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KURZNOTIZ 26.Nov.2012

ERSTEINTRAG. 26.Nov.2012

LETZTE ÄNDERUNG: 27.Nov.2012 (Als Zusatz)

 

  1. In dem Münchenvortrag wurde der Rahmen angedeutet, innerhalb dessen sich sowohl das Verhältnis Mensch und Computer einordnen lässt wie überhaupt Computer – Mensch – biologische Evolution. Fast alle Detailfragen blieben offen; dazu fehlte rein äußerlich einfach die Zeit.
  2. Für die Fragen nach dem Warum, Wozu, Wie, Wohin etc. gibt es bislang aber kaum überzeugende Antworten, eigentlich keine einzige; zumindest kenne ich keine.
  3. In der Literatur wird bei der Frage nach der Rolle und Bedeutung des Menschen fast immer auf seine äußerlichen Unterschiede zu den anderen biologischen Arten abgehoben, es wird — im Lichte des stark vereinfachten Evolutionsmodells — nach Faktoren in der Umwelt der homo sapiens sapiens Vorläufer gesucht, die ihn zum aufrechten Gang, zum Sprechen usw. ‚gebracht‘ haben. Dabei wird die ‚eigentliche Logik der Evolution‘, wie sie sich im Gesamtrahmen manifestiert, weitgehend ausgeklammert. Entsprechend wenig überzeugend sind die Antwortversuche.
  4. Bei mir verstärkt sich die Vermutung, dass die zentralen ‚Umbrüche‘ jene sind, in denen (i) Energie zu Materie ‚kondensiert‘, (ii) aufgrund von noch vorhandener freier Energie sich Atome zu komplexeren Verbindungen (Molekülen) zusammenfügen können, (iii) es zur — bis heute nicht ganz aufgeklärten — Entstehung der Dichotomie von Genotyp und Phänotyp kommen konnte; ein Vorgang, der mehrere kleinere Revolutionen zugleich beinhaltet, u.a. die Ausbildung von ‚reinen informationshaltigen Strukturen‘ (RNA, DNA); (iv) die Ausbildung von ‚hierarchischen Informationsstrukturen‘ im Genotyp (siehe u.a. Duve (Besprechung noch im Gang); mathematische Begründung bei Holland (Besprechung kommt noch)); (v) mit der weiteren Entwicklung des Phänotyps mit immer komplexeren Strukturen u.a. die Ausbildung von Gehirnen, die die Geschwindigkeit von Lernprozessen um den Faktor 10^7 beschleunigten (unter Beibehaltung der hierarchischen Informationsstrukturen!)!; (vi) ein Abfallprodukt dieser phänotypischen Komplexitätsbildung ist die symbolische Kommunikation. Diese ermöglicht eine neuartige Echtzeitkoordinierung der Informationsverarbeitung der individuellen Gehirne. Dies ermöglicht noch komplexere Informationsbildungen, die über aktuelle Zeitpunkte hinweg Eigenschaftsmengen der messbaren Welt abbilden lassen; (vii) ein weiteres Abfallprodukt ist die Replikation von gehirnbasierten Intelligenzleistungen durch technologiebasierten Intelligenzleistungen (salopp: ‚Computerbasierte Informationstechnologien‘). Dies steigert weiter die Komplexität, den Umfang und die Geschwindigkeit von Informationsstrukturen.
  5. Insgesamt lässt sich eine mehr als exponentielle Beschleunigung in dem Umfang der Komplexität wie auch in der Geschwindigkeit von Lernprozessen beobachten. Innerhalb der letzten ca. 60 Jahre ist ein Mehrfaches von dem passiert, was in den vorausgehenden 13 Milliarden Jahren passiert ist.
  6. Von daher ist kaum verwunderlich, wenn die offiziellen ‚Weltbilder‘ (’selbst gemachten Bilder von der Welt’…) geradezu dramatisch hinter der Realität hinterher hinken. Noch immer dienen die Bilder der großen Weltreligionen der Mehrheit der Menschen als Orientierungshilfen, obgleich sie mit dem Gang des Lebens auf dieser unseren Erde so gut wie nichts gemeinsam haben. Was immer man mit dem viel bemühten Begriff ‚Gott‘, ‚Deus‘, ‚Theos‘, ‚Alah‘, ‚Jahwe‘, ‚Elohim‘ usw. meinen mag, alles spricht dafür, dass dieser Gott ganz, ganz anders ist, als wir uns dies gerne vorstellen. Es würde mich nicht überraschen, wenn wir irgendwann feststellen würden, dass das mit ‚Gott‘ Gemeinte ‚in jedem Lebewesen‘ von Anfang an und unauflöslich ‚lebt‘. Es wirkt auch merkwürdig, wenn Menschen sich anmaßen, als Menschen über ‚Gott‘ zu reden; noch merkwürdiger wirkt es, wenn bestimmte Religionsgemeinschaften das mit ‚Gott‘ Gemeinte ausschließlich ‚für sich‘ reklamieren‘, als ob der ‚behauptete Schöpfer von allem‘ sich irgendwo in diesem gigantischen Prozess dann plötzlich eine kleine Schar von Menschlein auserwählt, um damit seine eigene gigantische Schöpfung ins Unrecht zu setzen (und da jede Gemeinschaft das für sich beansprucht, haben wir also diesen Gott gleich in mehrfacher Ausfertigung; dies klingt alles ‚allzu menschlich‘ und nicht wirklich ‚göttlich‘). Solche Gedanken erscheinen mir irgendwie lächerlich (und es ist ja auch auffällig, dass über die Begründung von solchen merkwürdigen Anschauungen niemand ernst nachdenkt; Denkverbote sind aber immer die schlechtesten Empfehlungen auf dem Weg zur Wahrheit).
  7. Im europäischen Bereich der Welt (die anderen kenne ich zu wenig) kann man dem Wettlauf mit der Wahrheit eine gewisse Dramatik nicht absprechen: während sich in der griechischen Philosophie im umfassenden Erkenntnisstreben noch irgendwie alles vereinte — wenngleich verständlicherweise die heute mögliche Präzision noch fehlte — kam es im Gefolge des Christentums (und damit implizit auch des Judentums) (und des Islams?) zu einer ‚Ideologisierung‘ im Umgang mit der Wahrheit. Nur unter größten Schwierigkeiten und Schmerzen konnten sich dann nach mehr als ca. 1500 Jahren die ‚Naturerkenntnis‘ aus dieser Umklammerung befreien und in Gestalt von lebensfördernder ‚Technik‘ und ‚Medizin‘ eine gewisse gesellschaftliche Anerkennung erringen. Auf der ‚Strecke‘ geblieben ist der Gesamtzusammenhang der Wahrheit. Die ‚philosophische Restgruppe‘ firmierte dann zwar weiterhin offiziell unter ‚Philosophie‘, ‚Theologie‘, später ideologisch etwas weichgespülter unter ‚Geisteswissenschaften‘, aber durch die selbstgewählte Aussperrung von experimentell begründeter Wahrheit und mathematischer Sprache umkreisten diese Wissenschaften die ‚menschlichen und gesellschaftlichen Phänomene‘ mit gepflegten Wortereignissen, bei denen nur die Eingeweihten ahnen konnten, was gemeint sein konnte. Erst seit Ende des 19.Jahrhunderts, Anfang des 20.Jahrhunderts kann man Versuche identifizieren, einzelne Bereiche des geisteswissenschaftlichen Bereiches zu ‚verwissenschaftlichen‘ (Paradebeispiel Psychologie, in der aber bis heute alle Schattierungen von wissenschaftlich bis quasi ‚freigeistig‘ vertreten sind).
  8. Es wäre verfehlt, hier mit ‚moralischen‘ Kategorien zu operieren. War — und ist! — es doch auch die natürliche Komplexität der Phänomene selbst, die sich einem schnellen Zugriff experimentalwissenschaftlichen Denkens entzog. Erst durch die gewaltigen Fortschritte der letzten 100 Jahre erscheint es möglich, die zuvor gedanklich schwer durchdringlichen Phänomene des Lebens, des Handelns, der Kultur, der Ästhetik usw. einem experimentell-analytischen Denken zugänglich zu machen.
  9. Nachdem nun aber klar wird, dass diese ‚Undurchdringlichkeit‘ keine absolute, sondern nur eine relative ist, wenn nun aber klar wird, dass die geisteswissenschaftlichen Phänomene genauso einer experimentell-analytischen Denkweise zugänglich sein können wie alle anderen Phänomene auch, dann müssen wir uns auch dieser gedanklichen Herausforderung stellen. Philosophie kann sich nicht in Philosophiegeschichte erschöpfen, Theologie nicht in ideologisch festgezurrten Gemeinplätzen, Kulturwissenschaft darf nicht weiterhin einfach ’seinsvergessen‘ nur mit den Oberflächenphänomenen effekthascherisch spielen. Die kulturellen Phänomene gründen in Phänotypen, denen eine konkrete materielle Logik zugrunde liegt, hinter der eine milliardenschwere Zeitwucht steht, die ganz offensichtlich nicht ganz beliebig zu sein scheint. Wie können wir ‚wie die Mücken‘ um das ‚Licht der Alltagsphänomene‘ ‚tanzen‘ während eine gigantische kosmische Maschinerie ein Schauspiel inszeniert, in dem 1000 Jahre wie eine Mikrosekunde wirken?
  10. Sich realisierende Erkenntnis, die Wahrheit akzeptiert, verliert mehrfach ihre Unschuld. Wahrheitsbezogene Erkenntnis ist nicht beliebig. Sie ‚lebt‘ in einer ‚Relation‘ zwischen dem ‚Erkennendem‘ und jenem, das sich dem Erkennenden ‚aufzwingt‘ (das altbekannte ‚Andere‘ der existentialistischen Philosophie und das Widerständige der experimentellen Forscher (… und auch jenes ‚Gegenüber‘ des Mystikers, das er nicht manipulieren kann, sondern das sich ihm gegenüber ‚verhält’…), eben als das ‚wirklich Andere‘, wenngleich wir wissen, dass wir das ‚Andere‘ immer nur im Modus unserer körperlichen Zustände erleben können (kein Gehirn kann das ‚Außen‘ zum Körper ‚direkt‘ erkennen). Und es ist auch klar, dass nicht jeder von vornherein quasi ‚von selbst‘ ‚voll wahrheitsfähig‘ ist. So, wie die Kinder einige Jahre benötigen, um überhaupt geordnet sprechen zu können, so müssen wir alle viele Jahre damit zubringen, den alltäglichen Strom der Phänomene zu sortieren und in Zusammenhänge setzen. Die Geschichte nur des formalen Denkens (Logik, Mathematik) alleine zeigt schon, wie schwer sich die Menschen in allen Jahrhunderten damit getan haben, geschweige denn die vielen anderen Denkformen. Ein ‚philosophierender Forscher‘ wird zum ‚Partner‘ in einem Prozess, der als solcher ‚auf ihn zukommt in einer Eigenständigkeit‘, die allerdings nicht vollständig ‚absolut‘ ist. Hier liegt ein Paradox verborgen: je mehr der Forscher sein ‚Gegenüber‘ kennt, um so mehr kann er es ‚verändern‘, und damit sich selbst, da er selbst Teil dieses Gegenstandes ist! D.h. wir beziehen unsere Wahrheit aus der ‚Vorgabe‘, aber in dem Maße wir diese Vorgabe ‚verstehen‘, können wir sie verändern!! Weitergedacht könnten wir prinzipiell das ganze Universum verändern, wenn wir im Verstehen weiter voranschreiten. Damit würde das biologische Leben immer mehr die Form dessen annehmen, was traditionellerweise ‚Gott‘ genannt wird. Würde das Biologische damit ‚wie Gott‘ oder würde ‚Gott‘, der klassischerweise ‚in allem wohnt‘ damit nur auf besondere Weise ’sichtbar‘? Das Biologische als ‚Ausstülpung‘ (manche mögen lieber ‚Emergenz‘) des universalen Geistes? Das sind noch ziemlich hilflose Überlegungen. Die ‚volle Wahrheit‘ wird vermutlich um Dimensionen interessanter und spannender sein. Aber es wird höchste Zeit, dass wir uns von den alten Bildern befreien. Sie erzählen von einer Welt, die es so gar nicht gibt.

 

Eine Übersicht über alle bisherigen Themen anhand der Titel findet sich HIER

Der Ursprung und die Evolution des Lebens auf der Erde. Leben als ein kosmischer Imperativ. Reflexionen zum Buch von Christian de Duve. Teil 2

Christian de Duve, VITAL DUST. Life as a Cosmic Imperative, New York: Basic Books, 1995

Beginn: 20.Okt.2012, 18:10h

Letzte Änderung: 25.Okt.2012, 07:40h

Für Teil1 siehe HIER.

  1. Duve beginnt seine Rekonstruktion in der Frühzeit der Erde, in der es zwar einfache chemische Stoffe gab, insbesondere die fünf häufigsten Elemente (CHNOPS = (C) Carbon = Kohlenstof, (H) Hydrogen = Wasserstoff, (N) Nitrogen, (O) Oxygen = Sauerstoff, (P) Phosphor, (S) Sulfur = Schwefel ), aber noch nicht die komplexen Verbindungen, die im späteren Verlauf wichtige Funktionen im Leben übernahmen.(vgl. S.15)
  2. Die Frage nach der genauen Konstellation von chemischen Elementen in der Frühzeit der Erde für die Entstehung lebensermöglichender (:= biogener) chemischer Verbindungen lässt sich bislang noch nicht vollständig klären. Als hauptsächlichste Szenarien werden favorisiert entweder flache warme Gewässer oder hydrothermale Schlote in dunkler Tiefsee oder Kombinationen von beidem.(vgl. 15-18)
  3. Verschiedene theoretische Ansätze (Oparin 1924, Watson und Crick 1953), sowie neuartige Experimente (Miller und Urey 1952/ 1953) zeigten auf, dass rein chemische Prozesse möglich sind, die zur Bildung komplexerer biogener Verbindungen führen können; allerdings wurden in keinem Experiment jene chemischen Verbindungen gefunden, die für biogene Verbindungen als ausreichend erachtet werden.(vgl. S.18f)
  4. Mit der Verbesserung der Beobachtungsmethoden und hier speziell der Spektroskopie konnte man herausfinden, dass sich im interstellaren Raum überall nicht nur genügend chemische Elemente finden, sondern sogar viele chemische Verbindungen, die als biogen qualifiziert werden können. Zusammenfassend gilt es nach Duve als erwiesen, dass zahlreiche biogene chemische Verbindungen sowohl unter den Bedingungen der frühen Erde, im interstellaren Raum, wie auch in Kometen und Meteoriten entstehen können und die extraterrestrischen Verbindungen ein Eindringen in die Atmosphäre der Erde samt Aufschlag überleben können. (vgl. S.19f)
  5. Für das Zusammenwirken verschiedener chemischer Verbindungen in Richtung Ermöglichung von noch komplexeren biogenen chemischen Verbindungen geht Duve von folgenden Annahmen aus: (i) Aminosäuren sind die auffälligsten (‚conspicuous‘) chemischen Verbindungen der abiotischen Chemie auf der Erde wie auch im interstellaren Raum; (ii) Aminosäuren sind die Bausteine von Proteinen; (iii) Proteine sind zentrale Faktoren in biologischen Strukturen, insbesondere funktionieren Proteine in heutigen biologischen Strukturen als ‚Enzyme‘, durch die wichtige chemische Reaktionen stattfinden; (iv) nach Cricks Hypothese von 1957 fließt ‚Information‘ [Anmk: Begriff hier nicht erklärt, aber im nächsten Abschnitt] immer von den Nukleinsäuren zu den Proteinen, niemals umgekehrt. Letztere Hypothese wurde von Czech und Altmann dahingehend unterstützt, als diese Wissenschaftler herausfanden, dass Nukleinsäuren (’nucleic acids‘) in Form von Ribonucleinsäuren (RNA) katalytische Eigenschaften besitzen und es eben die RNA ist, die in heutigen biologischen Strukturen sowohl die Informationen zur Konstruktion von Proteinen besitzt wie auch katalytische Eigenschaften, um solche Prozesse in Gang zu setzen. Die Hypothese von der ‚RNA-Welt‘ war geboren, die der Proteinwelt vorausgeht. (vgl.SS.20-22)
  6. Ein RNA-Molekül besteht aus vielen (tausenden) Elementen genannt ‚Nukleotide‘, die jeweils aus einer Strukturkomponente und einer Informationskomponente bestehen. Eine Informationskomponente ist ein ein 4-elementiges Wort über dem Alphabet {A,G,C,U}(‚Adenin, Guanin, Cyatin, Uracil‘). Nach Duve ist es bislang nicht klar, wie es unter den Bedingungen der frühen Erde zur Ausbildung von RNA-Molekülen kommen konnte.(vgl.S.22f)
  7. [Anmerkung: Die Anzahl möglicher RNA-Moleküle ist rein theoretisch immens groß. Schon bei einer Länge von nur 100 Nukleotiden gibt es 1.6*10^60 viele mögliche Ausprägungen. Bei einer Länge von 1000, also 4^1000, versagt schon ein Standardrechenprogramm auf einem Standardcomputer, um die Zahl auszurechnen. ‚Reale RNA-Moleküle‘ – nennen wir sie RNA+ — bilden nur eine kleine Teilmenge aus der Menge der theoretisch möglichen RNA-Moleküle – also RNA+ subset RNA –. Die RNA+ repräsentieren diejenige Menge, die unter den realen Bedingungen der Erde chemisch möglich sind und die einen ‚Mehrwert‘ liefern. ]
  8. Von ‚hinten her‘ betrachtet ist klar, dass es einen Weg von den einfachen chemischen Verbindungen zu den komplexen biologischen Strukturen geben musste. Vom heute bekannten chemischen Mechanismus her ist ferner klar, dass es ein Weg von vielen kleinen Schritten gewesen sein musste, der immer nur von dem ausgehen konnte, was zu einem bestimmten Zeitpunkt gerade erreicht worden war. Nach Duve sollte man den Weg der chemischen Evolution anhand der Rolle der Enzyme untersuchen. Denn Enzyme sind für fast alle chemischen Reaktionen wichtig. Wenn es aber keine Proteine waren, die diese katalytische (= enzymatische) Rolle spielten [, da diese ja erst durch die RNA-Moleküle gezielt produziert wurden?], welche chemischen Verbindungen waren es dann? (vgl. SS.24-26)
  9. Elemente, die ‚katalytisch‘ wirken, beschreibt Duve als solche, durch deren Präsenz andere Moleküle miteinander reagieren und sich verbinden können, ohne dass die katalytischen Elemente selbst dabei ‚konsumiert‘ würden. Die katalytischen Elemente können daher beliebig oft ihre Wirkung entfalten. Zusätzlich bewirken katalytische Elemente in der Regel eine ‚Beschleunigung‘ des Prozesses und sie tragen dazu bei, dass sich die ‚Ausbeute‘ (‚yield‘) erhöht. (vgl. S.26f)
  10. Duve zitiert dann unterschiedliche theoretische Ansätze, mit welchen chemischen Stoffen sich katalytische Wirkungen erzielten lassen können sollten. Bislang konnte aber keiner der vielen Ansätze wirklich überzeugen.(vgl. S.28f)
  11. Besonders erwähnt werden ‚Peptide‘; dies sind Ketten von aneinandergereihten Aminosäuren. Die Übergänge zwischen Peptiden, Polypeptiden und Proteinen sind fließend. Aminosäuren, aus denen Peptide (und Proteine) bestehen, gehörten – nach Annahme – zu den ersten organischen Verbindungen der frühen Erde. Und erste Entdeckungen von möglichen Verbindungsarten (‚bonds‘), die aus Aminosäuren erste einfache ‚Ketten‘ machen können, wurden in den 1950iger Jahren gemeldet.(vgl.S.29f)
  12. Eine besondere Rolle scheinen nach Duve hier Verbindungen der Art ‚Esther‘ und ‚Thioesther‘ zu spielen. Nicht nur, dass diese in der heute bekannten Welt eine Schlüsselrolle spielen, sondern die Thioester entstehen aus dem Gas ‚Schwefelwasserstoff‘ (H_2S), das auf der frühen Erde überall vorhanden war. Allerdings gilt für diese Verbindungen, dass ihre Synthese die Verfügbarkeit von Kondensierungsprozessen voraussetzen, die ‚Energie‘ benötigen, um Sauerstoffatome herauszulösen. Die Machbarkeit dieser Synthesen unter Bedingungen, die der frühen Erde zu gleichen scheinen, wurde 1993 von Miller und Schlesinger demonstriert. (vgl.S.30-32)
  13. Aus all diesen verschiedenen Teilerkenntnissen bildet Duve seine persönliche Arbeitshypothese, dass relativ kurze und nicht zu geordnete Ketten von Aminosäuren entstehen konnten, die Duve dann ‚Multimere‘ nennt, ‚kürzer‘ als ‚Polymere‘, aber mehr als ‚Oligomere‘. Allerdings war eine solche Entstehung nur dann möglich, wenn genügend ‚Energie‘ zur Verfügung stand, diese Komplexifikationsprozesse zu unterstützen. Grundsätzlich gab es in und auf der frühen Erde genügend Energie. (vgl. S.32-34)
  14. Im Kern ist gefordert, Mechanismen zu finden, durch die Elektronen ihre Energieniveaus ändern, entweder mittels Energie ihr ‚Niveau‘ erhöhen oder vermindern. Dies kann verbunden sein mit einem ‚Transfer‘ von einem Ort, dem ‚Elektronen-Spender (‚donor‘)(mit höherem Energielevel), zum ‚Elektronen-Empfänger (‚acceptor‘)(niedrigerer Energielevel). Sowohl der Spender wie der Empfänger ändern dadurch ihre chemische Natur. Der Verlust von Elektronen wird auch ‚Oxidation‘ genannt, der Gewinn ‚Reduktion‘. Duve berichtet von zwei solcher Mechanismen: einer, der mit UV-Strahlen und Eisenionen in Oberflächenwasser funktioniert, ein anderer, der an das Vorhandensein von Schwefelwasserstoff gebunden ist, was in den dunklen Tiefen der Weltmeere gegeben war. Mit diesen Überlegungen wurde die Möglichkeit der Verfügbarkeit von Elektronen sichtbar gemacht; wie steht es aber mit der ‚Synthese‘, dem Herstellen von ‚Verbindungen‘ (‚bonds‘) zwischen Elementen? (vgl. SS.35-39)
  15. Überlegungen zum ATP-Molekül und seinen diversen Vorstufen (AMP –> ADP –> ATP) führen zur Klärung von zwei möglichen Synthesemöglichkeiten: Pyrophosphate oder Thioester. (vgl. SS.39-41) Entscheidend dabei ist, dass der Elektronentransfer eingebettet ist in einen Kreislauf, der sich wiederholen kann und dass die gespendeten Elektronen direkt nutzbar sind für Synthesen. Ein zentraler Mechanismus im Kontext von gespendeten Elektronen ist nach Duve die Erzeugung (‚formation‘) von Thioester, der dann im weiteren Schritt zur Erzeugung von ATP führen kann. Thioester kommen in heutigen biologischen Systemen eine Schlüsselrolle zu. Das Problem: sie brauchen zu ihrer Entstehung selbst Energie. Bei genügender Hitze und in der Gegenwart von Säure kann Thiol sich allerdings spontan zu Thioester verbinden. Die zahlreichen heißen Quellen in der Tiefsee bieten solche Bedingungen. Alternativ können solche Prozesse aber auch in der Atmosphäre ablaufen oder, ganz anders, im Wasser, mit Unterstützung von UV-Licht und Eisen-(III) (= ‚ferric iron‘) bzw. Eisen-(II) (=ferrous iron‘), wodurch sich Thioester-Verbindungen erzeugen lassen. Duve sagt ausdrücklich, dass es sich hier um Arbeitshypothesen aufgrund der ihm verfügbaren Evidenzen handelt. (vgl. SS.41-45)
  16. [Anmerkung: Die Vielfalt und Tiefe der Details im Text von Duve, die in dieser Zusammenfassung stark abgemildert wurden, sollte nicht vergessen lassen, dass es bei all diesen Untersuchungen letztlich um einige wenige Hauptthemen geht. Grundsätzlich geht es um die Frage, wie überhaupt Mechanismen denkbar sind, die scheinbar gegen die Entropie arbeiten. Und letztlich wird sichtbar, dass es die zur Zeit im Universum noch frei verfügbare Energie ist, die das Freisetzen von Elektronen auf einem höheren Energieniveau ermöglichen, wodurch andere Prozesse (katalytisch) ermöglicht werden, die zu neuen Bindungen führen. Und es sind genau diese neuen Verbindungen, durch die sich ‚Information‘ in neuer Weise bilden kann, eine Art ‚prozeßgesteuerte Information‘. Dass diese prozeßgesteuerte Information in Form von Peptiden, dann RNAs und DNAs schließlich fähig ist, immer komplexere chemische Prozesse selbst zu steuern, Prozesse, in denen u.a. dann Proteine entstehen können, die immer komplexere materielle Strukturen bilden mit mehr Informationen und mit mehr Energieverbrauch, das ist aus der puren chemischen Kombinatorik, aus den primären physikalischen Eigenschaften der beteiligten Komponenten nicht direkt ablesbar.
  17. Dies zeigt sich eigentlich erst auf einer ‚Metaebene‘ zur primären Struktur, im Lichte von Abstraktionen unter Benutzung symbolischer Strukturen (Theorien), im Raum des ‚bewussten Denkens‘, das selbst in seinem Format ein Produkt dieses biologischen Informationsgeschehens ist. Die schiere Größe des mathematischen kombinatorischen Raumes der Möglichkeiten, wie die beteiligen Materialien sich formieren können, zeigt die absolute Unsinnigkeit, dieses komplexe Geschehen vollständig dem ‚reinen Zufall‘ zuzuschreiben. Aus der denkerischen Unmöglichkeit einer bloß zufallsgesteuerten Entstehung von Leben folgt zwingend, dass die zufälligen Generatoren eingebettet sein müssen in einen Kontext von ‚Präferenzen‘, die sich aus dem gesamten Kontext (Energie –> Materie –> Sterne, Planeten… –> Planet Erde –> physikalisch-chemische Eigenschaften …) herleiten. Die Entstehung bestimmter chemischer Verbindungen ist eben nicht beliebig sondern folgt den physikalischen Eigenschaften der beteiligten Komponenten. Determinismus kombiniert mit freier Kombinatorik ist ein Medium von Emergenz, in dem sich offensichtlich Schritt für Schritt all das zeigt, was in der ‚Vorgabe‘ der beteiligten materiellen Strukturen ‚angelegt‘ ist.
  18. Legt man die aus der Vergangenheit bekannten Deutungen von ‚Materie‘ und ‚Geist‘ als ‚zeitgebunden‘ und heute irreführend beiseite, dann zeigt sich das atemberaubende Bild einer graduellen, inkrementellen ‚Sichtbarwerdung‘ von ’neuem Geist‘ als der ‚inneren Form der Materie‘ sprich der ‚inneren Form der Energie‘. Alle mir bekannten ‚Bilder‘ und ‚Sprechweisen‘ von ‚Geist‘ und ‚Seele‘ aus der Vergangenheit sind, verglichen mit dem Bild, das sich uns heute mehr und mehr bietet geradezu armselig und primitiv. Warum tun wir uns dies an? Literatur, Musik, bildende Künste usw. sind Ausformung von ‚Geist‘, ja, aber eben von einem universalen kosmischen Geist, der alles bis in die allerletzten Winkel der Atome und atomaren Partikel durchdringt, und der die ‚künstliche Abschottung‘ der sogenannten ‚Geisteswissenschaften‘ von den ‚Naturwissenschaften in keiner Weise mehr gerechtfertigt erscheinen lässt.]
  19. Duve lässt keinen Zweifel an dem hochspekulativen Charakter seiner Überlegungen zu den Vorstufen einer möglichen RNA-Welt. Die verschiedenen Überlegungen, die er vorstellt, klingen nichtsdestoweniger interessant und lassen mögliche Mechanismen erkennen. Klar ist auf jeden Fall, dass mit dem Auftreten ‚informationsrelevanter‘ RNA-Moleküle das Zeitalter der ‚chemischen Evolution‘ – ohne erkennbare autonom wirkender Informationsstrukturen – zu Ende geht und mit dem Auftreten von RNA-Molekülen das Zeitalter der ‚biologischen Evolution‘ beginnt. Leitprinzip in allem Geschehen ist die Einhaltung der physikalisch-chemischen Gesetze und der Aufbau des Komplexeren aus einfacheren Vorstufen. (vgl. SS.46-51)


  20. Fortsetzung Teil 3

 

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