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VERSCHRÄNKUNG VON REALITÄT UND VIRTUALITÄT – ZUKUNFT ODER ENDE DES MENSCHEN? – Randbemerkungen zu einer Veranstaltung des DAM Frankfurt 2.März 2016

VERSCHRÄNKUNG VON REALITÄT UND VIRTUALITÄT – ZUKUNFT ODER ENDE DES MENSCHEN? – Randbemerkungen zu einer Veranstaltung des DAM Frankfurt 2.März 2016

DIE VERANSTALTUNG

  1. Gestern Abend war ich Besucher einer Veranstaltung im Deutschen Architekturmuseum (DAM) mit dem Titel Konstruierte Realitäten. Verschränkung von virtueller und realer Welt. Nach einer umfangreichen Präsentation des Ateliers Markgraph mit Praxisbeispielen aus vielen Jahren von der künstlerischen Inszenierung der Automarke Mercedes auf der Internationalen Automobile Ausstellung (IAA) in Frankfurt, gab Prof. Lawo von der Universität Bremen einen umfassenden Überblick über die Entwicklung der Interaktion zwischen Menschen und Objekten/ Modellen.

ATELIER MARKGRAPH – INSZENIERUNG EINES OBJEKTES

  1. Die Präsentation des Ateliers Markgraph (mit Raimund Ziemer und Peter Eberhard) berührte viele Aspekte und bot natürlich – wie es sich für eine solche Agentur gehört – viele spannende, ästhetisch ansprechende Bilder. Die zugehörigen Sounds waren nicht dabei oder, wenn sie dabei waren, leider ziemlich schlecht.
  2. Entscheidend waren aber die Botschaften. Von den vielen Aspekten fand ich interessant, wie das zu inszenierende Objekt – hier die Autos der Marke Mercedes – im Laufe der Jahre immer mehr Teil einer medialen Inszenierung wurden, die das physikalische Objekt mehr und mehr zu verschlucken begann; es war und ist immer noch real da, aber im medialen Drumherum gewinnt die virtuelle Welt in Form von Bildern und Sound selbst eine solche Realität, dass die Grenzen zwischen realem Objekt Auto und virtuellem Kontext sich zu einer neuen Art von Virrealität in der Wahrnehmung des Zuschauers verbindet.
  3. Letztlich verschwindet das reale Objekt (der Begierde) in einem größer werdenden Kontext von Botschaften, Themen, die im Sinne des Unternehmens (und eventuell auch der Gesellschaft) vernünftig sind (wie Energiesparen, alternative Energien, autonomes Fahren mit weniger Unfällen, usw.), die aber nicht notwendigerweise die Gefühle und Bedürfnisse der Besucher treffen.
  4. Man kann sich nicht des Eindrucks erwehren, dass mit der zunehmenden ästhetischen Überladung der Kontexte sich nicht nur das Objekt der Begierde vom Benutzer entfernt, sondern dass auch der Benutzer selbst sich irgendwo in diesem ästhetischen Superfeuerwerk irgendwie verloren, sehr klein, und hilflos fühlen kann/ fühlt. Das geliebte Auto wird immer unzugänglicher, immer fremder, ein Überobjekt, dazu noch vernetzt auf eine Weise, die der Benutzer möglicherweise gar nicht will bzw. immer weniger beeinflussen kann.

VORTRAG PROF.LAWO

  1. Im nachfolgenden Vortrag, der mit dem Thema der Inszenierung einer Marke auf der IAA nichts zu tun hatte, konnte man aber ein ähnliches Muster beobachten. Professor Lawo, der  die bisherige Entwicklung vom ersten Computer bis zu den heutigen Systemen selbst noch miterlebt hat und sich im Bereich der Nutzung von Computermodellierung und -simulation spezialisiert hatte, lies die Zuhörer diese Entwicklung mitverfolgen. So konnte jeder vor seinem geistigen Auge nachvollziehen, wie sich die Entwicklung vom ersten Modell im Computer (z.B. erste Hausmodelle im Computer, CAD) bis hin zu immer mehr Interaktion mit solchen Modellen (z.B. Spielekonsolen, technische Simulatoren, Telemedizin, VR-Brillen…) vollzog. Die virtuellen Modelle fühlen sich für den Benutzer immer realistischer an. Heute können wir nicht nur dreidimensional sehen, man bekommt auch die Bewegungen dazu, den Sound, die Widersetzlichkeit von Aktionen, wenn auch noch nicht alles.
  2. Auch hier also der Trend zur Verschmelzung von Realität und Vitualität. Dazu kam noch das Thema der Wearables, der tragbaren Sensorik und Aktorik am Körper, in der Kleidung, im Körper, wodurch sich die Interaktion des Menschen mit seiner Umgebung vielfach erweitern kann.

DISKUSSION

  1. In der anschließenden Diskussion führte diese zunehmende Verschmelzung zu allerlei Fragestellungen. Eine war, ob hier nicht die Technik um der Technik willen immer weiter entwickelt wird und die Frage nach dem Benutzer – trotz aller Lippenbekenntnisse – letztlich sekundär ist. Ist es nicht so, dass sich – wie schon in der Frühzeit des Computers – sich die Technik nicht nach den Bedürfnissen des Menschen richtet, sondern der Mensch muss sich der Technik anpassen?
  2. Letztere Frage kann einen negativen Beigeschmack haben. Andererseits, falls es eine übergeordnete Perspektive gäbe, aus der heraus klar werden könnte, dass diese technischen Veränderungsprozesse samt den begleitenden Anpassungsprozessen einer übergeordneten Entwicklungslogik geschuldet sind, der wir alle unterliegen, dann könne man diese Veränderungen eher positiv als Herausforderungen sehen, die wir natürlich meistern sollten. Aktuell hat man aber eher den Eindruck, dass die einzelnen Technologieführer die Treiber sind, die den Menschen nur als Cash Cow für ihre Spielchen brauchen. Der Mensch selbst ist kein Thema. Professor Lawo formulierte es so „Technik passiert einfach“.
  3. Weitet man den Blick, sieht man, wie die Digitalisierung ja mittlerweile überall stattfindet, in allen Lebensbereichen, und dass selbst internationale Konzerne mittlerweile fast mehr Opfer denn Herren des Digitalisierungsgeschehens sind, denn wirkliche Gestalter, dann muss man die Frage stellen, ob die Formulierung Technik passiert einfach nicht dann doch eine Mehrfachdeutung zulässt. Ja, aus Sicht der einzelnen Akteure (Atelier Markgraph, Professor Lawo) passiert sie in dem Sinne, dass man sie benutzen muss, will man im Spiel bleiben. Aber kein einzelner kann von sich sagen, er entwickle diese globale Welle. Und doch, jeder bastelt ein Stückchen am großen Ganzen, und letztlich reiten dann alle auf dieser Technologie-Monsterwelle durch die Zeit, ohne dass es einen einzigen Autor, ohne dass es einen einzigen umfassenden Manager gibt, der das alles in der Hand hat. Es geschieht allen.
  4. In diesem Blog wurde schon oft die Evolution thematisiert als das übergreifende Geschehen, innerhalb dessen auch wir uns vorfinden. Betrachtet man die sich entwickelnde Komplexität biologischer Systeme auf der Erde mit der unfassbaren Explosion er letzten Jahrzehnte (bei einer Vorgeschichte von mehr als 13 Mrd Jahren), und betrachtet man speziell den Komplexitätssprung vom Fortpflanzungsmechanismus der normalen Zelle hin zum Gehirn des homo sapiens mit seiner zusätzlichen Erweiterung durch Computer, Datenbanken und Netzwerken, dann ist die Technikexplosion der letzten 50-70 Jahre kein Zufall; sie erscheint vielmehr tatsächlich als unausweichliche Entwicklung eines Evolutionsturbos, der sich keiner entziehen kann. Wenn dieser Blick zutrifft, dann stehen wir sogar erst am Anfang einer Entwicklung, von der niemand aktuell sagen kann, wo sie endet. Der homo sapiens von 2016 wird ein anderer sein als der homo sapiens von 2116.
  5. Vielleicht wären wir alle einen Schritt weiter, wenn wir diese Entwicklung samt der übergreifenden evolutionären Perspektive erst einmal gemeinsam sehen könnten; vielleicht nicht unbedingt akzeptieren. Denn nicht alles was geht ist – wie die vielen Milliarden Jahre vorausgehende Entwicklung und die paar tausend Jahre menschliche Kulturgeschichte zeigen – notwendigerweise gut. Es gibt Spielräume, es gibt Präferenzen; allerdings müssen diese gefunden werden; sie sind nicht da. Viele (die meisten?) der alten Werte können wir wohl nicht mitnehmen in die kommende Zeit.

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