müssen uns klar machen, dass im Falle von (ii) das Wissen nicht als aktuelle Größe existiert, die in ihrem tatsächlichen Umfang klar erkennbar ausgebreitet vor uns liegt, sondern nur als eine ‚potentielle‘ Größe, die ad hoc nach Bedarf ‚konstruierbar‘ ist. Die Menge solcher Konstruktionen in der Vergangenheit kann dann einen Hinweis auf den ‚Umfang‘ dieses Wissens liefern (das ist, was letztlich auch Intelligenztests machen: sie haben eine Liste von Aufgaben, die als ‚repräsentativ‘ für das Wissen eines Jahrgangs genommen werden und man lässt eine Versuchsperson alle diese Aufgaben bearbeiten. Wenn sich zeigt, dass sie für alle diese Aufgaben das dazu notwendige Wissen aus ihrem Gedächtnis ‚aktivieren‘ konnte, dann gilt ihr Wissen relativ zum vorgegebenen ‚Standard‘ als ’normal‘).

10. Also, ‚Wissen‘ ist eine ‚Größe auf Verdacht‘, die aus gespeicherten Erfahrungen X_lt besteht, die anhand von Wahrnehmungen von Welt X_p und aktuellen Wissensinhalten X_st ‚aktiviert werden können‘. Dieses Bild ist stark vereinfachend, doch lassen wir es momentan mal so stehen. Bislang kommt hier der Faktor ‚Gefühl‘ noch gar nicht vor.

BEDÜRFNISSE, GEFÜHLE, …

11. Aus dem Alltag wissen wir aber, dass z.B. sowohl ‚Bedürfnisse‘ (Hunger, Durst, sexuelle Erregung, …) wie auch starke Emotionen (Trauer, Freude, Wut, Angst, …) das aktuelle Verhalten von Menschen parallel zum ‚Wissen‘ (oder sogar unabhängig vom Wissen) beeinflussen können. Auch hier haben wir den Tatbestand, dass die ‚Entstehung‘ z.B. der Bedürfnisse und Emotionen im Bereich des Nichtbewusstseins liegt und nur die ‚Wirkung‘, ein bestimmter ‚Zustand‘ der Bedürfnisse und Emotionen dann ‚bewusst‘ ist. Im Unterschied zum ‚Wissen‘ über Bedürfnisse und Emotionen eine Art ‚Handlungsdruck‘ aus, entweder im Sinne des ‚Antriebs‘, etwas bestimmtes ‚zu tun‘ (‚angreifen‘, ‚weglaufen‘, …) oder im Sinne der ‚Blockade‘, etwas ’nicht zu tun‘.

12. Bedürfnisse [D] und Emotionen [Em] sind offenbar ‚im Körper‘ zu verorten, entstehen‘ dort, und das ‚Verhalten des Körpers‘ kann sie ‚verändern‘, d.h. der Körper ist nicht nur eine Menge von Zuständen, sondern der Körper als Ganzer ist auch eine Art Funktion K, die aktuelle Zustände auf andere Zustände ‚abbildet‘. Geht man davon aus, dass p(), st(), store(), rem() alles Elemente von K() sind, dann kann man sagen, dass die Körperfunktion nicht nur die externe Welt X ‚verarbeitet‘, sondern zugleich auch ‚Rücksicht nimmt‘ auf diverse ‚interne Zustände‘ [IS], zu denen auch Bedürfnisse D und Emotionen Em gehören, also D ⊆ IS, Em ⊆ IS, X_p ⊆ IS, X_st ⊆ IS, X_lt ⊆ IS und dann K: X x IS —> IS x X oder K(X,IS) = <IS,X>, d.h. unser Körper transformiert nicht nur Teile der umgebenden Welt X in sein Inneres, sondern er verändert auch sein Inneres mit und ohne Einfluss der wahrgenommenen Welt und kann auf diese Welt auch wieder zurückwirken.

KÖRPERFUNKTION K() und WISSENSFUNKTION k()

13. Wie verhält sich die hier jetzt eingeführte allgemeine Körperverhaltensfunktion K() zur Wissensfunktion k() aus dem vorausgehenden Blogeintrag ‚Wahrheit beginnt im Chaos‘?

14. Während die allgemeine Körperfunktion K: X x IS —>IS x X das ‚Gesamtverhalten‘ des Körpers beschreibt, beschränkt sich die Wissensfunktion k: X x IS —> X_m auf die Entstehung des Wissens, allgemein als X_m bezeichnet. Das ‚Wissen X_m‘ als ‚modellierte Form von Welt X‘ ist nur eine Teilmenge der internen Zustände IS: X_M ⊆ IS.

15. Im vorausgehenden Blogeintrag hatten wir den Aspekt betrachtet, dass wir als Menschen die ‚vermutete Welt‘ X immer nur im Lichte des jeweils verfügbaren Wissens X_m ’sehen‘ können, und dass dieses Wissen X_m vor z.B. 3.000 Jahren in vielen Bereichen nicht so detailliert war wie heute. Damit erschien die Welt im ‚Auge des Betrachters‘ viel ‚magischer‘, ‚mystischer‘, ‚geheimnisvoller‘ als heute und bot zahlreiche ‚Projektionsflächen‘ für alle möglichen ‚geheimnisvollen Kräfte‘, oft ‚Gottheiten‘ genannt, die man auch verehrte.

16. Anmerkung: Da das Wissen X_m, das heute im Prinzip verfügbar ist, nicht zwangsweise in die Köpfen der Menschen ‚hineinkommt‘, kann es natürlich sein (und das ist leider der Fall), dass es auch heute Menschen gibt, die nur über Bruchteile des Wissens X_m verfügen und damit auch heute die Welt X als vielleicht ebenso ‚unbegreiflich‘, ‚chaotisch‘, ‚geheimnisvoll‘ usw. erleben wie Menschen aus vergangenen Zeiten (auch heute gibt es ‚Aberglauben‘ und eine Vielzahl von ‚Sekten‘, die dadurch Geld verdienen und Macht ausüben, dass sie dieses wenig entwickelte Wissen der Menschen ausnutzen).

17. Berücksichtigen wir die Differenzierungen der Körperfunktion K(), dann kann man auch die Wissensfunktion k() entsprechend differenzieren und sich klar machen, dass die Formel k: X x IS —> X_m über den Faktor ‚IS‘ eine Vielzahl von ‚Stellschrauben‘ besitzt (auch Bedürfnisse und Emotionen), die bei dem ‚Aufbau des Wissens‘ im Körper mitwirken, sowohl ‚bremsend‘, ‚verzerrend‘ wie auch ‚unterstützend‘. Wie die Alltagserfahrung zeigt, kann eine starke Hass-Emotion Em_h als Teil der inneren Zustände sowohl die Wahrnehmung der Welt X bei einer Person stark beeinflussen, wie auch dann das Bild der Welt X_m, was in dieser Person entsteht. Dies wiederum hat zur Folge, dass diese hasserfüllte Person nach und nach ein stark verzeichnetes Bild der Welt bekommt, was wiederum dazu führt, dass diese Person aufgrund ihres hassverzerrten Weltbildes Dinge tun wird, die sie bei einem anderen Weltbild niemals tun würde. Reale Beispiele für solch eine ‚Hassspirale‘ haben wir leider zu viele in unserer Welt (Hass zwischen Gruppen, Hass zwischen Ethnien, Hass zwischen Nationen, Hass zwischen Weltanschauungen, …).

DEMOKRATIE UND MACHT – Teil 1

18. Wie sieht es nun mit dem Faktor ‚Macht‘ aus im Kontext von ‚Demokratie‘?

19. Die letzten Wochen boten das Schauspiel, dass Russland die Krim annektiert hat und Europa und die USA auf unterschiedliche Weise ihr ‚Missfallen‘ äußerten (dass zur gleichen Zeit in Syrien ein unmenschlicher Krieg geführt wird, in Teilen von Afrika Menschen abgeschlachtet werden, China schon seit Jahren Tibet annektiert hat, in Ägypten Massenhinrichtungen einfach mal so angeordnet werden, in dem Natomitglied Türkei Pressefreiheit, Unabhängigkeit der Justiz schon seit Jahren mit Füßen getreten werden – und vieles mehr – wurde und wird dabei großzügig ausgeklammert).

20. Vordergründig hat Russland bei dieser Annektierung nicht ‚die Form gewahrt‘, die man bei einer möglichen Sezession eines Bevölkerungsteils in einem Land einhalten müsste. Und, würden andere Teile vom aktuellen russischen Staat die gleichen Ansprüche stellen wie jetzt die Russen auf der Krim, würde Russland ziemlich sicher mit brutalster Gewalt dagegen vorgehen (bzw. ist in solchen Fällen brutalst dagegen vorgegangen und tut es immer noch).

21. Vordergründig haben Europa und die USA Recht.

22. Auf den zweiten Blick kann man aber Einschätzungen kommen, die das ganze in ein anderes Licht tauchen, nicht in dem Sinne, dass die Aktion Russlands dadurch ‚gerechtfertigt‘ würde, sondern in dem Sinne, dass hier nicht auf der einen Seite die ‚Bösen‘ stehen und auf der anderen Seite die ‚Guten‘.

23. Was die USA angeht, so haben viele Studien von US-Bürgern über ihre eigene Regierung sehr scharf herausgearbeitet, dass die USA nach dem zweiten Weltkrieg selbst immer mehr zu einer wahrhaft imperialistischen Macht mutiert sind, die ihre Machtansprüche auf die gesamte Erde ausgedehnt hat. Hier dient nicht das Militär der Politik, sondern umgekehrt dient die Politik dem Militär; wo wir Militärausgaben in astronomischer Höhe finden, ein System von Geheimdiensten, das mittlerweile jeglicher demokratischen Kontrolle entzogen ist, wo Militär und Geheimdienste einer eigenen Gerichtsbarkeit unterstehen, wo internationales Recht oder Gerichtshöfe nicht anerkannt werden, wo Nicht-US-Amerikaner keinerlei Rechte besitzen (nicht einmal die Menschenrechte!), wo die großen Wirtschaftskonzerne die Politiker kontrollieren (es gibt keine wirklichen Verbraucherschutzgesetze noch eine eigene staatliche Forschung zur kritischen Kontrolle möglicher Schäden für die Menschen), usw.

24. Was Europa angeht, so repräsentiert Europa noch keineswegs eine vergleichbare Geschlossenheit wie die USA oder Russland; seine eigentlichen Akteure sind noch die Nationalstaaten, wenngleich die europäische Kommission immer mehr Kontrolle über die Nationalstaaten auszuüben versucht und als Verhandlungspartner nach außen auftritt (z.B. bei dem geplanten transatlantischen Freihandelsabkommen). Europa verfügt über keine vergleichbare militärische Macht wie die USA und man kann auch bislang kein vergleichbares imperialistisches Denken erkennen wie im Fall der USA (auch wenn Europa über seine Wirtschaftsbeziehungen sehr wohl verschiedenen Bevölkerungsteilen in schwächeren wirtschaftlichen Ländern in der Vergangenheit schwere wirtschaftliche Schäden zugefügt hat oder es europäische Firmen gibt (z.B. Shell, Areva, IKEA), die nach den bekannten Fakten unglaubliche Umweltschäden in solchen Ländern angerichtet haben, ohne dafür die Verantwortung zu übernehmen). Die zunehmende Kontrolle der europäischen Kommission durch die Lobbyisten der Industrie wird auf mindestens 1300 offiziell bekannte Lobbyvertretern der Industrie geschätzt bei gleichzeitig nur begrenzter Kontrolle der Kommission durch das demokratisch gewählte Parlament.

25. Vor diesem Hintergrund sind die seit Monaten andauernden Geheimverhandlungen zu einem möglichen transatlantischen Freihandelsabkommen interessant.

26. Geht man davon aus, dass die USA wirkliche jene imperialistische Macht sind, als die sie sich in den letzten Jahrzehnten gezeigt haben, dann ist es aus Sicht der USA wichtig, dass sich möglichst keine ‚Machtzentren‘ außerhalb ihrer selbst entstehen. Obgleich eigentlich die Erstarkung anderer Regionen (wie z.B. Europa) letztlich einen stark positiven Aspekt auch auf die Wirtschaft der USA hatten und haben, fühlt sich die Machtelite der USA immer auch zugleich herausgefordert, die ‚Kontrolle‘ zu behalten. China hat sich der Kontrolle der USA nachhaltig entzogen und erscheint mehr und mehr ein direkter Konkurrent, wenn es nicht sogar schon stärker ist als die USA (und ist eine potentielle Bedrohung für alle anderen; Tibet kann niemand vergessen (andererseits, würde sich China als ‚wahre Demokratie‘ präsentieren, würde Tibet in wahre Autonomie entlassen (was alles aktuell nicht wahrscheinlich ist), dann würde sich das Blatt wenden. Dann hätten die USA ein extremes Glaubwürdigkeitsproblem und China würde zur Bedrohung, weil es ohne Militär Länder um sich scharen würde).

27. Europa hatten die USA bislang immer dadurch unter Kontrolle, dass die USA über bilaterale Beziehung zu einzelnen Mitgliedern der EU über diese Mitglieder das Geschehen in Europa mitgesteuert haben (nicht auch zuletzt über die Geheimdienste – wie wir durch Snowden lernen durften –, die sowohl von ‚außen‘ wie auch von ‚innerhalb Europas‘ nahezu alles abhören, natürlich auch die europäischen Firmen und Politiker). Bei der Vielfalt Europas war es immer einfach, von außen das Geschehen unter Kontrolle zu halten (u.a. wird oft England zitiert als getreuer ‚Vasalle‘ der USA, auch gegen die Interessen Europas, aber die größten militärischen, geheimdienstlichen und diplomatischen Stützpunkte der USA außerhalb der USA finden sich in Deutschland und die deutsche Regierung (unter Kanzlerin Merkel) hat bislang noch nicht den leisesten Ansatz erkennen lassen, an dieser Situation irgendetwas zu unternehmen.

28. Die Verhandlungen zum transatlantischen Freihandelsabkommen sind offiziell geheim (was gegen den Geist einer demokratischen Gesellschaft ist), seit Monaten, auch am US-Kongress vorbei (und von den Republikanern)! Dennoch gibt es ‚undichte‘ Stellen, die die Dokumente weiterreichen. Nach diesen geleakten Dokumenten (es gibt mittlerweile viel mehr) und den Kommentaren zahlreicher Experten dazu gibt es eine Interpretationslinie, nach der dieses Abkommen für die großen US-Konzerne eine Möglichkeit ist, die ganzen Umwelt- und Verbraucherstandards in Europa nicht nur offiziell aushebeln zu können, sondern sie sogar noch die europäischen Staaten verklagen könnten, falls irgend jemand dagegen klagen würde. Konkret, wenn eine US-Firma schwer belastete Lebensmittel in der EU verkaufen würde (weil es in der USA weitgehend keine Kontrollen gibt), und europäische Verbraucher würden dagegen klagen (welcher normaler Verbraucher hätte überhaupt die Ressourcen, solch eine Klage durch zu führen?), dann könnte der betreffende US-Konzern die deutsche Regierung auf Schadensersatz verklagen, nicht nur bzgl. der tatsächlich entgangenen Gewinne, sondern auch bzgl. der vermuteten Gewinne!!!

29. Aber nicht nur das; ein solches Abkommen erzeugt Nebeneffekte, die sowohl die Abhängigkeit Europas von den USA erhöhen würde und zugleich anderen Staaten, die nicht an diesem Abkommen beteiligt sind, es schwerer bis unmöglich machen, mit Europa Handel zu treiben. So gibt es zur Zeit ca. 200 bilaterale Abkommen der EU mit schwächeren Ländern in Afrika und Südamerika, die damit möglicherweise gestoppt würden; für die Wirtschaft in diesen ärmeren Länder wäre dies katastrophal. Aus Sicht der großen Konzerne (in dem Fall nicht nur der USA) ist dies aber willkommen; um so leichter können sie sich mit billigstem Geld in diesen Ländern einkaufen und ganze Landstriche oder Wirtschaftsbereiche unter ihre Kontrolle bringen; Kolonisation ohne Kanonenboote. Die Welthandelsorganisation (Engl. WTO) ist dafür bekannt, dass sie letztlich genau dies tut: die Schwachen dem ungeschützten Zugriff der großen Konzerne aus zu liefern. Einzig China hatte es bislang geschafft, sich diesem unsinnigen Entwicklungskonzept zu entziehen).

DEMOKRATIE UND MACHT – Teil 2

30. Die obigen Bemerkungen berühren nur die berühmte Spitze des Eisbergs und auch die Zeilen zu dem Freihandelsabkommen können nur erste Anregungen sein, dass sich jeder Leser selber damit noch weiter beschäftigt.

31. Worum es mir eigentlich in diesem Blogeintrag geht, ist das Phänomen, dass ‚hinter‘ den beobachtbaren Phänomen, hinter den verschiedenen Verhandlungsaktivitäten letztlich immer Menschen (noch) stehen, deren Wissen, deren Motive diese Aktivitäten antreiben.

32. Und nach allem, was sich in den letzten Monaten (vieles natürlich auch schon früher) gezeigt hat, müssen wir feststellen, dass selbst in den Ländern, die sich demokratisch nennen (USA, Deutschland, die EU, …) man immer mehr Indizien dafür findet, dass die offiziell gewählten politischen Repräsentanten samt den zugehörigen Behörden mit ihren Beamten und Regierungsangestellten sich mehr und mehr von fundamentalen demokratischen Prinzipien zu entfernen scheinen: sie erklären ihr Handeln immer mehr für ‚geheim‘, wo sie es eigentlich mit ihren Wählern teilen und diskutieren sollten; wichtige Gesetzesvorhaben und Verträge werden nicht mehr in den Parlamenten verhandelt sondern mehr und mehr nur noch mit Lobbyisten großer Konzerne, die in diese Gesetze und Verträge genau das reinschreiben, was ihnen nützt bei gleichzeitig großem Nachteil für große Teile der Bevölkerung (oder für andere Länder und deren Wirtschaft). Staatsanwälte, Richter, Staatsschutzorgane erwecken immer mehr den Eindruck nicht mehr der Bevölkerung zu dienen, sondern den politischen Repräsentanten, die sich von der demokratischen Kontrolle abzukoppeln versuchen. Dies alles ließe sich sehr vertiefen und mit Beispielen illustrieren.

33. Man kann sich jetzt fragen, warum ist das so? Was treibt die Menschen in diesen Positionen dazu an, die Handlungsmöglichkeiten eines demokratischen Staates in diesem Sinne zu missbrauchen?

34. Hier sind vielerlei Deutungen möglich. Eine, die vielfach zitiert wird, deutet hin auf das ‚Interesse an der Macht als solcher‘ oder, anders formuliert, dass es scheinbar ‚in den Menschen‘ eine Art Trieb/ Emotion gibt, den wir diffus als ‚Machttrieb‘ bezeichnen, der ‚aus dem Innern‘, aus dem Bereich des ‚Nichtbewussten‘ kommt und den einzelnen so, wie auch die anderen Bedürfnisse und Emotionen – beeinflusst, ‚drängt‘, ’süchtig macht‘ (?) usw. Das Gefährliche am Machttrieb ist, dass er für den/ die Betroffene(n) nicht unmittelbar einsichtig ist, dass es dieser Machttrieb ist, der ihn antreibt, aber im Verhalten manifestiert sich der Machttrieb überall und zeigt die mehr oder weniger starke Abhängigkeit des einzelnen von diesem ‚Trieb‘, der aus dem Bereich des Nichtbewusstseins in ihm ‚wirkt‘.

35. Natürlich wissen wir heute, dass das ‚Nichtbewusstsein‘ nicht einfach ‚vom Himmel gefallen‘ ist, sondern sich im Laufe von ca. 3.8 Mrd Jahren entwickelt hat und dass seine ‚innere Logik‘ aus dieser Geschichte zu rekonstruieren wäre. Wie im Falle anderer solcher ‚eingebauter‘ Triebe (z.B. Sexualtrieb) kann man auch im Falle des urwüchsigen Machttriebs fragen, ob er als Teil des menschlichen Verhaltensprogramms heute noch ‚angemessen‘ ist, ob er heute noch ‚konstruktiv‘ wirkt, oder wirkt er sich heute eher ‚destruktiv‘ aus? Sollte wir zu solch einer Einschätzung kommen, dann müsste man sich überlegen, ob und wie wir uns als menschliche Gesellschaft helfen könnten, um die destruktive Kraft eines ‚Machttriebs‘ innerhalb einer Demokratie abzumildern oder gar ganz zu eliminieren.

36. Andererseits, das ‚Leben‘ auf der Erde gibt es nur, weil es seine ‚Kraft‘ beständig weiter ‚ausgedehnt‘ und versucht hat, immer mehr Energie unter seine Kontrolle zu bringen. Ohne diesen ‚inneren Antrieb‘ würde es uns heute vermutlich nicht geben. Dann wäre die Aufgabe weniger, den Machttrieb als solchen ‚auszurotten‘, sondern noch weiter zu ‚kontrollieren‘. Letztlich kann man die Entwicklung der modernen Demokratien so verstehen, dass diese eine Gegenbewegung waren zu absolutistischen Machtausübungen und die Konstruktionselemente moderner Demokratien erwuchsen aus dem Versuch, dem urwüchsigen Machtstreben in den Menschen einen ‚Mechanismus‘ entgegen zu setzen, der diesen Machttrieb ‚konstruktiv nutzt‘. Wir müssen heute feststellen, dass die Konstruktionselemente moderner Demokratien offenbar keine automatische Garantie bereit halten: die Arbeitsteilung hier Wähler (einmal alle paar Jahre) und dort Gewählte, die dann automatisch das Richtige tun, reicht auf keinen Fall aus. Eine umfassende Transparenz (keine Geheimhaltung!) und kontinuierliche Kommunikation mit effektiver Kontrolle sind die einzige Möglichkeit, den Missbrauch von Macht, wie er zur Zeit stattfindet, zu verhindern. Außerdem muss man deutlich mehr Qualitätskriterien einbeziehen. Die zunehmende Tendenz, wichtige Positionen im Staat einfach mit Parteigängern zu besetzen unabhängig von ihrer fachlichen Qualifikation, ist auf Dauer stark destruktiv.

Einen Überblick über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

BAUSTEINE DER ‚UNLOGIK‘ VON GESCHICHTE: Philosophie und Politik, Einzelner und Geschichte, Das Beharrliche an Ungerechtigkeit

DENKEN, KÖRPER, WELT, POLITIK

1. Seit dem letzten Sommer schreibe ich in diesem Blog immer wieder und immer mehr über ‚politische‘ Themen, obgleich ich dies weder geplant hatte noch eigentlich will; die Tagesereignisse wirken jedoch auf das philosophierende Denken wie eine Art ‚Störfeuer‘; ich möchte Strukturen unseres Denkens, unseres Wissens, unseres Handelns weiter klären, aber dann rasen Meldungen durch die Medien von Ereignissen, die Auswirkungen auf viele haben, von Menschen, die Entscheidungen fällen, die ganze Nationen elementar betreffen, und dann ist irgendwie klar, dass das individuelle Denken und der reale Gang der Geschichte nun mal irgendwie zusammenhängen. Das individuelle Denken findet in einer realen Matrix von Gegebenheiten, Handlungen anderer statt, von denen man zwar im Denken bis zu einem gewissen Grad ‚abstrahieren‘ kann, aber trotz denkerischer Abstraktion bestehen diese realen Zusammenhänge. Auch wenn ich im ‚Denkraum‘ abtauche bleibt mein Körper ein realer Moment in realen Prozessen, verlangt er nach Nahrung, hat einen amtlich registrierten Namen, bin ich eine Nummer in einer Verwaltungsmaschinerie, unterliege ich den Spielregeln der aktuell jetzt und hier geltenden Gesetze. Im Denken kann ich ‚anders‘ sein als der Moment, als der Augenblick, als es die realen Situationen vorsehen und erlauben, aber das Denken als Denken verändert nicht notwendigerweise die Realität. Ich kann über Grundprinzipien der Demokratie ’nachdenken‘ und zugleich mit meinem Körper in einer Situation leben, in der Demokratie abgebaut wird, und ich dadurch zu diesem Abbau dadurch mit beitrage, dass mein Körper ’nichts tut‘, was diesen Prozess stoppt.

2. In dem Maße, wie ich meine, das Zusammenspiel von Realität und Denken besser zu verstehen, in dem Maße verliert die Realität ihre ‚Unschuld‘. In dem Maße wie man zu verstehen meint, wie die Prozesse des Alltags nicht ’naturgegeben‘ sind, nicht ‚unabwendbar‘, sondern auch von uns Menschen, von jedem einzelnen von uns, ‚erzeugt‘, in dem Masse wird Denken ‚über‘ diese Realität mehr und mehr zu einem Denken ‚der Realität‘, in der jedes Wort, jede Geste, jedes Handeln ‚bedeutsam‘ wird: wenn ich ’schweige‘ dann ‚rede‘ ich in der Form der Zustimmung; wenn ich rede, dann dann rede ich in Form der realen Interaktion. Dann tritt mein Denken in einem scheinbar ’schwachen‘ aber dennoch ‚realen‘ Dialog mit der Welt, in der mein Körper vorkommt. Es ist aktuell die Welt des Jahres 2014 (andere Kalender haben andere Zahlen).

3. Ich beginne für mich zu realisieren, dass die Zeit des ‚politikfreien‘ Denkens möglicherweise vorbei ist. Ich stelle fest, dass ich nicht mehr so abstrahieren kann wie früher. Ich stelle fest, dass das Denken der großen Entwicklungslinien des Lebens auf der Erde und das Alltagsgeschehen immer mehr verschmilzt. Der atemberaubende kosmologische Prozess dieser unserer Erde als Teil von Sonnensystem, Milchstraße usw. bricht sich in den scheinbar ‚geschichtslosen‘ Aktionen von Milliarden menschlicher Individuen jeden Tag neu, und je mehr man das Wunder des Lebens zu erkennen meint, umso unfassbarer wird die Perspektiv- und Verantwortungslosigkeit, die unser ‚Alltagshandel‘ zu haben scheint.

IMPLIZITES WISSEN UND EXPLIZITES HANDELN

4. Ich sage bewusst ’scheint‘, da nach aktuellem Kenntnisstand fast alles, was die Lebenssituation auf der Erde betrifft und die Strukturen des biologischen Lebens, stattgefunden hat und stattfindet ohne unser Zutun. Allerdings hat die Existenz der menschlichen Lebensform auf dieser Erde seit ein paar Millionen Jahren die Erde im Handlungsbereich eben von uns Menschen zunehmend verändert. Diese Änderungen sind mittlerweile so stark, dass wir drauf und dran sind, wichtige Teilprozesse des Gesamtprozesses so zu stören, dass der Gesamtprozess damit nachhaltig gestört wird.

5. Dennoch, obwohl das beobachtbare Verhalten von uns Menschen große Einwirkungen auf die eigene Lebensumwelt erkennen lässt, und es Menschen, Gruppierungen, größere Organisationen und Firmen gibt, deren Verhalten ‚planvoll‘ wirkt, kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass das ‚Planvolle‘ an dem Geschehen letztlich überwiegend wenig reflektiert ist und von individuellen Motiven einzelner angetrieben wird, die in der individuellen Psyche und deren individueller Geschichte wurzeln, und denen jeder Bezug zu einem größeren Ganzen abgeht. Dass ‚kleinwüchsige Männer‘ einen überhöhten Geltungsdrang haben, der viele Völker in einen Strudel von Kriegen und Zerstörung getrieben haben, ist nicht nur ein Klischee, sondern historische Realität. Dass persönliche Eitelkeiten und individuelles Machtstreben gepaart mit allerlei anderen individuellen Bedürfnissen Ländereien, Fabriken, ganze Völker ruiniert haben, ist auch real. Kurzum, das psychologische Format des einzelnen Menschen erscheint immer mehr als unzureichend für die Herausforderungen einer komplexen Massengesellschaft. Während die komplexen Prozesse einer Stadt, einer Region weitreichende vernetzte und rückgekoppelte Denkprozesse verlangen, die von Menschen ausgeführt und unterstützt werden, die in ihrem Denken und Fühlen dazu fähig sind, ist die normale psychologische Ausstattung eines einzelnen Menschen dafür im Normalfall gar nicht ausgelegt.

WENDEPUNKT DER EVOLUTION?

6. Immerhin, der Mensch, zumindest der homo sapiens sapiens, hat ca. 100.000 Jahre mit seiner psychologischen Ausstattung Erstaunliches bewegt und geleistet. Nun aber scheint homo sapiens sapiens sowohl mit seinem psychologischen Format wie auch mit seinen kognitiven Fähigkeiten wie ein Insekt um ein tödliches Licht zu kreisen, das im Fall des homo sapiens sapiens die in jedem Individuum eingebauten zeitlich eng begrenzten Bedürfnisse und Motive sind, die ihn wie ein unsichtbarer Magnet in ihrem Bann halten und letztlich im Alltag bestimmen. Die verschiedenen Religionen (alle, ohne Ausnahme!) haben bislang wenig dazu beigetragen, das Bild des Menschen real so aufzuhellen, dass wir diesem in unseren Genen eingeschriebenem Programm des ‚Handelns auf Kurzsicht, Nahbereich, triebhafter Elementarsteuerung‘ usw. irgendwie entkommen könnten. Letztlich haben sie es mit blumigen Worten und allerlei zufälligem Regelwerk festgeschrieben, den Status Quo zum Selbstzweck erklärt. Am allerschlimmsten, sie haben die ‚Erde‘ und den ‚Himmel‘ geteilt. Das ist die schlimmste Form des Atheismus, die es geben kann.

7. Historisch befindet sich der homo sapiens sapiens an dem bislang ‚höchsten Punkt‘ seiner Entwicklung. Zugleich ist dies eine Art ‚Scheitelpunkt‘ an dem ein nachhaltiger ‚Systemumbau‘ notwendig ist, soll das bislang Erreichte nicht im Desaster enden. Einerseits scheint es, als ob wir genügend Wissen ansammeln konnten, andererseits stecken wir alle in einer ‚unsichtbaren‘ psychologischen ‚Programmhülle‘, die die Gene in unserem Körper und Gehirn angelegt haben, die jeden einzelnen in seinem Bann hält und wie von einer unsichtbaren Macht gezogen täglich zu Gefühlen und Handlungen anregt, die sowohl individuell wie gemeinschaftlich eher ‚destruktiv‘ wirken als ‚konstruktiv‘.

8. Solange der gesellschaftliche Diskurs diese Problematik nicht offen und kompetent adressiert, solange werden wir das bisherige Programm unserer Gene weiter ausführen und damit unsere individuelle wie gemeinschaftliche Zukunft möglicherweise zerstören; nicht, weil wir dies explizit wollen, sondern weil wir implizit, ’nichtbewusst‘, Dinge tun, die unser genetisches Programm uns beständig ‚einflüstert‘, weil sich dieses Programm vor langer Zeit mal bewährt hatte. Moralisieren und die verschiedenen, aus dem Nichtwissen geborenen Religionen, helfen hier nicht weiter. Die Wissenschaft könnte helfen; alle bekannten Gesellschaftssysteme forcieren aber – wenn überhaupt – eine Wissenschaft, die auf kurzfristigen wirtschaftlichen Erfolg programmiert ist, und sich in den fachlichen Details verliert und gerade nicht ein solches Wissen, das Disziplinen übergreifend nach Zusammenhängen sucht und das alltägliche Fühlen und Denken in seiner Gesamtheit im Zusammenhang sieht mit dem zugrunde liegenden genetischen Programm.

WEN FRAGEN ERWACHSENE?

9. Kinder können die Erwachsenen fragen, was sie tun sollen, und sie fragen auch. Wen können die Erwachsenen fragen? Und wenn wir alle gleich wenig wissen, wen fragen wir dann zuerst?
10. Alle Antworten sind im Prinzip schon da. Ich bin auch überzeugt, dass wir die Antworten irgendwann finden werden. Wann? Bei einem historischen Prozess von ca. 13.8 Mrd Jahren kommt es nicht auf ein paar tausend ode ein paar zehntausend oder auch mehr Jahre an. Solange wir als einzelne nicht begreifen (und fühlen), dass wir grundsätzlich Teil dieses größeren Ganzen sind, solange können diese Gedanken ’schrecklich‘ wirken.

SELBSTBEHARRUNG DER UNGERECHTIGKEIT

11. Zum letzten Teil der Überschrift: wenn man sich lange genug die vielen ‚Ungerechtigkeiten‘ in unserer Welt anschaut, so beruhen sie ja allesamt auf dem Schema, dass einige wenige sich ‚Vorteile’/ ‚Privilegien‘ auf Kosten einer Mehrheit herausnehmen. Die Begründungen für diese Privilegien variieren im Laufe der Geschichte (auch dafür musste oft Gott herhalten: ‚göttliche Abstammung‘, ‚gottgewollt‘ …). Letztlich sind alle diese Begründungen nicht viel wert. Wenn das Leben als Ganzen der oberste Wert ist und alle Teile grundsätzlich ‚gleichberechtigt‘, dann können nur solche Lösungen zählen, in denen für die Gesamtheit ein Optimum angestrebt wird. Die Tendenz individuell oder gruppenmäßig Privilegien anzuhäufen, huldigt der Überlebenslogik, dass nur die ‚eigene Gruppe‘ überleben kann und soll und dass alle ‚anderen‘ Feinde sind. Dies ist die implizit kurzsichtige Logik der Gene. Für komplexe Gesellschaften als Teil komplexer Abläufe ist dies, wie sich allenthalben zeigt, kontraproduktiv oder sogar tödlich. Allerdings scheint es so zu sein, dass privilegierte Gruppen von sich aus fast nie ‚freiwillig‘ auf ihre Privilegien verzichten. Änderungen kamen daher immer entweder dadurch, dass die Privilegienbesitzer sich selbst zugrunde gewirtschaftet haben oder weil Unzufriedene sich dieses Schauspiel nicht mehr länger ansehen wollten und versucht haben, sich ihre angestammten Rechte notfalls mit Gewalt zurück zu holen. Revolutionen, Kriege, Terrorismus sind daher immer auch Indikatoren für Ungleichgewichte. Nach erfolgreichen Aufständen wurden dann die ‚Aufrührer‘ selbst zu ‚Privilegierten‘, usw.

RUM-Music

Musik vom 13.Maerz 2014, kann man hören muss man nicht. Eines von vielen experimentellen Stücken.

Eine Übersicht über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

SEXARBEITERiNNEN – SIND WIR WEITER?

Erste Version: 20.Nov.2013
Letzter Zusatz: 27.Nov.2013

 

1) In einem früheren Beitrag zum Thema Sexualität mit dem Titel Sexualität gestern, morgen, und … hatte ich versucht, einige der Alltagsphänomene im Umfeld des Themas Sexualität einzuordnen in den größeren Kontext der biologischen Evolution. Hatte dort versucht, das Moment der Sexualität als ein — wenngleich sehr starkes — Moment im Kontext der menschlichen Psyche einzuordnen, um deutlich zu machen, dass der Versuch seiner ‚Isolierung‘ als eigenständiges Phänomen nur in die Irre führen kann.
2) Wenn man die Diskussion der letzten Monate zum Thema SexarbeiterInnen in Deutschland (und Frankreich, und Italien, und…) verfolgt, hat man nun nicht unbedingt den Eindruck, dass wir mit dem Thema ‚Sexualität‘ ‚weiter‘ wären. In den öffentlichen Diskussionen prallen noch immer unterschiedlichste Fronten schroff aufeinander und jeder versteht sich als eifriger Wiederholer seiner eigenen Auffassung ohne dass man den Eindruck hat, dass die einen von den anderen das lernen, was man lernen könnte, und ohne, dass ein Gesamtbild entsteht, in dem die verschiedenen Facetten ineinanderlaufen, sich wechselseitig erklären, und wir damit als Gesellschaft handlungsfähiger würden.
3) Im Prinzip ist es fast egal, in welcher Zeit man an welchem Ort Nachforschungen anstellt. Dem biologischen Mechanismus der Sexualität entkommt niemand. Die Wucht und Intensität der genetisch eingebauten Triebkräfte sind Teil jeder Psyche oder jeder sozialen Konstellation. Und was Menschen auch immer sonst empfinden, erleben, denken, glauben und tun, das biologisch induzierte Programm der Sexualität sitzt allen in den Knochen. Es ist bislang der intimste Teil des biologischen Lebens auf der Erde, eines Lebens, das wir bis heute kaum verstanden haben. Je älter ich werde würde ich sogar dazu tendieren, zu sagen, wir haben überhaupt noch nicht verstanden, was dieses Leben tatsächlich ist und soll.
4) Wenn in Talkshows junge, gesunde, intelligente Frauen auftreten, die in einem freien Land ihre eigenen Körper in eigener Regie gegen Geld anbieten (genaue Zahlen kennt man nicht), ist dies ein anderer Fall, als wenn junge Frauen (eher noch Kinder) aus wirtschaftlich schwachen Ländern unter Vortäuschung falscher Tatsachen von zu Hause weggelockt werden, um dann unter Gewalt und Drogen ihren Körper verkaufen zu müssen. Und es ist sicher wiederum ein anderer Fall, ob Frauen ihren Körper im direkten Kontakt anbieten müssen oder oder sie dies mit dem boomenden Online-Varianten tun: zeigen und reden ja, aber irgendwo in einem Studio (was nicht frei von Zwang und Gewalt sein muss). Und dies ist wiederum etwas anderes als ein Unternehmer, der Wohnungen und Häuser einrichtet und vermietet, und daran verdient, und des ist wiederum verschieden von der Vielzahl jener Vereinigungen, die auf unterschiedlichste Weise freiwillig sich wechselseitig sexuelle Betätigungen eröffnen, anbieten, arrangieren.
5) Dies ist nur die Spitze des Eisbergs in einem der wenigen freien Länder dieser Erde, in dem es ein einigermaßen funktionierendes Rechtssystem gibt. Die bekanntgewordenen spektakulären Vergewaltigungsfälle in Indien haben schlaglichtartig gezeigt, in welch gefährlicher und unwürdiger Situation viele indische Frauen leben; Frauen sind wie Freiwild, wenn es um Sexualität geht. In Pakistan und Afghanistan ist es nicht besser. Die Kette der hier einschlägigen Länder ist lang.
6) Vom Strom der Armutsflüchtigen heute weiß man von Zeugenaussagen, dass Frauen bevorzugte Opfer von Vergewaltigungen sind. In den zahllosen kleinen Kriegen der letzten Jahrzehnte gehören systematische Vergewaltigungen fast unausweichlich zum tödlichen Ritual (man denke beispielsweise an Ruanda oder das vormalige Jugoslawien, man denke an die japanische Besetzung von Korea und China, man denke an …). Ist es schon schlimm, dass Frauen gegen ihren Willen missbraucht werden, kommt es in vielen Gesellschaften (kenne Berichte vom Irak und Afghanistan) erschwerend hinzu, dass eine ‚geschändete Frau‘ als ein ‚gesellschaftlicher Makel‘ gilt, der so schlimm ist, dass dann weniger die bestraft werden, die dies verübt haben, sondern die geschändeten Frauen selbst werden ausgestoßen, eingesperrt oder gar von den eigenen Verwandten umgebracht. Auf jeden Fall wird es solange möglich vertuscht und verschwiegen; zur Anklage und dann Verfolgung der Schuldigen kommt es daher eher nicht. Die Geschichte von Frauen in Gefängnissen (in fast allen totalitären Regimes, aber auch während der Besetzung Iraks durch die US-Truppen) ist durchtränkt von sexueller Gewalt (zumindest, wenn man den bekannten Zeugenaussagen (darunter beteiligte Beamte) glauben darf). In Ländern mit starken lokalen Sitten und Gebräuchen, in denen — wie in Afghanistan — Frauen weitgehend aus dem öffentlichen Leben verbannt sind, sollen — laut verschiedenen Untersuchungen — bis zu 95% aller Frauen zu Hause regelmäßig Gewalt erleiden; Frauen sind dort Eigentum des Mannes und können wie Ware verkauft werden. Weibliche Ärzte aus Afghanistan berichten von furchtbaren Verletzungen, die ‚Kinder-Bräuten‘ in der Hochzeitsnacht zugefügt werden (und dann nicht selten sterben). Frauen, die versuchen, zu fliehen, oder die direkt von Männern entführt werden, haben keine Chance. Die ‚Ehre‘ würde verlangen, dass die Familie sie wegen der Schande umbringt (aber nicht die, die ihnen die Schande zugefügt haben….).
7) Eine andere Perspektive sind die Armutsflüchtigen der vergangenen Jahrhunderte, positiv ‚Auswanderer‘ genannt, jene z.B. die von Europa aus die USA und Südamerika mit aufgebaut haben. Nicht zufällig sind es überwiegend Männer, da es für Frauen ungleich schwieriger war, ähnliche Wege zu gehen. Eine Ausstellung im Auswandererhaus in Bremerhaven belegt eindrucksvoll am Beispiel von jüdischen Frauen aus Osteuropa, wie diese — ganz ähnlich wie heute — mit der Hoffnung auf ein besseres Leben in vielerlei Abhängigkeiten gerieten, die ihnen wenig gesellschaftlichen Spielraum ließen (siehe Stratenwerth (2012)).
8) Die oben genannten Sachverhalte sind nur Splitter aus der Menge der Fakten, die hier zu nennen wären (Und die Tatsache, dass wir heute aufgrund der modernen Wissenschaft erkennen können, dass es genetisch betrachtet Variationen des Mann-Frau-Musters gibt, die sich nur schwer oder gar nicht diesen beiden Mustern zuordnen lassen, macht die Diskussion nicht einfacher, sondern verstärkt nur die Herausforderung nach der Bestimmung des Bildes, was Menschsein auf dieser Erde eigentlich heißt).
9) Was sich in historischer Tiefe und geographischer Breite andeutet, das ist jedenfalls ein tief verwurzeltes Muster dahingehend, dass man bis in die neueste Zeit versucht hat, das Phänomen der Sexualität ‚abzukapseln‘, und dies zumeist zu Lasten der einen Hälfte der Menschheit, nämlich der Frauen. Deren Leid war — und ist es heute in vielen Ländern immer noch — beispiellos.
10) Wie immer man diese Zurücksetzungen und Diskriminierungen begründet (die sogenannten religiösen Normen sind vielleicht die schlimmsten, weil sie vielfach für eine in sich schlechte Sache sogar den Namen Gottes missbrauchen), dieses Zurückdrängen als solches leistet nichts zum Verständnis unseres Menschseins. Damit leisten sie auch nichts für eine Weiterentwicklung des Humanums. Sie stabilisieren ein Nichtwissen, das alltäglich millionenfach Unrecht und Leid für konkrete Menschen bedeutet.
11) Die Frage ist, wie wir mit unserem Bild vom Leben auf der Erde ‚weiterkommen‘ können? Die Aufhebung aller Tabus im Umgang mit Sexualität ist sicher ein wichtiges Moment, um erkennen zu können. Wir wissen aber auch, dass der Sexualtrieb nur ein Moment im Profil der menschlichen Psyche ist, dass diese Psyche komplex und fragil ist, dass hier Momente wie Anerkennung, Vertrauen, Freundlichkeit — und vieles mehr — wirksam sind und ineinandergreifen. Damit Kinder zu glücklichen und psychisch gesunden Erwachsenen werden können müssen viele positive Dinge geschehen. Dass heute in einer ‚freien‘ Gesellschaft Missbrauch von Kindern und sexuelle Gewalt weiterhin ein (eher noch verdrängtes) Thema sind, sollte uns aufmerksam machen, dass die Enttabuisierung alleine nicht automatisch ein menschenwürdigeres Leben garantiert. Die Wucht des Triebes auf Seiten des Mannes bleibt ein Moment, das kulturell, sozial, psychisch (vielleicht auch physiologisch, genetisch) so gestaltet sein will, dass es in den immer enger werdenden sozialen Vernetzungen nicht zu jenem Störfaktor wird, der sowohl die anderen wie sich selbst mehr schädigt als hilft. Da niemand heute mit Sicherheit sagen kann, wo und wie es ‚lang gehen soll‘ sitzen wir alle im gleichen Boot auf der Suche nach ‚mehr Menschlichkeit‘. Jenen mit den schnellen Patentantworten sollte man grundsätzlich misstrauen, und umso mehr, je höher ihre Honorare (oder je unglaublicher ihre Versprechen) sind…

GEWALTTÄTIG – CHEMISCH PROGRAMMIERT; EIN SCHWERES ERBE

Nachträgliche Anmerkung vom 27.Nov.2013: Am 25.Nov.2013 brachte das ZDF in seiner Heute-Sendung (siehe: Vergewaltigungen in Kenia (im Rahmen des Oberthemas ‚Gewalt gegen Frauen‘) einen Bericht von Kenia, wonach jede dritte Frau  in ihrem Leben mindestens einmal vergewaltigt worden ist. Ein Filmbeitrag von einer Schülerin, die von ihren Klassenkameraden ‚einfach so, aus Spass‘ vergewaltigt worden war, zeigte, dass es bei den Schülern keinerlei Unrechtsbewusstsein gab. Die Schulleitung nahm die Schülerin nicht ernst. Diese konnten ungeschoren bei anderen mit ihrer Tat öffentlich prahlen. Offensichtlich scheint es in diesr Gesellschaft bei den männlichen Mitgliedern — und zwar auch schon bei den jungen Männern, bei Schülern — ein Rollenmodell ‚im Kopf‘ zu geben, das all denen, die dies in ihrem Kopf haben (sie sind damit ‚programmiert‘), ’sagt‘, einer Frau kannst Du Gewalt antun, deinen Trieb gegen ihren Willen ausleben, das ist für Männer ’normal‘. Man kann dies ‚Brauchtum‘ nennen, ‚Kultur‘, und vergisst dabei dann zu fragen, wie denn solch ein Modell entstehen konnte.Es gibt mittlerweile Länder auf dieser Erde, wo das Modell zumindest abgeschwächt wurde. Die Grundsatzfrage lautet aber, warum solche Modelle, speziell in den Köpfen von Männern, weltweit entstehen können? Die Antwort ist letztlich einfach: Männer stehen aufgrund ihrer genetischen Programmierung chemisch permanent unter einem Dauerdruck; biochemisch sind sie in einer Weise ‚programmiert‘, die es für sie schwer bis unerträglich erscheinen lässt, gewisse Dinge nicht zu tun (die anschliessen biochemisch verankerte ‚Belohnung‘ fällt dabei kaum ins Gewicht; der entscheidende Faktor ist der biochemisch induzierte Handlungsdruck davor). Solange Männer in einer Gesellschaft die Oberhand haben, ist es für die Männer einfacher, ein Rollenmodell zu vereinbaren, dass ihnen in der Öffentlichkeit erlaubt, ihren biochemisch ‚Druck‘ handlungsmäßig auszuleben als diesen ‚Druck‘ zu unterdrücken und in weniger offensichtlicher gewalttätiger Form auszuleben. Von sich aus haben Männer wenig Motivation, ein solches Rollenmuster zu ändern. Das genetisch bedingte biochemische Programm in ihnen ist zu mächtig, als dass man dagegen einfach mal so angeht. Dass Religion auf dieses biochemische Programm nahezu keinen Einfluss hat, zeigt die Tatsache, dass laut einer Volkszählung von 2009 in Kenia 82,6% der Bevölkerung angibt, ‚Christen‘ zu sein (siehe: Kenia, dort Religion). Eine Kernbotschaft in den Evangelien ist die einer grundsätzlichen Achtung vor allen Menschen, speziell auchvor Frauen (was eine katholische Kirche bis heute noch nicht vollständig geschafft hat). Selbst wenn Männer irgendwann erkennen würden (was die allermeisten mangels Wissen nicht erkennen können), dass sie in bestimmten Bereichen ihres eigenen Verhaltens massiv biochemisch gesteuert sind, selbst dann würde dies zunächst nahezu nichts ändern, da das genetisch bedingte Programm an der Wurzel des Verhaltens liegt. Es ist so angelegt, dass es das Verhalten ‚von innen heraus‘ beeinflusst, und zwar möglichst so, dass es alle anderen Faktoren weitgehend ’neutralisiert‘. Es sitzt so tief in der Biochemie des männlichen Körpers, dass die entwicklung einer ‚Pille für den Mann‘ (wie mir Mediziner erklärten), fast auswegslos erscheint gegenüber einer Pille für die Frau (dies ist ein Punkt, den würde ich gerne besser verstehen, ob dies wirklich so ist). Die Biochemie der Frauen lässt sich offenbar leichter ‚manipulieren‘. Solange wir nicht anfangen, über diese genetisch bedingte Programmierung des Mannes zu sprechen, reden wir — so erscheint es mir — am Problem vorbei. Das weltweite Leid von Frauen als Opfer von sexueller Gewalt ist weder zufällig noch gottgewollt; es ist das Ergebnis einer evolutionären Entwicklung der männlichen Genetik, die in früheren Zeten für den Erhalt der Population homo sapiens sapiens vielleicht wichtig war; in der heutigen Situsation einer drohenden Überbevölkerung (über 7 Mrd Menschen) mit einer extremen Wohndichte in den großen Metropolen erscheint dieses genetische Programm eher ‚unangepasst‘; es schreit nach genetischer Veränderung. Die Schwierigkeit, diesen Sachverhalt überhaupt zu thematisieren, ist ein Indiz für den ‚Erfolg‘ dieses Programms: es hat alle Männer dieser Erde fest im Griff. Von ’sich aus‘, ‚von alleine‘ wird es nicht verschwinden, sondern jeden Tag, jede Stunde, jede Minute findet es statt. Roboter, die eine soche deutliche Fehlanpassung aufweisen würden, würde man sofort aus dem Programm nehmen und umprogrammieren. Die Kunst der genetischen Umprogrammierung sind wir gerade erst dabei, zu lernen. Wo aber bleibt die gesamtgesellschaftliche Diskussion über das, ‚was wir sind‘ bzw. ’sein sollten‘?

QUELLEN

Irene Stratenwerth, „Der gelbe Schein. Mädchenhandel 1860 – 1930“, herausgegeben von Simone Blaschka-Eick, Herman Simon, Bremerhaven: Deutsches Auswandererhaus Edition DAH, 2012

Eine Fortsetzung (unter Bezugnahme auf das Buch von Stratenwerth) findet sich HIER.

Einen Überblick zu allen bisherigen Blogeinträgen nach Titeln findet sich HIER.