J.Schnell, ‚The Unconquerable World. Power, Nonviolence, and the Will of the People‘, New York: Henry Holt and Company, LLC, 2003
1. Nachdem ich mich viele Wochen wirklich gequält habe, das Buch von Jonathan Schell tatsächlich bis zum Ende zu lesen, frage ich mich, warum es diesen permanenten inneren Widerstand gab, dieses Buch zu lesen, das doch ein zentrales Thema behandelt, das alle Menschen auf diesem Planeten täglich betrifft, und nicht erst seit gestern, sondern seitdem es uns Menschen als homo sapens sapiens gibt, das Problem der ‚Macht‘.
2. Schaut man in eine Zeitung, hört oder sieht man Nachrichtensendungen, dann springen zwar oft Unglücks- und Katastrophenmeldungen in den Vordergrund, aber bei genauerem und längerem Hinschauen, bei der Auswahl der richtigen Programme, findet man sehr viele Übersichts- und Hintergrundberichte zu Staaten, Regierungen, zu Machtstrukturen in Wirtschaft und Gesellschaft.
3. Je nach persönlicher Voreinstellung wird man Unterschiedliches wahrnehmen, wird man unterschiedliche Schlüsse ziehen. Mir fällt auf, aus einer europäisch-demokratischen Perspektive, dass in den demokratischen Ländern Europas wieder Tendenzen zunehmen, bekannte Probleme durch Rückzug auf Gruppeninteressen, durch ‚vereinfachende Parolen‘, durch Polarisierung öffentlichkeitswirksam zu gestalten, Massen zu mobilisieren. Begleitet werden diese Tendenzen durch zunehmende Machtkonzentrationen in der Wirtschaft, durch Monopolbildung, ein extrem starkes Lobbytum der mächtigen Interessengruppen, immer mehr Geschichten, wo politische Vertreter (oder gar ganze Parteifraktionen) sich wie Lobbyisten verhalten; dazu eine Verstärkung der Kluft zwischen ‚Reich‘ und ‚Arm‘; Fälle, in denen die oberen Gerichte den Eindruck erwecken, in ihrer kritischen Funktion gegenüber den mächtigen Gruppen der Gesellschaft und der Politik zu versagen, wegzuschauen, zu beschönigen; eine Finanzwirtschaft, die trotz Verfehlungen und Exzessen in der Vergangenheit immer noch nicht den Eindruck erweckt, aus all dem wirklich gelernt zu haben.
4. In Indien, einem demokratischen Land, hat nun ein Mann die Wahlen gewonnen, der im Freiwilligen Korps der Hindu-Nationalisten RSS groß geworden ist, die das Land – ähnlich wie die Nationalsozialisten in Deutschland – von der Basis her mit straffer Organisation und fundamentalistisch-ethnischen Parolen neu auszurichten suchen (siehe Chr.Hein). Viele Nicht-Hindus befürchten das Schlimmste.
5. In der Türkei, einem demokratischen Land, erleben wir ebenfalls einen andauernden Machtkampf, bei dem es von außen nicht leicht ist, den Überblick zu bekommen. Schwerste Korruptionsvorwürfe gegen die amtierende Regierung, Pressekonzentrationen und Zensur, Einflussnahme auf Polizei, auf Staatsanwälte und auf Richter, Ermächtigung der Geheimdienste, ohne richterliche Kontrolle nahezu alles durchsuchen zu dürfen, um einiges zu nennen, erwecken nicht den Eindruck, dass die Gesellschaft schon ihr demokratisches Gleichgewicht gefunden hat.
6. In den Ländern Nordafrikas, in ganz Afrika, in Irak, in Syrien, … in so vielen Ländern finden wir politischen Unfrieden, soziale Ungleichheiten, ethnische Konflikte, wirtschaftliche Not, laufende Kämpfe, brutalsten Krieg.
7. An den Kreuzungspunkten globaler Machtkonzentrationen finden sich überwiegend US-amerikanische Institutionen und Firmen. Z.B. ist die NSA mittlerweile allen bekannt als jene Abhörer, die für sich alles in Anspruch nehmen und sich selbst keinerlei Normen unterwerfen wollen; google erscheint allen anderen als schier unüberwindlicher Riese, der zahllose Dienste sein eigen nennt, die viele Menschen weltweit täglich nutzen (und aktuell gibt es keine ernsthafte Konkurrenten); amazon steht dem nicht nach. Mittlerweile wird bekannt, dass amazon immer mehr Verlage mit seinen Forderungen so unter Druck setzt, dass man von ‚Erpressung‘ spricht. Sowohl google und amazon zahlen praktisch keine Steuern in den Ländern, wo sie Umsätze erzielen (in Sachen ‚Steuervermeidung‘ sind sie nicht die einzigen). Das Freihandelsabkommen, das die USA mit Europa (und parallel auch mit pazifischen Staaten) schließen will, erweckt bislang den Eindruck, dass hier ein starker allen anderen seine Bedingungen diktieren möchte, und zwar nicht das US-amerikanische Volk, sondern eine selbsternannte Gruppe von Konzernen, die am US-amerikanischen Kongress vorbei ihre Interessen umsetzen wollen.
8. Dass Russland nach dem Fall der Sowjetunion nicht in eine stärkere Demokratisierung und Liberalisierung eingetreten ist, sondern zunehmend Tendenzen zeigt, mit nationalistischen Parolen und antidemokratischen Strukturen für sich zu Punkten, beherrscht die Gegenwart. Ein blühendes Russland in friedlicher Interaktion mit Europa erscheint momentan als ‚Traum von gestern‘. ‚Warum‘, kann man sich fragen, sind doch die aktuellen Perspektiven allemal viel düsterer als die blühende Alternative.
9. Die neu aufkommende Supermacht China gibt weiterhin Rätsel auf. Einerseits hat China es verstanden mit Intelligenz und Disziplin eine starke Wirtschaft aufzubauen, es gibt auch immer wieder Reformansätze, Korruption, soziale Ungerechtigkeit, Rechtsunsicherheit zu mildern, aber Parteiwillkür, Zensur, imperialistisches Gebaren gegenüber Nachbarn, Unterdrückung von ethnischen Gruppen, um nur einiges zu nennen, verängstigen Nachbarn und tragen wenig dazu bei, ein nachhaltiges Vertrauen aufzubauen.
10. Dies war und ist keine vollständige Aufzählung; es sind einige Hinweise auf Aktualitäten, die uns bewusst machen können, dass der Prozess ‚Leben auf dem Planeten Erde‘ mit dem homo sapiens sapiens als den aktuellen ‚Dinosauriern‘, die alles Leben zu ‚beherrschen‘ scheinen, noch keinesfalls einen Gleichgewichtszustand erreicht zu haben scheint, in dem wir in friedlich-konstruktivem Miteinander unsere Kräfte und die Ressourcen optimal und nachhaltig nutzen. Bei der Frage, nach den ‚inneren Kräften‘, die diese Prozesse ‚antreiben‘, entwickelt Schell in seinem Buch eine Analyse des Phänomens Macht, die ich persönlich sehr aufschlussreich finde (neben viel Lob hat das Buch auch viel Kritik bekommen; eine kleine Kostprobe findet sich hier.
Fortsetzung folgt
QUELLEN (Auswahl, eher exemplarisch …)
Frank-Thomas Wenzel, ‚Erfolg macht die Firma unheimlich [google]. Die Dienste des Unternehmens sind zu eng miteinander verzahnt, sagen die Kartellbehörden‘, FR S.3, 17./18.Mai 2014
Frank Nordhausen, ‚Die Griechen misstrauen den Behörden. Thessalonikis Bürgermeister über die Krise als Chance für die Städte und die fatale Macht der Staatsregierung‘, FR S.9, 17./18.Mai 2014
Robert von Heusinger, ‚Die politische Macht großer Konzerne ist unerträglich. Ein Streitgespräch zwischen Grünen-Politiker Gerhard Schick und Allianz-Vorstand Maximilian Zimmerer‘, FR S.16f, 17./18.Mai 2014
Christoph Hein, Modi und die Rächer der Hindus. Der künftige indische Ministerpräsident verdankt seinen Sieg dem chauvinistischen Geheimbund RSS. Der will nun Einfluß‘, FAZ S.2, 17.Mai 2014
nks, ‚Amerika geht härter gegen Banken vor….‘, FAZ S.22, 17.Mai 2014
Ann-Dorit Boy, ‚Die Rechten schließen sich zusammen, Putin führt sie an.Russlands politische Führung redet von einer faschistischen Gefahr in der Ukraine, arbeitet aber eng mit den Rechtsextremen aller Länder zusammen, um Europa zu schwächen…‘, FAZ S.11, 17.Mai 2014 (Interview mit Timothy Snyder, US-amerikanischer Historiker)
Andreas Platthaus, ‚Vorwärts in die totalitäre E-Welt. Dr Vorgriff aufs Zukunftsgeschäft erfolgt jetzt: nicht nur in amerika, auch in Deutschland setzt Amazon einen Verlagskonzern massiv unter Druck …‘, FAZ S.10, 16.Mai 2014
Udo Schäfer, ‚Die Angelsächsiche Allianz und die Deutschen‘, FAZ S.25, 16.Mai 2014
Michael Hanfeld, ‚Diese Rundfunkurteile sind ein Witz. Die Verfassungsgerichtshöfe von Bayern und Rheinland-Pfalz haben entschieden, dass dr Rundfunkbeitrag verfassungsgemäß ist…‘, FAZ S.13, 16.Mai 2014
Günter Bannas, Berthold Kohler, ‚Russland wendet sich wieder altem Denken zu. Ein Gespräch mit Bundeskanzlerin Merkel über die Ukraine-Krise …‘, FAZ S.3, 16.Mai 2014
Anne Peters, ‚Grenzwertig. Der völkerrechtliche Sinn und Unsinn von Gebietsreferenden in der Ukraine und anderswo – ein Referendum kann nur so gut sein wie die demokratische Kultur‘, FAZ S.7, 15.Mai 2014
Christian Geinitz, ‚Weckruf für die China Politik‘, FAZ, S.17, 15.Mai 2014
Markus Bickel, ‚Auch die Antennen werden bombardiert.Auf Journalisten wird in Syrien Jagd gemacht… ‚, FAZ S.13, 30.April
Christiane Körner, ‚In Slawjansk herrscht Terror. Jeder, der eine Waffe wollte, hatte auch eine bekommen …‘, FAZ S.11, 30.April
Markus Bickel, ‚Im Irak gibt es keinen Staat. Im Gespräch mit Salih al Mutlaq, stellv. irakischer Ministerpräsident‘, FAZ S.5, 28.April
Volker Mehnert, ‚Georgia on my mind. 50 Jahre nach Verabschiedung der Bürgerrechtsgesetze hat sich der Bundesstaat Georgia von einer Bastion des Rassismus in einen weltoffenen Teil der amerikanischen Südstaaten verwandelt. Die Wunden der Vergangenheit sind noch nicht überall verheilt.‘, FAZ S.R5, 24.April 2014
tens, ‚Neue Vollmachten für türkischen Geheimdienst‘, FAZ S.1, 19.April 2014
tos, ‚Viele Schulkinder in Nigeria entführt‘, FAZ S.6, 16.April 2014
AFP, ‚Türki: Verfassungsgericht verwirft Teile der Justizreform. Ernennung von Staatsanwälten und Richtern durch Ministerium verfassungswidrig. Neue Korruptionsvorwürfe‘, FAZ, S.2, 12.April 2014
Matthias Rüb, ‚Hartnäckige Klischees. Rassisten und Sexisten in Brasilien‘, FAZ, S.9, 3.April 2014 …. 527.000 Vergewaltigungen, 70% Mädchen und Kinder, 10% Aufklärung …
Petra Kolonko, ‚Der Kotau der Generäle. Mit einem Feldzug gegen Korruption hat Chinas Parteichef Xi das Militär aufgescheucht‘, FAZ, S.5, 4.April 2014
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