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DIE SELBSTABSCHALTUNG – UND NOCH EIN PAAR BETRACHTUNGEN ZUR PSYCHOLOGIE DES MENSCHEN

  1. Im Laufe seines Lebens trifft man auf sehr viele unterschiedliche Menschen. Über Körperformen, Geruchsprofile, Spracheigenschaften, Hautfarben, Verhaltensbesonderheiten, Art des Lachens oder Weinens, Essgewohnheiten, Musikvorlieben, und vielem mehr, gibt es eine große Bandbreite. Viele neigen dazu, äußerliche Besonderheiten sofort aufzugreifen, sie hoch zu stilisieren als abgrenzende Besonderheiten, als besondere Menschenklasse, als der bzw. die Anderen. Dabei sind es nur die ganz gewöhnlichen Varianten, die im biologischen Programm der Menschwerdung möglich und vorgesehen sind. Der/ die/ das Andere erweckt in vielen Menschen zudem oft spontane Ängste, weil sie instinktiv spüren, dass sie selbst, so, wie sie sind, nichts Absolutes sind, nicht die einzige Wahrheit; das sie selbst angesichts des Anderen sich auch als etwas Besonderes spüren, etwas Veränderliches, möglicherweise etwas Zufälliges, das am Selbstverständnis nagen kann: wer bin ich, wenn ich auch nur etwas Anderes für Andere bin? Wer bin ich, wenn ich auch nur etwas Zufälliges für andere bin, eine Variante?
  2. Es ist offensichtlich, dass Menschen, von Innen getrieben, nach Fixpunkten suchen, nach Wahrheiten, nach Gewissheiten, nach Anerkennung, nach einem positiven Selbstgefühl. Menschen halten es nicht gut aus, sie mögen es nicht, wenn ihr Selbstgefühl leidet. Und selbst in schweren Formen der Erniedrigung (z.B. in der leider viel zu häufigen Realität, wenn Frauen von Männern misshandelt werden), suchen Menschen noch in der Erniedrigung eine Form der Wertschätzung heraus zu lesen: Ja, der andere quält mich, aber noch in dieser Form der Qual nimmt der andere mich doch ernst, nimmt er mich wahr, verbringt er Zeit mit mir, usw. Dieses letzte Flackern des Lebenswillens reicht zwar aus, sich über der Nulllinie zu halten, nicht aber, um das zu verändern, was Leid und Zerstörung mit sich bringt.
  3. Dass Männer so oft Frauen misshandeln, weil Männer sich Frauen gegenüber aus vielfachen Gründen unterlegen fühlen, erscheint aber nur als eine Spielart von vielen anderen: Wenn Mitglieder einer politischen Partei wie besinnungslos auf Mitglieder anderer politischer Parteien mit Worten (und bisweilen auch Fäusten) einschlagen, dabei gebetsmühlenartig ihre Slogans wiederholen ohne dass irgend jemand näher überprüft hat, ob und wie man die Dinge auch anders sehen könnte, dann ist dies letztlich nichts anderes. Die andere Gesinnung als solche wird zum ab- und ausgrenzenden Merkmal, der Andere erscheint als direkte in Fragestellung der eigenen Position. Egal welche Parteien, ich habe noch nie erlebt, dass man mit einem aktiven Mitglied einer Partei (ob in Deutschland, Frankreich, England, den USA oder wo auch immer) bei einer Veranstaltung, wo verschiedene Vertreter präsent sind, einfach normal über mögliche Alternativen reden konnte.
  4. Bei Religionsgemeinschaften – zumindest in ihren fundamentalistischen Teilen – ist dies nicht anders (Juden, Christen, Muslime, Buddhisten, Hindus, …). Sie alle treten auf wie Marionetten eines Einpeitschers, der nicht außen steht, sondern sich in ihr eigenes Gehirn eingenistet hat und von dort aus alles terrorisiert. Das Furchtbare, das Erschreckende daran ist eben dieses: der Einpeitscher sitzt in ihrem eigenen Gehirn und er erlaubt diesen Menschen nicht, dass sie Fragen stellen, Fragen zu sich selbst, Fragen zu ihren eigenen Anschauungen, Fragen über die Welt, Fragen dazu, wie denn das alles gekommen ist, usw. Der Einpeitscher in ihren Gehirnen ist wie ein Computervirus, der dieses Gehirn gekapert hat, es so umprogrammiert hat, dass es gegen jegliche Beeinflussung von außen immunisiert wurde. Manche gehen damit bis in ihren eigenen Tod, wie jene Ameisen, die von einem bestimmten Pilz befallen wurden, der dann mit chemischen Stoffen über das Blut das Gehirn dieser Ameise so steuert, dass sie sich Vögeln zum Fraß anbieten, damit der Pilz in diese Vögel gelangen kann. Nicht anders funktionieren die fremde Einpeitscher-Slogans im eigenen Gehirn: sie schalten diese Menschen quasi ab, machen sie zu willenlosen Werkzeugen ihres Gedankenvirus. Man erkennt diese Menschen daran, dass sie im Gespräch immer nur Slogans wiederholen und nicht mehr selbst denken können.
  5. Wer glaubt, dass dies nur bei dummen Menschen funktioniert, der lebt in einer gefährlichen Täuschung. Der Virus der Selbstabschaltung findet sich auch bei intelligenten Menschen, und zwar nicht weniger häufig als bei sogenannten dummen Menschen (ich benutze die Begriffe ‚dumm‘ und ‚intelligent‘ normalerweise nicht, weil sie sehr oft zur Abgrenzung und Abwertung benutzt werden, aber in diesem Fall tue ich es, um genau diese Instrumentalisierung von Eigenschaften als Waffe gegen Menschen anzusprechen). Da die Welt sehr kompliziert ist und die allerwenigsten Menschen genügen Zeit haben, allen Dingen selbst soweit auf den Grund zu gehen, dass sie sich ernsthaft eine eigene Meinung bilden können, sind viele Menschen – ob sie wollen oder nicht – auf die Meinung anderer angewiesen. Davor sind auch intelligente Menschen nicht befreit. Da auch sogenannte intelligente Menschen die ganze Bandbreite menschlicher Triebe, Bedürfnisse, Emotionen, Gefühle in sich tragen (auch Eitelkeit, Machthunger usw.), angereichert mit ebenso vielen sublimen Ängsten, ist ihre Intelligenz nicht im luftleeren Raum, nicht beziehungslos, sondern steht auch permanent unter dem Andruck all dieser – vielfach unbewussten – Ängste, Triebe und Emotionen. Und, jeder einzelne, wie im Bilderbuch, nutzt seine Intelligenz um all diese unbewältigten Ängste, Triebe und Emotionen maximal zu bedienen. Wer seine Ängste, Triebe und Emotionen nicht in den Griff bekommt (Wer kennt jemanden, der dies vollständig kann?), erfindet wunderbare Geschichten (Psychologen nennen dies Rationalisieren), warum man eher das tut als etwas anderes; warum man nicht kommen konnte, weil; warum man unbedingt dorthin fahren muss, weil; warum dieser Mensch blöd ist, weil; usw. um damit  die wahren Motive unangetastet zu lassen.  Die große Masse der intellektuell verkleideten Geschichten ist in dieser Sicht möglicherweise Schrott, in der Politik, in der Religion, im menschlichen Zwischeneinander, in der Wirtschaft ….
  6. In einem der vielen Gespräche, die man so führt, stand mir einmal jemand gegenüber, der ohne Zweifel hochintelligent war und sehr viel wusste. Leitmotiv seiner vielen Äußerungen war, dass die meisten Menschen dumm sind und innerlich abgeschaltet sind. Daher lohne es sich nicht, sich mit Ihnen zu beschäftigen. Dabei fand er nichts dabei, dass er selbst immer wieder die gleichen Argumentationsfiguren wiederholte und bei Nachfrage, nach seinen Voraussetzungen tatsächlich erregt wurde, weil seine Kronzeugen nicht anzugreifen waren; seine eigenen Kronzeugen waren eben einfach wahr. Wer war hier abgeschaltet? War dies auch eine Strategie, um sich von der Vielfalt des Lebens mit Begründung abschotten zu können? Im Gespräch ging es fast nur um die Unterwerfung unter seine Prämissen; ein neugieriges Hinhören oder spielerisches Umgehen mit Varianten war im Ansatz trotz vielfacher Angebote meinerseits ausgeschlossen. Dieses Verhalten wirkte auf mich wie eine massive Selbstabschaltung vor der Vielfalt und dem Reichtum des Lebens, insbesondere auch als eine massive Selbstabschaltung vor den eigenen Abgründen und Möglichkeiten.
  7. Dieses sehr verbreitete Phänomen der Selbstabschaltung der Menschen von der Welt, von den anderen Menschen, vor sich selbst, ist gepaart mit einerseits einer unkritischen Überhöhung jener Positionen, die man (wie intelligent man auch sein mag) als für sich als wahr übernommen hat, und zugleich einer fast fanatischen Verteuflung von allem anderen. Wie eine Menschheit, die am Virus der Selbstabschaltung leidet, die sich nähernde Zukunft meistern soll, ist schwer zu sehen. Bislang haben die impliziten Kräfte der biologischen Evolution lebensunfähige Strukturen aussortiert. Das hat oft viele Millionen Jahre, wenn nicht hunderte von Millionen Jahren gedauert. Durch die Transformierung der Realität in das symbolische Denken von Gehirnen, erweitert um Kulturtechniken des Wissens, zuletzt durch Computer, Netzwerke und Datenbanken, hat es der homo sapiens geschafft, sich von diesem sehr langsamen Gang der bisherigen Form der Evolution zu befreien. Im Prinzip kann die Menschheit mit ihren Wissenstechniken die Erde, das Weltall, die Evolution denkerisch nachempfinden, nach analysieren, selber mögliche Zukünfte durchspielen und dann versuchen, durch eigenes Verhalten zu beschleunigen. Wenn nun aber dieses Denken eingebettet ist in eine unbewältigte Struktur von Ängsten, Trieben und Emotionen aus der Frühzeit des Lebens, ohne dass genau dafür neue leistungsfähige Kulturtechniken gefunden wurden, dann wirken all diese neuen analytischen Errungenschaften wie ein Panzer, der von einem kleinen Baby gesteuert wird mitten in einer belebten Stadt. Dies wirkt nicht wie ein Erfolgsrezept.
  8. Da das Universum ohne unsere Zutun entstanden ist, unsere Milchstraße, unser Sonnensystem, unsere Erde, das biologische Leben, wir alle, besteht vielleicht ein wenig Hoffnung, das in diesem – für uns nur schwer zu durchschauenden – Chaos Elemente vorhanden sind, implizite Dynamiken, die wir (dank unseres Selbstabschaltungsvirus?) bislang noch nicht entdeckt haben. Leider ist das, was viele offizielle Religionen als Lösungsmuster propagieren, offensichtlich nicht das, was uns hilft. Die meisten institutionalisierten Religionen erscheinen selbst als Teil des Problems.
  9. Man darf gespannt sein. Ich bin es. Höchstwahrscheinlich werde ich in meinem Leben nicht mehr erleben können, ob und wie die Menschheit ihre eigene Selbstabschaltung in den Griff bekommt.

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PARISATTENTAT – PANZERPOLITIKER – KULTURREVOLUTION. Impressionen von einem nicht ganz gewöhnlichen Sonntag

  1. Die folgenden Notizen sind das Echo auf einen nicht ganz normalen Sonntag mit intensiven Gesprächen mit FreundenInnen, mit Fernsehberichten, Abhängen und dem Abschluss einer Buchlektüre.

PARISATTENTATE

  1. Am Freitag den 13.November 2015 hat eine Gruppe junger Männer mit ihren Gewaltaktionen eine Blutspur erzeugt, die Angst, Entsetzen, und Horror unter den Menschen verbreitet hat.
  2. Wie sich jetzt herausschält, sind mindestens vier davon Franzosen. Einer ist noch flüchtig, und der Rest noch unbestimmt. Von einem wurde ein Pass gefunden, der ihn angeblich als Flüchtling ausweist. Experten deuten aber an, dass es sich hier um eine bewusste Fälschung handeln könnte, um Gastländer und Flüchtlinge zu entzweien.

HINTERGRÜNDE

  1. Von den identifizierten Tätern weiß man, dass sie allesamt Franzosen sind mit Aufenthalten in einem seit langem bekannten sozialen Spannungsgebiet in der Region Brüssel, Moolenbeek. Moolenbeek gilt seit vielen Jahren als Sammelbecken für radikale Islamisten; die Polizei hat hier seit langem kapituliert, weil die Politik Nichtstun verordnet hat.
  2. Ebenso wie in Frankreich, wo es viele soziale Brennpunkte mit vielen tausend jungen Leuten aus Flüchtlingsbewegungen gibt, die kaum Schulbildung haben, keine Arbeit, gesellschaftlich abgehängt sind, so ist auch Moolenbeek z.T. bevölkert von Menschen – so scheint es –, die nicht wirklich integriert sind, und die ihre Identität aus ihrer Spielart von Islam ziehen, der ein starkes Hassmoment gegen die westliche Kultur enthält (das Konzept der freien westlichen Gesellschaften wird von vielen radikalen Islamisten interpretiert als direkter Widerspruch zu ihrem Verständnis des Islam).
  3. Diese Probleme sind seit vielen Jahren sehr gut bekannt. Funktionierende Lösungen hat bislang niemand erfunden. In Teilen der Bevölkerung gibt es (rechtsnationale) Strömungen, die aus dieser sozialen und kulturellen Disfunktionalität Kapital für Ressentiments zu schlagen versuchen. Dies funktioniert umso besser, als es vielen anderen Franzosen aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Situation auch nicht gut geht. Die aktuelle Regierung kann bislang wenig (oder gar keine?) Erfolge vorweisen. Der Wahlkampf ist schon im Gange. wetterwendisch, wie viele Politiker leider sind, versuchen Sie sich jetzt auch einen rechtsradikalen-nationalen Touch zu geben, um sich diese irrationale Stimmung zu nutze zu machen (wobei die Regierung mit verantwortlich ist sowohl für das Nichtstun im sozialen Bereich wie auch für die schlechte wirtschaftliche Situation; man kann es auch Unfähigkeit nennen).
  4. Jetzt passiert ein Attentat, das unmenschlich und grausam unverstellt Hass sichtbar werde lässt, Hass einer jungen Generation, die in einem Land lebt, das nicht ihr eigenes geworden ist. Hass, der sich Anleihen genommen hat bei einer radikal-islamischen Bewegung genannt ‚Islamischer Staat‘, der aus den Trümmern des verunglückten US-amerikanischen Irakkriegs hervorgegangen ist. Diese Bewegung stellt – verglichen mit der überwältigenden islamischen Kultur von 700 – 1400 – nur ein Zerrbild des Islams dar, eine rudimentäre Form, die alle tötet, vergewaltigt, foltert, die nicht IS sind, auch solche, die Muslime sind, die sich ihnen aber nicht unterwerfen wollen.

RADIKALISIERTER ISLAM

  1. Ein wichtiges Motivationselement des IS ist der Hass auf alles andere, natürlich und besonders auch auf alles Westliche. Das Konzept einer aus Aufklärung, Wissenschaft, Menschenrechte, Demokratie hervor gegangenen westlichen Gesellschaft ist für IS-Mitglieder reines Gift, da es ihre eigenen Werte im Kern ablehnt und verurteilt. Der Islam als solcher ist – betrachtet man seine Blütezeit – nicht notwendigerweise ein Gegensatz zur westlichen Moderne (viele Kernelemente der westlichen Moderne gibt es nur, weil die islamische Kultur sie gegen die Barbarei der westlichen Papstkirche über Jahrhunderte gerettet hatte!), aber der Islam in der Spielart von IS hat alles aus sich selbst ausgeschieden, was auch nur den leisesten Ansatz zu einer Menschen- und Weltoffenheit liefern könnte.
  2. Der IS steht damit nicht alleine. Radikale Formen des Islam gab es schon immer, und sie finden sich in allen großen islamischen Strömungen (wie übrigens auch analog innerhalb des Hinduismus, des Judentums, des Christentums und des Buddhismus!) wie den Schiiten (Anhänger der Schia) und den Sunniten, insbesondere in Gestalt des Wahabisus. Gegenüber der goldenen Zeit des Islam stellen sie alle Vereinfachungen dar, sind im Kern wissenschaftsfeindlich, sind Radikalisierungen, sind ausgrenzend, abgrenzend, bei gleichzeitigem Totalanspruch an ihre Mitglieder.

INTEGRATION – JA, ABER

  1. Wenn jetzt zehntausende von jungen Menschen in einem Land wie Frankreich sozial nicht integriert werden und sie zugleich in geistiger Verbindung zu solchen radikal-islamischen Weltanschauungen stehen, deren simples Weltmodell sowohl direkt ‚Bruderschaft‘ verheißt wie auch eine einfache Logik für ihren Hass liefert, dann folgt daraus zwar nicht automatisch ein menschenverachtender Terror, aber die Tendenz dahin wird doch massiv unterstützt. Die Tatsache, dass allein aus Frankreich viele tausend junge Franzosen sich freiwillig dem IS angeschlossen haben, dort sogar als Selbstmordattentäter bekannt geworden sind, zeigt, dass das Konzept funktioniert. Das französische Lebensmodell hat sie nicht überzeugt. Hat die Politik versagt oder hat jeder Staat heute seine obligatorische Verliererquote, die im Fall von Frankreich (und Belgien, und England, und Spanien, und Deutschland, und …) nur so tragisch endet, weil ein IS die Verlierer psychisch zu Terroristen umprogrammieren kann?
  2. Die martialischen Worte des Staatspräsidenten als Reaktion auf die Attentate, die Ausrufung des Notstands, das Paktieren mit allen Rechten, die Ausrufung des Krieges gegen den IS (der ja schon längst stattfindet), dies alles wirkt nicht nur hilflos und kopflos, sondern erscheint sogar gefährlich. Das tatsächliche Problem IN Frankreich, die Existenz einer verunglückten Generation, der starke Einfluss einer spezifischen Weltanschauung, wird weder durch diese Worte noch durch diese Taten auch nur ansatzweise adressiert. Es erscheint eher als ein kopfloses, sinnloses um sich Schlagen mit Luftraketen, die die Verursacher nur jubeln lassen kann: der dumme Westen, er lässt sich ärgern, er zeigt Emotionen, er schränkt genau die Freiheiten ein, die dem IS ein Dorn im Auge sind; und die Flüchtlinge, die vor genau dem IS-Terror fliehen, werden jetzt auch noch verdächtigt (Söder, diese politische Lichtgestalt, hat vornweg – als noch gar nichts wirklich klar war – sofort erklärt, jetzt müsse man den Flüchtlingsstrom wegen potentieller Bedrohung, erst recht stoppen). Bomben auf den IS schüren die Emotionen unter der verlorenen Generation IN Frankreich weiter; noch mehr werden sich dem IS anschließen, noch mehr werden Attentate in Frankreich ausüben, und in der kopflosen politischen Reaktionen wird die freie Gesellschaft in Frankreich weiter gedrosselt, werden die rechten Ressentiments geschürt, die im Endeffekt einem IS näher sind als einer modernen Demokratie. Gut gemacht Hollande!

INTEGRATION MODELL DE

  1. Als in Deutschland die Flüchtlingszahlen sprunghaft anstiegen und die Kanzlerin spontan ausrief: Das schaffen wir, blitzte für einen Moment ein großes Deutsches Herz auf, alle waren begeistert, weil die Mehrheit der Deutschen tatsächlich so ist. Man ist sich bewusst, dass wir als Deutschland nicht isoliert leben, sondern vielfältig verflochten sind: wirtschaftlich, ethnisch, kulturell, wissenschaftlich. Für sich alleine könnte Deutschland überhaupt nicht mehr existieren (wozu auch, welchen Sinn sollte dies machen?). Aber schon in kurzer Zeit wurde dann klar, dass der Zustrom ein Ausmaß annahm, das real immer weniger zu bewältigen war, jedenfalls nicht ohne erhebliche Belastungen und Einschränkungen der eigenen Bevölkerung. Dazu kam, dass die Deutsche Regierung in den Jahren zuvor die Hilferufe der Italiener und Griechen geflissentlich überhört hatte, dass Europa die vielen Millionen Flüchtlinge an den Grenzen Syriens nicht (!) unterstützt hatte (die waren ja weit weg), dass die EU seit Jahren mit ihrer Wirtschaftspolitik in vielen Ländern Afrikas die einheimische Industrie und Landwirtschaft derart zerstört hat, dass ganze Landstriche verarmt sind, und ihr Heil nur noch in einer Flucht nach Europa sahen, und schließlich, dass Merkel mit ihrem spontanen Ausruf nicht nur geltendes EU-Recht schlicht außer Kraft gesetzt hat ohne die anderen zu fragen, ob sie mitmachen. Natürlich erscheint die Reaktion vieler östlicher EU-Staaten dann ‚primitiv‘, die Flüchtlingsfrage dann einfach an Merkel und Deutschland zurück zu spielen (denn die Flüchtlingsfrage als solche ist ja unabhängig von Deutschland), aber es zeigt einen eher erschreckend unfähigen Politikstil in Europa.
  2. War das Bild von der europäischen Wertegemeinschaft schon die letzten Jahre durch die diversen Finanzkrisen, speziell auch im Fall Griechenlands, als eigentlich nicht vorhanden demaskiert worden, zeigt die Uneinigkeit im Umfeld der Flüchtlingsproblematik tiefe Diskrepanzen auf. Wo sind die gemeinsamen Werte? Worin bestehen sie? Warum lohnt es sich, Europäer zu sein?
  3. Von deutschen Kindergärten wird berichtet, dass die Zahlen an Kindern aus anderen Kulturen stark angestiegen sind, oft die Mehrheit bilden, und dass es die Eltern dieser Kinder sind, die Abgrenzung und Unfrieden in die Kinder hineintragen: mit dem darfst Du auf keinen Fall spielen; das sind ganz Schlimme; das darfst Du auf keinen Fall essen….. Die Erzieherinnen fühlen sich überfordert; die neuen Eltern sprechen meist nicht genügend Deutsch; bis zu fünf verschiedene Mahlzeiten müssen gekocht werden, um der Vielfalt gerecht zu werden …. Von immer mehr jungen Erzieherinnen hört man, dass sie sich angesichts dieser schwer zu handhabenden Alltagsrealität von der Politik allein gelassen fühlen und sich rechtem Gedankengut zuwenden (wenn man erlebt, wie die Bundesvorsitzende der Grünen, Simone Peter in einer Talkshow auf die konkreten Erfahrungen eines Bürgermeisters letztlich immer nur Durchhalteparolen anzubieten hatte ohne wirklich konkreten Bezug, dann kann man zumindest nachvollziehen, warum überlastete Erzieherinnen kein wirkliches Zutrauen zu dieser Art von Parolen-Politik finden können).
  4. Ähnliches berichtete der Schulleiter einer großen Gesamtschule, die für ihre hervorragende, auch soziale, Arbeit bekannt ist. Mittlerweile muss die Schulordnung neben Deutsch auch in Englisch und Arabisch vorliegen, weil die Eltern sie sonst nicht verstehen. Auch hier ist analog zu beobachten, wie es die Eltern der Kinder sind, die Animositäten, Feindschaften zwischen unterschiedlichen Volksgruppen über ihre Kinder in die Schule hineintragen. Nicht in Gegenwart von Lehrern, aber in der übrigen Zeit. Alle konstatieren eine deutliche Verschlechterung des Schulklimas. Mögliche Sanktionen gegen solche Einflüsse stehen der Schule nicht zur Verfügung; notwendige Kommunikation kann mangels Fachkräften und Sprachkenntnissen offensichtlich nicht genügend stattfinden.
  5. Dies führt zum Faktor Zeit: aus der Psychologie und aus der Geschichte wissen wir, dass Assimilationsprozesse (ein anderes Wort für Integrationsprozesse) Zeit brauchen, sehr viel Zeit. Und auch viel Zeit garantiert gar nichts (man betrachte nur das Problem des Rassismus in den USA und Brasilien; offiziell gibt es dies nicht, faktisch, im Alltag, aber auf Schritt und Tritt; oder man betrachte das Thema Mann – Frau; bis heute nur in wenigen Ländern dieser Welt ansatzweise gelöst; oder das Problem der verschiedenen Religionen, die ja immerhin schon über 1300 Jahre koexistieren, usw.) In der Theorie geht alles, im Wunschdenken retten wir die Welt, im konkreten Alltag mit realen Menschen und deren realen Weltbildern im Kopf geht erst einmal nur soviel, wie die realen Menschen sowieso können und wollen. Wer hier über die Köpfe anderer hinweg Formen des Zusammenlebens voraus nimmt, die es so – zumindest nicht ganz schnell – nicht geben kann, der überfordert Menschen, spielt mit dem Leben von Menschen, setzt den sozialen Frieden aufs Spiel.
  6. Damit kommen wir zum möglicherweise entscheidenden Knackpunkt unserer Gegenwart.

KOOPERATION, KOMMUNIKATION, KOMPLEXITÄT

  1. Wir haben gesehen, welch großartige Leistungen wir Menschen seit den letzten 10.000 Jahren zuwege gebracht haben: vom Jäger und Sammlerdasein zu Handwerk, Landwirtschaft, Städtebau, Rechtswesen, Sprachen, Philosophie, Mathematik, Religionen, Literatur, Theater, Musik, Architektur, Infrastrukturen, Bibliotheken, Schulen, Krankenhäusern, Technik, … immer komplexeren sozialen Formen sind entstanden. Zugleich allerdings auch immer viele Kriege, immer größere Schlachten, bis hin zu Weltkriegen von unvorstellbaren Ausmaßen.
  2. ALLE diese Leistungen sind kopfgesteuert, hängen davon ab, dass Menschen in der Lage sind, Dinge zu abstrahieren, zu erinnern, in Regeln zu fassen, nach Regeln zu handeln, mit Sprachen zu kommunizieren,Wissen aufzuschreiben und zu speichern. Wäre es möglich, all das erarbeitete Wissen der Menschheit auf einen Schlag auszulöschen, würden alle Menschen mehr oder weniger nackt wieder da stehen und wären nicht in der Lage, sich zu ernähren und miteinander in komplexen Stadtgesellschaften zu leben. In kürzester Zeit würde die gesamte menschliche Population zusammenbrechen durch Gewalt, Hunger, Krankheiten.
  3. Das, was die Menschheit zu dem macht, was sie heute ist, ist ein komplexes Netzwerk von Erfahrungen, von Wissen, von Technologien, die auf Wissen beruhen. Oder am Beispiel von Religionen: wenn sie einige überzeugte Hinduisten, Buddhisten, Juden, Christen, Muslime nebeneinander stellen, dann sind dies alles Menschen mit der gleichen biologischen Herkunft und Ausstattung. Das einzige, was sie unterscheiden kann, das ist die Art und Weise, wie sie die Welt anschauen. Die Grundstrukturen, wie Menschen die Welt wahrnehmen und verarbeiten, sind allen Menschen angeboren. Innerhalb dieser Grundstrukturen gibt es aber viele Variationsmöglichkeiten. Diese werden von den einzelnen Menschen ausgestaltet; nicht isoliert, sondern als Teil einer sozialen Gemeinschaft, d.h. der normale Mensch übernimmt erst mal, was seine Umgebung ihm vorlebt. Würden alle Menschen als Hinduisten aufwachsen, wären sie erst einmal im Denken ‚gleichgeschaltet‘, ebenso als Juden oder Christen oder Muslime. Würde ein so aufgewachsener Muslim auf einen Hinduisten treffen, hätten sie ein grundlegendes Problem, desgleichen ein Jude mit einem Christ, ein Buddhist mit einem Hinduisten, usw. Aus der Geschichte kennen wir genügend Beispiele, wie solche Situationen zu Verteuflungen, Verfolgungen, Unterdrückungen Mord und Totschlag geführt haben. Gleichzeitig zeigt die Geschichte, dass es aber Menschen gab, die ihre eigene Überzeugung kritisch hinterfragen konnten, die sich der Relativität ihrer aktuellen Position bewusst wurden, und die dann über die eigene Anschauung hinaus mit Menschen anderer Anschauung sprechen konnten, gesprochen haben, und voneinander sehr viel gelernt haben. Alle großen Kulturen Europas waren von dieser Art: Toleranz gegenüber speziellen Weltsichten innerhalb eines größeren sozialen Gebildes (das römische Reich, das islamische Reich, die EU) war immer ein Erkennungszeichen für blühende Staatswesen.
  4. Dies ist heute nicht anders: alle ca. 7 Milliarden Menschen sind grundsätzlich gleich, gleich fähig. Dass sie als Kinder unterschiedliche Sprachen lernen, in unterschiedlichen kulturellen Regelsystemen aufwachsen, ist eher Zufall. Zugleich zeigt diese Vielfalt, wie anpassungsfähig und flexibel Menschen sein können, aber nicht beliebig. Menschen brauchen viele Jahre bis sie die jeweilige Kultur vollständig gelernt haben. Umlernen in eine andere Kultur geht grundsätzlich, aber nur mit viel Anstrengung und ebenfalls vielen Jahren Dauer. Außerdem gibt es Kulturen, die von sich her eher aufgeschlossen sind und Lernen erleichtern im Gegensatz zu Kulturen, die abgeschlossen wirken, statisch, wenig lernförderlich. Nicht wenige sehen daher heute eine Art Weltkrise, da die anwachsende Zahl der Menschen mit ihrer Vielfalt für viele bedrohlich wirkt. Immer wieder fallen ganze Gruppen dann zurück in eine Art Regression zum scheinbar Einfachen, Natürlichen, Reinen, …

HOLOBIONTEN

  1. An dieser Stelle kann es vielleicht helfen, sich bewusst zu machen, dass die Natur, und innerhalb der Natur ganz besonders der homo sapiens, also wir, eine ganz andere Geschichte erzählen!
  2. Wie die Biologie seit etwa 15 Jahren gelernt hat, gibt es nicht nur generell die Idee der Evolution von einfachen Zellen zu immer komplexeren Zellverbänden über die Gene mitsamt einer Epigenetik, sondern schon von Anfang an seit 4 Milliarden Jahren gibt es eine immer komplexer werdende Kooperation von jeder Zelle mit jeder Zelle, was zum Begriff des Holobionten führt.
  3. Wie ich in einem vorausgehenden Blogeintrag beschrieben habe, bildet jeder einzelne Mensch eine Lebensform, die in der Kooperation von ca.37 Billionen (= 10^12) einzelnen Körperzellen besteht, dazu IN unserem Körper nochmals ca. 100 Milliarden (=10^9) Bakterien, und auf unserer Haut ca. 220 Milliarden Bakterien. Die Viren sind dabei noch nicht berücksichtigt. Das ist die unvorstellbare Zahl von 814*10^43 einzelnen Elementen, die alle einerseits selbständig agieren, andererseits kooperieren. Jede einzelne Pflanze, jedes Insekt, jeder Vogel, jedes andere Tier, alle Lebewesen sind so organisiert. Ohne die Bakterien und Viren würde jedes Lebewesen auf der Stelle sterben, weil die Bakterien komplexe chemische Prozesse beisteuern, ohne die der jeweilige Organismus nicht existieren könnte. Das Gleiche gilt für die Kooperation der Zellen im Körper untereinander. Dass also das Leben auf der Erde es aus dem Meer auf das Land geschafft hat, dass es überhaupt auch im Meer überlebt hat, ca 300 Millionen Jahre Vereisung der Erde, und vieles mehr, liegt nur daran, dass im Laufe von 4 Milliarden Jahren die einzelnen Zellen gelernt haben, immer mehr, immer vielfältiger, immer komplexer zu kooperieren. Kooperation und Kommunikation sind die Zauberworte de Lebens.
  4. Betrachtet man sich die aktuelle Weltsituation ist klar, dass eine weitere gemeinsame Zukunft nur über noch mehr Kooperation und Kommunikation gelingen kann. Alle Weltanschauungen, die von Aus- und Abgrenzung zu leben scheinen, von Wissensfeindlichkeit, erscheinen hier wie Bremsklötze des Lebens. Einen Automatismus zum Besseren gibt es aber wohl nicht.
  5. Klar dürfte nur sein, dass eine Panzerpolitik dort fehl am Platze ist, wo es um Anschauungen in den köpfen geht. Nicht mehr Panzer sind gefragt, sondern mehr Lehrer, mehr Diskussion, mehr Kommunikation, mehr Aufklärung, mehr Wissen um das, was das Leben im Innersten zusammenhält und ermöglicht. Der Text eines Faust ist wenig hilfreich, um die Zukunft zu gestalten. Eine Kulturrevolution tut Not! Eine Kulturrevolution des mehr Wissens und mehr wechselseitigen Verstehens. Denn auch ein Industrie 4.0 wird zerstören, wenn sie nicht gesellschaftlich integriert wird. Auch hier muss in den Köpfen mehr geschehen als nur ein Denken in betriebswirtschaftichen Effizienzen. Das wäre zu einfach.

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NOTIZ: KRANK DURCH ZU VIEL GUTES (oder: ‚Burn out‘ trifft nicht nur die ‚Bösen‘)

KRANKHEIT ALS STRAFE?

1) Jede Kultur hat so ihre ‚Interpretationsreflexe‘, die sich im Laufe der Jahrzehnte oder – oft – gar Jahrhunderten in das alltägliche Denken eingelagert haben. Einer dieser Reflexe lungert in der Nähe von ‚Krankheit‘: sogenannte ‚religiöse‘ imprägnierte Menschen tendieren dazu, Krankheiten mit dem Thema ‚Strafe‘ zu verbinden, dass Gott ’strafe‘, sie strafe, oder eben andere, oder, andere Variante, dass man Gott ‚verantwortlich‘ macht, dass er so etwas (meist eine schlimme Krankheit) ‚zulassen‘ könnte. Weniger oder gar nicht religiös imprägnierte Menschen (oder solche, die ein anderes Bild von Gott haben (denn Gott kennt naturgemäß niemand direkt und voll)) müssen die Phänomene ohne Gott erklären. Dazu gibt es allerlei Theorien; manche treffen die Sache, manche sind irgendwie ‚richtig‘, aber zu ungenau; andere sind schlichtweg falsch. Man nimmt halt, was man hat und kann; eine Alternative gibt es nicht (zumindest solange nicht, wie Menschen noch keine automatische ‚Vollerkenntnis‘ besitzen (was aufgrund der Struktur des bekannten Universums bislang in gewissem Sinne ausgeschlossen ist)).

WUNDERWELT DER MIKROORGANISMEN

2) In einem vorausgehenden Beitrag ‚Koevolution im Alltag (Viren)‘ hatte ich mich anlässlich konkreter Grippefälle mal mit den Erkenntnissen zu Viren (und Bakterien) beschäftigt, dies im engen Zusammenhang mit dem menschlichen Immunsystem. Nun bin ich hier kein Spezialist. Aber immerhin ist es schon sehr erstaunlich, was man hier lernen kann, wenn man sich dafür interessiert. Im Grunde genommen erschlägt es einen, was man hier finden, wenn man anfängt zu suchen. Die Welt der Mikroorganismen (Bakterien, Viren) erscheint als eine Art ‚Fundamentaldimension‘ des Lebens auf der Erde, die die gesamte Erde an der Oberfläche, bis in Tiefen von vielen tausend Metern (7000m oder mehr), auch im Ozean und am Ozeangrund, in der Nähe von Vulkanen in einer Weise durchdringt, die unser Vorstellungsmöglichkeiten real übersteigt. Die Raffinesse und Vielfalt im Bereich der Mikroorganismen, ihre Anpassungsfähigkeit, ihre Innovationskraft, ihre Innovationsgeschwindigkeit ist überwältigend und kann uns ahnen lassen, warum und wieso es irgendwann auf der Basis dieser wunderbaren Systeme zu komplexeren Lebensformen kommen konnte. Das, was sich hier real seit Milliarden Jahren (nach heutigem Wissen geschätzt ca. seit 3.8 – 4.1 Mrd Jahren) täglich, stündlich, minütlich im weltweiten Maßstab abspielt, ist ein unfassbares ‚Wunder‘ des Lebens, von dem wir ein kleiner Teil sind.
3) Dass Mikroorganismen gelegentlich in den Körper von Menschen so eindringen können, dass sie die bestehende Organisation stören, gar zerstören, ist für den betroffenen Organismus (also jeweils ein konkreter Mensch, Du, Ich, ein Dritter) schlimm, schmerzhaft, angsteinflössend. Solange man nicht begreift, dass das eigene individuelle Leben ja nur existiert, weil es seit Milliarden Jahren diese Mikroorganismen gibt, aus denen heraus die komplexeren Lebensformen entstanden sind, solange man nicht begreift, dass wir heute mit unseren Körpern nur leben können, weil ca. 1 Billion Mikroorganismen in unseren Körper selbständig leben und viele lebenswichtige Funktionen unterstützen, ebenso ca. 1 Billion auf unserer Haut mit z.T. auch schützenden Funktionen, und dann in unserer Umgebung, in der ganzen Welt unfassbar viele Mikroorganismen durch ihre Zersetzungs- und Umwandlungsprozesse unser individuelles Großaorganismus-Leben überhaupt erst ermöglichen, – -solange man dies alles nicht begreift, solange erscheint einem eine individuelle Beeinträchtigung, Schädigung oder gar der Tod als ‚ungerecht‘. Doch ist dies die völlig falsche und unangemessene Kategorie. Eher ist es umgekehrt so, dass die Tatsache, dass wir als Großorganismus aus all dem wahnwitzigen kontinuierlichem hochturige Prozessieren der Mikroorganismen ‚hervorgegangen‘ sind das Ungewöhnliche, das ‚Nicht-zu-Erwartende‘, das Hochkomplexe und darin entsprechend hoch Anfällige. Jede Minute unserer Existenz ‚ohne‘ erkennbarem Schaden ist das Ungewöhnliche, das Wunder, ein Geschenk auf Zeit. Dass dieses hochkomplexe Geschehen unserer Körper irgendwann ‚Schaden‘ nimmt, Dysfunktionen aufzeigt, auseinanderfällt, das ist der unausweichlich zu erwartende Zustand, der nicht überraschen darf, weil es das ‚Normale‘ ist, das, was ‚in der Natur der Sache‘ angelegt ist. Wer also im Falle von ‚Krankheit‘ von ‚Ungerechtigkeiten‘ spricht, gar von ‚Schuld‘ und ‚Strafe‘, der hat noch nicht einmal ansatzweise begriffen, was es heißt, als Großorganismus in einem unfassbaren Meer von Mikroorganismen ‚leben‘ zu dürfen. Jede Minute eines funktionierenden Großorganismus ist ein unfassbares ‚Geschenk auf Zeit‘. Systemtheoretisch dürften die ca. 10 Billionen Zellen unseres Körpers mit den jeweils 1 Billion Mikroorganismen im und auf dem Körper keine Minute funktionieren. Aber der Körper tut es, immer mehr, über Jahre….

WUNDERWERK IMMUNSYSTEM

4) Außerdem, im Falle von Krankheiten klagen wir oft und schnell unser Immunsystem an. Stellt man aber die wenigen Fälle, in denen es versagt, den unsagbar vielen Fällen gegenüber, wo es ‚lautlos‘, ’stillschweigend‘, ‚klaglos‘ seine Arbeit macht und die millionenfachen Angriffe abwehrt, die in jeder Sekunde in unserem Körper stattfinden, dann sollten wir uns entspannt zurücklehnen und von einer einzigen Dankbarkeit durchströmt sein, dass im Laufe von vielen Milliarden Jahren dieses hochkomplexe Schutzsystem sich in unseren Körpern ‚herausbilden‘ konnte. Das Immunsystem (in Verschränkung mit unserem hochkomplexen Blut-System) ist so unfassbar komplex, dass wir bis heute nur erste Umrisse ‚erahnen‘, von Verstehen wage ich nicht zu reden (wem mal langweilig ist, empfehle ich die Lektüre von Artikeln und Büchern zu diesem Thema; kein Krimi kann spannender sein).

KRANKHEIT IST NICHT ÜBERRASCHEND

5) Noch einmal, sollten wir tatsächlich ‚krank‘ werden, d.h. einen Zustand erleben, in dem Teilbereiche unseres hochkomplexen Großorganismus nicht so funktionieren wie ‚üblich‘, dann sollten wir uns klar machen, dass das eigentliche Wunder das ‚Funktionieren‘ dieses Großorganismus ist und ein Nichtfunktionieren das ist, was im Laufe der Zeit unausweichlich kommen wird (das wenige, was unsere heutige Medizin bislang kann, sind – vergleichsweise – primitive Klempnerarbeiten an einem System, das der normale Arzt immer nur partiell versteht. Niemand kann das Gesamtsystem wirklich voll verstehen, niemand; nicht mit den heute zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten. Und nochmals: wer in diesem Zusammenhang Kategorien wie ‚Strafe‘ oder ‚Gott‘ ins Spiel bringt, ist nicht nur einfach ‚dumm‘, sondern möglicherweise sogar ‚bösartig‘. Das eigene Denken bringt dann das ‚Böse‘ hervor, nicht die biologische Struktur, die ist, wie sie ist, und als solche eigentlich nur Staunen und ‚Dankbarkeit‘ verdient…

PSYCHO-SOMATISCH: ERSCHÖPFUNG

6) Die Medizin hat verschiedene ‚Indizien‘ gesammelt von Verhaltensweisen und Faktoren, die unser Immunsystem schwächen können bzw. nicht notwendigerweise nur das Immunsystem, sondern irgendwie ‚den ganzen Körper‘. Da die tatsächlichen Prozesse im Detail noch nicht wirklich verstanden sind spricht man vorsichtig von ‚psycho-somatisch‘ bedingten Symptomen. Ein Symptommuster, was sich seit Jahren immer mehr ‚auszubreiten‘ scheint (zumindest nehmen wir es heute so wahr) ist das sogenannte ‚psycho-somatische Erschöpfungssyndrom‘, neudeutsch ‚Burn-Out‘.
7) Typische ‚Erscheinungsweisen‘ dieses Erschöpfungssyndroms sind eine um sich greifende anhaltende Müdigkeit, Lustlosigkeit, Antriebsschwäche, die dann immer auch gepaart sein kann mit allerlei möglichem Unwohlsein, Schlaflosigkeit, mit Schmerzen, bis hin zu Lähmungen, Atemnot, Schwindel, usw. Kurzum, die ’normalen‘ Funktionen lassen nach, fallen aus, der Alltag funktioniert immer weniger. Die Symptome sind real. Kommt es soweit, dass man sich klinisch untersuchen lässt, ist der ’normale‘ Befund meistens der, dass Blutbild und Organfunktionen OK sind. Das wirkt wie ein Paradox: man fühlt sich todelend, kann sich kaum bewegen, aber der Befund sagt, man sei organisch gesund! (ich kann mich noch gut an folgenden Vorfall erinnern. Ich war zu dem Zeitpunkt 29 Jahre alt und hatte – nachdem ich ca. 3 Jahre als Jugendsozialarbeiter gearbeitet hatte –, noch einmal studieren können, wie im Rausch. Eines morgens wache ich auf und konnte mich nicht mehr bewegen; ich war wie gelähmt. Ich wurde total durchgecheckt und man fand nichts, außer ein paar punktuell erhöhte Gallenwerte. Es dauerte damals fast 8 Wochen bis ich als junger gesunder Mensch wieder einigermaßen normal gehen und arbeiten konnte. Die ersten Wochen lief ich umher wie ein alter, schwacher Greis, der Mühe hatte, länger Strecken zu gehen (wobei heute Senioren mit über 80 keinesfalls ’schwach‘ sein müssen, sondern höchste Fitnss besitzen können…)).
8) Wie gesagt, wer solches nicht selbst real erlebt hat, kann es sich nicht vorstellen (ich kenne Ärzte, die als hochbelastbar gelten, die sich auch aufgrund massiver Schmerzen klinisch untersuchen ließen, dann erfahren mussten, dass organisch alles OK ist, und sich dann mit der Diagnose ‚Psychosomatische Überlastung‘ (Burn Out) konfrontiert sahen.
9) Jetzt gibt es ja zahllose Gründe, warum jemand in einen Überlastungszustand hineinsteuern kann. Am Übelsten sind wohl jene Situationen, in denen jemand von einer bestimmten beruflichen Tätigkeit finanziell abhängig ist und im Rahmen dieser Arbeit Leistungen erbringen muss, die objektiv von ihm nicht leistbar sind. Es ist dann nicht nur eine Frage der Zeit, bis die Überlastung auf den Körper durchschlägt; es kommt dazu eine psychische Angstsituation, die dem Betroffenen daran hindert, das sachlich Notwendige zu erkennen und zu tun, um sich vor der Überlastung zu schützen. Zur körperlichen Überlastung kommt dann noch eine psychische ‚Lähmung‘; beides zusammen ist eine Art hochkonzentriertes Gift, dem der eigentlich geniale Großorganismus dann irgendwann zwar seine ‚Scheinerkrankung‘ als Warnsignal entgegen setzen kann, aber aufgrund der eingeschränkten psychischen Reaktionsmöglichkeit wird es tendenziell überhört, übergangen.
10) Klar wird an diesem Beispiel auch, dass diese Form von ‚Krankheit‘ normalerweise nicht von dem einzelnen alleine ‚geheilt‘ werden kann. Da die ‚Ursache‘ außerhalb von dem einzelnen in seiner beruflichen Situation liegt, ist die gesamte berufliche Situation ‚verantwortlich‘, also die entsprechenden ‚Chefs‘ sind gefordert. In manchen Firmen hat man – zumindest für die ganz ‚teuren‘ Mitarbeiter – mittlerweile regelrechte Anti-Überlastungsprogramme eingeführt, in denen sorgsam darauf geachtet wird, möglichst frühzeitig Überlastungsphänomene zu deuten und durch entsprechende Maßnahmen den einzelnen zu schützen. Aber eben nur für die ‚höchste‘ Ebene. Alle ‚darunter‘, einschließlich den ‚Chefs‘, arbeiten tendenziell unter einer ‚bedrohlichen‘ Situation (Es gibt mittlerweile Untersuchungen von großen Firmen, in denen sich in manchen Abteilungen die Krankheitsfälle häufen, in anderen ist fast niemand krank. Die Untersuchungen brachten zutage, dass in den ‚krank machenden Abteilungen‘ speziell der Umgang untereinander erhebliche Defizite aufwies…).
11) Als eine besonderes ‚raffinierte‘ Form von Überarbeitung erscheint jene, in denen Menschen ‚aus Begeisterung heraus‘, aus ‚Faszination heraus‘ arbeiten, Prozesse und Projekte anstoßen, Dinge tun, sich engagieren usw. Alles, jedes für sich genommen, ‚gute‘ Ideen, Projekte, Aktivitäten. Aber auch diese Menschen kann es nicht nur treffen sondern trifft es unweigerlich, wenn sie in ihrem ‚Rausch‘ die realen Grenzen des Körpers überziehen. Wo die ‚realen Grenzen‘ des Körpers genau liegen ist natürlich individuell verschieden, aber sie sind ‚endlich‘. Wenn nun jemand ‚krank wird aus Begeisterung‘, ‚Krank wird weil er etwas Gutes tut‘, dann ist es nicht so sehr die berufliche Umgebung als solche, die ursächlich ist, sondern der Betroffene selbst ist ’sein eigener Feind‘!
12) Wie jeder, der diese Zeilen aufmerksam liest, ahnen kann, ist es genau das, was dem Autor dieser Zeilen aktuell passiert ist. Nach Wochen von allen möglichen ‚Pseudophänomenen‘ wurde dann irgendwann klar, es gibt nichts Organisches, keinen Virus oder etwas Vergleichbares, er selbst mit seiner Begeisterung für so vieles hat sich in einen Zustand manövriert, in dem sein Körper streikt. Das erzeugte ein Wechselbad von Gefühlen und Zuständen. Vor allem: wie ’stoppt man sich selbst‘? Wenn die Gedanken einfach so, quasi von selbst hervorbrechen, wenn sie spannend sind, wenn sie geradezu faszinieren, warum und wieso soll man sie stoppen? Aber so ist es. Wir alle – jeder auf seine Weise – leben am Abgrund, auf Abruf, an der Schwelle, reiten ‚auf der Welle‘ oder von ihr ‚begraben‘ werden….
13) In und an uns tragen wir unaufhebbar ein Moment von ‚Endlichkeit‘ das uns (heilsam?) daran erinnert, dass unser Denken (noch nicht?) im luftleeren Raum stattfindet, sondern auf der Grundlage materiell-energetischer Prozesse höchster Komplexität, für die es schlappe 13.8 Mrd Jahre gebraucht hat, bis es soweit war. Und dann liegen wir ‚agonisch‘ in einem Sessel und lamentieren über unsere Schwachheiten…. Vollkommenheit ist vielleicht etwas anderes…:-)

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NOTIZ: KOEVOLUTION IM ALLTAG (Viren)

1. In diesem Blog zieht sich das Thema ‚Evolution‘ wie ein roter Faden durch sehr viele Beiträge. Teil von Evolution ist ‚Ko-Evolution‘: immer dann, wenn eine ‚Umgebung‘ selbst wieder aus ‚Populationen‘ besteht, die für andere Populationen als ‚Umgebung‘ auftreten, immer dann kommt es unausweichlich zu einer Wechselwirkung zwischen den Populationen untereinander.
2. Eine Form von ‚Ko-Evolution‘, die uns oft betrifft, ist das Auftreten von Bakterien und Viren, die wir als ‚Krankheit‘ (z.B. als ‚Influenza‘) erleben können.
3. So sind wir z.B. daran ‚gewöhnt‘, dass alljährlich in der sonnenarmen Zeit ‚Grippen‘ auftreten. In diesem Jahr ist besonders auffällig, dass die ‚Erscheinungsform‘ der Grippe(n?) deutlich anders ist: nicht so sehr krasse Formen von Fieber, Schnupfen, Husten, dennoch aber große Erschöpfung, Schwäche, starke Müdigkeit, und das über 4-8 Wochen, und sogar länger. In der Regel bleibt nur ‚Ruhe‘. In einer arbeitsintensiven Welt gelingt dies mal eine Woche, zwei Wochen sind schon schwierig, noch länger ist in der Regel eine größeres Problem. Und damit eröffnet sich für einen Virus eine interessante Perspektive: das ‚Wirtssystem‘ (der Mensch) versucht irgendwie seinem ’normalen‘ Leben nach zu gehen und schwächt sich dadurch in der Abwehr. Dies eröffnet dem Virus eine günstige Umgebung, da damit das Immunsystem geschwächt ist.
4. In meiner Umgebung habe ich von vielen Menschen (alle Altersgruppen) von diesen Phänomenen gehört. Mir bekannte Ärzte berichten von vollen Praxen, ohne dass sie viel tun können. Bei einem Buchbeitrag, wo ich angeblich der Allerletzte mit meinem Beitrag war, jenseits der Deadline, war plötzlich viel Zeit, weil mehr als die Hälfte der Autoren durch ‚Grippe‘ ausgefallen war. Von Schülern hörte ich, dass die Lehrerin 8 Wochen krank war. Ein bekannter Unternehmer berichtete, er sei dieses Jahr 2 Monate wegen Grippe ausgefallen. Ich selbst laboriere seit Anfang März mit solch einem Virus. Offizielle Daten gibt es leider nicht. Ein Mitarbeiter berichtet, dass er trotz Grippeimpfung sechs Wochen ausgeschaltet war. Die Liste ließe sich beliebig verlängern.
5. Volkswirtschaftlich ist der Schaden dieser virusbedingten Erkrankungen immens. Persönlich bildet diese Erkrankung eine große Belastung, und in dieser neuen Erscheinungsform möglicherweise noch mehr als in der kurzen, ‚intensiven‘ Form: in der Grauzone zwischen ‚fast gesund‘ aber ‚doch krank‘, das über viele Wochen, da geraten gewohnte Mechanismen durcheinander, das soziale Leben wird empfindlich gestört, die Leistungskraft wird stark bis dramatisch eingeschränkt, die Psyche gerät ins Wanken, berufliche Spannungen sind unausweichlich.
6. Dennoch, aus Sicht der ‚Kreativität‘ des Lebens ist es beeindruckend, wie ‚effektiv‘ diese scheinbar so ‚einfache‘ molekularen genetischen Mechanismen virale Muster ausbilden können, die sich nahezu optimal an die Arbeitsmuster der Menschen ‚anpassen‘. Es gibt ja schon lange Viren, die sich quasi wie ‚Schläfer‘ im Organismus eingenistet haben und sich nur gelegentlich ‚zeigen‘ (z.B.Herpesviren). Die diesjährigen Grippeviren scheinen jedenfalls (aus deren Sicht) eine verbesserte ‚Anpassung‘ (Ko-Evolution) an die Lebensweise des Wirtssytems ‚Mensch‘ zu demonstrieren (das offizielle medizinische System im Lande schweigt zu all dem). Bedenkt man die unvorstellbare Menge an Viren (z.B. 250 Mio auf ein Milliliter Meerwasser), ihre auf Millionen geschätzte Vielfalt, ihre Vervielfältigungsgschwindikeit (10 – 20 Minuten?), dann bedarf es einer deutlichen Verbesserung unseres medizinischen Systems, um die hier stattfindenden Prozesse auf Dauer ‚unter Kontrolle‘ zu bringen.
7. Aus der Gesamtsicht des Phänomens Lebens ist die ungeheuerliche ‚Kreativität‘ dieser Prozesse erfreulich und eine Eigenschaft, warum es uns überhaupt geben konnte. Aus Sicht eines einzelnen Individuums mit einer sehr begrenzten Lebenszeit kann diese wunderbare Eigenschaft schmerzhaft, quälend, katastrophal sein. Das ‚Leben‘ ist das wundersamste Phänomen im bekannten Universum, aber die ‚Entstehungskosten‘ sind auch gewaltig: ‚unbrauchbare Entwicklungen‘ im großen Stil sind die unausweichlichen ‚Nebenwirkungen‘ auf der genetischen Ebene. Erst wir Menschen verkörpern ein Komplexitätsniveau, wo wir unerwünschte Nebenwirkungen ansatzweise ‚minimieren‘ könnten. Doch sind unsere ‚Entwicklungszeiten‘ erheblich länger und natürlich nur so gut wie das Wissen, das zu dem Zeitpunkt verfügbar ist (und das ist notorisch unvollkommen).
8. In Experimenten mit einfachen (idealisierten) genetischen Algorithmen kann man sehr schön demonstrieren, dass Selektion und ‚Mischen‘ (Crossover) zwar verfügbare Lösungen im begrenzten Umfang ‚optimieren‘ können, wirkliche Fortschritte sind aber nur durch ‚Mutation‘ (=angewandte Kreativität) möglich. Mutation ist jedoch radikal ambivalent: wenn der aktuelle Zustand weit ab vom ‚Optimum‘ ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit, durch Mutation eine ‚Verbesserung‘ zu finden, sehr hoch. Habe ich aber schon eine ‚ziemlich gute Lösung‘, dann ist umgekehrt die Wahrscheinlichkeit, mich durch eine Mutation zu ‚verschlechtern‘, sehr hoch (Lebenspraktisch: wer glaubt, eigentlich nichts mehr verlieren zu können, weil er seine Situation als schlecht einschätzt, ist tendenziell zu ‚riskantem‘ Verhalten bereit, wenn er sich davon eine mögliche Verbesserung verspricht. Umgkehrt, wer glaubt, dass seine Situation so gut sei, dass eine Änderung nur eine ‚Verschlechterung‘ bedeuten würde, der wird eher ‚paralysiert‘ in seinem ‚Nest‘ hocken und diverse ‚Ängste‘ kultivieren‘, die mit möglichen ‚Bedrohungen‘ oder ‚Verlusten‘ zusammenhängen.).
9. Im Fall der Entstehung des Lebens auf dieser Erde gab es über viele Milliarden Jahre nur eines: immer weiter probieren; die Kosten spielten kein wirkliche Rolle, nur eines zählte: ‚mehr Leben finden‘.
10. Wir leben in einer Phase des Lebens auf der Erde, wo sich schon einiges an ‚Lebensknowhow‘ in Form von gewordenen Lebewesen angesammelt hat. Der ’normale‘ Mensch trägt normalerweise eine ‚Überzeugung‘ mit sich, dass er ‚weiß‘, wer er ist, wie alles ist, was das Ganze soll, usw. Diese Überzeugung ist aber nur so lange ‚wahr‘, wie er sie nicht überprüft. Haben wir hinreichende Gründe zu sagen, dass wir mit allem ‚am Ziel‘ sind oder gilt nicht für uns weiterhin das generelle Gebot des Lebens, den aktuellen Zustand nur als ‚Durchgang‘ zu einer weiteren ‚Zukunft‘ zu verstehen, die wir weitgehend noch nicht kennen, die wir aber durch unser Verhalten ‚ermöglichen sollen‘?!?!
11. Der ’normale‘ Alltag ist zumindest so, dass wir als Menschen, uns nur ‚im Spiel‘ halten können, wenn wir täglich viele Herausforderungen lösen (z.B. genügend Energie (auch in Form von Nahrung) verfügbar machen). Die Welt um uns herum entwickelt sich ‚aus sich heraus‘ beständig weiter; Teil davon ist das Ökosystem ‚jenseits des Menschen‘ mit der Welt er Mikroorganismen, die uns Menschen zahlenmäßig als ‚Nichts‘ erscheinen lassen. Es ist eine reine Frage der Zeit, bis es Mikroorganismen geben wird, die sich unserer Körper geradezu beliebig bedienen werden, wenn wir nicht entsprechende ‚koevolutive‘ Techniken entwickeln haben werden…

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Der Ursprung und die Evolution des Lebens auf der Erde. Leben als ein kosmischer Imperativ. Reflexionen zum Buch von Christian de Duve. Teil 3

Christian de Duve, VITAL DUST. Life as a Cosmic Imperative, New York: Basic Books, 1995

Beginn: 25.Okt.2012, 23:30h
Letzte Änderung: 10.Nov. 2012, 10:30h

Für Teil2 siehe HIER

  1. [ANMERKUNG: Obwohl Duve den Begriff der Information im Text immer wieder verwendet, wird der Begriff bislang nicht definiert. Selbst an der Stelle, an der er vom Ende der chemischen Evolution spricht, die dann mit Hilfe von DNA/ RNA in die informationsgeleitete Entwicklung übergeht, findet man keine weitere Erklärung. Der einzige greifbare Anhaltspunkt ist der Bezug zur DNA/ RNA, wobei offen bleibt, warum die DNA der RNA vorgeschaltet wurde.]
  2. Duve beschreibt den Kernsachverhalt so, dass wir ein Abhängigkeitsverhältnis haben von der DNA (die zur Replikation fähig ist) über eine Transkription zur RNA (die in speziellen Fällen, Viren, auch zur Replikation fähig ist) mittels Translation (Übersetzung) zu den Proteinen (vgl. S.55f) ; von den Proteinen gäbe es keinen Weg zurück zur RNA (vgl. S.56f). Die RNA hat dabei auch eine enzymatisch-katalytische Rolle.
  3. [ANMERKUNG: Für einen Interpretationsversuch zur möglichen Bedeutung des Begriffs ‚Information‘ in diesem Kontext bietet sich vor allem der Sachverhalt an, dass die ‚Konstruktion‘ eines DNA-Moleküls bzgl. der Anordnung der einzelnen Aminosäurebausteinen nicht deterministisch festgelegt ist. Ist erst einmal ein DNA-Molekül ‚zustande gekommen‘, dann kann es innerhalb des Replikationsmechanismus (kopieren, mischen und mutieren) so verändert werden, dass es nach der Replikation ‚anders‘ aussieht. Diese nicht-deterministischen Veränderungsprozesse sind völlig unabhängig von ihrer möglichen ‚Bedeutung‘! Es ist etwa so, wie ein kleines Kind, das mit einem Haufen von Buchstaben spielen würde, allerdings mit der kleinen Vorgabe, dass es eine fertige ‚Kette‘ von Buchstaben bekommen würde, die es zerschneiden darf, neu zusammenfügen, und gelegentlich einzelne Stellen austauschen darf.
  4. Die Übersetzung dieser DNA-Ketten in Proteine erfolgt dann über den RNA-gesteuerten Mechanismus. Diese Übersetzung folgt ‚in sich‘ festen Regeln, ist von daher im Prinzip deterministisch. Dies bedeutet, dass ohne die DNA-Ketten zwar deterministische Prozesse möglich sind, allerdings ohne die ‚freie Kombinierbarkeit‘ wie im Falle der DNA-Ketten (was aber, siehe Viren, im Prinzp auch gehen könnte). Die standardmäßige Trennung von Replikation und Translation deutet indirekt daraufhin, dass mit dieser Trennung irgendwelche ‚Vorteile‘ einher zugehen scheinen.
  5. Der Clou scheint also darin zu liegen, dass durch die Entkopplung von chemisch fixierten (deterministischen) Übersetzungsmechanismen von den freien erinnerungs- und zufallsgesteuerten Generierungen von DNA-Ketten überhaupt erst die Voraussetzung geschaffen wurde, dass sich das ‚Zeichenmaterial‘ von dem ‚Bedeutungsmaterial‘ trennen konnte. Damit wiederum wurde überhaupt erst die Voraussetzung für die Entstehung von ‚Zeichen‘ im semiotischen Sinne geschaffen (zu ‚Zeichen‘ und ’semiotisch‘ siehe Noeth (2000)). Denn nur dann, wenn die Zuordnung zwischen dem ‚Zeichenmaterial‘ und dem möglichen ‚Bedeutungsmaterial‘ nicht fixiert ist, kann man von einem Zeichen im semiotischen Sinne sprechen. Wir haben es also hier mit der Geburt des Zeichens zu tun (und damit, wenn man dies unbedingt will, von den ersten unübersehbaren Anzeichen von Geist!!!).
  6. Die Rede von der Information ist in diesem Kontext daher mindestens missverständlich, wenn nicht gar schlichtweg falsch. Bislang gibt es überhaupt keine allgemeine Definition von Information. Der Shannonsche Informationsbegriff (siehe Shannon und Weaver (1948)) bezieht sich ausschließlich auf Verteilungseigenschaften von Elementen einer endlichen Menge von Elementen, die als Zeichenmaterial (Alphabet) in einem technischen Übermittlungsprozeß benutzt werden, völlig unabhängig von ihrer möglichen Bedeutung. Mit Zeichen im semiotischen Sinne haben diese Alphabetelemente nichts zu tun. Daher kann Shannon in seiner Theorie sagen, dass ein Element umso ‚wichtiger‘ ist, je seltener es ist.  Hier von ‚Information‘ zu sprechen ist technisch möglich, wenn man weiß, was man definiert; diese Art von Information hat aber mit der ‚Bedeutung‘ von Zeichen bzw. der ‚Bedeutung‘ im Kontext von DNA-Ketten nichts zu tun. Die Shannonsche Information gab und gibt es auch unabhängig von der Konstellation DNA – RNA – Proteine.
  7. Auch der Informationsbegriff von Chaitin (1987, 2001) bezieht sich ausschließlich auf Verteilungseigenschaften von Zeichenketten. Je weniger ‚Zufall‘ bei der Bildung solcher Ketten eine Rolle spielt, also je mehr ‚regelhafte Wiederholungen (Muster, Pattern)‘ auftreten, um so eher kann man diese Ketten komprimieren. Benutzt man dann dazu das Shannonsche Konzept, dass der ‚Informationsgehalt‘ (wohlgemerkt ‚Gehalt‘ hier nicht im Sinne von ‚Bedeutung‘ sondern im Sinne von ‚Seltenheit‘!) umso größer sei, je ’seltener‘ ein Element auftritt, dann nimmt der Informationsgehalt von Zeichenketten mit der Zunahme von Wiederholungen ab. Insofern Zeichenketten bei Chaitin Algorithmen repräsentieren können, also mögliche Anweisungen für eine rechnende Maschine, dann hätten nach dieser Terminologie jene Algorithmen den höchsten ‚Informationsgehalt (im Sinne von Shannon)‘, die die wenigsten ‚Wiederholungen‘ aufwiesen; das wären genau jene, die durch eine ‚zufällige Bildung‘ zustande kommen.
  8. Lassen wir den weiteren Aspekt mit der Verarbeitung durch eine rechnende Maschine hier momentan mal außer Betracht (sollte wir später aber noch weiter diskutieren), dann hätten DNA-Ketten aufgrund ihrer zufälligen Bildung von ihrer Entstehung her einen maximale Informationsgehalt (was die Verteilung betrifft).
  9. Die Aussage, dass mit der DNA-RNA die ‚Information‘ in das Geschehen eingreift, ist also eher nichtssagend bzw. falsch. Dennoch machen die speziellen Informationsbegriffe von Shannon und Chaitin etwas deutlich, was die Ungeheuerlichkeit an der ‚Geburt des Zeichens‘ verstärkt: die zufallsgesteuerte Konstruktion von DNA-Ketten verleiht ihnen nicht nur eine minimale Redundanz (Shannon, Chaitin) sondern lässt die Frage aufkommen, wie es möglich ist, dass ‚zufällige‘ DNA-Ketten über ihre RNA-Interpretation, die in sich ‚fixiert‘ ist, Protein-Strukturen beschreiben können, die in der vorausgesetzten Welt lebensfähig sind? Zwar gibt es im Kontext der biologischen (= zeichengesteuerten) Evolution noch das Moment der ‚Selektion‘ durch die Umwelt, aber interessant ist ja, wie es durch einen rein ‚zufallsgesteuerten‘ DNA-Bildungsprozess zu Ketten kommen kann, die sich dann ‚positiv‘ selektieren lassen. Dieses Paradox wird umso stärker, je komplexer die Proteinstrukturen sind, die auf diese Weise erzeugt werden. Die ‚Geordnetheit‘ schon einer einzigen Zelle ist so immens groß, dass eine Beschreibung dieser Geordnetheit durch einen ‚zufälligen‘ Prozess absurd erscheint. Offensichtlich gibt es hier noch einen weiteren Faktor, der bislang nicht klar identifiziert wurde (und der muss im Generierungsprozess von DNA-Ketten stecken).]
  10. [ANMERKUNG: Eine erste Antwort steckt vielleicht in den spekulativen Überlegungen von Duve, wenn er die Arbeiten von Spiegelmann (1967), Orgel (1979) und Eigen (1981) diskutiert (vgl. S.57-62). Diese Arbeiten deuten daraufhin, dass RNA-Molküle Replizieren können und Ansätze zu evolutionären Prozessen aufweisen. Andererseits sind RNA-Moleküle durch Übersetzungsprozesse an Proteinstrukturen gekoppelt. Wenn also beispielsweise die RNA-Moleküle vor den DNA-Ketten auftraten, dann gab es schon RNA-Ketten, die sich in ihrer jeweiligen Umgebung ‚bewährt‘ hatten. Wenn nun — auf eine Weise, die Duve nicht beschreibt — zusätzlich zu den RNA-Ketten DNA-Ketten entstanden sind, die primär nur zur Replikation da waren und die RNA-Ketten dann ’nur‘ noch für die Übersetzung in Proteinstrukturen ‚zuständig‘ waren, dann haben die DNA-Ketten nicht bei ‚Null‘ begonnen sondern repräsentierten potentielle Proteinstrukturen, die sich schon ‚bewährt‘ hatten. Der Replikationsmechanismus stellte damit eine lokale Strategie dar, wie die im realen Raum vorhandenen DNA/ RNA-Ketten den ‚unbekannten Raum‘ möglicher weiterer Proteinstrukturen dadurch ‚absuchen‘ konnten, dass neue ‚Suchanfragen‘ in Form neuer DNA-Moleküle gebildet wurden. Der ‚Akteur‘ war in diesem Fall die komplette Umgebung (Teil der Erde), die mit ihren physikalisch-chemischen Eigenschaften diese Replikationsprozesse ‚induzierte‘. Die einzige Voraussetzung für einen möglichen Erfolg dieser Strategie bestand darin, dass die ‚Sprache der DNA‘ ‚ausdrucksstark‘ genug war, alle für das ‚hochorganisierte Leben‘ notwendigen ‚Ausdrücke‘ ‚bilden‘ zu können. Betrachtet man den RNA-Proteinkonstruktionsprozess als die ‚Maschine‘ und die DNA-Ketten als die ‚Anweisungen‘, dann muss es zwischen der RNA-Proteinmaschine‘ und den DNA-Anweisungen eine hinreichende Entsprechung geben.]
  11. [ANMERKUNG: Die Überlegungen von Duve haben einen weiteren kritischen Punkt erreicht. Um die Optimierung des Zusammenspiels zwischen RNA und Proteinen und ihren Vorformen erklären zu können, benötigt er einen Rückkopplungsmechanismus, der ein schon vorhandenes ‚Zusammenspiel‘ von allen beteiligten Komponenten in einer gemeinsamen übergeordneten Einheit voraussetzt. Diese hypothetische übergeordnete gemeinsame Einheit nennt er ‚Protozelle‘ (‚protocell‘). (vgl.S.65f)]
  12. Die Protein-Erzeugungsmaschinerie (‚proteine-synthesizing machinery‘) besteht aus mehreren Komponenten. (i) Das Ribosom heftet eine Aminosäure an eine wachsende Peptid-Kette, quasi ‚blindlings‘ entsprechend den determinierenden chemischen Eigenschaften. (vgl. S.66) Das Bindeglied zwischen den ‚informierenden‘ Aminosäuren und den zu bildenden Petidketten (Proteinen) bildet die ‚Boten-RNA‘ (‚messenger RNA, mRNA‘), in der jeweils 3 Aminosäuren (Aminosäuren-Triplets) als ‚Kodon‘, also 4^3=64, eine von 64 möglichen Zieleinheiten kodieren. Dem Kodon entspricht in einer ‚Transport-RNA‘ (‚transfer-RNA, tRNA‘) dann ein ‚Antikodon‘ (ein chemisch komplementäres Aminosäure-Triplet), an das genau eine von den 22 (21) biogenen Aminosäuren ‚angehängt‘ ist. Durch diesen deterministischen Zuordnungsprozess von mRNA-Kodon zu tRNA-Antikodon und dann Aminosäure kann eine Peptidkette (Protein) Schritt für Schritt entstehen. Diejenigen Zieleinheiten aus den 64 Möglichen, die nicht in eine Aminosäure übersetzt werden, bilden ‚Befehle‘ für die ‚Arbeitsweise‘ wie z.B. ‚Start‘, ‚Stopp‘. Dieser ‚Kode‘ soll nach Duve ‚universal‘ für alle Lebewesen gelten. (vgl. S.66f)
  13. [ANMERKUNG: Für eine vergleichende Lektüre zu diesem zentralen Vorgang der Proteinbildung sei empfohlen, die immer sehr aktuellen Versionen der entsprechenden englischsprachigen Wikipediabeiträge zu lesen (siehe unten Wkipedia (en).]
  14. Duve weist ausdrücklich darauf hin, dass die eigentliche ‚Übersetzung‘, die eigentliche ‚Kodierung‘ außerhalb, vorab zu dem mRNA-tRNA Mechanismus liegt. Der ribosomale Konstruktionsprozess übernimmt ja einfach die Zuordnung von Antikodon und Aminosäure, wie sie die Transfer-RNA liefert. Wann, wie und wo kam es aber zur Kodierung von Antikodon und Aminosäure in dem Format, das dann schließlich zum ‚Standard‘ wurde? (vgl. S.69)
  15. Letztlich scheint Duve an diesem Punkt auf der Stelle zu treten. Er wiederholt hier nur die Tatsachen, dass RNA-Moleküle mindestens in der dreifachen Funktionalität (Botschaft, Transfer und Konformal) auftreten können und dass sich diese drei Funktionen beim Zusammenbauen von Peptidketten ergänzen. Er projiziert diese Möglichkeit in die Vergangenheit als möglichen Erklärungsansatz, wobei diese reine Möglichkeit der Peptidwerdung keinen direkten ‚evolutionären Fitnesswert‘ erkennen lässt, der einen bestimmte Entwicklungsprozess steuern könnte.(vgl. S.69f) Er präzisiert weiter, dass der ‚Optimierung‘ darin bestanden haben muss, dass — in einer ersten Phase — ein bestimmtes Transfer-RNA Molekül hochspezifisch nur eine bestimmte Aminosäure kodiert. In einer nachfolgenden Phase konzentrierte sich die Optimierung dann auf die Auswahl der richtigen Boten-RNA. (vgl.S.70f)
  16. [ANMERKUNG: Das alles ist hochspekulativ. Andererseits, die ‚Dunkelheit‘ des Entstehungsprozesses ist nicht ‚völlige Schwärze‘, sondern eher ein ’nebliges Grau‘, da man sich zumindest grundsätzlich Mechanismen vorstellen kann, wie es gewesen sein könnte.]
  17. Duve reflektiert auch über mögliche chemische Präferenzen und Beschränkungen innerhalb der Bildung der Zuordnung (= Kodierung) von Kodons und Antikodons mit der Einschätzung, dass die fassbaren chemischen Eigenschaften darauf hindeuten, dass eine solche Zuordnung nicht ohne jede Beschränkung, sprich ’nicht rein zufällig‘ stattgefunden hat.(vgl. S.72f)
  18. [ANMERKUNG: Der spekulative Charakter bleibt, nicht zuletzt auch deswegen, weil Duve schon für den ‚evolutionären‘ Charakter der Kodon-Antikodon Entwicklung das fiktive Konzept einer ‚Protozelle‘ voraussetzen muss, deren Verfügbarkeit vollständig im Dunkel liegt. Etwas kaum Verstandenes (= die Kodon-Antikodon Zuordnung) wird durch etwas an dieser Stelle vollständig Unverstandenes (= das Konzept der Protozelle) ‚erklärt‘. Natürlich ist dies keine echte Kritik an Duve; schließlich versucht er ja — und darin mutig — im Nebel der verfügbaren Hypothesen einen Weg zu finden, der vielleicht weiter führen könnte. In solchen unbefriedigenden Situationen wäre eine ‚vornehme Zurückhaltung‘ fehl am Platze; Suchen ist allemal gefährlich… ]
  19. Duve geht jedenfalls von der Annahme aus, dass ein evolutionärer Prozess nur in dem Umfang effektiv einsetzen konnte, als die Veränderung der Kodon-Antikodon Zuordnung samt den daraus resultierenden chemischen Prozessen (Katalysen, Metabolismus…) insgesamt ein Trägersystem — in diesem Fall die vorausgesetzte Protozelle — ‚positiv‘ unterstützte und ‚überlebensfähiger‘ machte. (vgl. S.73f)
  20. Ungeachtet der Schwierigkeit, die Details des Entstehungsprozesses zum jetzigen Zeitpunkt zu enthüllen, versucht Duve weitere Argumente zu versammeln, die aufgrund allgemeiner Eigenschaften des Entstehungsprozesses den evolutionären Charakter dieses Prozesses weiter untermauern.
  21. Generell gehört es zu einem evolutionären Prozess, dass die Entwicklung zum Zeitpunkt t nur auf das zurückgreifen kann, was an Möglichkeiten zum Zeitpunkt t-1 zur Verfügung gestellt wird, also change: STATE —> STATE. Dies schränkt den Raum der Möglichkeiten grundsätzlich stark ein. (vgl. S.75, 77)
  22. Da es bei der Übersetzung von mRNA in Peptide zu Fehlern kommen kann (Duve zitiert Eigen mit der quantitativen Angabe, dass auf 70 – 100 übersetzten Aminosäuren 1 Baustein falsch ist ), bedeutet dies dass die ersten Kodon-Antikodon Zuordnungen in Gestalt von mRNA Molekülen aufgrund dieser Fehlerrate nur 60 – 90 Einheiten lang sein konnten, also nur 20 – 30 Aminosäuren kodieren konnten. (vgl. S.76)
  23. Rein kombinatorisch umfasst der Möglichkeitsraum bei 20 Aminosäuren 20^n viele Varianten, also schon bei einer Länge von nur 100 Aminosäuren 10^130 verschiedene Moleküle. Rein praktisch erscheint nach Duve ein solcher Möglichkeitsraum zu groß. Nimmt man hingegen an — was nach Duve der tatsächlichen historischen Situation eher entsprechen soll –, dass es zu Beginn nur 8 verschiedene Aminosäuren gab die zu Ketten mit n=20 verknüpft wurden, dann hätte man nur 8^20 = 10^18 Möglichkeiten zu untersuchen. In einem kleinen Tümpel (‚pond‘) erscheint das ‚Ausprobieren‘ von 10^18 Variationen nach Duve nicht unrealistisch.(vgl. S.76)
  24. Schließlich führt Duve noch das Prinzip der ‚Modularität‘ ein: RNA-Moleküle werde nicht einfach nur ‚Elementweise‘ verlängert, sondern ganze ‚Blöcke‘ von erprobten Sequenzen werden kombiniert. Dies reduziert einserseits den kombinatorischen Raum drastisch, andererseits erhöht dies die Stabilität. (vgl. S.77)

Fortsetzung folgt…

LITERATURVERWEISE

Chaitin, G.J; Algorithmic information theory. Cambridge: UK, Cambridge University Press, (first:1987), rev.ed. 1988, 1990, 1992, ,paperback 2004

Chaitin, G.J; Exploring Randomness. London: UK, Springer Ltd., (2001, corr. 2001), 3rd printing 2002

Noeth, W., Handbuch der Semiotik, 2. vollst. neu bearb. und erw. Aufl. mit 89 Abb. Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler, xii + 668pp, 2000

Claude E. Shannon A mathematical theory of communication. Bell System Tech. J., 27:379-423, 623-656, July, Oct. 1948 (online: http://cm.bell-labs.com/cm/ms/what/shannonday/paper.html; zuletzt besucht: May-15, 2008)

Claude E. Shannon; Warren Weaver The mathematical theory of communication. Urbana – Chicgo: University of Illinois Press, 1948.

Wikipedia (en): Genetischer Kode: http://en.wikipedia.org/wiki/Genetic_code, Ribosom: http://en.wikipedia.org/wiki/Ribosome, Protein Biosynthesis: http://en.wikipedia.org/wiki/Protein_biosynthesis, Aminosäuren: http://en.wikipedia.org/wiki/Amino_acid, Proteinoide Aminosäuren:http://en.wikipedia.org/wiki/Proteinogenic_amino_acid (Alle Links zuletzt besucht: Mo, 29.Okt.2012)

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