Archiv der Kategorie: US-Regierung

DER ZAUBER DES BÖSEN VERLANGT DEN ZAUBER DES GUTEN …

KUNSTSPLITTER

Obwohl wir alle mächtig eingespannt waren, schafften es 11 von uns, sich an einem Wochenende loszueisen und sich zu einem Kreativwochenende zusammen zu finden. Das Ergebnis nach 6 Stunden Arbeit waren 22 mannshohe (und höhere) Holzgestelle, in den Boden gerammt, mit Stofffetzen drapiert, die mit einem Mal einen leicht verwilderten Garten ‚bevölkerten‘. Abschließend stellten sich die ‚Erschaffer‘ zwischen diese und ließen sich fotografieren. Das nachfolgende Bild zeigt einen Ausschnitt aus einem dieser Fotos, nachträglich bearbeitet mit dem open-source Bildbearbeitungsprogramm ‚gimp‘.

Artwork - Holzgestelle mit Stoff behangen, dazwischen lebende Menschen - ein FLOW
Artwork – Holzgestelle mit Stoff behangen, dazwischen lebende Menschen – ein FLOW

Ad hoc habe ich aus dem Stand ein Klangbild erzeugt, das wir uns dann abschließend in Ruhe angehört haben: Erstes Soundbild zur Puppen – Menschen – Flow Konstellation (Vorprogrammierte Funktionstasten aus Bibliotheken; simultan abgespielt). Sicher sind hier tausende andere Klänge möglich ….

WIRTSCHAFTLICHER DRUCK DRÄNGT ZUR CLOUD

1. In ihrem Artikel Cloud-Sicherheit, ein aufkommender Sturm beschreiben die Autoren lebensnah, wie der wirtschaftliche Konkurrenzdruck immer mehr Firmen mit Computerdienstleistungen dazu drängt, die verschiedenen Angebote von Clouds zu nutzen. Zugleich ist aber Cloudcomputing ein maximal komplexes Gebilde von Hardware, Software, Ablaufprozessen und Rechten, deren Absicherung gegenüber ‚bösartigen Angriffen‘ (Sicherheit im Sinne von ‚Security‘) alles andere als trivial ist. Sehr sachkundig und detailliert beschreiben die Autoren die verschiedenen Systeme im Einsatz und die unterschiedlichen Missbrauchsmöglichkeiten. Diese potentiellen Gefährdungen tatsächlich auszuschließen ist beim heutigen Stand der Technik praktisch nicht möglich. Dazu kommen all die verschiedenen Hinweise, die nahelegen, dass die US-Sicherheitsdienste mindestens alle US-Unternehmen per Gesetz gezwungen haben, ihnen Abhörmöglichkeiten zu gewährleisten bzw. – solche Berichte gab es – haben einfach abgehört ohne Wissen der Betreiber.

2. Dies verweist auf ein tiefgreifendes Dilemma: althergebrachte demokratische Werte von Privatheit verlieren sich im Kontext der modernen Technologien. Nicht nur das Verhältnis privater Person zu Firmen, sondern auch das Verhältnis privater Personen zu ihrem Staat löst sich mehr und mehr auf und die einzelnen Personen sind mehr und mehr vollständig gläsern; und das nicht nur an einem Ort sondern aufgrund der unkontrollierten und ausufernden Vernetzung für nahezu jeden.

WARUM SNOWDEN DATEN ENTWENDEN KONNTE – UND WARUM DAS UNBESCHRÄNKTE AUSSPÄHEN GEGEN DIE VERFASSUNG IST

3. Was im Artikel über die Sicherheit in der Cloud für die meisten sehr abstrakt klingen mag wird durch die Aktion von Edward Snowden sehr schnell sehr konkret. In seinem Artikel Die NSA und Snowden analysiert Bob Toxen sehr detailliert die verschiedenen Sicherheitsstrategien, die man heutzutage üblicherweise bei Netzwerken (und Clouds) anwenden würde (und die z.T. auch von der US-Regierung vorgeschrieben werden), die aber im Falle von Edward Snowden von der NSA selbst zu großen Teilen nicht praktiziert wurden. Aus Sicht der betroffenen Öffentlichkeit kann man froh sein, dass es diese Sicherheitslücken gab; aus Sicht der US-Regierung war es natürlich eine mehrfache Katastrophe.

4. Im Nachgang zu Snowdens Kopieren von Daten hat die NSA zwar diverse Maßnahmen ergriffen, um solch einen Fall zukünftig zu verhindern, aber wie sowohl die Analysen von Toxen offenlegen als auch die oben erwähnte Analyse zur Cloudsicherheit generell ist es unwahrscheinlich , dass es ein wirklich sicheres System jemals geben wird. Abgesehen von der technischen Systemkomplexität wird es – solange Menschen mitwirken – den Faktor Mensch geben, und Menschen können prinzipiell jede Vorschrift missachten, wenn sie von der Gültigkeit einer Vorschrift nicht überzeugt sind.

WIE KOMPETENT SIND DIE RICHTER?

5. Die dramatische Veränderung der Lebenswirklichkeit von immer mehr Firmen und Menschen durch die voranschreitende Technologie verändern den Anwendungsbereich der bisherigen Gesetze. Speziell der Schutz der Privatheit (in den USA der vierte Zusatz zur Verfassung) wurde in den letzten 200 Jahren schon mehrfach immer wieder neu ‚justiert‘. Die aktuell bekanntgewordene totale Abhörung, insbesondere auch von US-Bürgern selbst, hat die Fragestellung, ob dies nicht gegen den vierten Zusatz der Verfassung
verstoße, neu belebt.

6. In einem sehr lesenswerten Textblock im Artikel von Toxen wird gezeigt, dass aktuell ein Richter eine Anklage der NSA mit Berufung auf Nr.215 des Patriotic Act verweigern. Dagegen steht, dass das unabhängige Beratergremium von Präsident Obama genau dieses Argument für nichtig erachtet. Ein anderer Richter klassifiziert das unberechtigte Abhören als illegal. NSA-Chef Keith Alexander selbst räumte ein, dass das kollektive Abhören von 300 Mio US-Bürgern bislang kein einziges Leben gesichert habe. Dafür wurde bekannt, dass Daten aus der NSA-Abhörung an andere Behörden zur Strafverfolgung weitergereicht wurde. Ein diktatorischer Polizeistaat unterscheidet sich hier in nichts von der aktuellen US-Praxis.

7. Angesichts dieser gesellschaftlichen Prozesse kann man die Frage stellen, inwieweit die US-Justiz, speziell ihre Richter, aufgrund ihres Alters und ihrer Ausbildung überhaupt kompetent genug sind, diese schwierigen gesellschaftlich relevanten Fragen angemessen zu beurteilen. Idealerweise gäbe es einen offenen gesellschaftlichen Diskurs, der die Politik dazu bewegt, die Gesetze den neuen Gegebenheiten anzupassen. Da es aber die US-Regierung selbst ist, die zum dem immer größeren Missbrauch der Freiheitsrechte durch eine problematische Praxis anstiftet, richtet sich die Aufmerksamkeit mehr und mehr auf die Justiz. Kirckpatrick geht dieser Frage in seinem Beitrag Technologie verwirrt die Gerichte nach. Auch im Vergleich zum europäischen Gerichtshof stellt er fest, dass die US-Richter, speziell beim obersten Gerichtshof, aufgrund ihres hohen Altersdurchschnitts die neuen technologischen Entwicklungen und den damit einhergehenden Wandel im Lebensstil tendenziell nicht mehr angemessen beurteilen können. Eine Analyse der Urteile der letzten Jahrzehnte deutet ferner an, dass die Gerichte versuchen, die Konkretheit der Technologie möglichst außen vor zu lassen, die Fragen generisch zu entscheiden, ohne ältere Urteile aufzuheben, was meist nur in weiteren Einschränkungen der Anwendbarkeit resultiert. Dies spielt den Ball zurück in die Gesellschaft, in die offizielle Öffentlichkeit, in den Bereich der lebendigen Auseinandersetzung: was wollen die US-Bürger selbst? Wie wollen sie künftig leben? Was erwarten sie von ihren Politikern? Wollen sie die zunehmende Totalisierung ihrer Regierung akzeptieren? Sind sie bereit in einem total überwachten Gefängnis zu leben? (dies ist eine Frage, die sich die Bürger Englands nicht weniger stellen müssen. Wie Piya Basil in einem sehr nachdenklich machenden Artikel über Bürgerrechte und Überwachung in England darlegt (s.u.), befindet sich England ebenfalls in einem rechtlich höchst problematischen Zustand mit einem völlig überbordenden Überwachungssystem).

ZÜGE EINES TOTALITÄREN FASCHISTISCHEN STAATES?

8. Verfolgt man die technischen Aspekte des staatlichen Abhörens weiter zu den rechtlichen Aspekten, gerät man, wie bekannt, schnell in die tiefen Gewässer verfassungsrechtlicher Erwägungen. Dazu kommt, dass die für jeden Bürger erfahrbare Praxis der US-Behörden selbst bei gutwilliger Interpretation starke Ähnlichkeiten mit den Grenzkontrollen der ehemaligen DDR oder eben dem Staatssicherheitsdienst der DDR haben. Man kann versuchen, dies weg zu reden, aber das hilft nicht weiter. Die Praxis ist real und die Rechtlosigkeit der Bürger, speziell der Nicht-US-Bürger ist schier grenzenlos.

9. Liest man weiter in dem Buch von Tom Engelhardt, hier Kap.2 (siehe Quelle unten), dann fällt es einem sehr schwer, in der aktuellen US-Politik irgendetwas Gutes für alle Länder außerhalb der USA zu sehen. Zu massiv sind die offiziell geäußerten Strategien und Ideologien der US-Regierung einseitig auf die Machtstellung der USA ausgerichtet mit einer nahezu vollständigen Absage an alle bekannten demokratischen Werte.

10. Es ist wohl einmalig in der politischen Geschichte der USA (oder gar jedes heutigen demokratischen Staates?), dass ein konservativer Thinktank mit ausschließlicher Orientierung an militärischer Macht und fixiert auf die Interessen der USA das ‚Projekt eines neuen Amerikanischen Jahrhunderts‘ (PNAC = Project for the New American Century)) auf dem Reißbrett entwerfen konnte, bevor die Mitglieder dieses Thinktanks dann anschließend unter Bush alle wichtigen Posten der US-Regierung besetzen konnten und diese undemokratische Vision einer militärischen US-Supermacht ohne Rücksicht auf Verluste in die Realität umsetzten, Lügen, Rechtsbeugungen, Gesetzesänderungen, Verbrechen inklusive. Das Ergebnis bis heute ist eine ungeheuerliche Ressourcenvernichtung, endloses Leid (Irak, Afghanistan), eine weitgehende Destabilisierung des Mittleren Ostens, die Beförderung eines Anti-Amerikanismus von nie gekanntem Ausmaß, und vieles mehr. Zugleich eine weitere Ausdehnung von Militär und Sicherheit und Demontage demokratischer Rituale.

MILITÄRISCHE OPERATIONEN SIND KEIN ERSATZ FÜR POLITIK

11. Eigentlich ist – nicht erst seit Clausewitz – bekannt, dass bestehende Konflikte niemals durch militärische Gewalt gelöst werden können. Und in einer Welt, die immer komplexer da wechselseitig abhängiger wird, sind die Verhaltensweisen der Vergangenheit, den anderen zu seinen eigenen Gunsten zu unterdrücken oder gar zu zerstören, nicht zukunftsfähig. Israel und die Palästinenser könnten einen wunderbaren Staat bilden, aber die Vorstellungen in den Köpfen von Minderheiten auf beiden Seiten verhindern eine blühende Landschaft; statt das Denken zu ändern quält man sich gegenseitig; das Gleiche gilt für Schiiten und Sunniten. Russland könnte mit der EU eine blühende Wirtschaftsregion aufbauen, stattdessen praktiziert eine Minderheit Verhaltensmuster aus der Zarenzeit und verspielt damit die Chancen der Gegenwart. usw. usw.

EINE SPIRITUALITÄT DER ZUKUNFT?

12. Dies führt zu der Frage, warum Menschen an Denkmustern festhalten, die ganz offensichtlich allen Beteiligten Schaden, Unheil und Ängste, Aggressionen verbreiten, Fortschritt verhindern, alltägliches Leben zur Hölle werden lassen, usw.? Warum sind Menschen so hilflos, wenn es darum geht, ihr eigenes Denken zu überprüfen und in Frage zu stellen? Warum ist es so populär, andere erst einmal zu verteufeln anstatt Vertrauen aufzubauen, gemeinsame Verständigung zu ermöglichen, gemeinsame Wege zu gehen? Warum braucht man immer einen anderen als Feind um von dem eigenen Versagen abzulenken? Warum gefallen sich Menschen im Jammern und Wehklagen anstatt mit Optimismus das Unmögliche möglich zu machen? Warum kann eine militärische Supermacht wie die USA in Sachen Zukunftsfähigkeit nicht mit gutem Beispiel vorangehen, statt Panzer Schulen, statt Raketen Bildung, statt Geheimdienste … ja, was?

13. Wir müssen uns klar machen, dass all das, was heute als so ‚unabänderlich‘ erscheint, als ‚unausweichlich‘ in keiner Weise unabänderlich ist. Alles, was wir heute tun, tun Menschen, weil sie eine bestimmte Überzeugung haben. Überzeugungen aber sind geworden, geformt, wurden gebildet, und können jederzeit wieder geändert werden. Auch ein Keith Alexander, der Chef der NSA, der sich gerne als Patriot gibt, der natürlich die Verfassung zu kennen behauptet, ist nur ein Mensch, der ein partielles Weltbild ausgebildet hat, das auf Voraussetzungen beruht, die nicht absolut sind, von vielen Gewohnheiten und Zufälligkeiten geprägt ist, und der prinzipiell seine Meinung ändern könnte. Allerdings zeigt er, wie nahezu alle Vertreter der US-Regierung, bislang niemals Ansätze zu Zweifel und Selbstkritik … und das lässt eine Regierung wenig vertrauenswürdig erscheinen. Menschen, die eine solch große Verantwortung tragen für Prozesse, deren Komplexität letzte abschließende Meinungen verbieten, müssten kritisch reflektierend sein und ihr Denken mit der Öffentlichkeit teilen; das tun sie aber nicht; das lässt sie zwangsläufig in einem ungünstigen Licht erscheinen. Wieviel Angst haben sie? Wieviel haben sie zu verbergen? Ist dies nicht eine Form von Geringschätzung der Bevölkerung? Gelebte Demokratie funktioniert anders.

QUELLEN

Keith Kirkpatrick , Technology Confounds the Courts. Despite the need to make decisions relevant to technologies, the U.S. Supreme Court is not the most techno-savvy group.
Pages 27-29, Communications of the ACM, May 2014

Bob Toxen , The NSA and Snowden: Securing the All-Seeing Eye. How good security at the NSA could have stopped him.
Pages 44-51, Communications of the ACM, May 2014

Mihir Nanavati, Patrick Colp, Bill Aiello, Andrew Warfield , Cloud Security: A Gathering Storm, Users‘ trust in cloud systems is undermined by the lack of transparency in existing security policies. Pages 70-79, Communications of the ACM, May 2014

Tom Engelhardt, ‚The United States of Fear‘, Chicago: Haymarket Books, 2011

Priya Basil, ‚Jetzt mal nter vier Augen‘, FAZ 3.Juli 2014, S.9

ANGST IST KEIN GUTER LEHRER – ENGELHARDT ‚UNITED STATES OF FEAR‘, ISLAMISTEN, usw.

KONTEXT

1. In einem vorausgehenden Beitrag hatte ich das Buch Engelhardt, T.; ‚The United States of Fear‘, Chicago: Haymarket Books, 2011 schon mal erwähnt und ausgehend von den Kindheits- und Jugenderinnerungen von Tom Engelhardt hatte ich ein paar Gedanken zum aktiven Philosophieren im Alltag entwickelt. Grundsätzlich sind alle ‚Bilder von der Welt in unserem Kopf‘ nicht die Welt, wie sie ‚unabhängig von unserem Denken existiert‘ (hier verstanden als die ‚reale‘, ‚empirische‘ Welt), sondern eben nur so, wie unser Denken sie ‚konstruiert‘ hat. Je komplexer diese Bilder im Kopf sind, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass sie von der realen Welt abweicht. Aber auch ganz einfache Bilder können sehr falsch sein! Dass die Bilder im Kopf der Menschen von der realen Welt abweichen, kann man im Alltag bei jedem einzelnen Menschen in vielfacher Weise nachweisen. Niemand ist hier ausgenommen (ich natürlich auch nicht).

ENGELHARDT, KAPITEL 2, DIE NEUE USA

2. Im ersten Kapitel seines Buches (dessen Material von der Webseite http://www.tomdispatch.com/ stammt) entwickelt Tom Engelhardt nochmals den ‚Ausbruch‘ und den ‚Aufstieg‘ der neuen, allumfassenden Sicherheitsdoktrin der US-Regierung seit 9/11 2001, eingebettet in eine globale Militärstrategie, begleitet von einer ‚Legalisierung von Unrecht‘ und einer Institutionalisierung von umfassender Kontrolle. Vieles davon wurde auch schon in vorausgehenden Einträgen dieses Blogs anlässlich tatsächlicher Ereignisse erwähnt. Hier nur die Kernthesen zusammengefasst; für die Details sei der Leser auf das Buch oder den tomdispatch-Blog verwiesen.

3. Wie bekannt, hatte die Bush-Administration schon vor 9/11 2001 die Absicht entwickelt, mehr Handlungsspielraum für Operationen im Nahen Osten zu bekommen. 9/11 2001 bot eine wunderbare Gelegenheit, dieses Ereignis zum Anlass zu nehmen, um in einer Art Rundumschlag jetzt alle demokratischen Erlaubnisse und legalen Positionen so auszuweiten, um ein noch unumschränkteres Handeln von Sicherheitsapparat und Militär möglich zu machen.

4. Auf den SS.36ff fasst Engelhardt zusammen, was innerhalb von weniger als zwei Wochen geschah: der Krieg gegen die ‚Terroristen‘ von 9/11 wurde ausgeweitet auf ‚Terror schlechthin‘. Der ‚Global War On Terror [GWOT]‘ wurde zum ‚Vierten Weltkrieg‘ erklärt. Das einzige Kriterium war nur noch ‚Terror‘ mit der Deutungshoheit bei der US-Regierung. Alle Länder der Erde waren entweder ‚Verbündete‘ in diesem Krieg oder ‚Feinde‘. Alle internationalen Rechte und internationale Institutionen, die Souveränität von Nationalstaaten zerfielen in Staub und Asche. Ab jetzt zählte nur noch der Wille und die Stimmung der US-Regierung. Die nationale ‚Sicherheit‘ wurde zur absoluten 100% Sicherheit. Obwohl jeder weiß, dass 100% Sicherheit generell unmöglich ist, wurde die 100-Sicherheit zur obersten Doktrin erhoben, der alles andere Handeln folgen muss.

5. In der nachfolgenden Zeit wurden, um ein möglichst unbeschränktes Handeln der US-Regierung zu ermöglichen, vielfach Gesetze verändert bis dahin, dass das, was lange Zeit als Folter galt, durch trickreiche Formulierungen nun zu ‚erweiterten Verhörmethoden‘ (‚enhanced interrogation techniques‘) umgewortet wurde. Zusätzlich wurde die alte Praktik, kritisches Handeln der Regierung und der Behörden durch Klassifizierung als ‚geheim‘ abzuschotten, massiv ausgeweitet. Mehr und mehr wurde fast alles geheim bei gleichzeitig Begrenzung der demokratischen Kontrollen. Im Juni 2011 (vgl. Engelhardt:S.26) wurden u.a. 99 Fälle von Folter als vom obersten Staatsanwalt als nicht verfolgungswürdig erklärt. Dieser Fall – zusammen mit anderen – ergibt das Bild, dass unter dem Schutz von ‚Sicherheit‘ und Geheimhaltung‘ mittlerweile von den US-Behörden jedes Verbrechen begangen werden kann, ohne dass es jemals verfolgt werden wird. Engelhardt nennt den allgemeinen Zustand der USA (zusammen mit anderen) ‚post legal‘, also ‚gesetzlos‘!

6. Dieser gesetzlose Zustand hat mittlerweile u.a. dazu geführt, dass zwar die staatlichen Stellen normale US-Bürger entgegen geltendem Gesetzt abhören können, ohne verfolgt zu werden, wenn aber sogenannten ‚Whistleblower‘, die in der Verfassung vorgesehen sind, auf ein ungesetzliches Handeln der US-Regierung hinweisen, werden diese sofort verfolgt, und nicht nur diese, sondern auch die Reporter einer Zeitung, die darüber berichten (vgl. Engelhardt:S.27f).

7. Irgendwie ist es ermüdend, all diese Ungeheuerlichkeiten immer wieder aufzuschreiben, aber leider gehören sie zu unserer Realität, leider charakterisieren sie ein Land, die USA, das für viele das Vorbild einer modernen Demokratie war, ein Land der Hoffnung und der Visionen, und das weiterhin eine enorme Rolle in dieser Welt spielt. Es kann daher nicht egal sein, was in diesem Land passiert, wenngleich es andere Länder gibt, die auch groß und mächtig sind und in denen es viel weniger Demokratie (bislang) zu geben scheint.

8. Die 100%-Sicherheitsdoktrin bei gleichzeitiger Aushebelung aller bis dahin bekannten demokratischen Werte hat mindestens zwei Gesichter: ‚Macht‘ und ‚Angst‘. Diejenigen, die all das mit hoher Energie vorantreiben, sind vor allem ‚Nutznießer‘ der Macht: die immer größeren Geldströme, die sich das Sicherheitssystem einverleibt, die nahezu vollständige Abschirmung von äußerer Kontrolle bei gleichzeitig nahezu unbeschränkter (auch militärischer) Machtausübung ist eine eminente Versuchung für jeden Menschen. Auf der anderen Seite wird unter dem Label der ‚100%-Sicherheit‘ ein Argument bereitgestellt, dass selbst schon kleinste Vorfälle zum Anlass genommen werden können, noch mehr Maßnahmen einleiten zu können und deswegen noch mehr Geld zu kassieren. Hier wird eine bis zu einem gewissen Grade ’natürliche Angst‘ der Menschen, der Bevölkerung ‚instrumentalisiert‘, um Dinge zu tun, die nicht nur nicht hilfreich sind, sondern – so scheint es – vielmehr sogar kontraproduktiv. Engelhardt nennt mindestens drei Punkte:

FALSCHE MASSSTÄBE

9. Betrachtet man nüchtern die Zahlen Opfer der tatsächlichen terroristischen Anschläge, mit den Opfern anderer Vorgänge in der Gesellschaft (vgl. Engelhardt:S.32f), dann gibt es mit ca. 25 Terrortoten nach 9/11 zwar etwas mehr als Opfer durch Haiattacken, aber unvergleichlich viel weniger als jene 3000, die jährlich durch Nahrungsmittel sterben, 33.000 – 43.000, die jährlich durch Verkehrsunfälle sterben (ohne jetzt all die Todesarten aufzuzählen, die es auch noch gibt und die weit größer sind). Und doch sieht die Regierung keinen Handlungsbedarf, hier auch einen vergleichbares Behördenmonster aufzubauen, wie im Falle möglicher Terrorattacken (dazu kommt, dass einige Terroranschläge stattgefunden haben, die die Monstermaßnahmen nicht verhindern konnten), im Gegenteil, Gelder für mehr vorsorgende Untersuchungen in Sachen Lebensmittel wurden eher verweigert.

SCHWÄCHUNG DER EIGENEN WIRTSCHAFT

10. Während immer größere Summen in das Militär weltweit und in die Sicherheitsorgane gepumpt wird, verrottet die eigene Infrastruktur, das Bildungssystem leidet, große Anteile der eigenen Bevölkerung leben an oder unter der Armutsschwelle (ist das für die Regisseure und Nutznießer des aktuellen Systems nicht sogar von Vorteil: man hat viele billige Arbeitskräfte, unkritische Bürger, die man leicht manipulieren kann?).

ERZEUGUNG VON MEHR FEINDEN

11. Das absolutistische und rücksichtslose Vorgehen der US-Regierung weltweit soll eigentlich den ‚Terror‘ verhindern. Tatsächlich aber – so scheint es – ruft es immer mehr Widerstände hervor, tatsächlich bildet genau dieses Verhalten den Nährboden für Aggression und Hass auf der Seite der Angegriffenen. Aus den wenigen ‚Terroristen von Alquaida‘ entwickelte sich ein immer größerer Strom von zahllosen – sich Islamisten nennenden – Gruppierungen, kleine Armeen, die mehr und mehr Staaten Afrikas und Asiens mit Terror und offenen Krieg überziehen. Und trotz all dieser offensichtlichen Entwicklungen hält die US-Regierung an ihren undemokratischem und menschenverachtendem Verhalten fest.

12. Als 9/11 passierte, konnte man eine sofortige spontane weltweite ernstgemeinte Solidarisierung ganz vieler Staaten mit den USA beobachten. Aber schon in kürzester Zeit schaffte es die US-Regierung durch ihre absolutistisches und menschenverachtendes Auftreten selbst beste Freunde zu verprellen. Von außerhalb der USA hat man den Eindruck, dass die USA einen tiefgreifenden ‚Persönlichkeitsveränderung‘ seit dem ende des zweiten Weltkriegs durchläuft, wenn man mal das Wort ‚Persönlichkeitsveränderung hier verwenden würde. Obgleich Länder wie China und Russland, nach demokratischen Maßstäben sicher (noch) nicht ‚Demokratien‘ genannt werden können, haben sie in diesem Kontext dennoch mehr Bedeutung bekommen, als ihnen zukommen würde, wenn die USA nicht solch Persönlichkeitsänderung durchlaufen hätte. Die USA, der ehemals ‚weiße Ritter‘, hat immer mehr Ähnlichkeiten eines ’schwarzen Ritters‘, der keine wirklichen Freunde mehr kennt, der Freunden keine wirkliche Souveränität zugesteht, der mit Freunden nach Bedarf ‚umspringt‘, usw. Auch wenn man Länder wie China und Russland wegen ihrer Demokratiedefizite in vielen Punkten kritisieren muss, mag man sich nicht vorstellen, was passieren würde, wenn eine sich selbst als allmächtig fühlende und (rechtlos) handelnde USA diese Machtgegenpole nicht hätte?

MILITÄRISCHE MACHT UND POLITIK

13. In dem sehr anregenden Buchvon J.Schnell mit dem Titel ‘The Unconquerable World. Power, Nonviolence, and the Will of the People’, New York: Henry Holt and Company, LLC (2003) wird das berühmte Buch von Carl von Clausewitz (780 – 1831) mit dem Titel Vom Kriege, Hinterlassenes Werk des Generals Carl von Clausewitz, Bd. 1–3, bei Ferdinand Dümmler, Berlin 1832–1834 (hrsg. von Marie von Clausewitz) zum Ausgangspunkt für eine Analyse genommen, was militärische Macht heute kann und sollte. Clausewitz selbst sah eine deutliche Unterordnung der militärischen Aktion unter die Politik. Denn, was immer eine militärische Aktion bewirkt, der neue Zustand ist ein Zustand von Menschen, die gemeinsam möglichst friedlich und komfortabel leben wollen. Wie das gehen soll und kann, kann keine militärische Aktion beantworten. Dazu braucht es die Menschen selbst, die möglichst einvernehmlich unter Ausnutzung ihres Könnens und der Ressourcen einen möglichst nachhaltigen Zustand erzeugen, an dem möglichst viele partizipieren können. Dies alles geht nicht ohne Vertrauen, nicht ohne wechselseitigem Respekt, nicht ohne Kommunikation, nicht ohne minimale Rechte.

14. Wenn wir uns die heutige Weltkarte anschauen, dann gibt es vornehmlich u.a. folgende Ursachen für Spannungen und Konflikte: soziale Ungerechtigkeiten, mangelndes Wissen, Ressourcenkonflikte, spezielle religiös-ethische Auffassungen, die den jeweils anderen ein Recht auf Leben absprechen. In all diesen Fällen militärische Macht einzusetzen, und dann noch gegen den Willen der Betroffenen, löst keinen dieser Konflikte nachhaltig. Bestenfalls wird der Konflikt ‚konserviert‘, indem eine Partei für eine begrenzte Zeitspanne den Interessenkonflikt einseitig für sich entscheidet.

15. Während man den Eindruck haben kann, dass Europa nach Jahrhunderten angefüllt mit Kriegen, davon zwei ‚Weltkriege‘ mit Abermillionen von Toten, ansatzweise gelernt hat, Konflikte nicht einseitig zu konservieren, sondern unter Beteiligung von allen Konfliktparteien nachhaltig zu lösen, erwecken viele andere Länder (China, Russland, die USA(!!!), Israel-Palästina, …) den Eindruck, als ob sie aus der Geschichte nichts dazu gelernt zu haben scheinen. Im Denken der US-Regierung (zu unterscheiden von der US-Bevölkerung!) kann man nicht erkennen, als ob die Welt ‚jenseits der nationalen Grenzen‘ in diesem partnerschaftlich-nachhaltigem Sinne irgendwie eine Rolle spielt.
16. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass die Regierung von Kuweit (siehe FAZ,9.Juli 2014, S.8) nicht nur erkannt zu haben scheint, dass die verheerenden Auswüchse des sogenannten islamischen Extremismus von ‚innen‘ her, vom Wissen und Verstehen her, aktiv angegangen werden müssen, sondern dass sie tatsächlich und konkret aktiv angefangen haben, über ihren eigenen Staat hinaus intensiv über Bildungsprozesse Menschen in die Lage zu versetzen, ‚alternative Bilder im Kopf‘ zu ermöglichen. Das meiste, was sich unter der Flagge des islamischen Extremismus als ‚islamisch‘ präsentiert, ist möglicherweise überhaupt kein Islam und von Gott so fern, so fern ein Menschenmörder von Gott fern sein kann. So wie es auch in der jüdisch-christlichen Tradition immer wieder Kräfte gab, die sich die die Religion dazu missbrauchten, um ihre eigenen Machtinteressen dadurch zu fördern, so gab und gibt es auch in der islamischen Tradition Kräfte, die dies taten bzw. tun.

GOTT DER KRIEGE?

17. In der tat tut es regelrecht weh, zuschauen zu müssen, wie in unserer aktuellen Welt so viele Gruppen gegeneinander grausame Kriege führen, und sich dabei immer auf ‚Gott‘ (‚Jhw‘, ‚Allah‘, …) berufen. Schiiten gegen Sunniten, Juden gegen Palästinenser, Hinduisten gegen Muslime,…. Natürlich liegt es nahe, anzunehmen, dass hier nicht Gott ‚gegen sich selbst‘ Krieg führt, sondern dass Menschen mit unterschiedlichen selbst konstruierten Gottesbildern gegeneinander antreten, anstatt in Studium, Meditation, Werken der Nächstenliebe, nachhaltiger Weltgestaltung ihr ‚Bild von Gott‘ gemeinsam zu finden. Wer den Namen Gottes in den Mund nimmt und Menschen tötet ist in meinen Augen nicht glaubwürdig, egal ob er sich Jude, Christ, Moslem, Hindu oder wie auch immer nennt.

Ein Überblick über alle Bolgeinträge nach Titeln findet sich HIER.

WAR ES DAS? SCHAFFEN SICH DIE DEMOKRATIEN SELBST AB? KÖNNEN WIR NOCH ETWAS TUN? Eine Zusammenfassung in eigener Sache

KEINER MAG ES UND DOCH PASSIERT ES

1. Am 28.Juli 2013 habe ich in diesem Blog zum ersten Mal explizit über Politik geschrieben. Anlass waren die im Somme 2013 aufkommenden ersten Nachrichten über Aktivitäten der US-Amerikanischen Geheimdienste und ihr staatlich, verfassungsrechtlicher Kontext: PHILOSOPHIE TRIFFT DAS SNOWDON SYNDROM – Erste Notizen. Dies war (siehe den Gesamtüberblick) damals der Blogeintrag Nr.148. Seitdem habe ich immer wieder weitere Blogeinträge geschrieben, da das Thema nicht nur nicht von der Bildfläche verschwand, sondern, ganz im Gegenteil, nahezu täglich durch neue Enthüllungen und Erkenntnisse an ‚Realitätsgehalt‘ zugenommen hat.

DAS ÖFFENTLICHE BEWUSSTSEIN NIMMT ZU, DIE VERLEUGNUNG DURCH DIE REGIERUNG(en) ABER AUCH

2. Das Erfreuliche an dem Vorgang ist, dass es immer mehr Publikationen, immer mehr Sendungen gibt, die die Dinge beim Namen nennen. Immer mehr Menschen merken, dass hier Dinge im Gang sind, die nicht den Geist der westlichen Demokratien repräsentieren. Doch, zugleich, von erschreckender Banalität, ist, dass die zuständigen Regierungsstellen samt den gewählten Regierungen den Eindruck erwecken, als ob ihnen die Bürger, die sie gewählt haben und für die Sie ihr Amt ausüben, genau diese Bürger überhaupt nicht mehr ernst nehmen. Dass Sie sich nicht wie demokratisch gewählte ‚Diener des Staates‘ benehmen, sondern – quasi losgelöst von allen geschriebenen Verfassungen – wie absolutistische Herrscher der vor-demokratischen Zeiten. Die US-Regierung mit ihren Behörden agiert eher ‚pro-aktiv‘, deutet das politische Handeln erst mal in ihrem Sinne ohne die Bürger ernsthaft gefragt zu haben, und die Deutsche Regierung mit ihren Organen erweckt den Eindruck, als ob sie einfach mitmacht; Augen zu, Ohren zu, sie stellt sich gleichsam ‚tot‘ und hofft, dass die Bürger sich ruhig verhalten; als ob ein Schweigen einen andauernden aktiven Verfassungsbruch quasi ungeschehen machen könnte.

3. Wenn man sieht, vor welch gewaltigen Herausforderungen die Menschheit als Menschheit steht, dann erscheint es irgendwie widersinnig, wie sich führende demokratische Staaten durch Missbrauch von politischer Macht im Alltag selbst zerfleischen, dass die Regierungsbehörden eines Staates ihren eigenen Staat, die eigene Bürger zum Feind erklären, anstatt ihre Potentiale auf jene Aufgaben zu lenken, die tatsächlich gelöst werden müssen.

DER SCHUTZ DES EINZELNEN TENDIERT MITTLERWEILE GEGEN NULL

4. In dem Beitrag vom 6.Aug.2013 (samt den Kommentaren!) wurde deutlich, wie die US-Behörden den ursprünglichen Geist der US-Verfassung zum Schutze des einzelnen nach und nach so ausgehöhlt haben, dass es die Bürgerrechte eigentlich gar nicht mehr gibt. Mittlerweile hat sich die US-Staatsmacht mittlerweile alle Rechte genommen; auf der einen Seite wurden die Rechte des Bürgers quasi annulliert, auf der anderen Seite nahm sich der Präsident und seine Behörden (allen vorweg die Geheimdienste) mittlerweile alle Rechte; die formal existierenden demokratischen Kontrollen sind faktisch nicht wirksam oder werden – falls es doch gelegentlich zu parlamentarischen Anfragen kommt – von der eigenen Regierung belogen und mit juristischen Scharmützeln überzogen (die deutsche Regierung und Regierungsstellen wirken in diesem Punkt wie Kopien ihres großen US-Amerikanischen Bruders).

AUSDEHNUNG OHNE JEDES MASS

5. Im Beitrag vom 24.August 2013 wird der ungeheuerliche Umfang deutlich, den die Geheimdienste in den USA angenommen haben. Überspitzt könnte man sagen, die USA bestehen im wesentlichen aus diesem Komplex an Geheimdiensten, dazu verzahnt mit einer gigantischen Militärmaschinerie und der Rest ist irgendwie nur noch (störende?) Zutat. Ein normaler Bürger zählt auf jeden Fall nichts mehr. Das Land hat sich zudem mit einem Wall von Sicherheitssystemen umgeben, so dass die USA von außen – optisch – wie ein Hochsicherheitsgefängnis erscheinen.

SICHERHEIT IST ALLES – SELBST WENN MAN DIE, DIE GESCHÜTZT WERDEN SOLLEN, SELBST ZU TERRORISTEN ERKLÄREN MUSS

6. In einer Zwischenauswertung vom 26.Sept.2013 der Lektüre eines Buches von Tom Engelhardt kann man erkennen, dass die vordergründige schleichende Entdemokratisierung der USA fast schon ‚zwangsläufig‘ erscheint, wenn man das Erstarken und das Verhalten des US-Militärapparates betrachtet, der sich seit dem Vietnamkrieg keinesfalls ‚in sich‘ zurückgezogen hat, sondern sich mit immer neuen – und immer ‚künstlicheren‘ – Feinbildern zu einer Struktur und Stärke weltweit aufgebaut hat, die historisch ohne Beispiel ist. Wenn man sich fragt, wie Hitler und die Nazis eine solche totale Kontrolle über den Staat bekommen konnte (Stalin und viele andere gehören hier natürlich auch genannt), dann muss man sich nur die USA nach dem 2.Weltkrieg anschauen: erst waren es die Kommunisten, die alles rechtfertigten, dann die Staatssicherheit als solche, und schließlich die ‚Terroristen‘, die ‚überall sein können, auch im eigenen Land. Dass in einem solchen ideologisch verzerrten Kontext (in dem Menschenrechte schon lange nichts mehr gelten) ausländische demokratisch instabile Regierungen ‚unbequemer‘ erschienen als Diktaturen, mit denen man kooperieren konnte, versteht sich dann fast – leider – von selbst. In diesem Sinne wären die USA selber ein ‚Schurkenstaat‘, würden sie ihre eigenen Kriterien auf sich selbst anwenden.

EIN BUNDESANWALT, DER NICHTS WEISS (ODER NICHTS WISSEN WILL?)

7. Am 28. Dezember 2013, also quasi zum Jahresende 2013, gab es genügend Hinweise, aufgrund deren man vermuten konnte, dass es eine intensiven Abhörtätigkeit der US-Dienste auf deutschem Boden und in die deutschen Datenströme hinein gab und gibt. Die offizielle Verlautbarung des deutschen Bundesanwalts Range zu diesem Punkt war abwiegelnd, ablehnend; er sähe keinen Anfangsverdacht. Dass er in seiner Stellungnahme statt von der ‚NSA‘ von der ‚NASA‘ sprach wirkte extrem beunruhigend: ist der Bundesanwalt Alkoholiker? Nimmt er Drogen? Ist er gar dement? Leider hat die deutsche Presse bislang versäumt, dieses Amt, seine Amtsführung etwas genauer unter die Lupe zu nehmen (stattdessen hat man lieber den ehemaligen Bundespräsidenten wegen ca. 700€ ‚zu Tode gehetzt‘ (natürlich ist die Integrität eines Bundespräsidenten wichtig, aber die Integrität eines Bundesanwalts, wenn es um massive Grundrechtsverletzungen geht, steht dem eigentlich in nichts nach)).

GRUNDRECHTE GELTEN INTERNATIONAL

8. Zu Beginn des Jahres 2014 hat sich in Sachen ‚außer Kontrolle geratene US-Sicherheitsmaschinerie‘ mit deutscher Gefolgschaft nicht viel geändert. Allerdings denkt die US-amerikanische Bürgerechtsvereinigung darüber nach, dass Grundrechte auch transnational gelten müssten, d.h. das Verbot des Abhörens von US-Bürgern müsste auch für Bürger anderer Staaten gelten (da war offensichtlich noch nicht klar genug, dass die US-Regierung – begonnen unter dem 43.ten Präsidenten der USA, George Walker Bush (born July 6, 1946), ohne Einschränkung übernommen von dem 44.ten Präsidenten der USA, Barack Hussein Obama II (born August 4, 1961) – die US-Bürger trotz anderslautender Verfassung schon längst im großen Stil abhörten). Als irgendwann der US-Justizminister Ashcroft sowie sein Stellvertreter sich weigerten, die Zustimmung zu diesem verfassungswidrigen Abhören von US-Bürgern zu geben, hat Cheney als damals amtierender Vizepräsident kurzerhand das Formular geändert; auf dem neuen Formular musste der Justizminister nicht mehr zustimmen. Dies war zwar gegen geltendes Recht, wurde aber von Bush akzeptiert, ebenso vom damaligen Chef der NSA Michael Vincent Hayden (born March 17, 1945) (Videoausschnitte dazu mit Originalaussagen der Beteiligten finden sich in einer Dokumentation des ZDF vom 28.Mai 2014! (eigentlich kennt das US-amerikanische Recht das Instrument des Impeachments, also der Möglichkeit, einen amtierenden Präsidenten aus dem Amt zu entfernen. Aber dazu bräuchte es neben Klägern auch Richter, die den Mut hätten, das Unrecht auf Seiten der Regierung entsprechend zu würdigen. Bislang findet sich kein Richter ..).

9. Als am 27.Januar 2014 erstmalig ein partielles Interview mit Snowden in der ARD ausgestrahlt wurde, war dies ein Meilenstein in der öffentlichen Diskussion. Gleichzeitig wurde die Verweigerungshaltung der betroffenen US- und Deutschen Regierungen immer deutlicher. Insbesondere wurde deutlich, dass das im US-Recht eingebaute Instrument des ‚Whistleblowings‘ mittlerweile (und von Obama ganz besonders) nahezu zu Null reduziert worden ist. Waren schon die Verhandlungen gegen den/ die SoldatenIn Mannings einer Demokratie unwürdig (eigene parteiliche Militärgerichtsbarkeit), so wirft die regierungsseitig völlig einseitige Argumentation in Sachen Snowden kein gutes Licht auf die demokratische Gesinnung der US-Regierung.

‚FAKTISCH KEINE KONTROLLE DER DEUTSCHEN GEHEIMDIENSTE‘

10. Am 8. Februar 2014 stellt ein Mitglied des parlamentarischen Kontrollausschusses der deutschen Geheimdienste (und ehemaliger Bundesrichter) fest, dass es faktisch keine Kontrolle der deutschen Geheimdienste gibt. Seitdem sich die Hinweise häufen, dass der BND intensivst mit der NSA kooperiert (und die NSA wiederum außer Kontrolle operiert), wirken solche Aussagen nicht beruhigend.

ERST TOTALAUSSPÄHUNGA, DANN ABSCHAFFUNG DER PARLAMENTARISCHEN KONTROLLE

11. Am 16. Februar 2014 wurde klar, dass die Unkontrolliertheit der Geheimdienste nur ein Teil der Geschichte ist. Die zunehmend durchsickernden Informationen zum geplanten transatlantischen Freihandelskommen TTIP zeigen, dass die Machtmonopole der USA (hier nicht nur die Geheimdienste und das Militär, sondern auch Firmen und Anwaltskanzleien) und Europas den Eindruck erwecken, als ob sie an den Parlamenten vorbei (auch der US-Kongress ist außen vor!) versuchen Handelsregeln zu etablieren, die nicht mehr von nationalen Rechten und Regierungen beschränkt werden können (der berühmte Investorenschutz). Wie sich zeigt, ist die deutsche Bundeskanzlerin eine der treibenden Kräfte in diesem Spiel trotz massivem Widerstand ihrer eigenen Wähler. Erst als ganz Europa schon im Aufruhr war und viele namhafte deutsche Vereinigungen und Institutionen offiziell protestierten, lies sie sich zu der öffentlichen Bemerkung herab, dass natürlich keine ‚Chlorhühnchen‘ nach Europa kommen sollten. Die viel schlimmere, die Demokratie aushebelnde, Investorenschutzklausel, erwähnte sie mit keiner Silbe. Sie, die demokratisch gewählte Bundeskanzlerin, hat – so sieht es aus – offensichtlich kein Problem damit, ihre eigenen Wähler zu belügen und die Rolle des demokratisch gewählten Parlamentes abzuschaffen. Wozu brauchen wir eigentlich noch Terroristen? Nur dazu, um die Bevölkerung einzuschüchtern, damit diese nicht sieht, was die gewählten Regierungen mit der Demokratie veranstalten? Im übrigen beginnt man zu begreifen, dass die großen Internetkonzerne mit ihren eigenen Selbstherrlichkeiten im Umgang mit Kundendaten vielleicht doch nicht so harmlos sind, wie diese sich gerne darstellen.

DAS ZDF ALS BASTION DEMOKRATISCHER ÖFFENTLICHKEIT

12. Am 27.Mai 2014 gab es Teil 1 einer ZDF-Dokumentation zu diesem ganzen Komplex mit dem Titel ‚Verschwörung gegen die Freiheit. Big Brother und seine Helfer‘, und am 28.Mai 2014 den Teil 2 mit dem Titel ‚Verschwörung gegen die Freiheit. Verschwörung im Weißen Haus‘. Diesen beiden Beiträge sind sehr gut gemacht (wenn auch im zweiten Teil bei manchen Personen leider die Namenseinblendungen fehlen). Obgleich die hier gezeigten Fakten nur einen kleinen Ausschnitt aus dem darstellen, was wir mittlerweile aus dem Paralleluniversum ‚der dunklen Macht‘ (um ein Bild zu gebrauchen) wissen, sind diese beiden Berichte sehr beeindruckend, da hier die wichtigsten handelnden Personen im Originalton auftreten. Ich kann mir dies nur so erklären, dass die US-amerikanische Stellen trotz allem Rechtsbruch subjektiv immer noch zu glauben scheinen, sie tun das ‚Richtige‘ (was übrigens auch viele der Nazigrößen bei den Nürnberger Prozessen zeigten: auch dann glaubten sie immer noch, dass sie nichts Falsches getan haben).

DIE US-ÖFFENTLICKEIT IST NOCH NICHT VÖLLIG GLEICHGESCHALTET

13. Während sich bislang ein deutscher Bundesanwalt, ein deutscher Präsident des Verfassungsschutzes, die deutsche Bundeskanzlerin und einige ihrer Minister sich bis hin zur Unkenntlich in Sachen massenhafter Abhörung und Verfassungsbruch verleugnen, berichtete die New York Times unter dem Titel ‚Defending His Actions, Snowden Says He’s a Patriot‘ am 29.Mai von dem Fernsehauftritt Snowdens im NBC, bei dem Snowden sehr ausführlich Gelegenheit hatte, sich erstmals offiziell in der US-Öffentlichkeit zu präsentieren. Laut Umfragen anschließend war dann die Öffentlichkeit zu 2/3 der Meinung, dass er in der Tat ein Patriot sei. Ein nicht unwichtiger Fakt wenn man weiß, dass die US-Administration mit allen Mitteln versucht, Snowden als Verräter dar zu stellen (und dabei mehr als großzügig über ihre eigenen schweren Verfassungsbrüche hinweggeht).

WIE KANN ES WEITERGEHEN?

14. Wie kann es weitergehen? Ich meine, wir sind alle normale Berufstätige, wir haben viel Arbeit und wenig Zeit. Es gibt so viele andere drängende Probleme, um die man sich kümmern muss bzw. sollte (und natürlich möchte man eigentlich nicht ständig ‚Probleme wälzen’…). Andererseits ist das, was hier sichtbar geworden ist und immer klarer wird, ein umfassender Prozess, dem man eine historische Qualität nicht absprechen kann. Er betrifft komplette Staaten und, insofern die USA und Deutschland nicht gerade von geringem Einfluss sind, haben diese Vorgänge Auswirkungen auf Prozesse weltweit. Er betrifft die großen Strukturen und über diese den Alltag, jeden Ort dieser Welt, jede Person und Institution. Dieser Prozess betrifft die tägliche Luft der Informationen, die alle Demokratien einatmen müssen, um zu leben. Diese Luft wird von einigen wenigen selbsternannten Weltrettern eigenmächtig manipuliert und vergiftet. Ohne das Wissen und gegen den Willen aller Bürger werden hier täglich Dinge getan, die dem Geist der demokratischen Verfassungen Hohn sprechen. Was geht in den Köpfen der selbsternannten Weltretter vor, wenn sie leichthändig die eigenen Bürger pauschal zu Terroristen erklären, um damit ihre demokratisch nicht gebilligten Aktionen zu motivieren? Wie krank im Kopf muss jemand sein, wenn er die normale Welt, die eigenen Bürger zu Verbrechern erklären muss, um sein eigenes, unkontrolliertes wahnhaftes Sicherheitsbedürfnis am Leben zu erhalten? Über die Nazis von gestern lächelt man gerne, was aber, wenn man selbst ein solcher moderner Nazi geworden ist? Es ist nicht der Name, der einem zu einen Nazi macht, nicht die Uniform, sondern eine bestimmte Haltung, die Selbstermächtigung über alle anderen; Kritik im Ansatz verboten …

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VIKTOR JERUFEJEW – DIE RUSSISCHE SEELE – EIN TRAUM – DEUTUNGSVERSUCH

1. Gestern, am 8.April 2014, druckte das Feuilleton der FAZ die Übersetzung eines Artikels von dem russischen Schriftsteller Viktor Jerufejew ab (laut Wikipedia (DE) schreibt sich der Name Wiktor Wladimirowitsch Jerofejew (Виктор Владимирович Ерофеев, wissenschaftliche Transliteration Viktor Vladimirovič Erofeev). Er trug die Überschrift ‚Die Krim ist Putins Meisterstück‘. Man kann den Text lesen als eine politische Satire, die einen bestimmten Gedanken kunstvoll überdehnt (jene vom russischen Großmachttraum), um die Absurdität deutlich zu machen, oder als die Wiedergabe einer tatsächlich Meinung in Russland, wobei nicht klar ist, wieweit der Autor dies nun selbst auch meint, oder nicht. Wie in besten Zeiten russischer Diktatur(en) ist der Text kunstvoll literarisch kodiert; man kann ihn so oder so lesen. Ich nehme ihn hier mal in jener Lesart, dass er das Fühlen und Denken der ‚russischen Seele‘, des ‚russischen Volker‘ wieder zu geben versucht (denn, angenommen der Text wäre als Satire gedacht, dann ist dies genau sein Thema: die aktuellen Manifestationen der russischen Seele zu ‚besprechen‘).

2. In diesem Artikel steht auf der einen Seite das ‚russische Volk‘, die ‚russische Seele‘ (mit ein paar politischen Akteuren, die dieser Seele dienen), die ‚Nachfahren des heiligen Rus‘, wie es die Augen der orthodoxen Kirche sehen. Das heutige Russland wird als ‚Skelett einer Großmacht‘ bezeichnet verglichen mit dem russischen Imperium des18./19.Jahrhunderts bzw. der späteren Sowjetunion. Gegenüber der Ukraine erscheint Russland als ‚Bruder‘.

3. Demgegenüber stehen die ‚westlichen Massenmedien‘, die ‚westliche Zivilisation‘, oder einfach ‚der Westen‘, der im Fall der Ukraine als ‚heimtückisch‘ bezeichnet wird. Als einziges westliches Gesicht blitzt kurz das von Obama auf, der mit seiner Bemerkung über ‚Russland als Regionalmacht‘ die russische Seele tief beleidigt habe (selbst oder gerade dann, wenn es real zutreffen würde (Idee: wenn jemand arm ist und ein Reicher bezeichnet den Armen in der Öffentlichkeit als ‚arm‘, dann verliert dieser sein Gesicht, seine Würde, dann ist er tief getroffen, beleidigt)).

4. Unabhängig davon, was dieser Artikel sonst noch an Gedanken äußert, sagt alleine schon diese ‚Aufstellung‘ sehr viel über die ‚russische Seele‘ im Sinne Jerufejews (wobei es in Russland – zumindest in den Städten – Menschen gibt (wie viele genau?), die solch eine Aufstellung erheblich differenzierter sehen würden!).

5. Die pauschale Rede von ‚dem Westen‘ verschleudert schon im Ansatz so viel Realität, so viel Wahrheit, dass das, was dann bleibt für darauf aufbauende Überlegungen, nur noch mit einer vagen Fata Morgana operiert, die keine wirklich vernünftigen Gedanken mehr zulässt.

6. Der ‚Westen‘, das sind zunächst mal grob Europa (ohne Russland), Nord- und Südamerika, und jede dieser Regionen ist extrem differenziert; zwar gibt es Gemeinsamkeiten, aber natürlich auch Gegenläufigkeiten, Antagonismen, und möglicherweise haben wir aktuell gerade eine ernsthafte Krise des Westens dahingehend, dass die USA als mit Abstand größte militärische Macht drauf und dran sind, sich zu einem totalitären imperialistischen Staat zu entwickeln, der das Vertrauen seiner bisherigen ‚Verbündeten‘ auf eine immer härtere Probe stellt und gerade dabei war (Snowden Enthüllungen), psychologisch-moralisch noch stärker ins Abseits zu rutschen. Die Krim-Krise kam der US-Regierung gerade recht; und man kann nicht mal ausschließen, dass die abfälligen Bemerkungen Obamas nicht sogar ‚gezielt‘ waren, um genau diese Reaktion Putins zu provozieren, mit der er den übrigen Westen, insbesondere Europa, in eine Rolle gedrängt hat, die Europa wieder mehr den USA zuspielen sollte (zumal seit Sommer 2013 die Geheimverhandlungen zum transatlantischen Freihandelsabkommen laufen, die den großen Konzernen (insbesondere den US-amerikanischen) neue Freiräume eröffnen sollten, und die durch Indiskretion ins Stocken geraten waren). Sollte die US-Regierung tatsächlich darauf spekuliert haben, dass Putin den ’starken Mann‘ markiert und damit Europa verschreckt, dann ist die Rechnung zunächst mal ein wenig aufgegangen.

7. Was nun Europa angeht, so ist Europa selbst ein sehr vielschichtiges Gebilde historisch, politisch, kulturell, ökonomisch, und Europa hat mit Russland mindestens so viel gemeinsam wie mit dem übrigen Westen. Hier Russland willkürlich abzutrennen von ‚dem Westen‘ erscheint fragwürdig.

8. Allerdings gibt es zwischen dem heutigen ‚westlichen Europa‘ und dem heutigen Russland einen tiefgreifenden Unterschied: die Staaten des aktuellen Europa sind ganz und gar ‚freiwillig‘ zur Einheit EU verbunden; nirgendwo stehen Soldaten, um die einzelnen Staaten dazu zu zwingen, sich als EU zu fühlen; das heutige Russland hingegen benötigt in vielen Teilgebieten starke militärische Kräfte, um die Bevölkerung in diesen Gebieten bei Russland zu halten. Ob und wie die einzelnen Staaten (und Völker) der aktuellen EU zusammenbleiben werden, ist eine offene Frage und wird nicht durch militärische Operationen entschieden werden, sondern durch die offene und freie Meinungsbildung in diesen Teilbereichen.

9. Man nennt diese Form des offenen, freiwilligen, und auf Werte gründenden Zusammenschlusses von Menschen, Völkern und Staaten ‚Demokratie‘. Wie wir alle wissen (können), hat es viele Jahrhunderte an schwersten geistigen – und auch militärischen – Auseinandersetzungen gebraucht, bis dies in Europa (und auch in Teilen Nord- und Südamerikas) soweit gekommen ist. Zwei der wichtigsten Faktoren, die dieser Bewegung entgegen standen waren monopolisierte Machtzugänge (z.B. in Form absolutistischer Monarchien) und Religionen in Form von Kirchen, die den jeweiligen Machthabern als ‚Stabilisatoren‘ der Macht durch Bereitstellung von geeigneten ‚Ideologien‘ dienten.

10. Das menschliche Unheil, das ideologisierende Religionen in der Vergangenheit angerichtet haben, ist unendlich groß: Menschenrechte wurden mit Füßen getreten, das Leben Hunderttausender wurde kurzfristigen Machtinteressen geopfert, die Wissenschaft wurde bis ins letzte Jahrhundert unterdrückt (und wird auch heute noch, speziell in den USA von ideologisierenden Kirchen diskreditiert). Die orthodoxe Kirche kann sich von diesen Mustern nicht distanzieren; sie war immer ein Teil davon und erweckt bis heute den Eindruck, dass sie noch ganz und gar diesem menschen- und wahrheitsverachtenden Muster huldigt.

11. Während also die Staaten des westlichen Europas sich freiwillig, in demokratischer Weise, und in Relativierung menschen- und wahrheitsverachtender Kirchen, zu einem Staatenbund zusammengefunden haben, der sich einer zunehmend totalitär sich gerierenden US-Regierung widersetzt (allerdings vorerst nur sehr schwach), scheint Russland das demokratische Moment und das religionskritische Moment – in einer Art Rückfall (man kann es auch Regression nennen) – herunter zu spielen.

12. In der tat kann dies ein punktuelles, rauschhaftes ‚Glücksgefühl‘ erzeugen, aber, schaut man die harten Realitäten an, dann ist dies ein Glücksgefühl, das nicht von langer Dauer sein kann. Ja, man kann das westliche Europa kritisieren, dass es die Interaktion mit Russland hätte intensiver betreiben können/ sollen; im gleichen Atemzug muss sich aber auch die russische politische Elite fragen, was sie selbst getan hat, um dies zu unterstützen. Kernstück des neuen westlichen Europas ist die durchgreifende Idee der Demokratie mit klaren Forderungen an demokratischer Öffentlichkeit, Rechtssystem, Zugang und Kontrolle der Macht, wahrheitsfähiger Wissenschaft und klare Eingrenzung von ideologisierenden Kirchen. Wie es zur Zeit aussieht, hat die politische Elite Russlands hier versagt: aus tatsächlicher – oder eingebildeter – Schwäche heraus, sich nicht zuzutrauen, die gesellschaftlichen Eckwerte in diesem modernen Sinne aufzubauen, hat man sich kurzfristig (und kurzsichtig) den ‚Geistern der Vergangenheit‘ wieder ausgeliefert und sonnt sich in dem (kurzfristigen) Gefühl, es geht doch auch ohne grundlegenden Reformen, ohne Anstrengung, ohne Risiko, ohne Kampf gegen sich selbst, ohne Kampf gegen die Vergangenheit. Nein, es wird nicht gehen. Wenn die Machtelite der USA eines wollte, dann genau dieses, das Zurückfallen Russlands in die alten Muster und die Abkehr vom westlichen Europa. Bravo Putin. Du hast die große historische Chance gründlich vermasselt. Die Erneuerung Russlands und der Wiederaufbau eines demokratischen Europa (West und Ost) gehorchen historischen Maßstäben, nicht der Willkür einzelner oder den realitätsfremden Träumen von Ideologen.

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RUSSLAND, EU, USA – WIEVIEL DOGMATISMUS DÜRFEN WIR UNS ERLAUBEN? (2)

1. In einem vorhergehenden Beitrag hatte ich versucht, darauf aufmerksam zu machen, dass bei aller Aufregung um die aktuelle Annektierung der vormals ukrainischen Krim durch Russland nicht übersehen werden sollte, dass es übergreifende Ziele gibt (bzw. geben kann, je nach Standpunkt des Betrachters), die uns bei aller Erregung dazu auffordern, im Tagesgeschehen die größeren Linien nicht aus den Augen zu verlieren. Dieser Hinweis ist nicht gleichzusetzen mit einer Billigung von unrechtmäßigem Verhalten, sofern es passiert ist.

2. Natürlich ist mir bewusst, dass ein Denken ‚von der Zukunft her‘ in Widerspruch steht zu einem Denken, das sich über die Vergangenheit definiert und dann möglicherweise noch so, dass vermeintliche Schuld auf jeden Fall in der Zukunft mit ähnlichen Methoden in der Zukunft ‚vergolten‘ werden muss (‚Auge um Auge, Zahn um Zahn‘, ‚Blutrache‘, …). Ein ‚Denken, das sich über die Vergangenheit definiert‘ ist aber in der Wurzel gefährlich; als Quelle der Erkenntnis für die Prozesse, wie es zum ‚Heute‘ gekommen ist, ist es unverzichtbar, aber als Leitlinie für die Frage, was wir für die Zukunft tun sollen, ist es nur bedingt tauglich. Gefährlich ist es auf jeden Fall, wenn man versucht, Strukturen, Vorgänge der Vergangenheit festzuschreiben und diese als ‚Maßstab‘, als ‚Norm‘ für die Zukunft benutzen will. Nach heutigem Wissensstand sind wir Teil eines gigantischen, hochdynamischen Prozesses, der sich real strukturell weiterentwickelt und von uns allen eine beständige Weiterentwicklung auf allen Ebenen einfordert. Stillstand bedeutet hier auf Dauer Untergang. Dass alle Beteiligten dieses Prozesses permanent Fehler machen, ist prozessimmanent und daher Teil des Lernprozesses; nur durch Fehler können wir überhaupt lernen. Um die Zukunft zu gewinnen zählt daher in erster Linie, zu erkennen, wo wir eigentlich ‚hin sollen‘ und dann, was wir tun müssen, um dieses Ziel zu erreichen. Fehler in der Zukunft zu vermeiden ist wichtiger, als Fehler durch neue Fehler zu perpetuieren und durch wechselseitige Blockaden eine gemeinsame Zukunft zu verhindern.

3. Personen wie Buddha, Jesus, Ghandi, Martin Luther King, Mandela (um nur einige zu nennen), hatten für sich (auch ohne Wissenschaft) erkannt, dass das Klammern an den Augenblick, das Fixieren des Vergänglichen, der Hass auf das Andere usw. nicht geeignet sind, den einzelnen in seinem Potential frei zu setzen noch eine Gemeinschaft von Menschen in ihrem Potential voll zur Entfaltung zu bringen. Nur wer die Zukunft nicht sieht, kann sich an die Vergangenheit ‚verkaufen‘. Nur wer nicht begreift, dass wir alle extrem begrenzt, anfällig und fehlerbehaftet sind, kann Fehlerbestrafung zum Lebensprinzip erheben. Es geht nicht um Bestrafung, es geht um ‚Umkehr‘, ‚Verbesserung‘, ‚Weiterentwicklung‘ ….

4. Zurück zur Krim. Ja, nach allgemeiner Auffassung ist es nicht OK, dass ein fremder Staat, so, wie Russland es getan hat, Teile eines anderen Staates, hier die Krim als Teil der Ukraine, gegen den Willen dieses Staats infiltriert und schließlich besetzt (was in der Vergangenheit nicht nur von Russland, sondern auch von China, von den USA und vielen anderen immer wieder getan wurde). Andererseits gibt es das ‚Selbstbestimmungsrecht der Völker‘; nach diesem wird einer Mehrheit sehr wohl zugestanden, für sich selbst zu bestimmen, was sie wollen. Im Fall Krim gab es diese Mehrheit; ob sie tatsächlich das wollten, was jetzt passiert ist, ist nicht ganz eindeutig, da die Art und Weise der Abstimmung nicht so transparent und ‚geheim‘ war, wie es idealerweise sein sollte. Aber Russland hat sich damit möglicherweise einen ‚Bärendienst‘ erwiesen, da es sich in seiner imperialistischen Vergangenheit viele Völker ‚einverleibt‘ hat, die als solche ‚von sich aus‘ vielleicht auch etwas anderes wollen, als Teil von Russland zu sein. Ähnliche Probleme hat China, ähnliche Probleme haben verschiedene Staaten der EU, usw. Wir können uns darüber aufregen, dass Russland diese ‚Selbstabstimmung‘ quasi erzwungen hat. Auf der anderen Seite müssen wir uns die Frage stellen, inwieweit die Verhinderung der Selbstabstimmung von Basken, Norditalienern, Iren, Schotten, ‚Tirolern‘, Palästinensern, verschiedenen Ureinwohner in Brasilien, Ureinwohner Australiens, usw. nicht auch gegen das Völkerrecht verstößt. Wenn wir hier anfangen zu suchen, werden wir sehr viele Unrechtssituationen finden, über die wir großzügig hinwegsehen, weil das darüber Hinwegsehen eher ins Tagesgeschäft passt.

In globaler Perspektive sind Nationalstaaten 'Spielbälle' globaler Kräfte, ideal für 'Starke', die 'Schjwachen' per Vertrag zu 'kolonisieren' ...
In globaler Perspektive sind Nationalstaaten ‚Spielbälle‘ globaler Kräfte, ideal für ‚Starke‘, die ‚Schwachen‘ per Vertrag zu ‚kolonisieren‘ …

5. Während die EU und die USA sich offiziell über das Vorgehen Russlands erregen und die deutsche Kanzlerin da eine sehr aktive Rolle zu spielen scheint, findet aber ein anderer Vorgang statt, der nicht nur die Selbstbestimmung eines Teiles eines Landes bedroht, sondern die Selbstbestimmung aller Staaten der EU, der USA , und als Folge der geplanten Verträge würden an die zweihundert bestehende bilateriale Verträge zwischen der EU und wirtschaftlich schwächeren Staaten praktisch eliminiert, mit z.T. katastrophalen Folgen in diesen Ländern. Ich meine die Verhandlungen zum ‘Transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP)‘, über die ich in einem vorausgehenden Blogeintrag schon ausführlich berichtet hatte. Glücklicherweise wird dieses Thema immer mehr in der Öffentlichkeit diskutiert; u.a. gab es eine sehr schöne Dokumentation dazu in 3Sat am 20.März 2014  mit einer aufschlussreichen Diskussion im Anschluss.

6. Wie schon im vorausgehenden Blogeintrag dargestellt, bestätigen die nach und nach ‚durchsickernden‘ Informationen der Geheimverhandlungen zum transatlantischen freihandelsabkommen  alle Befürchtungen, ja, sie übertreffen sie sogar noch. An den Geheimverhandlungen nehmen fast ausschließlich Lobbyisten der großen US-Firmen teilnehmen (der Vertreter des europäischen Parlaments, der zur ‚parlamentarischen Kontrolle‘ da sein soll, ist von diesen Verhandlungen weitgehend ausgeschlossen, und insofern er doch Informationen bekommt, sind diese sowohl zu großen Teilen ausgeschwärzt bzw. unterliegen sie der ‚Geheimhaltung‘ (mittlerweile eher kein Mittel zum Schutz der Demokratie sondern zu ihrer Verhinderung!).

7. Sieht man mal von allen Details ab (die jeder bitte für sich auf den angegeben Seiten selbst nachlesen sollte (die 3Sat Filme kann man auch über die Videothek anschauen)), zeigt sich hier eine historisch neue, einmalige Situation: zwar konnten sich mit viel Mühen, vielen Opfern, vielen Kriegen einige demokratische Gesellschaften auf dieser Erde entwickeln, aber die global operierenden Firmen haben im zwischenstaatlichen Bereich einen Raum gefunden, wo sie unter dem Motto von ‚Freihandel‘ Verträge schließen können, durch die sich nationale Regierungen ‚binden‘. Der Inhalt dieser Verträge ist so (was die letzten Jahre gezeigt haben), dass die ’starken‘ globalen Player nahezu alle Rechte bekommen und die oft sehr schwachen nationalen Wirtschaftsstrukturen durch die globalen Player ‚platt‘ gemacht werden. Dies erhöht den Profit auf Seiten der globalen Player und vermindert deutlich die Wirtschaftskraft und die Einnahmen der schwächeren Nationalstaaten. Sie geraten in noch stärkere Abhängigkeiten und müssen mehr und mehr zu Spottpreisen Teile ihrer Wirtschaft, Teile ihrer Ressourcen, Teile ihres Landes an die globalen Player verschleudern. Dazu kommt, dass die globalen Player praktisch nie regulär Steuern in jenen Ländern zahlen, in denen sie ihre Profite machen. Mehr noch. Wie in vielen Fällen dokumentiert werden konnte, werden Menschenrechte, Arbeitsschutz, Umweltschutz massiv verletzt. Beschweren sich dann Bürger oder sogar die Regierung, dann können die globalen Firmen die nationalen Regierungen aufgrund der internationalen Verträge sogar auf Geschäftsschädigung verklagen. Das erscheint jedem normal denkenden Menschen grotesk, geschieht aber hundertfach pro Jahr! Dieser Wahnsinn steht hinter der Formulierung des ‚Investitionsschutzes‘. Zudem sind es keine ‚ordentliche‘ Gerichte, die hier die Prozesse führen, sondern private Schiedsgerichte mit oft genau den Anwälten jener Firmen, die sich über alle werte hinwegsetzen.

8. Dazu kommen viele andere Rück-Revolutionen: in Deutschland und Europa wurden in den letzten Jahrzehnten die Rechte der Verbraucher massiv gestärkt. Im Prinzip muss hier der Anbieter nachweisen, dass seine Produkte die Gesundheit nicht gefährden. In den USA kann ein Anbieter anbieten was er will; der Kunde muss nachweisen, dass ein bestimmter chemischer Zusatz in der Nahrung seine Gesundheit gefährdet. Was in der Regel heutzutage unmöglich ist. Das Ganze wäre noch irgendwo erträglich, wenn der Staat für seine Bürger hinreichend eigene Forschung und Kontrollen betreiben würde, um seine Bürger zu schützen. Am Beispiel der sogenannten ‚Chlorhähnchen‘ aus den USA hat die 3Sat-Dokumentation gezeigt, dass es nicht nur keine eigene staatliche Forschung zu den Auswirkungen des Chemikalieneinsatzes bei der Produktion dieser Hähnchen gibt, sondern dass die bestehenden Kontrollen in den Firmen zudem noch massiv abgebaut werden. Gleichzeitig wurde der Chemikalieneinsatz mittlerweile massiv erhöht, so schlimm, dass die Mitarbeiter in diesen Betrieben schwerstens erkrankt sind. Mit dem neuen Freihandelsabkommen würden alle deutsch-europäischen Vorschriften außer Kraft gesetzt und die US-amerikanischen Nicht-Standards zum neuen Maßstab genommen. Würden wir uns als Bürger beschweren, könnten die US-Firmen den deutschen Staat wegen Störung ihres Geschäfts verklagen. Einspruch wäre nicht möglich. Schöne neue Welt. Diese Art von Menschenverachtung ist kaum noch zu überbieten.

9. Wenn man im Falle von wirtschaftlich schwachen Staaten mit labilen politischen Strukturen noch ansatzweise nachempfinden kann, dass globale Player sich dieser schwachen Strukturen bemächtigen und diese Staaten buchstäblich ausbeuten, ist es schwer bis gar nicht nachvollziehbar warum ein Land wie Deutschland, das bislang mit zu den wirtschaftlich erfolgreichsten und politisch stabilsten Ländern dieser Erde gehört, sich auf dieses Spiel überhaupt einlässt (abgesehen davon, dass hier offensichtlich schwerste Verletzungen des Grundgesetzes ins Haus stehen). Alle nicht lobby-gebundenen Wirtschaftsexperten, die sich bislang dazu geäußert haben, haben klar gesagt, dass die Prognosen zu den positiven wirtschaftlichen Effekten wissenschaftlich nicht nachvollziehbar sind. Sie kommen eher zum Ergebnis, dass höchstens minimale Effekte in EU und speziell Deutschland wahrscheinlich sind, dafür erheblich starke negative Effekte in Ländern außerhalb dieser Zone; diese würden aber von den USA mit einem anderen Vertrag aufgegriffen, so dass die USA sich überall Vorteile sichern würde, die einzelnen Ländern sich aber einseitig stärker von den USA abhängig machen würden). Dass die Bundeskanzlerin angesichts all dieser stark negativen Auswirkungen des geplanten Vertrages sich öffentlich bislang eindeutig dafür ausspricht wirkt mindestens befremdlich. Da Sie ja anerkanntermaßen sehr intelligent und politisch sehr erfahren ist, muss man sich fragen, was ihre Motive/ Interessen sind, ein solches demokratiefeindliches Projekt zu befürworten. Denkt Sie an eine goldene Zeit nach ihrer Kanzlerschaft, quasi als Präsidentin einer dieser globalen Player? Bei dem Verhalten der europäischen Kommission kann man sich kaum der Vorstellung erwehren, dass diese nicht mehr gemeinsame Sache mit den wirtschaftlichen Lobbyisten macht als mit den europäischen Bürgern, für die sie Verantwortung tragen.

10. Aus all dem stellt sich die Frage, ob und wie Demokratie im globalen Kontext möglich ist, der anscheinend überwiegend von entfesselten multinationalen Konzernen und kooperierenden Regierungen gegen die Interessen der Bevölkerung bestimmt erscheint. Welche Bedeutung hat das Gerede von Menschenrechten, wenn diese Konzerne täglich demonstrieren, dass ihnen das Wohlergehen von Menschen nichts wert sind? Was soll man von demokratischen Regierungen halten, die grundlegende Informationspflichten mit Füssen treten und sich über geltende Standards ohne ein Minimum an öffentlicher Diskussion hinwegsetzen? Haben wir nicht schon längst einen ‚Staatsstreich von Innen‘, indem gewählte Regierungsvertreter ihr Amt dahingehend missbrauchen, dass sie demokratische Rechte und Institutionen massiv schwächen wenn nicht gar ganz außer Kraft setzen? Müssen wir auch in Deutschland um die Grundlagen unserer Demokratie neu kämpfen, weil sogar die Kanzlerin den Eindruck erweckt, sie hat sich schon längst von der Demokratie verabschiedet. Irgendwie zögert man noch, diesen Gedanken ganz zu glauben. Wenn man zu lange zögert, kann es zu spät sein…

11…. und, angesichts dieses scheinbaren Misbrauchs von politischer Macht in den Superstrukturen ist es möglicherweise verständlich, dass sich ‚Teilbereiche‘ auskoppeln wollen mit der Vorstellung, dann hätte man die Dinge besser unter Kontrolle. Doch, wie wir sehen, ist das Problem nicht unbedingt die Trägerstruktur (z.B. der Nationalstaat als solcher), sondern die Interaktionen zwischen den Trägerstrukturen; da gelten ja zunächst mal keine Gesetze bzw. ob und in welchem Umfang gesetze gelten sollen, muss neu ausgehandelt werden.  Erleben wir mit diesen Krisen der nationalen Demokratien die ersten Wehen des nächsten Evolutionsschubs von Superdemokratien, die zunächst durch die ‚Vorhölle‘ des globalen Kapitalismus gehen müssen? Da es letztlich immer wir selbst, wir Menschen, sind, die entscheiden, müssen wir als Menschen Klarheit finden, was wir wollen. Menschenverachtung ist kein Naturgesetz.

CONSTRUCTED RADICALLY UNPLUGGED MUSIC

Die Fortsetzung eines Experimentes: Musik vom 24.3.2014 (man sollte gute Lautsprecher haben, oder gute Kopfhörer …)

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RUSSLAND, EU, USA – WIEVIEL DOGMATISMUS DÜRFEN WIR UNS ERLAUBEN?

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 20.März 2014
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org

Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

1. In diesen Tagen erleben wir ein Schauspiel, wie es sich schon oft ereignet hat: ein Staat annektiert einen anderen Staat, andere Staaten äußern Unmut, Kritik in unterschiedlicher Form. Noch gibt es keinen größeren Krieg; ganz ausschließen kann man es nicht. Das Ganze wird vom Annektierer eingehüllt in eine Aura historischer Unausweichlichkeit: das musste jetzt sein. Teile der Bevölkerung jubeln; wie viele genau, weiß man nicht. Alle Seiten führen Argumente an, die irgendwo einen Grund finden, die aber, geht man ihnen nach, auch viele Fragen aufwerfen.

2. Was man bei allen Beteiligten vermisst, das ist die Vision einer Zukunft, in der alle Beteiligten einen attraktiven Platz haben würden. Aktuell artikulieren alle letztlich sehr partikuläre Interessen, Interessen aus der eigenen nationalen Perspektive, die so sind, dass die anderen darin keinen wirklichen Platz haben.

3. Je nach Lesart kann man dem Verhalten Russlands aus Sicht abstrakter Werte viel Kritik entgegen schleudern. Bei neutraler Betrachtung könnte man dies aber in nicht geringerem Umfang auch gegenüber den USA, deren überlegener militärischer Apparat Aktionen möglich macht, von denen die Europäer nicht einmal träumen können. Die aktuelle EU hat eine große Vision und viel Freiheit, aber umfasst eine solche Vielfalt und nationale Baustellen, die ein einheitliches Auftreten bislang mehr lähmt als befördert. Doch, was immer hinter uns liegt, letztlich zählt nur, was morgen sein wird.

Vom IST wohin? Welche VISION ermöglicht eine bessere Zukunft für uns alle?
Vom IST wohin? Welche VISION ermöglicht eine bessere Zukunft für uns alle?

4. Eine Zukunft für alle kann nur attraktiv sein, wenn jeder sich darin wiederfinden kann und keiner dadurch einen Nachteil hat. Solange eine Partei sich von anderen bedroht fühlt, missverstanden, hintergangen, wird es solch eine gemeinsame Zukunft nicht geben.

5. Eine Zukunft kann es also nur geben, wenn beispielsweise die Regierung der USA, der EU (noch gibt es keine wirkliche Regierung der EU…), und von Russland sich an einen Tisch setzen und darüber sprechen würden, was sie alle zusammen tun müssten, um den Zustand der drei Regionen zu ‚optimieren‘, und zwar so zu optimieren, dass es allen maximal gut geht: allen Bürgern, den Firmen und Institutionen, usw.

6. Würde man so vorgehen, hätten alle nur Vorteile: man könnte den materiellen Wohlstand gegenüber dem aktuellen Zustand um ein Mehrfaches steigern, man könnte gemeinsam Aufgaben in Angriff nehmen, für die man alleine derzeit zu schwach ist, man könnte die Sicherheitsanstrengungen (mindestens auf Seiten der USA) dramatisch verringern, da man gemeinsame Sache machen würde, usw.

7. Neben vielen Dingen, die man bislang lieb gewonnen hat, wäre es vor allem eines, was man grundlegend ändern müsste: man müsste begreifen, dass die Zukunft des Lebens nicht auf einer historisch zufällig gewachsenen ‚Nation‘ gründet, sondern auf der neuen kooperativen Gemeinschaft von Regionen, die es schaffen, ihre Vielfalt konstruktiv gemeinsam zu nutzen. Schon heute kann man bei internationalen Veranstaltungen (insbesondere mit jungen Menschen) erleben, dass es eigentlich kein Problem sein muss, dass 100 Nationen miteinander leben und arbeiten, sofern man sich nicht künstlich ‚verteufelt‘.

8. Ferner, und das ist vielleicht das Hauptproblem, müssten die aktuellen Machteliten in den USA, den EU und in Russland über sich selbst hinauswachsen, indem sie sich aktiv vorstellen, wie man eine neue intensive Kooperation so leben kann, dass keiner den anderen als Konkurrenten sieht, sondern als Partner.

9. Klar, dies alles ist aktuell eine (stark vereinfachte) ‚Vision‘. Aber aus der allgemeinen Lerntheorie ergibt sich, dass ‚Lernen‘ nur möglich ist, wenn man sein aktuelles Wissen immer wieder bewusst und willentlich ‚ausdehnt‘, indem man Dinge untersucht und tut, die man zuvor nicht getan hat.

10. Die menschliche Psyche hat eine starke Tendenz, sich ‚abzusichern‘, zu kontrollieren und zu beherrschen. Dies begünstigt, am ‚Status Quo‘ fest zu halten, das ‚Bekannte‘ zu bewahren, und zwar umso mehr, umso mehr man zu verlieren hat. D.h. je mehr Geld jemand hat und umso mehr Macht jemand aktuell hat um so weniger wird er bereit sein, Dinge zu verändern, es sei denn, er verspricht sich dadurch eine Vergrößerung seines eigenen Vorteils.

11. Hier geht es aber um die Zukunft ganzer Nationen, großer Regionen, um Teile der Menschheit, die ihre Aufgabe auf dieser Erde noch in keiner Weise ‚im Griff‘ hat. Die Zufriedenheit der wirtschaftlich Mächtigen und der politischen Klasse ist normalerweise nicht identisch mit dem Wohl der ganzen Nation oder ganzer Regionen.

12. Blickt man in die Geschichte zurück, dann ist dies einerseits nicht ermutigend, da man da sehen kann, dass Weltbilder und politische Machtsystem sich selten von sich aus gewandelt haben. Erst massive klimatische, geologische, technologische oder ethnische Umbrüche, die Städte, Regionen, ganze Länder verwüstet haben, eröffneten immer wieder die Chance für einen Neubeginn; dazu zahllose grausame Kriege. Europa brauchte einen 1. und 2. Weltkrieg, bis es zumindest in Ansätzen die tiefsitzenden Nationalismen überwand und eine neue gemeinsame Vision entwickeln konnte, kämpft aber weiterhin mit den alten Übeln von Gruppenegoismen und Korruption. Die USA sind Opfer ihrer eigenen Stärke geworden und haben durch viele Kriege, durch Imperialismus, durch unkontrollierte Machtideologien jegliche ethische und visionäre Kraft verloren. Russland torkelte von einem absolutistischen System in das nächste, verstand Größe immer nur durch Eroberung und Herrschaft und befindet sich zur Zeit in einem experimentellen Zustand, von dem man schwer sagen kann, was als Nächstes kommt. Die wechselseitige Wahrnehmung der USA durch Russland und umgekehrt erscheint durch unreflektierte Machtinteressen und künstliche Ideologien so verzerrt, dass beide Regionen sich schwer tun, das gemeinsame Potential einer gemeinsamen Zukunft aktuell realistisch erkennen zu können.

13. Und doch, wenn wir die Zukunft menschlich meistern wollen, gibt es keinen anderen Weg, als den, die wechselseitigen Schuldzuweisungen, Verdächtigungen und Ängste zu überwinden und zu einem real konstruktiven Miteinander zu kommen.

14. Und es gibt nur einen einzigen Weg, die wechselseitigen Blockaden nachhaltig zu überwinden: kontinuierliche Aufklärung, kontinuierliches Miteinander in Lehre, Forschung und Wirtschaft, kontinuierlich vertrauensbildende Maßnahmen.

15. Allerdings, wie man bei der Geschichte der Entstehung der Demokratien und der EU sehen kann, es braucht auch eine greifbare, gemeinsame geteilte ‚Vision‘ eines gemeinsamen Lebens, in der die nationalen Interessen ‚aufgehoben‘ sind, nicht ausgelöscht, sondern integriert, respektiert, aber im Größeren Ganzen eingeordnet. Das erfordert Menschen mit der entsprechenden Weitsicht, mit der entsprechenden persönlichen Integrität, dazu Politiker, die solches Denken und Leben können. Niemand könnte einen Obama, eine EU-Regierung, einen Putin darin hindern, dies zu leben, wenn sie es wollten. Das Geheimnis ist immer, was will eine Person, wann, warum. Was hindert sie und was unterstützt sie?

16. Aktuell machen sich alle das Leben gegenseitig eher schwerer. Es ist wie ein dunkler Zauber, der über allem liegt, der die Augen, die Hirne und die Hände lähmt. Was hindert uns alle, das Bessere zu tun? Das zu verstehen heißt auch, ein Teil des Geheimnisses des Lebens überhaupt zu verstehen.

17. Und natürlich, das, was hier am Beispiel der drei Regionen USA, EU und Russland gesagt wird, gilt natürlich letztlich für alle Regionen dieser Erde; letztendlich müssen wir zu einem Miteinander finden, in dem wir uns wechselseitig ‚gut tun‘; dann hätten alle den größten Gewinn. Erst wenn die Menschheit gelernt haben wird, ihre veralteten psychischen Strukturen so zu überwinden, dass weltweite wechselseitig ‚gut tuende‘ Superstrukturen möglich geworden sind, erst dann wird sich die Menschheit der eigentlichen Aufgabe zuwenden können die sie lösen muss, nämlich wie wir das Leben dieser Erde über den kommenden Wärmetod hinaus in diesem Kosmos bewahren können. Noch haben wir ein bischen Zeit … 🙂
18. In hundert Jahren wird sich niemand dafür interessieren, warum wir heute das transnationale Miteinander durch lebensuntaugliche Ideologien und Ängste vermasselt haben, sondern nur, wann, wer, wie es geschafft hat, aus diesem unproduktiven Spiel auszubrechen, indem bessere Vision von gemeinsamem Leben Wirklichkeit wurden. Niemand kann uns verbieten, es besser zu machen, nur wir selbst.

CONSTRUCIVE RADICALLY UNPLUGGED (CRU) MUSIC

Musik vom 21-22.Maerz 2014. Weiteres Experimente mit Rhytmusfiguren, elektronischen Effekten (Teil eines größeren Experimentes)

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DIE DEMOKRATIE HAT GERADE MAL KEINE SAISON

1) Jede Woche denke ich, dass es jetzt mal genug ist mit diesem Demokratiethema; ich komme gar nicht mehr dazu, über meine ‚eigentlichen‘ philosophischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Themen zu schreiben, aber dann stelle ich fest, es gibt in Deutschland immer noch Zeitungen, die macht-kritische Artikel drucken, und dies geht nur, weil es immer noch Menschen gibt, die die Fähigkeit besitzen und den Mut haben, macht-kritische (und in diesen Fällen demokratie-freundliche) Artikel zu schreiben. Während wir weltweit viel zu viele Länder kennen, in denen es nur diktaturähnliche Verhältnisse gibt, keine Rechtsstaatlichkeit, keine Meinungsfreiheit, eine streng zensierte Presse und mittlerweile immer mehr auch ein streng zensiertes Internet, erscheint es fast irreal, dass man in einem Land lebt und in einem Länderverbund, in dem dies – zumindest äußerlich, formal – noch zu funktionieren scheint.

IN DEN USA …

2) Wenn die Fakten und Überlegungen aus dem vorausgehenden Blogeintrag stimmen (und dieser ist ja nur einer von vielen dieser Art in diesem Blog), dann dann ist die Demokratie in den USA mittlerweile ‚von innen‘ außer Kraft gesetzt. Formal gibt es noch eine Demokratie, aber faktisch haben Teile des Regierungsapparates (zu denen u.a. die verschiedenen geheimen Dienste gehören) die Maschinerie der Macht soweit zurecht getrimmt, dass eine tatsächliche demokratische Kontrolle zwar formal noch gegeben ist, aber nicht mehr real. Die noch immer mächtigste Machtmaschinerie unser aktuellen Welt agiert damit ‚von innen heraus‘, bar jeglicher Kontrolle, ohne Bindung an irgendwelche Gesetze. Und, wie wir aus den wenigen bekannten Fakten wissen, spielen Menschenleben hier keine Rolle. In diesem Spiel kann jeder von jetzt auf gleich zum ‚Feind‘ erklärt werden und niemand wird dagegen etwas tun. Aufgrund der umfassenden Geheimhaltung, die von den Akteuren selbst nach Belieben praktiziert werden kann, werden die offiziellen demokratischen (Feigenblatt-)Institutionen in der Regel gar nicht wissen, was die Dienste so tun. Aber auch die Dienste selbst wissen – nach Aussagen von Kontrolleuren der US-Geheimdienste – nicht einmal, was die verschiedenen Unterabteilungen oder vernetzten Kooperateure so alles treiben, einmal weil sie viel zu groß und zu vernetzt sind, zum anderen, weil sie sich untereinander auch durch ‚Geheimhaltung‘ abzublocken versuchen. Das Ganze erscheint wie ein Todesstern, der wild durch alle Gesellschaften rast, und völlig außer Kontrolle ist.

… ES GIBT KEINE GRENZEN

3) Constanze Kurz, die nicht nur wegen ihrer Kolumne in der FAZ zu einem wichtigen Sprachrohr gegen die voranschreitende Aufweichung und Zerstörung der Demokratie durch das unmäßige und demokratisch unkontrollierten Ausspäh- und Überwachungsaktivitäten der Geheimdienste geworden ist, hat in der FAZ vom 7.2.2014 (S.38) wieder einmal darauf hingewiesen, dass die Geheimdienste eben nicht ’nur Terroristen‘ attackieren, sondern (schon viele Jahre) auch jene, die sie kritisieren. Server für die Kommunikation von Kritikern werden durch gezielte Störmaßnahmen lahmgelegt. Parallel agieren geheimdienstnahe Politiker ungeniert in der Öffentlichkeit mit Verleumdungskampagnen zu solchen Personen, die sich öffentlich kritisch äußern. Dies zeigt, dass der ‚inneren Kompass‘ des unkontrollierten Todessterns schon lange seine demokratische Eichung verloren hat (wenn er sie jemals hatte). Aber hat denn überhaupt noch jemand eine ‚demokratische Eichung‘?

PARLAMENTARISCHE KONTROLLE IN DEUTSCHLAND?

4) Wolfgang-Dragi Willi Nešković, Politiker, ehemaliger Bundesrichter, zwischen 2005 und 2012 (mit Unterbrechung) Mitglied des parlamentarischen Kontrollgremiums, das die Arbeit der Exekutive überwachen soll (und damit indirekt die verschiedenen Geheimdienste), analysiert in einem Artikel in der FAZ vom 5.2. (S.28) die Situation der demokratischen Kontrolle der deutschen Geheimdienste. Sein Kernthese lautet, dass eine umfassende und effiziente Kontrolle der Dienste in Deutschland nicht existiere. Hätte er Recht, dann wäre die Situation in Deutschland nicht besser als in den USA, nur sind die deutschen Dienste im Vergleich zu den US-amerikanischen unvergleichlich viel kleiner und in ihren technischen Möglichkeiten eingeschränkter. Doch was besagt dies, wenn diese Dienste (wie man aus den bekannt gewordenen Details schließen muss), intim kooperieren? Interessant in seinem Beitrag ist der Hinweis (für Kenner trivial, für einen ’normalen‘ Bürger aber aufschlussreich), dass das parlamentarische Kontrollgremium ja die Dienste nicht direkt kontrolliert, sondern nur das Kontrollgremium der Regierung. Dies ist eine Konstruktion, die nicht nur faktisch viele Fragen aufwirft. In seiner Analyse ist aktuell eine seriöse demokratische Kontrolle der Aktivitäten der Dienste durch die gewählten Parlamentarier nahezu unmöglich.

KEIN KLARES BILD BEI DEN DEUTSCHEN POLITIKERN

5) Dieser beunruhigende Befund von Nešković – so er denn stimmt (davon gehe ich momentan aus) – wirkt umso beunruhigender, wenn man sieht, mit welcher Laxheit die wichtigen deutschen Politiker und zuständigen Behörden mit dem Thema umgehen: Verharmlosungen, Wegreden, explizit Leugnen, medienwirksame Aufregung ohne tatsächliche Maßnahmen, Inaktivität im Amt, Schlechtreden der Kritiker, usw. Von den Störgeräuschen, die kürzlich Mißfelder und De Maizière in Richtung der US-Partner ausgesandt haben, ist bislang nicht klar, wie ernsthaft diese gemeint sind. Man wird sehen.

AUFRUF DES PRÄSIDENTDEN DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS

6) Kein geringerer als Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments, beschreibt in der FAZ vom 5.2.2014 (S.25), unter dem Titel ‚Warum wir jetzt kämpfen müssen‘, die Situation einer neuartigen schleichenden Entdemokratisierung aller freiheitlich-demokratische Grundordnungen. Auf der einen Seite beobachten wir die immer umfassendere ‚Digitalisierung‘ jedes einzelnen Menschen durch die Verlagerung der realen Existenz in die digitalen Netze (privat, beruflich, wirtschaftlich, politisch, …), auf der anderen Seite die ungehemmte und unkontrollierte Sammelwut diverser Geheimdienste. Er spricht von einem zunehmend ‚paranoiden Staatsverständnis‘, was sich breit macht, und wagt die Prognose, dass es wahrscheinlicher ist, dass wir eine Verschlechterung der Demokratien erleben werden als eine Verbesserung. Eine neue soziale Bewegung erscheint unausweichlich, um dem allseits zu konstatierendem Werte- und Politikverfall ein neues, den Zeiten angemessenes Werte und Politikverständnis entgegen zu setzen.

JENSEITS DER GRENZEN: VON MENSCH ZU MENSCH

7) Wenn ich an einer deutschen Universität unterrichte, die offiziell Studierende aus ungefähr 100 verschiedene Nationen umfasst (die genauen Zahlen schwanken jedes Semester), und ich in den englischsprachigen Studiengängen mit studentischen Projektgruppen konfrontiert bin, in denen einige wenige aus Deutschland kommen, alle anderen aus Marokko, Bangladesch, Indien, Türkei, Russland, China, Pakistan, Äthiopien, Iran, um nur einige zu nennen, und diese Studierenden wie selbstverständlich miteinander leben und arbeiten, dann sieht man, dass wir alle unter gleichen Rahmenbedingungen gut miteinander auskommen können. In der Realität werden aber politisch-soziale-wirtschaftliche-rechtliche-kulturelle Mauern eingezogen, die von kleineren Machtgruppen kontrolliert werden, die – so hat man den Eindruck – eher weniger die Interessen der Bevölkerung im Auge haben, dafür aber umso mehr ihre eigenen.

WIR SIND WEG UND HINDERNIS ZUGLEICH

8) Die Vision einer neuen, gemeinsamen Welt, so irreal sie angesichts der vielen nationalen Egoismen und des vielfachen Machtmissbrauchs auf den ersten Blick erscheinen mag, ist grundsätzlich möglich, weil wir Menschen sie leben könnten. Aber dazu müssten wir all jene Denkgewohnheiten ablegen, die allzu schnell andere verteufeln, zu Feinden erklären, Misstrauen sähen bevor überhaupt Vertrauen entstehen konnte, usw. Letztlich sind wir selbst sowohl der Weg wie das größte Hindernis. Der Weg in eine bessere Zukunft kann nur über und durch den Menschen selbst führen; wenn wir uns ‚verbessern‘, dann gibt es mehr menschliche Zukunft. Wo fängt Zukunft an, wenn jeder dem anderen den schwarzen Peter zuschiebt: Wir können nicht anders, weil ‚die anderen‘ doch so böse sind.

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IST DIE DEMOKRATIE DOCH NOCH NICHT GANZ AM ENDE? HUBERT SEIPELs INTERVIEW MIT SNOWDEN IN DER ARD So 26.Januar 2014

IN DIESEM BLOG

schreibe ich seit Juni 2013 (auch) zu den Themen, die die Veröffentlichungsaktionen von Edward Snowden ausgelöst haben. Weder war ich bis dahin sehr politisch noch hatte ich vor, über diese Themen zu schreiben. Aber, wenn man an den grundlegenden Strukturen dieser unserer Welt interessiert ist, an der allgemeinen Entwicklungsdynamik über das aktuelle Tagesgeschehen hinaus, dann ist es fast unmöglich, die Entwicklung der US-amerikanischen Gesellschaft, ihres politischen Systems und ihrer Rolle in der Welt ‚zu übersehen‘. Was immer wir uns philosophisch-wissenschaftlich denken können und wollen, in der konkreten Realität unserer Welt im Jahr 2014 spielen die USA immer noch eine solch unvergleichliche Rolle, dass ein Schweigen dazu das gleiche wäre, als ob jemand vor einem lodernden Feuer stehen würde und so täte, als ob es dieses nicht gäbe. Damit will ich nicht sagen, dass Länder wie Rußland und China unwichtig wären, oder gar Europa und Südamerika, aber bei allem, was man Wichtiges über diese anderen Länder sagen kann, aus meiner Sicht kommen den USA eine absolute Sonderstellung zu, da Sie das Paradigma für die Entstehung und Praxis einer demokratischen Gesellschaft in der Neuzeit schlechthin sind, dies gepaart mit einer wirtschaftlichen und militärischen Macht, die noch immer eine Führungsrolle in der Welt innehat.

DIE BRISANZ: DEMOKRATIE AM SCHEIDEWEG

Während viele Monate die Snowden-Affäre eher rein ‚technisch‘ gesehen wurde – und bei sehr vielen (den meisten?) noch immer – , Abhöraktivitäten, die man durch technische Maßnahmen eindämmen oder unterbinden könnte, hatte ich schon ab Ende Juli 2013 (angeregt durch TomEngelhardt und seine tomdispatch.com Webseite) damit begonnen, nach den politischen Konsequenzen und Rahmenbedingungen zu fragen, innerhalb deren solche weltweiten Abhörmaßnahmen möglich waren: Die Originaltexte der US-amerikanischen Verfassung, verschiedene Gerichtsurteile, viele Veröffentlichungen und Dossiers der Washington Post und anderer engagierter demokratischer Institutionen und Bewegungen (z.B. die American Civil Liberties Union (ACLU), und mehr.

Fügt man diese verschiedenen Quellen zu einem Gesamtbild zusammen, dann kann man den Eindruck bekommen, dass (i) die Texte und die Interpretation der US-amerikanischen Verfassung mehr und mehr hinter die technische Entwicklung zurückgefallen sind. Dass ferner (ii) die Besonderheit der US-amerikanischen Verfassung mit der starken Stellung des Präsidenten zusammen mit dem politischen Universaltrigger ‚Nationale Sicherheit‘ geeignet sind, alle anderen demokratischen Elemente auf Dauer zu neutralisieren, und dass (iii) eine Gemengelage von nationalem Stolz, Bedrohungsszenarien und starken militärisch-wirtschaftlichen Partikularinteressen hinter der Regierungsmaschinerie – über Jahrzehnte — eine riesige Druckwelle aufgebaut haben, die sich diese Schwachstellen der amerikanischen Verfassung und realen Politik zu Nutze gemacht haben und machen.

Für viele (die meisten?) Menschen sind diese Gedanken so ungeheuerlich, dass sie sich spontan innerlich wehren, so etwas überhaupt zu denken (zumal es ja immer bequemer ist, nicht zu denken, als durch eigenes Denken auf unangenehme Sachverhalte zu stoßen). Denn, wäre die Realität tatsächlich so, wie die verschiedenen Veröffentlichungen und Ereignise es nahelegen, dann hätten wir nicht nur mit einer eminente technologische ‚Krise‘ aus Sicht der Anwender zu tun, sondern wir hätten eine eminente politische Krise mit Blick auf den Status und die Zukunft einer demokratischen Gesellschaft primär in den USA, dann aber auch in der ganzen Welt (aufgrund der gegeben Sonderstellung der USA (es ist nicht absehbar, wann Rußland oder China zu demokratischen Gesellschaften werden; wäre dies der Fall, würde dies natürlich die Machtverhältnisse erheblich verschieben, mehr, als durch jeden noch so großen Rüstungsetat)).

SNOWDEN, DAS ZIPFELCHEN HOFFNUNG

Vor diesem weltpolitischen Hintergrund bekommt die persönliche Aktion von Edward Snowden eine besondere Bedeutung.

Steht man auf dem Standpunkt, dass die Aktivitäten der verschiedenen Geheimdienste in den USA – insbesondere auch die der NSA — auf dem Boden der Verfassung stehen und der nationalen Sicherheit dienen, dann erscheint Snowden als ‚Verräter‘; steht man auf dem Standpunkt, dass die Dienste – insbesondere die NSA – den Boden der Verfassung längst verlassen haben (bzw. selbst wenn Sie formal mit dem geltenden Gesetz übereinstimmen, sie doch faktisch den ‚Geist‘, die ‚Intention‘ der amerikansichen Verfassung) ‚verlassen’/ ‚verletzt‘ haben)), dann erscheitn Snowden als ‚Whistleblower‘, d.h. als ein Mensch, den eine hohe ethische Verantwortung dazu treibt, erkannten Machtmissbrauch öffentlich zu machen.

Die tatsächlich Praxis im Umgang mit Whistleblower lässt den Eindruck entstehen, dass potentielle Whistleblower in der letzten Zeit verstärkt (unter Obama!?) schon im Vorfeld ’neutralisiert‘ werden, was es für einen potentiellen Whistleblower fast unmöglich erscheinen lässt, sein Anliegen vor zu bringen. Die vielfachen Aussagen von Snowden zu diesem Punkt deuten darauf hin, dass er dieses Problem des im Vorfeld ’neutralisiert Werdens‘ sehr ernst nimmt und deswegen den ungewöhnlichen Weg gewählt hat, einen vorläufigen Schutz außerhalb der USA zu suchen.

Während die ‚Regierungstreuen‘, die auf das formale Recht pochen, Snowden genau dies zum Vorwurf machen, dass er sich nicht den US-amerikanischen Behörden stellt (und sie offensichtlich das Verhalten der eigenen Behörden in einem eher positiven Licht sehen trotz aller entgegenstehenden Fakten), liegt es in der Logik der Sachverhalte, die Snowden enthüllt hat, dass die Auswirkungen der Tätigkeiten US-amerikanischer Behörden sich in diesem Fall ja nicht auf die USA beschränken, sondern nahezu alle Länder (und damit Menschen) dieser unserer Erde betreffen. Snowden ist ein Mensch , der offensichtlich die Geltung und Bedeutung von Demokratie und Menschenrechten auch jenseits der Landesgrenzen der USA sieht und persönlich für wichtig hält und deshalb eine ethische Verantwortung spürt, diesen ‚Menschen‘ außerhalb der USA ein Signal zu senden, was mit Ihnen durch die US-amerikanischen Behörden gemacht wird (natürlich auch mit den Bürgern der USA selbst).

Zum Verständnis der US-Behörden ist auch wichtig zu erinnern, dass die US-Behörden jegliche Normen und rechtliche Institutionen außerhalb der USA für sich kategorisch ablehnen. Weder erkennen sie für das Handeln von US-Behörden die Menschenrechte an noch irgendwelche Verlautbarungen der UN oder irgendwelcher Gerichte (diese Verletzungen durch US-Behörden gehen mittlerweile – nach den bekannten Fakten – in die hundert Tausende, wenn nicht Millionen). Jeder Nicht-US-Mensch ist für die US-Behörden aktuell laut Gesetzt vollständig rechtlos und kann jederzeit ohne jeglichen juristischen Beistand beliebig ‚vereinnahmt‘ werden. Rechtsverletzungen, sogar Menschenrechtsverletzungen an Nicht-US-Menschen, spielen in den Augen von US-Regierungsbehörden daher keine wirkliche Rolle. Dass Snowden möglicherweise die ethischen und juristischen Interessen von vielen Millionen Nicht-US-Menschen durch seine Aktion zu schützen versucht, ist gemessen an der offiziellen US-amerikanischen Rechtsauffassung irrelevant. Aus Sicht der US-Regierung hat er – so stellt es sich in der Außenwirkung dar – das US-Recht elementar verletzt.

Ob Snowden nun tatsächlich im Sinne der herrschenden US-Regierungsinterpretation von US-Recht anzuklagen ist oder ob er im Lichte übergreifender Rechtsauffassungen gerade das uns alle tragende und verbindende Recht, auf dem ALLE Demokratien beruhen, eher geschützt hat, wird sich so schnell nicht einvernehmlich klären lassen. Fakt ist allerdings, dass Snowden es geschafft hat, mit seiner Aktion, die Diskussion über die demokratischen Grundlagen der aktuellen Technologieentwicklung und ihrer verdeckten Nutzung durch Regierungsbehörden ansatzweise in die Öffentlichkeit und in die Diskussion zu bringen.

KORNBLUM IST KORNBLUM

Vor dem ersten Fernsehinterview von Snowden weltweit am So 26.Januar 2014 gab es eine Diskussionsrunde mit Günther Jauch, in der als Gast auch John Kornblum teilnahm (übrigens nicht zum ersten Mal). Kornblum ist zwar ingewisser Weise eben Kornblum und nicht direkt mit irgendeinem anderen direkt vergleichbar, aber dennoch leuchtet in seiner Person eine Haltung, ein Denken auf, das nach meinem Verständnis der US-Behördenhaltung sehr nahe kommt: einerseits – und auf den ersten Blick – wirkt er wie ein ’naiver Konservativer‘, der schon den leisesten Zweifel an möglichen Verfehlungen der Regierung oder ihrer Behörden im Keime einfach ablehnt (was angesichts der vielen historisch erwiesenen Fakten schwer nachvollziehbar ist; aber vielleicht daraus resultiert, dass er wirtschaftliche Interessen vertritt und massiver Lobbyist ist); andererseits hat er einen Blick in und auf die technologisch-wirtschaftliche Entwicklung und die damit einhergehenden politischen Machtprozesse, die ihn deutlich von den anderen Diskussionsteilnehmern abhoben. Einerseits eine erschreckende ‚Naivität‘, andererseits einen Tief- und Weitblick, der die Logik der aktuellen Entwicklung deutlich thematisiert. Gerade aber wenn man diese ansatzweise vorhandenen Einsichten annimmt, verwundert es aber auch, wie wenig kritisch er das demokratisch-ethische Umfeld dieser Entwicklungen sieht; zumindest hat er im Gespräch alles vermieden, um diesen Punkt anzusprechen.

Möglicherweise lag das auch an seinen Gesprächsgegenübern in Gestalt von Interview-Autor Hubert Seipel, MdB Christian Ströbele (Grüne) und der Politikerin und Bloggerin Marina Weisband (Piraten). Sie alle drei vertraten – auf unterschiedliche Weise – die Wertedimension im Umfeld von Snowdens Aktion. Die tatsächlichen politischen, wirtschaftlichen und technologischen Prozesse kamen bei Ihnen hingegen kaum zur Sprache. Die verschiedenen Bälle, die Kornblum ihnen mit seinen Aussagen zuspielte, wurden nicht aufgegriffen. Andererseits blockte Kornblum mit seiner extrem unkritischen Haltung gegenüber der US-Regierung viele interessante Ansätze ab. Jauch als Moderator gelang es nicht, die verdeckt vorhandenen Brücken auszunutzen, um über das reine Konfrontieren der verschiedenen Positionen hinaus zu kommen.

WIE GEHT ES WEITER?

Allein die Tatsache, dass das Deutsche Fernsehen in Gestalt von ARD, ZDF, arte sich engagiert des heiklen Themas Snowden und politisches Umfeld annehmen (und auch manche Zeitungen in Deutschland wie FAZ, Spiegel, die Zeit…) gibt Hoffnung, dass das bisherige nahezu totale Versagen der deutschen (und europäischen) Politik in diesen Fragen nicht das letzte Wort sind. Nachdem es viele tausend Jahre gedauert hat, bis es demokratisch verfasste Gesellschaften auf diesem Planeten Erde gab, wäre es furchtbar, wenn durch Dummheit, Feigheit der aktuellen Politikergeneration (und ihrer Behörden?) das Projekt demokratischer Gesellschaften mit all ihren Werten einem dumpfen Nationalismus und menschenverachtender Wirtschaft und Technologie zum Opfer fallen würde. Das Projekt ‚Leben auf der Erde‘ (und möglicherweise im Kosmos) ist evolutionstheoretisch gerade erst am Anfang. Wir stehen ganz am Anfang eines neuen, tieferen Verständnisses dessen, was überhaupt Leben ist, was ‚Geist‘ ist, was ‚das Ganze‘ überhaupt soll, wer ‚wir sind‘. Es wäre tragisch, wenn wir als Menschen genau an jenem historischen Punkt, an dem wir anfangen, neu zu verstehen, durch dumpfe kurzfristige Machtinteressen in die Dunkelheit des Nichtwissens zurückgeworfen werden. Dass wir eine weltweite Globalisierung durch immer mehr technische Möglichkeiten beobachten, ist in sich nicht notwendigerweise schlecht; es scheint sogar genau der Logik der Evolution zu entsprechen. Nur ist die Frage, wie wir als Menschen damit umgehen. Die große Entwicklung verlangt von uns neue Menschenbilder und eine neue, vertiefte Ethik. Die USA wären dazu prädestiniert, hier eine Vorreiterrolle zu übernehmen, aber viele Behörden, Regierungsvertreter und Wirtschaftsführer erwecken den Eindruck, dass sie in einem dumpfen, unreflektierten Nationalismus verharren, der unfähig ist, die Weite der Verantwortung für die grenzüberschreitenden Werte der demokratischen Ideale zu erkennen. Technologisch sind die USA ein Riese, ethisch-politisch-moralisch erwecken sie den Eindruck, dass sie (nicht alle!!!) in einer Vergangenheit verharren, die langfristig den eigenen technologischen Vorsprung zerstören wird.

Der menschliche Geist ist aber prinzipiell für Überraschungen gut. Nicht jedes totalitäre Regime muss a la Stalin – Hitler – Mao im Chaos enden. Vielleicht erweist sich im Nachhinein , dass Snowden der entscheidende Unterschied war.

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SASCHA LOBO: DIE DIGITALE KRÄNKUNG DES MENSCHEN – Eine Nachbemerkung

1) Am 12.Januar2014 erschien im Feuilleton der FAZ auf S.37 ein Beitrag von Sascha Lobo mit der Überschrift ‚Die digitale Kränkung des Menschen‘. Im Kern läuft sein Beitrag auf die Aussage hinaus — hierin Freud folgend –, dass nach den drei großen Kränkungen der Menschheit durch Kopernikus (1473-1543) (Erde nicht im Zentrum), Darwin (1809-1882)(Mensch ist Teil der allgemeinen biologischen Entwicklung), und Freud (1856-1939)(Abhängigkeit des Menschen vom Nicht-Bewussten) nun eine vierte große Kränkung stattgefunden hat, nämlich die ‚digitale Kränkung‘ durch die Entdeckung, dass das Internet, der vermeintlich freie Inkubationsraum einer neuen, globalen freien Gesellschaft, von den Wurzeln her und in all seinen Verästlungen einer vollständigen Überwachung (und auch möglicher Manipulation) durch die NSA — und anderer Geheimdienste — unterliegt.
2) Das Ganze bekommt eine sehr persönliche Note, da er sich damit ‚outet‘, dass er dies nicht nur persönlich als Kränkung empfindet, sondern dass er in diesen Erkenntnissen zugleich auch bei sich selbst eine totale Fehleinschätzung der Situation einräumen muss. Er, der Netzerklärer, fühlt sich vorgeführt, getäuscht, missbraucht. Er unterlässt es nicht, sich als Netzerklärer der Avantgarde zuzurechnen, die es liebt, sich vom ‚durchschnittlichen Bildungsbürger‘ abzugrenzen; zugleich räumt er in der Öffentlichkeit einen Irrtum ein (ein Dritter könnte bei ihm möglicherweise auch eine besondere Spielart von ‚Bildungsbürgertum‘ erkennen, das gerne über Voraussetzungen und Hintergründe hinwegsieht):
3) Denn, dies ist auffällig, bei allem Aufschrei über eine Kränkung, vermisst man eine wirkliche Analyse. Wieso konnte es denn zu solch einem Irrtum kommen? Warum ist das Internet nicht die schöne, heile Welt der Freigeister sondern der Kampfplatz der Geheimdienste?
4) Anstatt Freud einfach nur zu zitieren mit den drei Kränkungen könnte Lobo ja auch diese vorausgegangenen sogenannten ‚Kränkungen‘ hinterfragen. Lobo hätte ja fragen können, ob denn die neuen Erkenntnisse von Kopernikus (und der anderen Wissenschaftler in seinem Gefolge) wirklich eine ‚Kränkung‘ waren oder nicht eher doch eine ‚Befreiung aus der Dunkelheit eines Nichtwissens‘, das sich der Naivität eines Alltagsbewusstseins verdankt, das alles nimmt, wie es ist, anstatt nachzufragen, warum das so ist (und darin ein beliebiger Spielball der aktuell Mächtigen).
5) Ferner hätte Lobo fragen können, ob die Einsichten von Darwin (und vieler anderer) nicht ebenfalls eine Befreiung aus einer tiefen Finsternis von Unkenntnis waren, indem er (mit vielen anderen) aufdecken konnte, dass es zwischen den Lebensformen zu unterschiedlichen Zeitpunkten kausale Verbindungen gibt, die bis in die frühesten Zeiten des Lebens auf dem Planeten Erde zurückweisen. Wiederum waren es Unwissenheit, durch Religionen motivierte Vorurteile und Machtinteressen, die diese Einsichten ‚unpassend‘ fanden, ’störend‘, ‚gefährlich‘, ein Abwehrverhalten, das bis heute anhält (in den USA halten im Jahr 2014 28% der Männer und 38% der Frauen die Evolutionstheorie für falsch).
6) Die Einsichten von Freud in die Abhängigkeit des Bewussten vom Nichtbewussten, heute mehr und mehr vertieft durch das Zusammenwirken von Neurowissenschaften und Psychologie, sind auch nur solange eine Kränkung, als man einem falschen Bild vom Körper, dem Gehirn, dem Psychischen, dem Erkennen anhing. Für Wissenschaftler, Aufklärer und alle ’normalen‘ Menschen kann es wiederum nur eine Befreiung von falschen Bildern über die Welt, insbesondere über den Menschen, sein. Auch das hätte Sascha Lobo hinterfragen können.
7) Würde Lobo den Spuren der Evolutionstheorie folgen, dann würde er u.a. feststellen können, dass die biologische Evolution nur die Fortsetzung einer kosmologischen und chemischen Evolution ist, die sich zu einer kulturellen und technologischen Evolution erweitert haben, innerhalb deren das Internet nur ein kleiner Ausschnitt der Entwicklung darstellt.
8) Ein anderer Ausschnitt wird gebildet von den Systemen der Machtregulierung, die mit den Systemen der neuzeitlichen Demokratien eine sehr innovative und hochkomplexe Form gefunden haben, die sich in einem permanenten ‚Gleichgewichtskampf‘ befinden. Am Beispiel der US-amerikanischen Demokratie kann man beobachten, wie diese seit dem 2.Weltkrieg dabei ist, von ‚innen‘ heraus, von der Exekutive aus, ‚ausgehöhlt‘ bzw. fast ganz ’neutralisiert‘ zu werden. Unter dem alles erschlagenden Motto ‚Nationale Sicherheit‘ wurden und werden nahezu alle Gesetze und Kontrollinstanzen ausgehebelt und parallel wurde ein weltumspannendes imperiales System aufgebaut, das systemisch keinen Spielraum mehr kennt. Dass die USA noch nicht in eine völlige Diktatur abgeglitten sind ist systembedingt nicht zu erklären; irgendwie müssen es viele wunderbare Menschen sein, die das letzte Umkippen aktuell noch verhindern. Die Exekutive selbst lässt nur eine Richtung erkennen: noch mehr Kontrolle ‚von innen‘ und noch weniger Kontrolle ‚von außerhalb‘ des Systems.
9) Diese Vorgänge in den USA sind öffentlich zugänglich und erklären, warum das Internet vor diesem Hintergrund nicht das Internet sein kann, was sich Sascha Lobo wünscht. Warum denkt Lobo darüber nicht nach? Warum interessiert ihn das demokratische System als solches nicht? Das bundesrepublikanische demokratische System hat in den letzten Monaten dramatische Schwachstellen offenbart. Alle zuständigen Stellen — einschließlich der Kanzlerin — haben sich nicht nur einer echten Aufklärung verweigert, sie haben sich selbst auch als radikal anti-demokratisch verhalten. In Sonntagsreden wird vor rechten, linken und muslimischen Fundamentalisten gewarnt, im konkreten Alltag wird aber die demokratische Öffentlichkeit von den gleichen Politikern und politischen Beamten (einschließlich Bundesstaatsanwalt) massiv für Dumm verkauft und geradezu zynisch belogen. So zerstört man eine demokratische Öffentlichkeit und damit auf Dauer nachhaltig eine Demokratie. In Sonntagsreden werden Menschen wie Gandhi, Martin Luther King oder Mandela wegen ihrem Widerstand gegen einen unmenschlichen Staat gefeiert; mit einem Edward Snowden will man aber niemand reden (Lob für Ströbele, der es dennoch tat). So zerstört man Demokratie.
10) Sascha Lobo trauert um den Verlust seiner Unschuld. Immerhin scheint er zu merken, dass seine Spielwiese Internet etwas mit dem Funktionieren oder nicht Funktionieren der Demokratie zu tun hat. Vielleicht führt diese Krise ihn ja dazu, dass er für uns alle künftig für unsere gemeinsame Demokratie mitkämpft. Dann hätte diese Krise ein Gutes. Einer mehr für eine gemeinsame demokratische Zukunft, und damit für ein freies Internet.

DEMOKRATIE IM ABHÖRTEST (2) – Imperialismus, Tarnkappenpolitik, Aufrüstung, oder nicht ?

1) in einem vorausgehenden Beitrag DEMOKRATIE IM ABHÖRTEST – Nationale Sicherheit, Tarnkappenpolitik, Transhumanismus, und so… hatte ich auf der Basis von mehr als 90 Artikeln am 28.Dez.2013 eine kleine Zusammenschau gewagt im Umfeld Abhören durch die NSA, Reaktionen der Politik und Einschätzung der politischen Situation in der USA. Ich kann nicht sehen, dass sich seitdem irgend etwas Nennenswertes geändert hat.
2) In einem neueren Beitrag von Contanze Kurz mit dem Titel „Vom Mythos der Selbstreinigung“ (FAZ 10.Jan.2014, S.32) versucht sie zwar anhand des historisch berühmten Beispiels von Geheimdienstmissbrauch in der Vergangenheit zu verdeutlichen, dass die Geheimdienste von sich aus sich nicht reformieren werden, aber wer hört ihre Stimme? In Deutschland ist die neue Regierungsmannschaft weitgehend mit sich selbst beschäftigt und in den USA kann man in der offiziellen Politik keine Kräfte erkennen, die sich für das Thema verantwortlich fühlen. Wie Andrea Peterson am 27.Dezember 2013 in der Washington Post zu berichten weiß, hat jetzt ein anderer Richter das Abhören doch wieder für legal erklärt, nachdem zuvor ein Richter dies in Frage gestellt hatte (siehe vorausgehenden Beitrag); dazu erscheinen die Fronten zwischen Demokraten und Republikaner so verhärtet, dass aktuell nicht zu erkennen ist, dass hier noch irgendein sinnvoller politischer Dialog stattfinden kann. Das politische System in den USA erscheint ‚paralysiert‘.
3) Ein aus der Kontrolle geratenes System von Geheimdiensten, die keinerlei Beschränkungen mehr unterliegen und jeden potentiellen politischen Gegner quasi nach Belieben ’neutralisieren‘ können hat in einer solchen Situation nichts zu befürchten.
4) Vor diesem dunklen Bild einer außer Kontrolle geratenen Regierung gibt es in den USA aber zahlreiche beeindruckende Initiativen, Bewegungen. Eine davon ist die Amerikanische Bürgerrechtsvereinigung (American Civil Liberties Union, ACLU), die auf vielfältige Weise und engagiert die Rechte der Bürger gegen die Regierung vertritt (u.a. führt sie offiziell einen Prozess gegen die US-amerikanische Regierung wegen der Abhörtätigkeiten der NSA (siehe unten). Unter anderem hat die UCLA auch die Überlegungen der präsidialen Arbeitsgruppe zur Reform der Geheimdienste kommentiert und konkrete Vorschläge unterbreitet, was bei dieser Reform zu beachten wäre. Sehr bemerkenswert finde ich den Punkt 4. Hier wird ganz klar gesagt (eine Position, die ich hier im Blog auch vertrete), dass die Frage des Abhörens ein grundsätzliches Menschenrecht berührt, das auch jenseits der politischen Grenzen der USA gilt und das dementsprechend auch von einer Behörde eines demokratischen Staates zu respektieren ist. Diese Position der UCLA markiert die Wurzel für die Idee einer nicht nur nationalen, sondern internationalen Bürgerrechtsbewegung, da die Menschenrechte nun mal ihrer Natur nach allen Menschen zukommen. So wenig wie in den USA die Abspaltung der ‚farbigen‘ Bevölkerung von den ‚weißen‘ vor diesem Denken Bestand haben konnte (es brauchte allerdings einen blutigen Bürgerkrieg und einen gewaltsam getöteten Martin Luther King), so wenig kann eine Beschränkung der Bürgerrechte auf nur ein Land bestand haben.
5) Jedes Land auf unserem Planeten Erde kann zu diesem Thema eine lange, und leider meist sehr blutige, Geschichte erzählen. Letztlich laufen die Fäden zusammen bei uns selbst, uns Menschen, in der Art und Weise, wie wir miteinander umgehen, wie wir lernen oder nicht lernen, wie wir unser Leben organisieren, was wir glauben und nicht glauben, zulassen oder verhindern.
6) Angeregt durch das Buch von Tom Engelhardt, The World According To TomDispatch habe ich begonnen, von Jonathan Schell ‚The Unconquerable World. Power, Nonviolence, And the Will of The People‘ zu lesen. Im Kapitel 1 beschreibt er den Aufstieg der Verteidigungssysteme weltweit. Als theoretischen Bezugspunkt für seine Überlegungen benutzt er vornehmlich die Anschauungen von Carl Philipp Gottlieb von Clausewitz (1780–1831) , wie er sie in seinem unvollendeten Hauptwerk Vom Kriege niedergelegt hat.
7) Danach gibt es eine implizite Logik für die Ausgestaltung des militärischen Apparates, die darin gründet, dass militärische Macht als ein Mittel der Politik dazu dienen soll, entweder dem anderen den eigenen Willen auf zu zwingen oder zumindest einen anderen daran hindern zu können, dies umgekehrt zu tun. Jede Gruppierung, die durch eigenes Aufrüsten gepaart mit der Absicht, die eigene militärische Macht auch einzusetzen, bildet für jede andere Gruppierung per se eine potentielle Bedrohung, die nur ’neutralisiert‘ werden kann, wenn man das ‚Gleichgewicht‘ der Kräfte herstellt. Wer ’nicht dagegen‘ hält, stellt eine ‚Einladung‘ für den potentiellen Aggressor dar. Erst mit der Verfügbarkeit der Kernwaffen (und biologisch-chemischen Waffen) erreichte das Aufrüsten einen Punkt, wo ein potentieller Aggressor im Falle eines Krieges seine eigene Existenz riskieren würde. Anstatt dass dann ein ‚Zeitalter des Friedens ausbrach, beobachten wir weltweit eine Fülle von ‚lokalen‘ Kriegen mit ‚konventionellen‘ Waffen, die in ihrer Summe nichtsdestoweniger verheerend sind.
8) Am Ende des ersten Kapitels kann man den Eindruck haben, als ob der Prozess des beständigen Hochrüstens und Krieg Führens etwas ‚Unausweichliches‘ ist, unaufhaltsam. Hier muss man aber einhaken und fragen, ob dies nicht ein gehöriger Schuss ‚Ideologie‘ ist? Denn letztlich ist jegliche Militärtechnologie ein ‚Werkzeug‘, das von Menschen, von uns, genutzt wird. Es sind unsere Entscheidungen, ob und wie wir sie nutzen. Niemand zwingt uns unabwendbar, andere Menschen anzugreifen, Gefangen zu nehmen, zu töten. Letztlich bleibt es unsere Entscheidung. Wenn diese Entscheidung trotz aller Schrecklichkeit dennoch immer wieder und so häufig getroffen wird, dann sollten wir nicht über Kriegstechnologie und immer bessere Waffen diskutieren, sondern darüber, wer WIR Menschen denn eigentlich sind. Warum neigen wir zu diesen Gewaltausbrüchen? Warum sind wir so oft bis zum Rand mit Misstrauen angefüllt? Warum erklären wir so schnell andere zu ‚Feinden‘? usw.
9) Im Prinzip kennen wir die Antworten schon, zumindest zu großen Teilen. Eine mögliche Zukunft der Menschheit wird nicht nur eine verbesserte, leistungsfähigere Technologie brauchen. Wir brauchen dringend auch eine ‚Verbesserung‘ von ‚uns selbst‘. Und die Tatsache, dass seit den Anfängen des Judentums, des Christentums und des Islams diese Religionen auch dauerhaft mit Hass, Verfolgungen, Kriegen, Machtmissbrauch und Unwissenheit vielerlei Arten gepaart waren (nicht nur, aber zu großen Teilen) sollte uns eine Warnung sein, dass diese Art von Religion möglicherweise noch nicht die Religion ist, die wir brauchen, um diese tiefgreifenden Unmenschlichkeiten nachhaltig zu überwinden. Eine Religion, die auch nur ansatzweise zulässt, das andere Menschen verachtet, verfolgt, unterdrückt, getötet werden, ist keine Religion für eine bessere Zukunft. Für solch eine bessere Zukunft sind wir aber berufen; nur dazu sind wir da. Die Bosheit anderer kann niemals eine Ausrede sein, selbst das Gute nicht zu tun.

PS: Zur Metaphysik von Avicenna (Ibn Sina) werde ich demnächst etwas schreiben.

Einen Überblick über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

QUELLENNACHWEIS (unvollständig)

ACLU (American Civil Liberties Union), The Nine Things You Should Know About the NSA Recommendations From the President’s Review Group, 20.Dez.2013, online:https://www.aclu.org/print/blog/national-security-technology-and-liberty/10-things-you-should-know-about-nsa-recommendations

ACLU (American Civil Liberties Union) vs. Clapper – challenge to NSA Mass Call-Tracking Program, online: https://www.aclu.org/national-security/aclu-v-clapper-challenge-nsa-mass-phone-call-tracking

AFP, Ermittlungen gegen 37.000 Funktionäre in China, FAZ 6.Jan.2014, S.20

Markus Bickel, Auf Unterdrückungskurs (Innenpolitik Bahrein, Sunniten – Schiiten), FAZ 30.Dez.S.6

Timm Beichelt, Von steinen und Glashäusern (Was die EU tun kann, wenn in Mitgliedsstaaten die demokratie in Gefahr erscheint), FAZ 30.Dez.2013, S.7

Ann-Dorit Boy, Revolution und Routine. Seit mehr als 6 Monaten gibt es in Bulgarien täglich Proteste…, FAZ 6.Jan.2014, S.3

Carl von Clausewitz, Vom Kriege, Berlin: Dümmlers Verlag, 1832, online: http://www.clausewitz.com/readings/VomKriege1832/

Andrea Diener, Abhören auf Chinesisch, FAZ 30.Dez.2013, S.27

dpa/Reuters (ursprünglich ‚Spiegel‘), NSA zapft Datenkabel an, FAZ 30.Dez.S.6

Rainer Hermann, Erfolgspartei mit Grauschleier. Der türkische Ministerpräsident Erdogan und seine AKP haben den Zenit überschritten, FAZ 2.Jan.2014, S.3

Max Horten, Die Metaphysik Avicennas Enthaltend Die Metaphysik, Theologie, Kosmologie Und Ethik. Halle a.S. + New York: Verlag Rudolf Haupt, 1907

Contanze Kurz, Vom Mythos der Selbstreinigung, FAZ 10.Jan.2014, S.32

Robert von Lucius, Todeszone Naher Osten. Die Morde an Journalisten nehmen weltweit zu, FAZ 2.Jan.2014, S.27

Michael Martens, Die letzte Wacht (Zum Machtkampf in der Türkei), FAZ 30.Dez.2013, S.3

Andrea Peterson, The NSA seems to really enjoy exploiting high profile tech companies, WP, 30.Dez.2013, online: http://www.washingtonpost.com/blogs/the-switch/wp/2013/12/30/the-nsa-seems-to-really-enjoy-exploiting-high-profile-tech-companies//?print=1

Andrea Peterson, NSA phone records spying is constituional, judge says. WP, 27.Dez.2013, online: http://www.washingtonpost.com/blogs/the-switch/wp/2013/12/27/nsa-phone-records-spying-is-constitutional-judge-says//?print=1

Michael Reinsch, Die werte des Sports (Diskriminierungen im europäischen Profifußball), FAZ 7.Januar 2014, S.24

Jonathan Schell, The Unconquerable World. Power, Nonviolence, And the Will of The People. New York: Henry Holt and Company, 2003

Michaela Wiegel, Macht und Machenschaften (Senat verhindert Prozess wegen Bestechung gegen Serge Dassault), FAZ 10.Jan.2014, S.32